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L94409 Krankenanstalt Spital Wien;Norm
AMG 1983 §2 Abs11;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler,
Dr. Degischer, Dr. Domittner und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde der L-Gesellschaft m.b.H. gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 24. April 1990, ausgefertigt am 30. April 1990, Zl. MA 14-964/87, betreffend Errichtungsbewilligung nach dem Wiener Krankenanstaltengesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schriftsatz vom 26. August 1987 beantragte die Beschwerdeführerin die Errichtungsbewilligung für eine private Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums mit dem Standort Wien, X-Gasse 1. Es handle sich um ein selbständiges Ambulatorium für biopharmazeutische und pharmakokinetische Untersuchungen. Des Näheren wurden diese Untersuchungen wie folgt beschrieben:
"Die auf ärztliche Verschreibung in den Apotheken abgegebenen Arzneimittel unterliegen der Registrierungspflicht. Für die Erteilung der Registrierung sind umfangreiche Untersuchungen am verwendeten Material (Hilfsstoffe, Verpackung) und dem Wirkstoff sowie der galensichen Form (Tablette, Kapsel, Lösung, Suppositorium usw.) notwendig.
Diese von den Gesundheitsbehörden aller Länder geforderten Untersuchungen werden von der L-GmbH in Auftragsforschung durchgeführt. Schwerpunkt dieser Auftragsforschung sind bei der L-GmbH Bioverfügbarkeitsuntersuchungen am Menschen, wobei die Errechnung bestimmter Kenngrößen aus den Versuchsergebnissen Vergleiche zwischen zwei Präparaten möglich macht.
Diese Versuche werden üblicherweise unter streng kontrollierten Bedingungen (GLP) an gesunden Freiwilligen vorgenommen, wonach auf die Einnahme von Arzneimitteln der jeweilige Wirkstoff in biologischen Flüssigkeiten (Plasma, Harn, Speichel) gemessen und die Ergebnisse nach Auswertung verglichen werden (Pharmakokinetik).
Solche von den Gesundheitsbehörden für jede Registrierung eines bereits bekannten Wirkstoffes geforderten Vergleichsuntersuchungen nennt man Bioäquivalenzprüfungen. Die L-GmbH führt diese Untersuchungen für pharmazeutische Unternehmen in der BRD, in der Schweiz, in England, Italien und Österreich durch."
Im Anhörungsverfahren sprach sich die Ärztekammer für Wien gegen die Errichtungsbewilligung aus, weil der Zweck des Ambulatoriums mit § 1 des Wiener Krankenanstaltengesetzes nicht in Einklang zu bringen sei. Die Fachgruppe der Heilbade-, Kur- und Krankenanstalten der Sektion Fremdenverkehr der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien erklärte, daß gegen die Errichtungsbewilligung unter Bedarfsaspekten kein Einwand bestünde.
Am 22. Juni 1988 wurde am Ort der beabsichtigten Ambulatoriumserrichtung eine mündliche Verhandlung durchgeführt, die am 12. Juni 1989 fortgesetzt wurde. Am 17. November 1989 teilte der Magistrat der Stadt Wien auf eine diesbezügliche Anfrage dem Bundeskanzleramt - Sektion VI/Volksgesundheit mit, das nunmehr abgeschlossene Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß für die beantragte Krankenanstalt sowohl die Errichtungs- als auch die Betriebsbewilligung erteilt werden könne. Die Vorlage eines diesbezüglichen Bescheidentwurfes an die Wiener Landesregierung stehe unmittelbar bevor.
Entgegen dieser Ankündigung beschloß die Wiener Landesregierung in ihrer Sitzung am 24. April 1990, den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 1 Abs. 1 des Wiener Krankenanstaltengesetzes 1987, LGBl. Nr. 23 (WrKAG) in der geltenden Fassung, zurückzuweisen. In der Begründung des unter dem Datum des 30. April 1990 ausgefertigten Bescheides heißt es, die von der Beschwerdeführerin beabsichtigte Einrichtung solle ausschließlich der Durchführung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln dienen. Es sei daher zu prüfen, ob der angestrebte Anstaltszweck dem gesetzlichen Begriff der Krankenanstalt zuzuordnen sei. § 1 Abs. 1 lit. a WrKAG verstehe unter Krankenanstalten Einrichtungen, die zur Feststellung des Gesundheitszustandes durch Untersuchung bestimmt sind. Dabei sei jedoch das Ziel solcher Untersuchungen mitzuberücksichtigen. Untersuchungen zur Feststellung des Gesundheitszustandes seien in der Regel zweifellos auf nachfolgende therapeutische Maßnahmen gerichtet und zumindest als der Gesunderhaltung dienende prophylaktische medizinische Leistungen (Gesundenuntersuchungen) zu verstehen. Im vorliegenden Fall gebe die Feststellung des Gesundheitszustandes lediglich die Basis einer Versuchsanordnung ab. Die zur Gänze der Optimierung der jeweiligen Wirkstoffprüfung dienende Feststellung des Gesundheitszustandes freiwilliger Testpersonen stelle keine medizinische Leistung im Sinne des § 1 WrKAG dar. Die rechtliche Möglichkeit der Bewilligung einer Krankenanstalt zum ausschließlichen Zweck klinischer Prüfung von Arzneimitteln sei damit zu verneinen gewesen. Damit fehle der angerufenen Behörde die sachliche Zuständigkeit.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Da die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren die von ihr beabsichtigte Einrichtung in denkmöglicher Weise dem Krankenanstaltenbegriff unterstellte, war die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über den Antrag jedenfalls gemäß § 4 Abs. 1 WrKAG gegeben, unvorgreiflich der Frage, ob die Einrichtung dem Krankenanstaltenbegriff des Gesetzes entsprochen hätte oder nicht. In letzterem Fall hätte die belangte Behörde spruchgemäß mit Sachabweisung vorgehen müssen.
Allein aus diesem Grund erweist sich die Zurückweisung des Antrages der Beschwerdeführerin als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.
Aus Gründen der Verfahrensökonomie nimmt der Verwaltungsgerichtshof aber unter einem zur strittigen Rechtsfrage wie folgt Stellung:
Der III. Abschnitt des Arzneimittelgesetzes 1983, BGBl. Nr. 185, (AMG) in der Fassung der AMG-Novelle 1988, BGBl. Nr. 748, behandelt die klinische Prüfung von Arzneimitteln. Als Zweck dieser Prüfungen nennt § 28 leg. cit. die Entwicklung neuer medizinischer Möglichkeiten, insbesondere von Therapie, Prophylaxe und Diagnostik. Den Begriff der klinischen Prüfung umschreibt § 2 Abs. 11 AMG wie folgt:
"Klinische Prüfung ist die innerhalb und außerhalb von Krankenanstalten durch den Arzt am Menschen durchgeführte Prüfung eines Arzneimittels. Nicht als klinische Prüfung gilt die Prüfung einer zugelassenen Arzneispezialität, es sei denn, die Prüfung bezieht sich auf Arzneiformen, Zusammensetzungen, Stärken, Anwendungsgebiete, Anwendungsarten oder Dosierungen, die der Zulassung nicht entsprechen."
Unter nicht klinischer Prüfung versteht § 2 Abs. 12 leg. cit. die nicht am Menschen durchgeführte pharmakologische oder toxikologische Prüfung eines Arzneimittels.
Entsprechend der in § 2 Abs. 11 AMG aufgestellten Alternative der klinischen Prüfung innerhalb oder außerhalb von Krankenanstalten nehmen zahlreiche Bestimmungen des III. Abschnittes des Arzneimittelgesetzes Bezug auf die klinische Prüfung in einer Krankenanstalt. So sieht z.B. § 32 Abs. 2 AMG vor, daß der Prüfungsleiter (Legaldefinition im § 32 Abs. 1 AMG) dem ärztlichen Leiter der Krankenanstalt (§ 7 Abs. 1 KAG), an der die klinische Prüfung durchgeführt werden soll, seine Eignung im Sinne des Abs. 1 nachzuweisen hat. Sieht die klinische Prüfung eine Erstanwendung von Arzneimitteln am Menschen vor, so muß gemäß § 34 AMG sowohl dem Prüfungsleiter als auch dem ärztlichen Leiter der Krankenanstalt ein Gutachten des Arzneimittelbeirates darüber vorliegen, ob das zu prüfende Arzneimittel die Voraussetzungen für die Durchführung einer klinischen Prüfung erfüllt. Die §§ 40 und 41 AMG in der Fassung der AMG-Novelle 1988 legen dem ärztlichen Leiter der Krankenanstalt, an der die klinische Prüfung durchgeführt werden soll, besondere Pflichten auf. Neben der klinischen Prüfung innerhalb von Krankenanstalten gibt es gemäß § 42 AMG die Prüfung außerhalb von Krankenanstalten.
Die zitierten Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes ergeben den eindeutigen Befund, daß klinische Prüfungen von Arzneimitteln auch in Krankenanstalten durchgeführt werden können. Für die von der belangten Behörde offenbar vertretene Annahme, der alleinige Zweck einer Krankenanstalt dürfe nicht in solchen klinischen Prüfungen bestehen, sondern es müsse ein besonderer "therapeutischer Zweck" hinzutreten, liefert die Rechtslage, wobei sowohl das Arzneimittelgesetz als auch das Wiener Krankenanstaltengesetz zu berücksichtigen sind, keine Grundlage.
Die Begriffsbestimmung der Krankenanstalt wurde im Vergleich zur Urfassung des Bundes-Krankenanstaltengesetzes (BGBl. Nr. 1/1957) durch die zweite Novelle (BGBl. Nr. 281/1974) wesentlich erweitert (vgl. EB zur RV, 769 BlgNR 13. GP, S 7f). Nach diesen Motiven umfaßte die frühere enge Begriffsumschreibung nur die Untersuchung und Behandlung wegen Krankheiten. Nunmehr solle die Untersuchung Gesunder und die Vornahme operativer Eingriffe an Gesunden (z.B. kosmetische Operationen) einschließlich der normalen Entbindung in den Krankenanstaltenzweck aufgenommen werden. Dies gelte auch für die kurzfristige Unterbringung bei Untersuchungen oder Behandlungen in Ambulatorien. Der allgemeine Teil dieser Motive (dort unter I.) verweist auf die stürmische medizinisch-technische Entwicklung, welche die Frage nach einer Änderung der Krankenanstaltenstruktur immer stärker in den Vordergrund gerückt habe.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Auslegung des Krankenanstaltenbegriffes im vorliegenden Fall nicht so sehr die medizinisch-technische Entwicklung, als vielmehr die Aussage des Gesetzgebers im Arzneimittelgesetz zu berücksichtigen. Es gibt keinen einsehbaren Grund, die im Arzneimittelgesetz vorgesehene klinische Prüfung von Arzneimitteln in Krankenanstalten auf solche Anstalten zu beschränken, die AUßERDEM noch Kranke behandeln. Hingegen sprechen alle Erwägungen zur Sicherheit der Gesundheit der Versuchspersonen bei klinischen Prüfungen dafür, solche Prüfungen in Krankenanstalten durchführen zu lassen, die den strengen Bestimmungen des Grundsatzgesetzes und der Landesausführungsgesetze entsprechen.
Daher kann das von der Beschwerdeführerin beantragte Ambulatorium dem Krankenanstaltenbegriff nach § 1 Abs. 1 lit. a WrKAG und dem Begriff des selbständigen Ambulatoriums nach § 2 Abs. 1 Z. 7 dieses Gesetzes unterstellt werden, aus welchem Grunde sich die im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck kommende Rechtsansicht als rechtsirrig erweist.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.
Schlagworte
sachliche ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990180136.X00Im RIS seit
20.11.1990