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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. Dezember 1989, Zl. SD 703/89, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 20. Dezember 1989 wurde gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland, ein auf § 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) gestütztes, befristetes Aufenthaltsverbot (bis 31.12.1999) für das ganze Bundesgebiet erlassen.
Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 1. Juli 1988, 10 Vr 808/87, 10 Hv 9/88, wegen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten (unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren) rechtskräftig verurteilt worden. Außerdem sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 5. April 1989, 10 U 133/89, wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Damit habe er den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG verwirklicht. Schon allein die erstgenannte Verurteilung rechtfertige die Annahme, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich nicht nur die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde, sondern auch anderen in Art. 8 MRK genannten öffentlichen Interessen (Schutz der inneren Sicherheit der Republik Österreich, Schutz der Rechte anderer, etc.) zuwiderlaufe. Die bedingte Strafnachsicht bzw. die dafür maßgebenden Gründe seien nur für Strafen bis zu sechs Monaten relevant. Angesichts der dieser Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltensweise erscheine die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Ereichung der im Art. 8 MRK genannten öffentlichen Interessen dringend geboten, weshalb ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zulässig sei. Es sei zweifellos richtig, daß das Aufenthaltsverbot einen schwerwiegenden Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers darstelle. Der Beschwerdeführer und seine drei Kinder, die ihm anläßlich der Scheidung zugesprochen worden seien, hielten sich seit 1984 in Österreich auf. Dennoch würden die öffentlichen Interessen im vorliegenden Fall so schwer wiegen, daß dieser Eingriff in Kauf genommen werden müsse. Daran vermögen weder die Behauptung des Beschwerdeführers, eine österreichische Staatsbürgerin mit ständigem Wohnsitz in Österreich ehelichen zu wollen, noch der Hinweis, sein weiterer Aufenthalt in Österreich läge im Interesse der geschädigten Gläubiger, noch die bedingte Strafnachsicht etwas zu ändern. Die Befristung des Aufenthaltsverbotes entspreche etwa jenem Zeitraum, in dem eine Besinnung des Beschwerdeführers auf die Verpflichtungen gegenüber der Rechtsordnung eines Gastlandes erwartet werden könne.
2. Die Behandlung der dagegen zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde lehnte dieser Gerichtshof mit Beschluß vom 11. Juni 1990, B 24/90, ab und trat die Beschwerde u.e. zur Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof ab. Laut der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Beschwerdeergänzung erachtet sich der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in seinem Recht darauf verletzt, daß gegen ihn nicht entgegen § 3 FrPolG ein Aufenthaltsverbot erlassen werde. Er behauptet Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und begehrt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 3 Abs. 1 FrPolG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958 (MRK), genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Nach § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder ... rechtskräftig verurteilt worden ist.
Gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. ist, wenn durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen: 1) Die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen; 2) die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen; 3) die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.
Nach Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
2. Die belangte Behörde hat die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers wegen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten, wobei diese unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, im Wege des § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" gewertet. Dagegen besteht - unter Zugrundelegung des eindeutigen Gesetzeswortlautes - kein rechtlicher Einwand. Damit ist davon auszugehen, daß die Annahme gerechtfertigt ist, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen (hier insbesondere: Schutz der Rechte anderer) zuwider (§ 3 Abs. 1 FrPolG). Der dazu vorgetragene Beschwerdeeinwand, die belangte Behörde habe im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens das Ausmaß der mit der Tat des Beschwerdeführers herbeigeführten Rechtsgutbeeinträchtigung, den Umfang der persönlichen Schuld und die Frage der nachträglichen Schadensgutmachung nicht berücksichtigt, geht demnach ebenso ins Leere wie der Vorwurf, es sei verabsäumt worden, unter Berücksichtigung des seitherigen Verhaltens des Beschwerdeführers "eine Prognose anzustellen".
3. Gesondert davon ist noch zu prüfen, ob die von der belangten Behörde im Grunde des § 3 Abs. 3 FrPolG vorgenommene Interessenabwägung den Anforderungen dieser Gesetzesstelle entspricht.
3.1. Der Beschwerdeführer verneint dies und behauptet insoweit sowohl inhaltliche als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Unter dem erstgenannten Gesichtspunkt vertritt die Beschwerde die Ansicht, eine Interessenabwägung im Sinne des Gesetzes hätte deshalb zu seinen Gunsten ausfallen müssen, weil eine Übersiedlung ins Ausland als Folge des Aufenthaltsverbotes die drei minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers, für die er allein sorgepflichtig sei, aus ihrer seit Jahren gewohnten Umgebung reißen würde. Mit der Verfahrensrüge wird geltend gemacht, daß die belangte Behörde keine Ermittlungen zu der Frage durchgeführt habe, inwieweit die drei Töchter des Beschwerdeführers durch das Verlassen Österreichs und den damit verbundenen Schulwechsel bzw. Wechsel der Ausbildung in ihrem beruflichen und persönlichen Vorankommen beeinträchtigt würden. Sei insoweit der Sachverhalt ergänzungsbedürftig geblieben, so habe die belangte Behörde darüber hinaus den Grundsatz des Parteiengehörs verletzt, und zwar dadurch, daß dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit zur Äußerung eingeräumt worden sei, obwohl seinen Beweisanträgen nicht nachgekommen worden sei. Bei Wahrung des Parteiengehörs hätte der Beschwerdeführer noch näher auf die Lebens- und Ausbildungssituation seiner drei Kinder eingehen und die für sie nachteiligen Folgen einer Übersiedlung ins Ausland darlegen können.
3.2. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die behördliche Interessenabwägung als rechtswidrig erkennen zu lassen.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid - wenn auch in knapper Form, so doch erkennbar - auf die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Aspekte Bedacht genommen und - auch mit Beziehung auf die Kinder des Beschwerdeführers - das Aufenthaltsverbot als "schwerwiegenden Eingriff" in das Familienleben des Beschwerdeführers gewertet. Wenn die belangte Behörde dennoch die für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer sprechenden öffentlichen Interessen als so schwerwiegend erachtete, daß der durch diese Maßnahme bedingte Eingriff in die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie (in Gestalt seiner drei Kinder) "in Kauf genommen werden muß", so kann dieser Abwägung im Ergebnis nicht entgegengetreten werden. Was die Situation der Kinder anlangt, so ist zu berücksichtigen, daß diese zur Zeit der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits fast 18 bzw. 16 bzw. 15 Jahre alt waren und, wie sich den im Akt befindlichen, vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen entnehmen läßt, nicht mehr in schulischer Ausbildung standen oder doch zumindest die allgemeine Schulpflicht bereits beendet hatten bzw. knapp vor deren Erfüllung standen, sodaß insgesamt gesehen der Einfluß des gegen den Beschwerdeführer erlassenen Aufenthaltsverbotes auf das berufliche und persönliche Fortkommen seiner Kinder nicht so stark ins Gewicht fällt, wie dies in der Beschwerde behauptet wird. Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, daß die Dauer der bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu der der Beschwerdeführer rechtskräftig verurteilt worden ist, beträchtlich höher liegt als die vom Gesetz insoweit für die Qualifikation als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" vorgesehene Untergrenze. Dazu kommt, daß von der belangten Behörde bei der Gewichtung des öffentlichen Interesses an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch die zeitlich nach der in Rede stehenden Verurteilung vom 1. Juli 1988 erfolgte rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers vom 5. April 1989 wegen Körperverletzung berücksichtigt werden durfte. Insofern konnte das in der Beschwerde in anderem Zusammenhang ins Treffen geführte "seitherige Verhalten" des Beschwerdeführers keinesfalls als "Wohlverhalten" gewertet werden. Demgegenüber hat die belangte Behörde dem Hinweis des Beschwerdeführers, sein Weiterverbleib in Österreich wäre angesichts seiner "bereits getätigten Wiedergutmachungsbestrebungen" nicht zuletzt im Interesse der geschädigten Gläubiger gelegen, als im Zusammenhang mit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes rechtlich unbeachtlich, keine Bedeutung beigemessen.
4. Zusammenfassend ergibt sich somit, daß der angefochtene Bescheid weder zu § 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 1 noch zu § 3 Abs. 3 FrPolG in Widerspruch steht. Da demnach der Beschwerdeführer nicht in dem vom Beschwerdepunkt erfaßten Recht (vgl. oben I.2.) verletzt worden ist, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
Ermessen besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990190335.X00Im RIS seit
19.11.1990