TE Vfgh Erkenntnis 1988/3/17 G37/88, G38/88, G39/88, G40/88, G41/88, G42/88, G43/88, G44/88, G45/88,

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Veröffentlicht am 17.03.1988
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
AufsichtsratsabgabeG 1934 idF BGBl 587/1983
F-VG 1922
F-VG 1948
R-ÜG. StGBl 6/1945
Verordnung über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31.03.39
F-VG 1948 §4
F-VG 1948 §6
F-VG 1948 §7
F-VG 1948 §8 Abs3
EStG 1972 §22 Abs1 Z2

Leitsatz

Präjudizialität von Normen, die die Behörde nach Aufhebung eines Bescheides wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm anzuwenden hätte; Qualifizierung selbständiger ehemaliger rechtsdeutscher Verordnung als Gesetz; Überprüfbarkeit der (verfassungskonformen) Einordnung abgabengesetzlicher Bestimmungen in das (wiedereingeführte) System des F-VG 1948 im Einzelfall anhand des Inhalts der Finanzverfassung Zur bundesstaatlichen Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Abgabenwesens - Beteiligung der Gebietskörperschaften an der Ausschöpfung eines bestimmten Besteuerungsgegenstandes; Abgabenerfindungsrecht der Länder - für den Bereich der Bundesabgaben taxative Aufzählung der zulässigen Abgabenformen im §6; keine gleichartige ausschließliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe Gesetz über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom 28.03.34, DRGBl. I, S 253 idF BGBl. 587/1983; Verordnung des Reichsministers der Finanzen über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31.03.39, DRGBl. I, S 691; Gleichartigkeit von Aufsichtsratsabgabe und Einkommensteuer verfassungswidrig

Spruch

Das Gesetz über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom 28. März 1934, DRGBl. I, S. 253, in der Fassung des BG BGBl. 587/1983, sowie die V des Reichsministers der Finanzen über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31. März 1939, DRGBl. I, S. 691, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1988 in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der VfGH hat am 9. Dezember 1987 aus Anlaß von 25 bei ihm anhängigen Beschwerden beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom 28. März 1934, DRGBl. I, S. 253, in der Fassung des BG BGBl. 587/1983, sowie der V des Reichsministers der Finanzen über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31. März 1939, DRGBl. I, S. 691, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Diesem Beschluß lag folgendes zugrunde:

Die Beschwerden in den 25 Anlaßfällen wurden gegen Bescheide von Finanzlandesdirektionen erhoben, mit welchen letztinstanzlich gemäß §240 Abs3 BAO gestellte Anträge auf Rückerstattung der Aufsichtsratsabgabe abgewiesen bzw. im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer die entrichtete Aufsichtsratsabgabe nicht auf die Einkommensteuer angerechnet wurde.

Die bf. Aufsichtsratsmitglieder behaupten in erster Linie, durch die Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt worden zu sein und beantragen die Aufhebung der angefochtenen 25 Bescheide.

Die jeweils belangten Finanzlandesdirektionen haben in weitgehend gleichlautenden - Gegenschriften die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen der angefochtenen Bescheide verteidigt.

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in welcher sie den Antrag stellt, der VfGH wolle aussprechen, daß §3 des Gesetzes vom 28. März 1934 nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist und das Gesetzesprüfungsverfahren im übrigen einstellen. Für den Fall, daß der VfGH die Auffassung der Bundesregierung zur Frage der Präjudizialität nicht teilt, stellt die Bundesregierung den Antrag, der VfGH wolle aussprechen, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben sind.

II. Die Rechtslage:

1.a) Das Gesetz vom 28. März 1934 lautet wie folgt:

"Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hierdurch verkündet wird:

§1

(1) Mitglieder des Aufsichtsrats (Verwaltungsrats) von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerkschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und sonstigen Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Personenvereinigungen des privaten und des öffentlichen Rechts, bei denen die Gesellschafter nicht als Unternehmer

(Mitunternehmer) anzusehen sind, unterliegen mit Vergütungen jeder Art, die ihnen von den genannten Unternehmungen für die Überwachung der Geschäftsführung nach dem 31. März 1934 gewährt werden (Aufsichtsratsvergütungen), einer Abgabe in Höhe von zehn vom Hundert (Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder).

(2) Die Abgabe wird nicht erhoben, wenn die Vergütung für das einzelne Aufsichtsratsmitglied den Jahresbetrag von hundert Reichsmark nicht übersteigt.

§2

Die Abgabe wird im Steuerabzugsverfahren erhoben. Die V über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 30. März 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 155) findet Anwendung.

§3

Die Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder fließt ausschließlich dem Reich zu.

Berlin, 28. März 1934.

Der Reichskanzler

Adolf Hitler

Der Reichsminister der Finanzen

Graf Schwerin von Krosigk".

b) Die V des Reichsministers der Finanzen vom 31. März 1939 hat folgenden Wortlaut:

"Zur Durchführung des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom 28. März 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 253) in der Fassung der Vorschriften im §3 und im §4 Absatz 2 des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 17. Februar 1939 (Reichsgesetzbl. I S. 283) und zur Durchführung des Einkommensteuergesetzes vom 27. Februar 1939 (Reichsgesetzbl. I S. 297) wird auf Grund der §§12 und 13 der Reichsabgabenordnung hierdurch verordnet:

§1

(1) Inländische Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerkschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und sonstige Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Personenvereinigungen des privaten und des öffentlichen Rechts, bei denen die Gesellschafter nicht als Unternehmer (Mitunternehmer) anzusehen sind, und ähnliche Unternehmen haben von Vergütungen jeder Art, die sie an die zur Überwachung der Geschäftsführung bestimmten Personen, insbesondere an Mitglieder des Aufsichtsrats, des Grubenvorstands, des Gewerkschaftsrats, des Verwaltungsrats (Aufsichtsratsmitglieder) gewähren (Aufsichtsratsvergütungen), einen Steuerabzug in Höhe der im §3 bezeichneten Hundertsätze für Rechnung des Aufsichtsratsmitglieds vorzunehmen.

(2) Inländisch sind solche Unternehmen, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben.

(3) Ein Steuerabzug nach dieser V ist nicht vorzunehmen, wenn die Vergütung für das einzelne Aufsichtsratsmitglied den Jahresbetrag von einhundert Reichsmark nicht übersteigt.

§2

(1) Dem Steuerabzug unterliegt der volle Betrag der Aufsichtsratsvergütungen ohne jeden Abzug. Werden Reisekosten (Tagegelder und Fahrtauslagen) besonders gewährt, so gehören sie zu den Aufsichtsratsvergütungen nur insoweit, als sie die tatsächlichen Auslagen übersteigen.

(2) Die Aufsichtsratsvergütungen unterliegen dem Steuerabzug ohne Rücksicht darauf, ob das Aufsichtsratsmitglied verpflichtet ist, sie an eine andere Stelle abzuführen.

§3

(1) Bei unbeschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern wird durch den Steuerabzug nur die Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder erhoben. Der Steuerabzug beträgt:

20 vom Hundert der Aufsichtsratsvergütung,

wenn der Empfänger die Steuer trägt,

25 vom Hundert des an das Aufsichtsratsmitglied

tatsächlich ausgezahlten Betrags, wenn das Unternehmen die Steuer übernimmt.

(2) Bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern wird durch den Steuerabzug neben der Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder auch Einkommensteuer erhoben.

Der Steuerabzug beträgt:

28 vom Hundert der Aufsichtsratsvergütung,

wenn der Empfänger die Steuern trägt,

38,88 vom Hundert des an das Aufsichtsratsmitglied

tatsächlich ausgezahlten Betrags, wenn das Unternehmen die Steuern übernimmt.

§4

Steuerschuldner ist beim Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen das Aufsichtsratsmitglied. Das Unternehmen haftet aber dem Reich für die Einbehaltung und Abführung der Steuern. Das Aufsichtsratsmitglied

(Steuerschuldner) wird nur in Anspruch genommen,

1.

wenn das Unternehmen die Aufsichtsratsvergütung nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat, oder

2.

wenn das Aufsichtsratsmitglied weiß, daß das Unternehmen die einbehaltenen Steuern nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat (§5 Absatz 3), und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt.

§5

(1) Das Unternehmen hat den Steuerabzug in dem Zeitpunkt vorzunehmen, in dem die Aufsichtsratsvergütung dem Aufsichtsratsmitglied zufließt. Das Unternehmen hat den Steuerabzug auch dann vorzunehmen, wenn das Aufsichtsratsmitglied die Aufsichtsratsvergütung nicht einfordert.

(2) Das Unternehmen hat dem für seine Einkommensbesteuerung zuständigen Finanzamt innerhalb einer Woche nach dem Zeitpunkt, in dem die Aufsichtsratsvergütung dem Aufsichtsratsmitglied zugeflossen ist, eine Anmeldung nach dem beigefügten Muster zu übersenden. Die Anmeldung muß von einem zur Vertretung des Unternehmens Berechtigten unterschrieben sein. Vordrucke zu Anmeldungen werden den Unternehmen auf Antrag vom Finanzamt kostenlos geliefert.

(3) Das Unternehmen hat die einbehaltenen Steuern unter der Bezeichnung "Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen" innerhalb der im Absatz 2 bezeichneten Frist an das Finanzamt (Finanzkasse) abzuführen.

§6

(1) Das Unternehmen hat die Aufsichtsratsvergütungen besonders aufzuzeichnen. Aus den Aufzeichnungen müssen ersichtlich sein: Name und Wohnung des Aufsichtsratsmitglieds, Höhe der Aufsichtsratsvergütung, Tag, an dem die Vergütung dem Aufsichtsratsmitglied zugeflossen ist, Höhe der einbehaltenen Steuern und Zeitpunkt der Abführung der Steuern.

(2) Bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer und bei örtlichen Prüfungen (Betriebsprüfung, Lohnsteueraußenprüfung usw.), die bei den Unternehmen vorgenommen werden, ist auch zu prüfen, ob der Steuerabzug ordnungsmäßig vorgenommen ist und die einbehaltenen Steuern richtig und rechtzeitig abgeführt worden sind.

§7

(1) Die Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder ist bei unbeschränkt und bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern durch den Steuerabzug abgegolten.

(2) Die Einkommensteuer für die Aufsichtsratsvergütung ist bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern abgegolten, wenn die von dem einzelnen Unternehmen an das beschränkt steuerpflichtige Aufsichtsratsmitglied gezahlte Aufsichtsratsvergütung im Kalenderjahr den Betrag von 5 300 Reichsmark nicht erreicht. Andernfalls ist das Aufsichtsratsmitglied zur Einkommensteuer zu veranlagen.

§8

(1) Im Fall der Veranlagung des Aufsichtsratsmitglieds zur Einkommensteuer wird bei der Ermittlung der Einkünfte die um die einbehaltene Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder gekürzte Vergütung angesetzt. Das ist bei unbeschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern der tatsächlich ausgezahlte Betrag, bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern der tatsächlich ausgezahlte Betrag zuzüglich 11,11 vom Hundert.

(2) Bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern wird die durch Steuerabzug einbehaltene Einkommensteuer (§3 Absatz 2) auf die veranlagte Einkommensteuerschuld angerechnet. Die anzurechnende Einkommensteuer beträgt:

8 vom Hundert der Aufsichtsratsvergütung, wenn das

Aufsichtsratsmitglied die Steuer trägt,

11,11 vom Hundert des an das Aufsichtsratsmitglied

ausgezahlten Betrags, wenn das Unternehmen die Steuer übernommen hat.

(3) Die Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder wird weder bei unbeschränkt noch bei beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsratsmitgliedern auf die Einkommensteuerschuld angerechnet.

§9

(1) Diese V tritt im Altreichsgebiet an die Stelle der V über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 6. Februar 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 161). Sie gilt für die Aufsichtsratsvergütungen, die den Aufsichtsratsmitgliedern von Unternehmen, deren Geschäftsleitung oder Sitz sich im Altreichsgebiet befindet, nach dem 31. März 1939 zufließen.

(2) Die Inkraftsetzung dieser V für das Land Österreich und für die sudetendeutschen Gebiete bleibt vorbehalten.

Berlin, 31. März 1939

Der Reichsminister der Finanzen

In Vertretung

Reinhardt".

2. Der Steuersatz wurde mit Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 17. Februar 1939, DRGBl. I, S. 283, von 10 auf 20 v. H. erhöht. In der V über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31. März 1939 wird in Erweiterung des Kreises der steuerpflichtigen Personen neben den inländischen Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerkschaften usw. auch "ähnlichen Unternehmen" vorgeschrieben, von Vergütungen jeder Art, die sie an die zur Überwachung der Geschäftsführung bestimmten Personen, insbesondere an Mitglieder des Aufsichtsrates, des Grubenvorstandes, des Gewerkschaftsrates, des Verwaltungsrates (Aufsichtsratsmitglieder) gewähren, einen Steuerabzug für Rechnung der Aufsichtsratsmitglieder vorzunehmen. Nach §3 Abs1 dieser V betrug der Steuerabzug 20 v. H. der Aufsichtsratsvergütung, wenn der Empfänger die Steuer trägt, 25 v. H. des an das Aufsichtsratsmitglied tatsächlich ausgezahlten Betrages, wenn das Unternehmen die Steuer übernimmt.

Im BG vom 13. Juni 1946, BGBl. 109, wurde der Steuersatz für die Abgabe von 20 auf 30 v. H. erhöht. Die letzte Erhöhung des Steuersatzes auf nunmehr 45 v. H. erfolgte durch das BG vom 13. Dezember 1983, BGBl. 587.

III. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

1. Der VfGH hat in seinem Beschluß auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens vom 9. Dezember 1987 zu diesem Thema ausgeführt:

"Die genannten Gesetze und die V gingen durch das österreichische Rechts-Überleitungsgesetz, StGBl. 6/1945, und das sogenannte steuerliche Weitergeltungsgesetz, StGBl. 12/1945, in den österreichischen Rechtsbestand über. Der in einigen Beschwerden herangezogene ideologische Zusammenhang der gesetzlichen Regelung der Aufsichtsratsabgabe mit der schließlich im Aktiengesetz 1937 durchgeführten Verankerung des "Grundsatzes des Führertums, der im scharfen Gegensatz zu dem demokratischen Masse- und Mehrheitsprinzip steht" (Hinweis auf Schlegelberger-Quassowski, Aktiengesetz, 1937, 2. Auflage, §70 Tz 1), würde - falls er bestünde - als solcher jedenfalls (noch) nicht bewirken, daß die Vorschriften über die Besteuerung von Aufsichtsratsvergütungen - weil im Sinne des §1 Abs1 Rechts-Überleitungsgesetz typisches Gedankengut des Nationalsozialismus enthaltend - nicht Eingang in die österreichische Rechtsordnung gefunden hätten.

...

Der VwGH hat in seiner Judikatur zur Weitergeltung der nunmehr in Prüfung gezogenen Vorschriften aus dem Dritten Reich hinsichtlich der V vom 31. März 1939 darauf hingewiesen, daß die dem Reichsminister der Finanzen eingeräumte Verordnungsbefugnis weitaus umfangreicher gewesen sei, als sie einem österreichischen Bundesminister in Art18 Abs2 B-VG eingeräumt ist. Insbesondere hätte der Reichsminister der Finanzen gemäß §12 Abs1 AO. nicht bloß zur Durchführung, sondern auch zur Ergänzung der vom Reich erlassenen Gesetze Rechtsverordnungen erlassen können (s. VwSlg. 2885 F/1963).

Der VfGH geht ebenfalls von dieser Prämisse aus und zieht daraus die - vorläufige - Schlußfolgerung, daß die genannte - gesetzesergänzende - V im Rang eines BG Eingang in die österreichische Rechtsordnung gefunden hat (zur Qualifizierung selbständiger ehemaliger reichsdeutscher Verordnungen als Gesetz s. VfSlg. 5800/1968, S. 578 und die dort angeführte Vorjudikatur).

Der VfGH geht weiters vorläufig davon aus, daß er bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bescheide über die Rückerstattung der Aufsichtsratsabgabe und die nichtvorgenommene Anrechnung der Aufsichtsratsabgabe auf die Einkommensteuer die Vorschriften des Gesetzes vom 28. März 1934 in der nunmehr geltenden Fassung sowie jene der V vom 31. März 1939 anzuwenden haben wird, sodaß diese Vorschriften - schon auf Grund ihres weitgehend untrennbaren Zusammenhanges - insgesamt präjudiziell sein dürften."

2. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts vorgebracht worden und auch nichts hervorgekommen, was diese Annahmen des VfGH widerlegt hätte.

Ergänzend ist lediglich folgendes festzuhalten:

Zu der im Gesetzesprüfungsverfahren von einem Beteiligten vorgebrachten Auffassung, den Bestimmungen über die Aufsichtsratsabgabe sei durch spätere (österreichische) finanzverfassungsgesetzliche Regelungen derogiert worden, genügt der Hinweis, daß - selbst wenn man dieser Auffassung folgen würde - Invalidation, aber nicht Derogation vorläge.

Die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen ist - abgesehen von ihrem engen Zusammenhang hinsichtlich aller Anlaßfälle deshalb gegeben, weil auch in den die Nichtanrechnung der Aufsichtsratsabgabe auf die Einkommensteuer betreffenden Fällen nach Wegfall des Anrechnungsverbotes (§8 Abs3 der V vom 31. März 1939) die übrigen Bestimmungen über die Aufsichtsratsabgabe anzuwenden wären (vgl. hiezu die Ausführungen über die Präjudizialität von Normen, welche die Behörde nach Aufhebung eines Bescheides wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm anzuwenden hätte in VfSlg. 10617/1985, S. 362).

Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher zulässig.

IV. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des VfGH:

Der Gerichtshof hat seine Bedenken im Beschluß vom 9. Dezember 1987 wie folgt begründet:

"Der VfGH hat im Erkenntnis VfSlg. 7995/1977 (S. 99) ausgesprochen, daß §6 F-VG die Form einer ausschließlichen Bundesabgabe neben einer von demselben Besteuerungsgegenstand erhobenen gemeinschaftlichen Bundesabgabe nicht vorsieht; eine solche Abgabenform scheint auch dann verfassungswidrig zu sein, wenn - anders als im Fall des Erkenntnisses VfSlg. 7995/1977 die Qualifikation als ausschließliche Bundesabgabe nicht (nur) in dem betreffenden Abgabengesetz, sondern (auch) im FAG enthalten ist. Da es sich bei der Aufsichtsratsabgabe um eine ausschließliche Bundesabgabe (§6 Z1 FAG 1985) und bei der Einkommensteuer um eine gemeinschaftliche Bundesabgabe (§7 Abs1 FAG 1985) handelt, ist also zu prüfen, ob diese beiden Abgaben gleichartig sind.

Vergütungen im Sinne des §1 Abs1 des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom 28. März 1934 sowie im Sinne des §1 Abs1 der V über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31. März 1939 sind zugleich der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß §22 Abs1 Z2 EStG.

Der in den genannten Vorschriften vom 28. März 1934 und vom 31. März 1939 festgelegte Besteuerungsgegenstand (Aufsichtsratsvergütungen) ist somit ein Ausschnitt der Einkünfte iSd EStG. Besteuerungsgegenstand ist im einen Fall das Einkommen als Gesamtbetrag der Einkünfte, im anderen Fall ein Teil eben dieser Einkünfte. Der Steuergegenstand der Einkommensteuer ist somit ohne Zweifel weiter als der der Aufsichtsratsabgabe. Das ändert nichts daran, daß hinsichtlich des von der Aufsichtsratsabgabe erfaßten Steuergegenstandes Identität mit einem Ausschnitt des von der Einkommensteuer erfaßten Gegenstandes besteht. Auch der Kreis der Steuerpflichtigen ist in beiden Fällen identisch: Schuldner der Aufsichtsratsabgabe ist auch wenn diese Steuer von der Gesellschaft übernommen wird - das Mitglied des Aufsichtsrates selbst; eben dieses ist aber auch mit seinen Vergütungen aus der Aufsichtsratstätigkeit Schuldner der Einkommensteuer.

Bemessungsgrundlage der Aufsichtsratsabgabe ist der volle Betrag der Aufsichtsratsvergütungen ohne jeden Abzug, jedoch werden besonders gewährte Reisekosten nur insoweit zu den Aufsichtsratsvergütungen gezählt, als sie die tatsächlichen Auslagen übersteigen (§2 Abs1 der V vom 31. März 1939). Der Einkommensbesteuerung werden hingegen die Einkünfte nach Abzug der Betriebsausgaben unterworfen. Dieser Unterschied scheint jedoch im vorliegenden Fall nicht entscheidend ins Gewicht zu fallen, wenn man berücksichtigt, daß - abgesehen von den Reisekosten - nennenswerte Betriebsausgaben mit der Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitgliedes regelmäßig nicht verbunden sein dürften und der Ersatz der tatsächlichen Reisekosten ohnehin nicht zur Bemessungsgrundlage der Aufsichtsratsabgabe zählt. Darüber hinaus ist eine Bruttobesteuerung dieser Art auch sonst dem Einkommensteuerrecht nicht fremd: Sowohl der Abzug von Kapitalertragsteuer als auch der besondere Steuerabzug von beschränkt Steuerpflichtigen wird vom vollen Betrag der Vergütungen vorgenommen, ohne daß dies etwas am Charakter dieser Abzüge als Einkommensbesteuerung ändern würde.

Die (denkbaren) Unterschiede in der Bemessungsgrundlage scheinen somit im vorliegenden Fall nicht gravierend ins Gewicht zu fallen. Sie werden insbesondere aufgewogen durch andere Umstände, die auf eine qualifizierte Gleichartigkeit beider Steuern hindeuten: Die Aufsichtsratsabgabe ist von Anfang an nicht als eigene Sachsteuer sondern zunächst als Zuschlag zur Einkommensteuer eingeführt worden (V des Reichspräsidenten vom 1. Dezember 1930 zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen, DRGBl. I. S. 517). Hensel (Steuerrecht, 3. Aufl. Berlin 1933) führt dazu aus (S. 255): "Während der Krisenzeit hat das Reich die Einkommensteuer durch mehrere Zuschläge weiter ausgebaut, ... Es sind dies die Zuschläge zum Einkommen über 8.000 RM, zur Einkommensteuer der Ledigen, der Aufsichtsratsmitglieder, die Krisensteuer für Veranlagte und die Abgabe zur Arbeitslosenhilfe. Mit geringen Veränderungen knüpfen alle diese Abgaben unmittelbar an die durch das Einkommensteuergesetz festgelegten Merkmale an". In der Fußnote 2 zu diesen Ausführungen wird darauf hingewiesen, daß das Reich die Steuerzuschläge für Aufsichtsratsmitglieder mit der Hauptsteuer technisch vereinigt hat, daß der Gesetzgeber aber ausdrücklich davon Abstand genommen hat, die Hauptsteuer mit ihren Zuschlägen vollständig zu einer einzigen Steuer zu verschmelzen, weil er sich die Möglichkeit offen halten möchte, diese Zuschläge als eine typische Krisenerscheinung mit Besserung der Wirtschafts- und Finanzlage abzubauen.

Der Zuschlagscharakter der Aufsichtsratsabgabe kommt historisch auch deutlich durch den Umstand zum Ausdruck, daß die erstmalige Regelung des Steuerabzuges von Aufsichtsratsvergütungen in einer V (vom 30. März 1933, RStBl. S. 265) getroffen wurde, die sich auf §88a EStG 1925 stützte, auf eine Vorschrift somit, die den Reichsminister der Finanzen ermächtigte zu bestimmen, inwieweit bei anderen Einkünften (!) als bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und Kapitalerträgen die (Einkommen-)Steuer im Abzugsverfahren zu erheben ist. Nachträglich wurde die Anwendbarkeit dieser V durch das Gesetz über die Aufsichtsratsabgabe bestätigt (vgl. zu dieser Entwicklung Blümich - Falk, EStG 7. Aufl. Berlin/Frankfurt 1955 S. 1239).

Im "Kommentar zum EStG" von Mrozek - Peters, 4. Aufl. Köln, Stand Ende 1943, wird die Erhebung der Aufsichtsratsabgabe überhaupt als besondere (und zusätzliche) Erhebungsform der Einkommensteuer angesehen (§18 Anm.27).

Bezeichnenderweise erfolgte auch die schrittweise Beseitigung der Aufsichtsratsabgabe in der Bundesrepublik Deutschland zunächst durch eine Eingliederung in das EStG (vgl. Blümich - Falk, aaO S. 1240).

Die Aufsichtsratsabgabe scheint nach dem Gesagten historisch und systematisch ein Zuschlag zur Einkommensteuer zu sein.

Hinzuzufügen ist, daß Unterschieden in der Erhebungsform - wie der VfGH im Erkenntnis vom 14. März 1986, B371/85, zum Ausdruck gebracht hat, in welchem er an Hand der in der Judikatur zu §6 F-VG entwickelten Kriterien (s. VfSlg. 4398/1963) eine vergleichende Betrachtung der Zinsertragsteuer und der Einkommensteuer vorgenommen hat - lediglich untergeordnete Bedeutung zukommt, zumal es der Gesetzgeber ansonsten in der Hand hätte, durch die Wahl einer anderen Einhebungsform die Gleichartigkeit einer Abgabe zu verhindern (vgl. in diesem Zusammenhang Werner Doralt, "Zinsertragsteuer verfassungswidrig?", RdW 1984/2, S. 57 und Lechner, "Nach ZEST-Erkenntnis: Auch Aufsichtsratsabgabe besondere Erhebungsform der Einkommensteuer?", ÖStZ 1986 S. 108).

Es scheint also die - für die Beurteilung der Gleichartigkeit von Abgaben maßgebliche (s. VfSlg. 4398/1963, S. 185 und 5995/1969, S. 438) - Rechtslage mit jener im Verhältnis zwischen Zinsertragsteuer und Einkommensteuer identisch zu sein, welche den VfGH im Erkenntnis vom 14. März 1986, B371/85, zur Schlußfolgerung geführt hat, daß die Zinsertragsteuer in Wahrheit nicht eine von der Einkommensteuer verschiedene Objektsteuer darstellt. Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, daß die für die Zinsertragsteuer maßgeblichen Argumente auf die Aufsichtsratsabgabe ebenfalls zutreffen (s. Ruppe, "Entwicklungen und Tendenzen im Österr. Steuerrecht" in: Steuerberater-Jahrbuch 1983/84 S. 55, Pokorny, "Durchbrechung des Grundsatzes der Einmalbesteuerung (Zinsertragsteuer, Aufsichtsratsabgabe, Gewerbesteuer)", ÖStZ 1986 S. 304, sowie Lechner, a.a.O. S. 107).

Jedenfalls scheinen keine Abweichungen zwischen Aufsichtsratsabgabe und Einkommensteuer vorzuliegen, welche das von der Judikatur geforderte Gesamtbild der wesentlichen Gleichartigkeit (s. VfSlg. 4398/1963, S. 186) beeinträchtigen würden.

Daraus dürfte sich ergeben, daß die Aufsichtsratsabgabe im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH zu §6 F-VG (s. VfSlg. 4398/1963, 7995/1977) dieser Verfassungsbestimmung widerspricht.

An diesen Bedenken scheint der Einwand nichts ändern zu können, das F-VG 1948 und das FAG 1948 seien vom Nationalrat am selben Tag (21. Jänner 1948) beschlossen worden, im FAG 1948 sei die Aufsichtsratsabgabe ausdrücklich als ausschließliche Bundesabgabe (§2 Z1) und die Einkommensteuer ausdrücklich als gemeinschaftliche Bundesabgabe (§3) angeführt, was den Schluß zulasse, daß damit die beiden Abgabenformen verfassungskonform seien (Hinweis auf die Versteinerungstheorie).

Hiezu ist zunächst darauf hinzuweisen, daß dann, wenn der Verfassungsgesetzgeber und der einfache Gesetzgeber gleichzeitig Regelungen erlassen, der Verfassungsgesetzgeber nicht an eine bereits bestehende Rechtslage anknüpft. Weiters darf hiebei nicht außer Betracht gelassen werden, daß der Verfassungsgesetzgeber und der einfache Gesetzgeber nicht identisch sind; so könnte der einfache Gesetzgeber - auch am selben Tag - eine Regelung beschließen, welche nicht die Zustimmung des Verfassungsgesetzgebers gefunden hätte. Es scheint daher nicht ohne weiteres zulässig zu sein (sofern aus den Materialien oder aus anderen Umständen nicht das Gegenteil hervorgeht), einfachgesetzliche Bestimmungen mit der Begründung gleichsam verfassungsrechtlich unangreifbar zu machen, der Verfassungsgesetzgeber sei anläßlich einer gleichzeitig erfolgten Beschlußfassung bereits von dieser (einfachgesetzlichen) Rechtslage ausgegangen.

Der VfGH verweist im gegebenen Zusammenhang auf sein hier zwar nicht unmittelbar vergleichbares, aber doch einen ähnlichen Gedankengang enthaltendes - Erkenntnis VfSlg. 8027/1977 betreffend den Inhalt der Verfassungsbestimmung im Zivildienstgesetz gegenüber der einfachgesetzlichen Ausgestaltung im selben Gesetz (S. 224)."

V. Die Äußerung der Bundesregierung:

"1. In seinem auf Art140 B-VG gestützten Beschluß zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der im Betreff genannten Gesetze kommt der VfGH zum Schluß, daß 'keine Abweichungen zwischen Aufsichtsratsabgabe und Einkommensteuer vorzuliegen (scheinen), welche das von der Judikatur geforderte Gesamtbild der wesentlichen Gleichartigkeit (s. VfSlg. 4398/1963, S. 186) beeinträchtigen würden. Daraus dürfte sich ergeben, daß die Aufsichtsratsabgabe im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH zu §6 F-VG (s. VfSlg. 4398/1963, 7995/1977) dieser Verfassungsbestimmung widerspricht.'

Der VfGH geht nämlich im Sinne des Erkenntnisses VfSlg. 7995/1977 davon aus, daß §6 F-VG 1948 eine taxative Aufzählung der zulässigen Abgabenformen vorsieht und das Verbot an den einfachen Gesetzgeber enthält, Abgabenformen vorzusehen, die in dieser Aufzählung nicht enthalten sind. Daraus ergibt sich nach Ansicht des VfGH die Unzulässigkeit der Erhebung sowohl einer ausschließlichen (Aufsichtsratsabgabe) als auch einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe (Einkommensteuer) von demselben Besteuerungsgegenstand.

2. Im Hinblick darauf, daß die Bedenken des VfGH im wesentlichen auf die Normierung einer ausschließlichen Bundesabgabe neben einer von demselben Besteuerungsgegenstand erhobenen gemeinschaftlichen Bundesabgabe bezogen sind, weist die Bundesregierung darauf hin, daß nach ihrer Einschätzung der Sitz der vermeintlichen Verfassungswidrigkeit - im Kontext der in Prüfung gezogenen Bestimmungen - ausschließlich in §3 des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder, dRGBl. 1934 I S 253, ('Die Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder fließt ausschließlich dem Reich zu.') zu suchen wäre.

3.a) Nach Ansicht der Bundesregierung ist §6 F-VG 1948 aber auch anders deutbar. Der VfGH hat im Erkenntnis VfSlg. 7995/1977 dieses Verbot daraus abgeleitet, daß die Aufzählung der Abgabenformen in §6 F-VG 1948 taxativ sei. Dieser Schluß scheint allerdings nicht zwingend: Aus der Nichterwähnung des Besteuerungsgegenstandes im §6 Z1 und Z2 lita F-VG 1948 könnte nämlich ebenso abgeleitet werden, daß der Finanz-Verfassungsgesetzgeber zur Erhebung einer gemeinschaftlichen und einer ausschließlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand keine Aussage treffen wollte und dies damit zulässig sei.

b) Es scheint auch die These nicht zutreffend zu sein, daß die Anordnung einer ausschließlichen Bundesabgabe und einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand gegen die taxative Aufzählung der Abgabenformen in §6 F-VG 1948 verstößt. Ein derartiger Verstoß würde nämlich nur dann vorliegen, wenn ein und dieselbe Abgabe sowohl zur gemeinschaftlichen als auch zur ausschließlichen Bundesabgabe erklärt würde. In diesem Fall ließe sich diese (neue) Abgabenform tatsächlich nicht mehr eindeutig in den Abgabenformenkatalog des §6 F-VG 1948 einordnen. Wenn aber der Bundesgesetzgeber etwa eine Kraftfahrzeugsteuer (vgl. VfSlg. 7995/1977) vorsieht und sie zur gemeinschaftlichen Bundesabgabe erklärt und daneben von demselben Besteuerungsgegenstand eine Bundeskraftfahrzeugsteuer erhebt und diese zu einer ausschließlichen Bundesabgabe erklärt, wird nicht gegen die taxative Aufzählung der verschiedenen Abgabenformen verstoßen, da die Kraftfahrzeugsteuer eindeutig und ausschließlich unter die Kategorie 'gemeinschaftliche Bundesabgabe', die Bundeskraftfahrzeugsteuer hingegen unter die Kategorie 'ausschließliche Bundesabgabe' subsumierbar ist. Dasselbe gilt aber auch für die im gegenständlichen Verfahren relevante Einkommensteuer auf Aufsichtsratsvergütungen gemäß §22 Abs1 Z2 EStG 1972, die gemäß §7 Abs1 FAG 1985 eine 'gemeinschaftliche Bundesabgabe' ist, und die Aufsichtsratsabgabe gemäß dem im Gegenstand genannten BG, die gemäß §6 Z1 FAG 1985 eine 'ausschließliche Bundesabgabe' ist.

c) Sinn des §6 F-VG 1948 ist - dies wird auch im Erkenntnis VfSlg. 7995/1977 betont - die Regelung des Wirkungsbereiches des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Abgabenwesens, indem insbesondere die gegenseitigen Befugnisse dieser Gebietskörperschaften voneinander abgegrenzt werden. Maßgebendes Kriterium für die Einteilung der Abgabenformen ist die Ertragshoheit. An dieses Kriterium anknüpfend sollen die Kompetenzen (vgl. 510 BlgNR V.GP, S. 10: '... ein Finanz-Verfassungsgesetz, das im wesentlichen dazu bestimmt ist, die Zuständigkeiten des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Finanzwesens abzugrenzen, ...') verteilt werden. Nach dem herkommlichen Verständnis der österreichischen Kompetenzverteilung ist es aber nicht denkbar, daß zur Regelung einer bestimmten Abgabenform keine der Gebietskörperschaften zuständig sei. Alle Gesetzgebungszuständigkeiten sind nämlich lückenlos entweder auf den Bund oder auf die Länder aufgeteilt. Hieraus folgt, daß es eine Zuständigkeit zur Regelung einer ausschließlichen Bundesabgabe neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe geben muß, wobei es keiner weiteren Begründung bedarf (vgl. §7 Abs1 F-VG 1948), daß diese Zuständigkeit nicht bei den Ländern liegen kann. Es ist jedenfalls offensichtlich kein Anliegen des §6 F-VG 1948 generelle Aussagen über die Art des Besteuerungsgegenstandes zu machen und etwa die Normierung einer ausschließlichen Bundesabgabe neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand zu verbieten.

Bestünde eine solche Verbotsvorschrift, so hätte sie jedenfalls keinen unmittelbar einleuchtenden Sinn. Es ist nämlich weder eine rechtspolitische noch eine wirtschafts- oder finanzpolitische Rechtfertigung dafür zu finden, daß der Bund und die Länder eine gleichartige Abgabe von demselben Besteuerungsgegenstand erheben dürfen (vgl. §6 Z2 litc F-VG 1948; ähnliches gilt gemäß §6 Z4 litc F-VG 1948 im Verhältnis zwischen Ländern und Gemeinden), der Bund selbst aber keine Abgaben von demselben Besteuerungsgegenstand vorsehen darf.

d) Die Bundesregierung sieht sich veranlaßt, auch die Annahme, bei §6 F-VG 1948 handle es sich um eine taxative Aufzählung der Abgabenformen in dem Sinne, daß es keine Überschneidungen zwischen den genannten Abgabentypen geben dürfe, in Frage zu stellen. Die 'Stammabgabe des Bundes' gemäß §6 Z2 litb F-VG 1948 ist nämlich immer auch eine ausschließliche Bundesabgabe oder eine gemeinschaftliche Bundesabgabe. Dies läßt sich aus §8 Abs3 F-VG 1948 ('Neben Bundesabgaben dürfen Zuschläge ...) in Verbindung mit der in §7 Abs1 enthaltenen Definition '... Bundesabgaben, das sind die ausschließlichen Bundesabgaben, die gemeinschaftlichen Bundesabgaben, ...' ableiten. So gesehen spricht aber §6 F-VG 1948 nicht dagegen, daß der Bund eine ausschließliche und eine gemeinschaftliche Abgabe von demselben Besteuerungsgegenstand erhebt. Jedenfalls ergibt sich aus den zitierten Bestimmungen deutlich, daß es im System des §6 F-VG 1948 sehr wohl zu Überschneidungen von Abgabenformen kommt.

4. Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich nach Ansicht der Bundesregierung, daß der Wortlaut des §6 F-VG 1948 keine Aussage über die Unzulässigkeit der Erhebung einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe und einer ausschließlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand enthält.

Es muß daher auch untersucht werden, zu welchem Ergebnis die in Pkt. 3 des dg. Unterbrechungsbeschlusses angestellten Überlegungen führen. Für eine Auslegung des §6 F-VG 1948 mit Hilfe des gleichzeitig erlassenen FAG 1948 sprechen jedenfalls folgende Gründe:

a) Im Erkenntnis VfSlg. 9280/1981 erachtet es der VfGH für zulässig, daß die in Frage stehenden Worte, die auch im §6 Abs2 F-VG 1922 enthalten waren, im Sinne des gleichzeitig mit dem F-VG 1922 erlassenen Abgabenteilungsgesetzes ausgelegt werden.

Tragende Überlegung des VfGH in diesem Erkenntnis ist:

         'Da zu dieser Zeit der Art10 Abs1 Z4 B-VG als

         Kompetenzgrundlage noch nicht wirksam war, also auch in

         den Angelegenheiten der gemeinschaftlichen

Bundesabgaben

         keine Kompetenzgrundlage für die Gesetzgebung des

Bundes

         abgeben konnte, muß angenommen werden, daß der

         Nationalrat die Regelungen des Abgabenteilungsgesetzes

         als von den Kompetenzbestimmungen des

         Finanz-Verfassungsgesetzes umfaßt erachtete. Es kann

         nicht angenommen werden, daß der Nationalrat eine

         einfachgesetzliche Regelung ohne Bedachtnahme auf die

am

         selben Tag beschlossene Kompetenzregelung erlassen hat

         (vgl. VfSlg. 5978/1969, S. 368). Demnach kann die im

         Abgabenteilungsgesetz (§2) getroffene Regelung der

         Aufteilung der Erträgnisse gemeinschaftlicher Abgaben

         auf die einzelnen Gemeinden nach dem (später so

         genannten) abgestuften Bevölkerungsschlüssel ihre

         Kompetenzgrundlage nur im Zusammenhang der Bestimmungen

         des §6 Abs1 und des §6 Abs2 litb des

         Finanz-Verfassungsgesetzes (1922) gehabt haben. ... Hat

         aber die im Abgabenteilungsgesetz getroffene Regelung

         des abgestuften Bevölkerungsschlüssels - ... -

         kompetenzrechtlich ihre Grundlage im

         Finanz-Verfassungsgesetz (1922) gehabt, so trifft dies

         auch für die Regelung dieses Schlüssels im FAG 1973 in

         bezug auf das F-VG 1948 zu, ohne daß auf Art10 Abs1

         Z4 B-VG zurückgegriffen werden müßte.'

b) Auch in der Literatur wird bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Zulässigkeit einer solchen Kompetenzinterpretation angenommen: So vertritt KORINEK, Das Stadterneuerungsgesetz, in : KORINEK-FROTZ-WIMMER, Rechtsfragen der Stadterneuerung (1974) 18 f, im Zusammenhang mit der Auslegung des 1974 eingeführten Kompetenztatbestandes 'Assanierung' in Art11 Abs1 Z4 (heute: Z5) B-VG die Auffassung, daß der 1974 neu in die Verfassung eingeführte Kompetenztatbestand 'Assanierung' nach dem Inhalt des gleichzeitig beschlossenen Stadterneuerungsgesetzes auszulegen sei.

c) SCHWARZER, Der Einsatz des kommunalen

Finanzausgleichs als Instrument der regionalen Wirtschaftspolitik aus wirtschaftsverfassungsrechtlicher Sicht (I), ÖZW 1982, 114f, übt zwar Kritik an der Methode des VfGH im Erkenntnis VfSlg. 9280/1981, hält sie aber grundsätzlich für vertretbar:

'Ein enger legistischer Zusammenhang zwischen Kompetenz- und Ausführungsvorschrift, die parlamentarische Behandlung beider Gesetze als 'Paket' und ein parlamentarischer Konsens bezüglich des einfachen Gesetzes, der zur Erlassung im Verfassungsrang ausreicht, wären Anhaltspunkte für die Vermutung, daß ein vom Verfassungsgesetzgeber verwendeter Begriff mit dem in den einfachgesetzlichen Vorschriften näher konkretisierten korrespondierenden Begriff deckungsgleich ist.'

Alle diese Voraussetzungen treffen aber im vorliegenden Fall zu:

Zunächst geht es auch hier - wie im Erkenntnis VfSlg. 9280/1981 - um die Auslegung des F-VG 1948. Die Finanz-Verfassungsgesetze stehen seit 1922 in der Ausgestaltung der Kompetenzregelung ohne Zweifel immer in engem Zusammenhang mit dem jeweiligen konkreten Durchführungsgesetz. So findet sich in den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum F-VG 1948 (510 BlgNR V. GP, S 10) folgende Aussage:

'Entsprechend dem früheren österreichischen System soll der Finanzausgleich wieder durch zwei Gesetze geregelt werden - ein Finanz-Verfassungsgesetz, das im wesentlichen dazu bestimmt ist, die Zuständigkeiten des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Finanzwesens abzugrenzen, und ein einfaches BG, das gewissermaßen als Ausführungsgesetz zum Finanz-Verfassungsgesetz die tatsächliche Ausgestaltung der finanziellen Auseinandersetzung zwischen dem Bund und den übrigen Gebietskörperschaften zu enthalten hätte.'

Sowohl im Jahr 1948 als auch im Jahr 1922 brachte das F-VG eine völlige Neueinführung finanzverfassungsrechtlicher Regelungen. In diesem Sinne ist etwa in der genannten Regierungsvorlage (S 9) folgendes zu lesen:

'Die Wiederherstellung der Einheit des Staates und der Umstand, daß dermalen doch schon ein gewisser Überblick über den Finanzbedarf aller Gebietskörperschaften und die Möglichkeiten seiner Bedeckung gegeben ist, lassen es gerechtfertigt erscheinen, für die Zeit ab 1948 den Versuch einer grundsätzlichen Neuregelung zu machen.'

Es ist also zum einen zu bejahen, daß zwischen dem F-VG 1948 und dem FAG 1948 ein enger legistischer Zusammenhang bestanden hat, zum anderen, daß es sich bei dem F-VG 1948 um eine Neueinführung finanzverfassungsrechtlicher Regelungen gehandelt hat. Zudem erfolgte die parlamentarische Behandlung beider Gesetze gemeinsam. Die Regierungsvorlagen wurden zugleich dem Nationalrat vorgelegt, die Entwürfe wurden vom Finanz- und Budgetausschuß gemeinsam beraten und ein gemeinsamer Bericht erstellt (531 BlgNR V.GP). Der Nationalrat beriet die beiden Gesetze gemeinsam (vgl. 74. Sitzung des NR, V.GP, StPNR, S 2120ff) und beschloß sie (mit dem zur Erlassung eines Verfassungsgesetzes notwendigen Konsens) in unmittelbar aufeinanderfolgenden Beschlüssen.

d) Das FAG 1948 hat aber in zwei Fällen eine ausschließliche und eine gemeinschaftliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand vorgesehen, die jeweils in gleichartiger Weise erhoben werden sollten. Es waren dies die Körperschaftsteuer als ausschließliche Bundesabgabe gemäß §2 Abs1 FAG 1948 und die Kapitalertragsteuer als gemeinschaftliche Bundesabgabe gemäß §3 Abs1 FAG 1948 sowie die Aufsichtsratsabgabe als ausschließliche Bundesabgabe und die veranlagte Einkommensteuer in bezug auf Aufsichtsratsvergütungen als gemeinschaftliche Bundesabgabe. Eine Deutung des §6 F-VG 1948 im Hinblick auf diese einfachgesetzliche Rechtslage ergibt ohne Zweifel, daß die Erhebung einer gemeinschaftlichen und einer ausschließlichen Bundesabgabe finanzverfassungsrechtlich zulässig ist.

5. Dieses Ergebnis wird noch durch folgende Überlegungen gestützt:

a) Aus den Materialien zum F-VG 1948 ergibt sich, daß die Regelung des Finanzausgleiches aus den Jahren 1922 bis 1938 wieder eingeführt werden sollte (510 BlgNR V. GP, S 10: 'Diese Regelung soll im wesentlichen auf die Regelung des Finanzausgleichs zurückgreifen, die sich in Österreich in der Zeit von 1922 - 1938 bewährt hat und die der wiederhergestellten föderalistischen Organisationsform des Staates angepaßt ist.'). Auch der VfGH hat im bereits zitierten Erkenntnis VfSlg. 9280/1981 bei der Auslegung des F-VG 1948 auf die gleichlautenden Regelungen des F-VG 1922 mit der Begründung zurückgegriffen, daß zur Ermittlung des Inhaltes der maßgeblichen Kompetenzbestimmungen zu untersuchen sei, welche rechtliche Prägung diese im Zeitpunkt ihrer Einführung in die Verfassungsordnung hatten. Das heißt aber, daß es für die Interpretation der hier einschlägigen Bestimmung des F-VG 1948 von großer Bedeutung ist, ob auf dem Boden des F-VG 1922 neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand auch eine auschließliche Bundesabgabe erhoben werden konnte.

b) Das F-VG 1922 enthält keine ausdrückliche Regelung über die Zulässigkeit (oder Unzulässigkeit) der Erhebung einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe und einer ausschließlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand. §2 F-VG 1922 schließt es ausdrücklich aus, daß neben ausschließlichen Bundesabgaben gleichartige Abgaben und Zuschläge der Länder und Gemeinden erhoben werden. Das Verhältnis von ausschließlichen Bundesabgaben zu den im §3 lita F-VG 1922 geregelten gemeinschaftlichen Bundesabgaben wird dagegen in §2 F-VG 1922 nicht geregelt. Dies läßt den Schluß zu, daß die Erhebung einer ausschließlichen und einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand zulässig war. Andernfalls hätte nämlich der Verfassungsgesetzgeber 1922 auch dies ausdrücklich ausgeschlossen.

c) Auch bei der Auslegung des F-VG 1922 scheint eine Auslegung im Zusammenhalt mit dem gleichzeitig erlassenen Abgabenteilungsgesetz (BGBl. Nr. 125/1922) aus folgenden Gründen zulässig:

Bei den in den §§1 bis 4 F-VG 1922 enthaltenen Kompetenzbestimmungen handelte es sich um völlig neues Recht. Der Finanzverfassungsgesetzgeber stand 1922 - ebenso wie 1948 - vor der Tatsache, daß eine einfachgesetzliche Regelung, an die er hätte 'anknüpfen' können, nicht vorhanden war. Eine umfassend gesetzlich geregelte Abgabenteilung hat es vor dem F-VG 1922 (ebenso wie vor dem F-VG 1948) nicht gegeben. Begriffe, wie 'gemeinschaftliche Bundesabgabe' und 'gleichartige Abgaben', waren in der Rechtsordnung vor dem F-VG 1922 nicht enthalten, so daß sie nur anhand des gleichzeitig behandelten Abgabenteilungsgesetzes interpretierbar sind. Dabei treffen die von SCHWARZER für eine Verfassungsauslegung mit Hilfe von einfachgesetzlichen Regelungen geforderten Voraussetzungen für das Verhältnis von F-VG 1922 und Abgabenteilungsgesetz zu:

         a.a.                          Beide Gesetzesentwürfe

                                       wurden gleichzeitig

                                       erarbeitet und

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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