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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Präjudizialität einer Gesetzesbestimmung, die die bel. Beh. nicht angewendet hat, aber anwenden hätte müssen; keine Präjudizialität einer denkunmöglich herangezogenen Fassung einer Gesetzbestimmung Denkunmögliche Anwendung des §8 Abs1 lita idF der nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Abgabepflicht in Kraft getretenen Nov. LGBl. 88/1982; Verletzung des EigentumsrechtesSpruch
Die bf. Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Salzburg ist schuldig, der bf. Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 11.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 18. September 1985 hat die Finanzlandesdirektion für Salzburg der bf. Gesellschaft - sie betreibt ausschließlich den Versandhandel - aufgrund des von der Finanzbehörde ermittelten Gewerbesteuermeßbetrages für das Jahr 1982 einen Fremdenverkehrsförderungsbeitrag in der Höhe von 12 Prozent des Gewerbesteuermeßbetrages vorgeschrieben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die bf. Gesellschaft in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (des Salzburger Fremdenverkehrsförderungsfondsgesetzes 1960) verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
2. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der VfGH am 11. Oktober 1986 beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des §8 Abs1 lita des Salzburger Fremdenverkehrsförderungsfondsgesetzes 1960 (und zwar in der Stammfassung LGBl. 11/1961) von Amts wegen zu prüfen. Mit Erkenntnis vom 9. März 1988, G51/87, hat der VfGH die genannte Gesetzesbestimmung wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Für das nunmehr fortzusetzende Beschwerdeverfahren ist zunächst anzumerken, daß die bel. Beh. im vorliegenden Fall die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht angewendet hat (s. hiezu die folgenden Ausführungen), aber - was der VfGH in seinem genannten Beschluß vom 11. Oktober 1986 angenommen und was er im Erkenntnis zu G51/87 bekräftigt hat - anwenden hätte müssen (zur Präjudizialität der nicht angewendeten Bestimmung in einem solchen Falle vgl. VfSlg. 5845/1968, S 779, VfSlg. 10625/1985, vgl. auch die zusammenfassende Darstellung der Rechtsprechung zur Präjudizialität in VfSlg. 10617/1985); auch der VfGH hätte diese Bestimmung anwenden müssen.
Der VfGH hat in dem bereits mehrfach erwähnten Beschluß vom 11. Oktober 1986 festgehalten, daß die Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides das Salzburger Fremdenverkehrsförderungsfondsgesetz 1960 in der Fassung der Nov. LGBl. 88/1982 angewendet hat; sie stützte die Beitragsvorschreibung unter anderem auf den §8 Abs1 lita dieses Gesetzes in der Fassung der genannten Nov. Die Nov. ist nach ihrem ArtII mit 1. Jänner 1983 in Kraft getreten.
Da die hier bekämpfte Beitragsvorschreibung das Jahr 1982 betrifft und aus dem bei der Erhebung des Pflichtbeitrages sinngemäß anzuwendenden §4 BAO (§9 Abs2 Salzburger Fremdenverkehrsförderungsfondsgesetz 1960) folgt, daß die Abgabenpflicht grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zu beurteilen ist (s. zB VfSlg. 8433/1978, S 341), hat die bel. Beh. im vorliegenden Fall das Gesetz denkunmöglich herangezogen, wenn sie das Gesetz in der Fassung der Nov. LGBl. 88/1982 heranzog. Eine von der Behörde denkunmöglich angewendete Bestimmung ist im übrigen nach der Rechtsprechung des VfGH (s. VfSlg. 8999/1980, S 454 mit weiteren Judikaturnachweisen) nicht präjudiziell im Sinne des Art140 Abs1 B-VG, weshalb diesbezüglich kein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet werden konnte. Die Frage, ob der angefochtene Bescheid auf das Gesetz in der Stammfassung hätte gestützt werden können, braucht hier schon deshalb nicht untersucht zu werden, weil diese Fassung des §8 Abs1 lita aufgehoben wurde (Art140 Abs7 B-VG).
2. Aus den obigen Erwägungen folgt, daß die bf. Gesellschaft durch den angefochtenen Bescheid wegen denkunmöglicher Anwendung des Gesetzes (nämlich des §8 Abs1 lita Salzburger Fremdenverkehrsförderungsfondsgesetz in der Fassung der Nov. BGBl. 88/1982) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden ist (zur ständigen Rechtsprechung des VfGH betreffend die Verletzung im Eigentumsrecht bei denkunmöglicher Anwendung des Gesetzes vgl. zB VfSlg. 9014/1981, 9726/1983).
Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.
3. Der Kostenzuspruch stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von
S 1.000,-- enthalten.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG idF der Nov. BGBl. 297/1984 ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.
Schlagworte
Abgaben Fremdenverkehr, Abgaben, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B841.1985Dokumentnummer
JFT_10119690_85B00841_00