TE Vwgh Erkenntnis 1990/11/21 90/01/0150

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Veröffentlicht am 21.11.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §56;
FlKonv Art1 AbschnA;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):90/01/0151

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde

1. des N und 2. der MN gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 15. Mai 1990, Zlen. 4.276.106/2-III/13/89 und 4.276.106/3-III/13/89, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 10.410,--, insgesamt S 20.820,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar jugoslawischer Staatsangehörigkeit und albanischer Nationalität, reisten am 19. Mai 1989 in das Bundesgebiet ein und stellten am 22. Mai 1989 Anträge auf Asylgewährung. Bei der niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion am 26. Mai 1989 gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei in seiner Heimat wegen des Verteilens von die Rechte der Albaner betonenden Flugblättern und wegen des Schreibens von Parolen am 24. August 1981 verhaftet und in der Folge am 14. Dezember 1981 gerichtlich zunächst zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, wobei nach Erhebung eines Rechtsmittels durch seinen Pflichtverteidiger und, ohne daß der Erstbeschwerdeführer einer weiteren Gerichtsverhandlung beigezogen worden wäre, die Strafe auf zwei Jahre Haft herabgesetzt worden sei. Diese Strafe habe er bis 24. August 1983 im Gefangenenhaus Goli Otok verbüßt. Über seine Verurteilung habe der Erstbeschwerdeführer keine Bestätigung erhalten, doch werde er ein Dokument über seine Entlassung aus der Haft samt einer Übersetzung vorlegen. Eine ihm während der Haft ausgehändigte Ausfertigung des im Berufungsverfahren ergangenen Urteiles habe der Erstbeschwerdeführer im Gefangenenhaus zurücklassen müssen. Nach seiner Entlassung habe sich der Erstbeschwerdeführer zunächst "ruhig verhalten", in der folge aber, weil die Verhältnisse immer schlechter geworden seien, im Jahre 1988 begonnen, sich wieder politisch zu betätigen. Hiebei habe er insbesondere im Novemer 1988 an Demonstrationen in Pristina teilgenommen. Deshalb sei er nach Festnahme am 15. März 1989 vom Gemeindegericht in Prizren zu einem Monat Haft verurteilt worden und habe diese Strafe im unmittelbaren Anschluß an die Verurteilung bis zum 5. April 1989 verbüßt. Schriftliche Nachweise habe er, da es sich um ein Schnellverfahren gehandelt habe, nicht erhalten. Nach der Haftentlassung habe die Miliz den Erstbeschwerdeführer wiederholt zu Hause "aufgesucht" und ihm wegen Organisationstätigkeit für die "Novemberdemonstration" und wegen des Vorwurfs, streikende Bergarbeiter unterstützt zu haben, mit neuerlicher Inhaftierung gedroht. Wegen dieser Vorwürfe sei der Erstbeschwerdeführer von der Miliz in Dragashe niederschriftlich befragt und es sei ihm hiebei mitgeteilt worden, daß der Sachverhalt dem Gericht Prizren angezeigt werde.

Die Zweitbeschwerdeführerin führte bei ihrer am selben Tag vorgenommenen Einvernahme aus, sie und ihre Kinder hätten darunter gelitten, daß Milizbeamte wegen des Erstbeschwerdeführers immer wieder bei ihr zu Hause erschienen seien. Hiebei sei die Zweitbeschwerdeführerin während der Haft des Erstbeschwerdeführers über dessen Aufenthalt befragt worden, obwohl dieser naturgemäß hätte bekannt sein müssen. Die Zweitbeschwerdeführerin selbst sei aber keinen direkten, gegen sie gerichteten Verfolgungen ausgesetzt gewesen.

Mit Bescheiden vom 27. bzw. 28. September 1989 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark fest, daß die Beschwerdeführer nicht Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes sind.

In den gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen verwiesen die Beschwerdeführer neuerlich auf die zweimalige Inhaftierung des Erstbeschwerdeführers und erklärten, nicht in ihr Heimatland zurückkehren zu können, weil dort dem Erstbeschwerdeführer die sofortige Verhaftung drohe.

Mit den nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden gab die belangte Behörde den Berufungen keine Folge und bestätigte die erstinstanzlichen Bescheide. In den Bescheidbegründungen wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, die belangte Behörde sei nach Prüfung der Angaben der Beschwerdeführer zu der Auffassung gelangt, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bei den Beschwerdeführern nicht vorlägen. Die Angaben des Erstbeschwerdeführers seien unglaubwürdig, weil er entgegen seiner Ankündigung, Dokumente über seine Haftentlassung und Informationen über eine neuerliche Anklage oder Verurteilung nach seiner Flucht vorzulegen, derartige Nachweise nicht beigebracht habe. Die Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens ergebe sich auch daraus, daß seine Angaben deshalb in sich widersprüchlich seien, weil er einerseits behauptet habe, die über ihn im Jahre 1981 verhängte Strafe sei ohne Gerichtsverhandlung herabgesetzt worden, während er gleichzeitig vorgebracht habe, es sei ihm eine "Urteilsausfertigung der Berufungsverhandlung" ausgehändigt worden. Auch sei es dem Erstbeschwerdeführer nicht möglich gewesen, das genaue Datum seiner Teilnahme an Demonstrationen im November 1988 zu nennen. Da der Erstbeschwerdeführer die ins Treffen geführten Haftstrafen zur Gänze verbüßt habe und außerdem die Bestrafung im Jahre 1981 bereits lange zurückliege, seien weitere Folgen auf Grund der behaupteten Anklagepunkte unwahrscheinlich. Die Zweitbeschwerdeführerin habe im gesamten Verwaltungsverfahren keine konkret gegen sie gerichteten Verfolgungshandlungen geltend gemacht, vielmehr habe sie als Hauptgrund für ihr Asylansuchen die Flucht des Erstbeschwerdeführers angeführt. Da im Fall des Erstbeschwerdeführers maßgebliche Verfolgung nicht habe festgestellt werden können, hätten die von der Zweitbeschwerdeführerin geltend gemachten Auswirkungen der Verfolgung des Erstbeschwerdeführers auf ihre Person die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft der Zweitbeschwerdeführerin nicht rechtfertigen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemeinsam erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihren Rechten auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und auf ein gesetzmäßiges Asylverfahren verletzt. Insbesondere sei die belangte Behörde, die keinerlei ergänzende Ermittlungen vorgenommen habe, zu Unrecht davon ausgegangen, die Angaben des Erstbeschwerdeführers seien deshalb unrichtig, weil es ihm nicht gelungen sei, die von ihm in Aussicht gestellten Dokumente nachzureichen. Die von der belangten Behörde aufgezeigten geringfügigen Widersprüchlichkeiten im erstinstanzlichen Vorbringen des Erstbeschwerdeführers sprächen eher für den Wahrheitsgehalt seiner Angaben, weil es ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre, einen in sich widerspruchsfreien Sachverhalt "zusammenzureimen". Der für die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft der Zweitbeschwerdeführerin herangezogene Hinweis auf die Abweisung des Asylansuchens des Erstbeschwerdeführers stelle eine Scheinbegründung dar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 unter Bedachtnahme auf das Protokoll BGBl. Nr. 78/1974 erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Soweit die belangte Behörde das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers deshalb als unglaubwürdig erachtet, weil er das Datum seiner Teilnahme an Demonstrationen im November 1988 nicht exakt angegeben hat, ist ihr entgegenzuhalten, daß die Niederschrift über die erstinstanzliche Einvernahme keinen Hinweis auf eine in dieser Hinsicht gezielte Befragung des Erstbeschwerdeführers enthält. Demgemäß kann aus der Unterlassung einer datumsmäßig genau fixierten Angabe durch den Erstbeschwerdeführer noch nicht der Schluß auf die Unglaubwürdigkeit seiner Angaben gezogen werden.

Entgegen den Feststellungen der belangten Behörde liegen die von ihr aufgezeigten Widersprüchlichkeiten des erstinstanzlichen Vorbringens des Erstbeschwerdeführers nicht vor. Dieser hat nämlich nicht behauptet, es hätte eine Gerichtsverhandlung über die von seinem Pflichtverteidiger erhobene Berufung nicht stattgefunden, sondern angegeben, er sei einer weiteren Gerichtsverhandlung nicht zugezogen bzw. eine solche sei in seiner Abwesenheit durchgeführt worden. Somit konnte die belangte Behörde aus diesem Vorbringen nicht berechtigterweise den Schluß auf die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Erstbeschwerdeführers ziehen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in vergleichbaren Fällen (vgl. hg. Erkenntnisse vom 16. Dezember 1987, Zl. 87/01/0230, und vom 8. November 1989, Zl. 89/01/0085) ausgesprochen hat, hat die Glaubhaftmachung der Gründe für eine gesetzmäßige Feststellung im Sinne der Genfer Konvention im Gegensatz zu einer Beweisführung nur den Nachweis der Wahrscheinlichkeit zum Gegenstand. Die Frage, ob ein Asylwerber Verfolgungen im Sinne der Konvention glaubhaft machen kann, ist von der Rechtsfrage zu unterscheiden, ob die glaubhaft gemachten Gründe als Verfolgung bzw. als für eine begründete Furcht vor Verfolgung sprechende Umstände gewertet werden können. Die belangte Behörde hat einerseits zu Unrecht dem Erstbeschwerdeführer zur Begründung der Abweisung seines Asylansuchens die Nichtvorlage von zwar in Aussicht gestellten, von ihr aber nicht etwa unter Terminsetzung eingeforderten Urkunden entgegengehalten. Eine förmliche Beweisführung durch Dokumente im Asylverfahren ist aber nicht erforderlich. Andererseits hat die belangte Behörde nicht in schlüssiger Weise dargetan, warum sie das entscheidende Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, nämlich insbesondere hinsichtlich seiner Verurteilungen aus politischen Gründen und hinsichtlich seiner Furcht, aus politischen Gründen weiterhin verfolgt zu werden, als unglaubwürdig erachtet hat.

Da die belangte Behörde die Berufung der Zweitbeschwerdeführerin insbesondere deshalb abgewiesen hat, weil relevante Verfolgung des Erstbeschwerdeführers nicht gegeben sei und somit Auswirkungen einer Verfolgung auf die Zweitbeschwerdeführerin nicht vorlägen, erweist sich bei der aufgezeigten Mangelhaftigkeit des den Erstbeschwerdeführer betreffenden angefochtenen Bescheides auch der die Zweitbeschwerdeführerin betreffende angefochtene Bescheid als mit Verfahrensmängeln behaftet.

Da die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Mängel zu anderen Bescheiden hätte gelangen können, mußte diese infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a, b und c VwGG aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206, über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Schlagworte

SachverhaltsermittlungSachverhalt SachverhaltsfeststellungVerfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990010150.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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