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19/05 Menschenrechte;Norm
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsdient Dr. Iro und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 8. August 1990, Zl. Frb-4250/90, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 8. August 1990 wurde gegen die nunmehrige Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, ein auf § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Z.1 iVm § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) gestütztes, mit 31. Dezember 2000 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei in den letzten Jahren dreimal wegen Diebstahls (es habe sich jeweils um Ladendiebstähle bzw. versuchte Ladendiebstähle gehandelt) rechtskräftig verurteilt worden. Die Beschwerdeführerin sei somit mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden, wobei noch hinzuzufügen sei, daß sie mit Urteil vom 11. Oktober 1988 schuldig befunden worden sei, elf Ladendiebstähle begangen zu haben. Obwohl ihr aufgrund dieser Verurteilung und der vorhergehenden Verurteilung aus dem Jahr 1987 angedroht worden sei, daß im Fall eines neuerlichen Rechtsbruches gegen sie ein Aufenthaltsverbot erlassen werde, sei es am 2. März 1990 neuerlich zu einer Verurteilung wegen eines versuchten Ladendiebstahles gekommen. Da die Beschwerdeführerin nicht einmal durch eine derartige Androhung zu einem gesetzestreuen Verhalten habe bewegt werden können, erscheine der belangten Behörde die Annahme gerechtfertigt, daß jene auch in Zukunft gleichartige strafbare Handlungen begehen und dadurch die öffentliche Ordnung gefährden werde. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei daher zur Hintanhaltung weiterer Rechtsbrüche notwendig. Unter Bezugnahme auf § 3 Abs. 3 FrPolG stellte die belangte Behörde fest, daß sich die Beschwerdeführerin seit mehr als sieben Jahren im Bundesgebiet aufhalte, verheiratet sei und drei minderjährige Kinder habe. Es stehe damit außer Frage, daß die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Fremden und ihrer Familie gewichtig seien. Dennoch erscheine die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dringend geboten. Wie bereits dargelegt, habe die Beschwerdeführerin trotz erfolgter Androhung eines Aufenthaltsverbotes nach der zweiten gerichtlichen Verurteilung neuerlich wegen des Vergehens nach den §§ 15 und 127 StGB verurteilt werden müssen. Dies, obwohl ihr die Folgen eines solchen Verhaltens in aller Deutlichkeit bekanntgemacht worden seien. Für die belangte Behörde sei offensichtlich, daß die Beschwerdeführerin nicht gewillt sei, sich rechtmäßig zu verhalten. Es sei vielmehr zu erwarten, daß sie auch in Zukunft straffällig werde, zumal sie sich nicht einmal von der Androhung eines Aufenthaltsverbotes von weiteren Ladendiebstählen abhalten habe lassen. In Anbetracht der Tatsachen, daß es sich bei der Beschwerdeführerin offensichtlich um eine notorische Ladendiebin handle und die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen würden als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation der Fremden und ihrer Familie, sei zum Zweck der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit zum Nachteil der Beschwerdeführerin zu entscheiden gewesen. Die Verhängung eines auf zehn Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes erscheine angemessen und notwendig, um den Verwaltungszweck, nämlich die Hintanhaltung von einschlägigen Rechtsbrüchen, zu erreichen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, deshalb den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 3 Abs. 1 FrPolG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, (MRK) genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Nach § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. ist, wenn durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen: 1) Die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen; 2) die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen; 3) die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.
Nach Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
2. Die belangte Behörde hat die dreimalige rechtskräftige Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen des Vergehens des (zum Teil versuchten) Diebstahls bzw. des schweren Diebstahls durch das BG Feldkirch bzw. das LG Feldkirch (Urteile vom 15. Juni 1987, vom 11. Oktober 1988 und vom 2. März 1990) im Wege des § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" gewertet. Dagegen besteht - unter Zugrundelegung des eindeutigen Gesetzeswortlautes - kein rechtlicher Einwand. Damit ist davon auszugehen, daß die Annahme gerechtfertigt ist, der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwider (§ 3 Abs. 1 FrPolG).
3.1. Während die Beschwerde diese rechtliche Wertung unbekämpft läßt, hält sie die von der belangten Behörde im Grunde des § 3 Abs. 3 FrPolG vorgenommene Interessenabwägung insofern für rechtswidrig, als der "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" nicht beachtet worden sei. Diesem Grundsatz widerspreche es, wenn "eine derart geringfügige Anlaßtat (es ist beim Versuch geblieben)" zum Anlaß für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes genommen werde. Durch die Außerlandesschaffung der Beschwerdeführerin würden hauptsächlich ihre minderjährigen Kinder betroffen, mit all den damit verbundenen Nachteilen auch für die Gesellschaft. Die Kinder, die in Österreich die Schule besuchten, müßten künftig in der Zeit, in der ihr Vater arbeite, ohne Betreuung und Obsorge leben. Es liege auf der Hand, daß unter solchen Voraussetzungen die Zerstörung einer intakten Familie schwerer wiege als der Vorteil, den die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen die Beschwerdeführerin mit sich bringe.
3.2. Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf diese Gesichtspunkte ausdrücklich Bedacht genommen und im Hinblick auf diese die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie als "gewichtig" gewertet. Wenn sie dennoch zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen die Beschwerdeführerin unverhältnismäßig schwerer wiegen würden als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie, so kann darin eine Rechtswidrigkeit nicht erblickt werden. Die belangte Behörde hatte nämlich den privaten Interessen der Beschwerdeführerin und ihrer Familie am Verbleib in Österreich nicht - wie die Beschwerde meint- "eine derart geringfügige Anlaßtat", sondern das durch drei, jeweils in kurzen zeitlichen Abständen aufeinanderfolgende rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Handlungen beeinträchtigte öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gegenüberzustellen. Zudem wurde von der belangten Behörde auf der Seite der für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen zu Recht jenes an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen durch die Beschwerdeführerin in die Abwägung miteinbezogen, hat sich doch diese trotz der nach der zweiten gerichtlichen Verurteilung vom 11. Oktober 1988 im Hinblick darauf an sie gerichteten Mitteilung der BH Feldkirch vom 4. November 1988, "daß bei einem neuerlichen Rechtsbruch gegen Sie ein Aufenthaltsverbot erlassen wird", wobei dann die "persönlichen Verhältnisse (der langandauernde Aufenthalt in Österreich) nicht mehr zu Ihren Gunsten berücksichtigt werden (können)", neuerlich strafbarer Handlungen gegen das Eigentum anderer schuldig gemacht.
4. Da nach dem Gesagten dem angefochtenen Bescheid auch in Ansehung der Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 FrPolG Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde - unter Kostenzuspruch an die belangte Behörde (§§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989) - gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990190474.X00Im RIS seit
19.11.1990