TE Vwgh Erkenntnis 1990/11/20 90/18/0161

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Veröffentlicht am 20.11.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §4 Abs1 lita;
StVO 1960 §4 Abs5 idF 1983/174;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1 impl;
VStG §5 Abs1 idF 1987/516 ;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des Josef N gegen den Bescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 2. Mai 1990, Zl. VerkR-11444/2-1990-II/Fra, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Bescheid vom 2. Mai 1990 wird, insoweit er die Verwaltungsübertretungen nach § 4 Abs. 1 lit. a und § 4 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung 1960 betrifft (Teil I des Spruches), wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Berufungsbescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 2. Mai 1990 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug zweier Verwaltungsübertretungen schuldig erkannt, wobei die in erster Instanz verhängten Geld- und Ersatzarreststrafen herabgesetzt wurden (Punkt I des Bescheidspruches). In Punkt II des Bescheidspruches wurde der Berufung des Beschwerdeführers Folge gegeben und das Verwaltungsstrafverfahren hinsichtlich einer dritten Verwaltungsübertretung eingestellt. Die Schuldsprüche lauteten dahin, der Beschwerdeführer habe am 29. August 1988 um

22.20 Uhr, in Wels, Ringstraße an der Kreuzung mit der Pfarrgasse, in östlicher Richtung als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws fahrend, nach einem Sachschadenunfall, mit dem sein Verhalten in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, 1) nicht sofort angehalten,

2) nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verständigt, obgleich er dem Geschädigten seinen Namen und seine Anschrift nicht nachgewiesen habe. Er habe hiedurch zu 1) die Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 1 lit. a der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), zu 2) jene nach § 4 Abs. 5 StVO begangen. An wesentlichen Ausführungen finden sich in den Begründungen des erst- und zweitinstanzlichen Bescheides folgende:

Zur Tatzeit sei es am Tatort zu einem Verkehrsunfall gekommen, bei dem sowohl der vom Beschwerdeführer gelenkte Pkw als auch der Pkw des Zeugen T beschädigt worden sei. Der Beschwerdeführer habe "in der Folge die Fahrt in der Pfarrgasse in nördlicher Richtung fortgesetzt". Nach der Aussage der Zeugen T und S sei der Beschwerdeführer nach dem Verkehrsunfall mit seinem Pkw kurz stehen geblieben, als jedoch T und S aus ihrem Fahrzeug ausgestiegen seien, sei der Beschwerdeführer gegen die Einbahn geflüchtet. Das kurzfristige Stehenbleiben an der Unfallstelle ohne Aussteigen mit nachfolgendem Weiterfahren erfülle nicht die Pflicht nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles zu erkennen vermocht. Der Beschwerdeführer sei an dem Verkehrsunfall ursächlich beteiligt gewesen. Nach seiner Aussage sei er unmitelbar nach dem Unfall mit seinem Beifahrer D ausgestiegen, um die Angelegenheit zu regeln. An beiden Personenkraftwagen sei Sachschaden entstanden. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte der Beschwerdeführer die Sachbeschädigung an dem Pkw des T erkennen müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 4 Abs. 1 lit. a StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten. Nach Abs. 5 dieses Paragraphen haben die im Abs. 1 genannten Personen, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. Erkenntnis vom 22. Mai 1979, Zl. 1789/77) hat die Anordnung des § 4 Abs. 1 lit. a StVO den Zweck, daß der Lenker, nachdem er sich von dem Ausmaß des Verkehrsunfalles überzeugt hat, die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen, so insbesondere die nach § 4 Abs. 1 lit. b und c, Absatz 2 und 5 StVO trifft. Daraus folgt, daß der Lenker eines Fahrzeuges der Anhaltepflicht nicht schon dadurch nachkommt, daß er das Fahrzeug an der Unfallsstelle kurzfristig zum Stillstand bringt, im übrigen aber - ohne auszusteigen und ohne zwingenden Grund - mit dem Fahrzeug die Unfallstelle wieder verläßt. Nach der weiteren Rechtsprechung dieses Gerichtshofes (z.B. Erkenntnis vom 25. Februar 1983, Zl. 81/02/0038 und die weitere dort zitierte Judikatur) ist Voraussetzung für die in § 4 Abs. 5 StVO normierte Verpflichtung, daß der Lenker vom Eintritt des Unfalls mit Sachschaden Kenntnis hatte oder bei gehöriger Aufmerksamkeit Kenntnis hätte haben müssen. Die Schuldform der Fahrlässigkeit reicht aus.

In Anbetracht dieser Rechtslage ist der Sachverhalt hinsichtlich beider Verwaltungsübertretungen in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig:

Weder im erstinstanzlichen Straferkenntnis noch im Berufungsbescheid wurden Feststellungen über die Art der Beschädigungen an beiden beteiligten Kraftfahrzeugen getroffen - solche Feststellungen wären aber für die Frage, ob der Beschwerdeführer diese Beschädigungen akustisch oder gefühlsmäßig hätte bemerken müssen, wesentlich. Der belangten Behörde gelang es nämlich nicht, darzutun, warum der Beschwerdeführer "bei gehöriger Aufmerksamkeit ... die Sachbeschädigung an dem vom Zweitbeteiligten Alexander T gelenkten Pkw" hätte "erkennen müssen". Sollte das technische Wissen der belangten Behörde zur Klärung dieser Frage nicht ausreichen, so wäre ein Sachverständiger zu hören gewesen.

Die belangte Behörde hat in ihrer Begründung nicht immer mit genügender Klarheit zu erkennen gegeben, was bloße Wiedergabe von Beweisergebnissen und was eigene Feststellung der Behörde sein soll. Mit diesem Vorbehalt ist die Wendung (Seite 4 des angefochtenen Bescheides) zu verstehen, der Behauptung des Beschwerdeführers, von Sachbeschädigungen nichts bemerkt zu haben, sei seine eigene Aussage entgegenzuhalten, daß er unmittelbar nach dem Zusammenstoß mit seinem Beifahrer D ausgestiegen sei, um die Angelegenheit zu regeln, was aber deshalb nicht gelungen sei, weil T inzwischen weggefahren sei.

Die belangte Behörde hätte eindeutig zum Ausdruck bringen müssen, ob sie diese Behauptung des Beschwerdeführers - und auch des Zeugen D - nun als erwiesen annimmt oder nicht. Nimmt sie diese Version als erwiesen an, so hätte die belangte Behörde erwägen müssen, ob der Beschwerdeführer dadurch seiner Verpflichtung nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO nachgekommen ist oder nicht. In diesem Zusammenhang wären auch eindeutige Feststellungen über das Verhalten des Geschädigten T nach dem Unfall zu treffen gewesen, nämlich ob und wann er seinen Pkw angehalten habe und was er im Falle eines solchen Anhaltens danach getan habe, um mit dem Beschwerdeführer Kontakt aufzunehmen.

Da somit der Sachverhalt in den aufgezeigten wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf, war der Bescheid der Berufungsbehörde im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren auf Zuspruch von weiteren S 60,-- an Stempelgebühren war deshalb abzuweisen, weil der angefochtene Bescheid nur in einfacher Ausfertigung vorzulegen war.

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild) Mängel im Spruch Fehlen von wesentlichen Tatbestandsmerkmalen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990180161.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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