TE Vfgh Erkenntnis 1988/3/17 G7/88, G8/88, G9/88, G10/88, G11/88, G12/88, G13/88, G14/88, G15/88, G1

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Veröffentlicht am 17.03.1988
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Index

30 Finanzverfassung, Finanzausgleich
30/01 Finanzverfassung

Norm

B-VG Art140 Abs3
B-VG Art140 Abs4
BG BGBl 587/1983. 531/1984. 327/1986 über die Zinsertragsteuer
F-VG 1948 §6
EStG 1972 §27 Abs1 Z4

Leitsatz

Präjudizialität mit in untrennbarem Zusammenhang stehender gesetzlicher Bestimmungen; Überprüfbarkeit der (verfassungskonformen) Einordnung abgabengesetzlicher Bestimmungen in das (wieder eingeführten) System des F-VG 1948 im Einzelfall anhand des Inhalts der Finanzverfassung Zur bundesstaatlichen Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Abgabenwesens - Beteiligung der Gebietskörperschaften an der Ausschöpfung eines bestimmten Besteuerungsgegenstandes; Abgabenerfindungsrecht der Länder - für den Bereich der Bundesabgaben taxative Aufzählung der zulässigen Abgabenformen in §6; keine gleichartige ausschließliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe BG über die Einführung einer Zinsertragsteuer BGBl. 587/1983, Abschn. XIV; BG BGBl. 531/1984, Abschn. X, BG BGBl. 327/1986, Abschn. I; Gleichartigkeit von Zinsertragsteuer und Einkommensteuer verfassungswidrig

Spruch

Der Abschnitt XIV des BG über die Einführung einer Zinsertragsteuer, BGBl. 587/1983, der Abschnitt X ("Zinsertragsteuer") des BG BGBl. 531/1984 sowie der Abschnitt I ("Zinsertragsteuer") des BG BGBl. 327/1986 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der VfGH hat aus Anlaß einer bei ihm gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 15. Juni 1987 (mit welchem der auf §240 Abs3 BAO gestützte Antrag der bf. Genossenschaft auf Rückerstattung der Zinsertragsteuer für die Jahre 1984 bis 1987 abgewiesen worden war) anhängigen Beschwerde am 11. Dezember 1987 zu B743/87 beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG den Abschnitt XIV des BG über die Einführung einer Zinsertragsteuer, BGBl. 587/1983, den Abschnitt X ("Zinsertragsteuer") des BG BGBl. 531/1984 sowie den Abschnitt I ("Zinsertragsteuer") des BG BGBl. 327/1986 von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

b) Aus Anlaß weiterer 29 Beschwerden gegen letztinstanzliche Bescheide von Finanzlandesdirektionen hat der VfGH am 12. Dezember 1987 (führende Zahl B648/87) beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG die oben genannten Gesetzesbestimmungen mit Ausnahme der Worte "1. Kalendervierteljahr 1987 auf 2 vH, 2. Kalendervierteljahr 1987 auf 1 vH." in ArtI Z2 des Abschnittes I des BG BGBl. 327/1986 auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

c) Weiters sind beim VfGH zu G66,67/88 zwei Anträge des VwGH anhängig, mit welchen aus Anlaß von zwei beim VwGH anhängigen Beschwerden gegen letztinstanzliche Bescheide von Finanzlandesdirektionen betreffend die Rückerstattung von Zinsertragsteuer die Aufhebung der oben angeführten Gesetzesbestimmungen beantragt wird.

2. Die Bundesregierung hat erklärt, aus rechtspolitischen Erwägungen von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen. Sie hat gleichzeitig auf die verfassungsrechtlichen Ausführungen in der Stellungnahme der Bundesregierung im Verfahren zu G37-61/88 (betreffend die Aufsichtsratsabgabe) hingewiesen und die diesbezügliche Stellungnahme angeschlossen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1.a) Der VfGH hat im oben angeführten Beschluß vom 11. Dezember 1987, B743/87, zu den Prozeßvoraussetzungen folgendes ausgeführt:

"Der VfGH geht vorläufig davon aus, daß er bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des angefochtenen Bescheides über die Rückerstattung der in den Jahren 1984 bis 1987 abgeführten Zinsertragsteuer die Bestimmungen über die Zinsertragsteuer in den drei oben genannten BG (betreffend die Besteuerung in den Kalenderjahren 1984, 1985, 1986 und 1987 und die für diese Kalenderjahre jeweils geltenden Steuersätze) anzuwenden haben wird. Anders als in dem mit Erkenntnis des VfGH vom 14. März 1986, B371/85, abgeschlossenen Verfahren, in welchem ein Einkommensteuerbescheid zu beurteilen und in welchem - entgegen der in der Gegenschrift vertretenen Auffassung - die Gebührlichkeit der Zinsertragsteuer als solche nicht Gegenstand des Verfahrens war, ist im vorliegenden Fall die Rechtmäßigkeit der seinerzeitigen Entrichtung der Zinsertragsteuer (und nicht einer anderen Abgabe) Inhalt des angefochtenen Bescheides. So gesehen bestand für den VfGH bei Fällung des genannten Erkenntnisses vom 14. März 1986 auch nicht, wie die belangte Finanzlandesdirektion behauptet, 'die Alternative, das Zinsertragsteuergesetz überhaupt aufzuheben oder die für eine Sonderform der Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) fehlende Anrechnungsbestimmung als verfassungswidrig zu erklären'.

Ebenso irreführend ist im hier gegebenen Zusammenhang der Hinweis der bel. Beh. auf die Entscheidung des VfGH VfSlg. 5872/1968, wonach über bestimmte Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes nur ein einziges Mal entschieden werden kann, weil das Erkenntnis vom 14. März 1986, B371/85, gar nicht in einem Gesetzesprüfungsverfahren nach Art140 B-VG ergangen ist (der in der Gegenschrift bezogene §62 VerfGG hat nur für das Verfahren nach Art140 B-VG Gültigkeit). Im übrigen sind die hier aufgeworfenen Bedenken (wie in der Folge aufzuzeigen sein wird) finanzverfassungsgesetzlicher und nicht wie im Falle des Erkenntnisses vom 14. März 1986 grundrechtlicher Art."

Der VfGH hat in seinem (zweiten) Beschluß vom 12. Dezember 1987 (führende Zahl B648/87) zu den Prozeßvoraussetzungen ergänzend auf folgendes hingewiesen:

"Der VfGH geht vorläufig davon aus, daß er bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bescheide über die Rückerstattung der in den Jahren 1984 bis 1986 abgeführten Zinsertragsteuer die Bestimmungen über die Zinsertragsteuer in den drei oben genannten BG (betreffend die Besteuerung in den Kalenderjahren 1984, 1985 und 1986 und die für diese Kalenderjahre jeweils geltenden Steuersätze) anzuwenden haben wird. Das ist, wie bereits oben ausgeführt, bei allen Anlaßfällen ausgenommen den zu B727/87 und B1115/87 protokollierten Beschwerden der Fall. Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der zu B727/87 und B1115/87 angefochtenen Bescheide dürfte der VfGH lediglich die Bestimmungen über die Einführung einer Zinsertragsteuer BGBl. 587/1983 und das BG BGBl. 531/1984 (betreffend den Steuertarif für 1985), anzuwenden haben. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen scheinen jeweils miteinander in untrennbarem Zusammenhang zu stehen."

b) Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts vorgebracht worden und auch sonst nichts hervorgekommen, was gegen diese Annahmen des VfGH spräche.

Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher zulässig.

2. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen hat der VfGH in dem genannten Beschluß vom 11. Dezember 1987, B743/87, wie folgt formuliert:

"Der VfGH ist im Erkenntnis vom 14. März 1986, B371/85, bei einem Vergleich zwischen Zinsertragsteuer und Einkommensteuer zu folgenden Schlußfolgerungen gelangt:

'Zinserträge im Sinne des §1 Abs1 des Abschnittes XIV (betreffend die Zinsertragsteuer) des BG vom 29. November 1983, BGBl. 587 (wenn in Hinkunft Paragraphen ohne weiteren Zusatz zitiert werden, sind immer jene des Abschnittes XIV über die Zinsertragsteuer gemeint), sind ihrer Art nach zugleich der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß §§2 Abs3 Z5 und 27 Abs1 Z4 EStG 1972. Der in §1 Abs1 festgelegte Besteuerungsgegenstand (Zinsen aus näher bezeichneten Geldeinlagen, Forderungen und Wertpapieren) ist also identisch mit dem des §27 Abs1 Z4 EStG 1972. Auch der Kreis der Abgabepflichtigen ist insofern gleich, als in allen Fällen des Entstehens der Verpflichtung zur Leistung einer Abgabe nach den Bestimmungen über die Zinsertragsteuer auch eine Abgabenschuld nach dem EStG 1972 vorliegt; Abgabenschuldner ist in beiden Fällen der Gläubiger der Zinserträge. Die in der Literatur vertretene Auffassung (Werner Doralt, 'Zinsertragsteuer verfassungswidrig?' RdW 1984/2, S 57), der Gesetzgeber habe mit der Zinsertragsteuer von bestimmten Kapitaleinkünften im Sinne des §27 EStG 1972 eine zweite Einkommensteuer schaffen wollen, die sich weniger leicht verkürzen lasse als die bereits bestehende, ist auf Grund dessen nicht entkräftbar. Auch aus dem oben wiedergegebenen Ausschußbericht geht hervor, daß letztlich eine besondere Einkommensbesteuerung von sonst schwer erfaßbaren Zinserträgen beabsichtigt war (was insbesondere auch aus dem ausdrücklichen Hinweis auf das Bankgeheimnis im zitierten Ausschußbericht hervorleuchtet).

Verschieden sind allerdings die auf den genannten Regelungen aufbauenden Bestimmungen über die Steuerbemessung:

Nach §3 Abs1 ist Bemessungsgrundlage der Zinsertrag ohne jeden Abzug, nach dem EStG 1972 sind Abzüge vor der Bemessung zulässig und der Einkommensteuertarif stellt auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Abgabepflichtigen ab. Unterschiede in der Steuerbemessung stellen aber nach der - auch im gegebenen Zusammenhang relevanten - Rechtsprechung des VfGH zur Gleichartigkeit von Abgaben im Sinne des §6 F-VG (s. VfSlg. 4398/1963, S 187) lediglich tarifliche Verschiedenheiten dar, welche - ansonsten gleichen - Abgabenregelungen nicht die Gleichartigkeit nehmen. Zudem dürften den von der Zinsertragsteuer betroffenen Sparbuch- und Wertpapierzinsen in aller Regel keine oder keine nennenswerten Aufwendungen (Betriebsausgaben, Werbungskosten) gegenüberstehen (s. Doralt, a.a.O., S 57). Auch Unterschieden in Erhebungsformen der Einkommensteuer und der Zinsertragsteuer kommt lediglich untergeordnete Bedeutung zu, zumal es der Gesetzgeber ansonsten in der Hand hätte, allein durch eine andere Einhebungsform eine ansonsten unzulässige - doppelte Besteuerung herbeizuführen (vgl. auch in diesem Zusammenhang Doralt, a.a.O., S 57).

Daraus ist zu ersehen, daß die Zinsertragsteuer in Wahrheit eine Einkommensteuer und nicht eine von der Einkommensteuer verschiedene Objektsteuer darstellt. Davon geht worauf wiederholend hinzuweisen ist - der Sache nach auch der oben zitierte Ausschußbericht aus, der als Motiv für die Einführung der Zinsertragsteuer die Besteuerung durch das Bankgeheimnis geschützter Einkünfte anführt.'

Der VfGH hat den Vergleich zwischen Zinsertragsteuer und Einkommensteuer in dem zitierten Erkenntnis zwar nicht zu dem Zweck angestellt, um die Gleichartigkeit der beiden Abgaben im Sinne der Rechtsprechung des VfGH zu §6 F-VG (s. VfSlg. 4398/1963, 7995/1977) zu untersuchen, sondern - wie bereits erwähnt - um eine allfällige doppelte Besteuerung am Gleichheitssatz zu messen. Der Gerichtshof hat aber seinen Vergleich an Hand derselben Kriterien vorgenommen, die er in seiner Judikatur zu §6 F-VG entwickelt hat (und hat deshalb im Rahmen dieses Vergleichs auch ausdrücklich auf diese Judikatur hingewiesen). Hiebei hat der VfGH - entgegen der in der Gegenschrift vorgenommenen Interpretation des Erkenntnisses vom 14. März 1986 - die Zinsertragsteuer nicht als 'eine Sonderform der Einkommensteuer' bezeichnet (woraus die bel. Beh. offensichtlich den Schluß zieht, es handle sich bei Zinsertragsteuer und Einkommensteuer um ein- und dieselbe Abgabe); der Gerichtshof hat vielmehr ausgeführt, daß 'die Zinsertragsteuer in Wahrheit eine (Unterstreichung nicht im Original) Einkommensteuer und nicht eine von der Einkommensteuer verschiedene Objektsteuer darstellt', d.h. Zinsertragsteuer und Einkommensteuer sind zwei Abgaben ohne inhaltlich relevanten Unterschied. Im übrigen hat der VfGH in dem genannten Erkenntnis die Auffassung, der Gesetzgeber habe mit der Zinsertragsteuer von bestimmten Kapitaleinkünften eine zweite Einkommensteuer schaffen wollen, wie sie von Werner Doralt ('Zinsertragsteuer verfassungswidrig?', RdW 1984/2, S 57) vertreten wird, als nicht entkräftbar bezeichnet.

Aus den Erwägungen im Erkenntnis vom 14. März 1986 ergibt sich daher offenbar - ohne daß dies noch einer weiteren Begründung bedürfte - (auch) die Gleichartigkeit zwischen der Zinsertragsteuer (einer ausschließlichen Bundesabgabe) und der Einkommensteuer (einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe).

§6 F-VG sieht die Form einer ausschließlichen Bundesabgabe neben einer von demselben Besteuerungsgegenstand erhobenen gemeinschaftlichen Bundesabgabe nicht vor. Der VfGH hat daraus abgeleitet (VfSlg. 7995/1977, S 99), daß eine derartige Abgabenform verfassungsrechtlich nicht zulässig ist. Daher scheinen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen über die Zinsertragsteuer mit der Verfassungsbestimmung des §6 F-VG nicht in Einklang zu stehen."

3. Der VfGH hat in der Sache erwogen:

a) Die Bundesregierung greift in ihrer auch hier vorgelegten Äußerung zur Aufsichtsratsabgabe und mit ihrem Vorbringen in der Verhandlung vor dem VfGH das Ergebnis des Erkenntnisses VfSlg. 7995/1977 an, wonach §6 F-VG eine taxative Aufzählung sämtlicher zulässiger Abgabenformen enthält, was bewirkt, daß der Bund neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe keine gleichartige ausschließliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand vorsehen darf. Der VfGH sieht aber keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

Im ersten Schritt ihrer Argumentation bringt die Bundesregierung vor, für sich betrachtet entspräche sowohl die betreffende ausschließliche als auch die gemeinschaftliche Bundesabgabe jeweils einer Abgabenform des §6 F-VG. Diesem (bereits seinerzeit von der Bundesregierung geäußerten) Argument ist der VfGH schon im Erkenntnis VfSlg. 7995/1977 nicht gefolgt. Es liegt im Wesen der gleichartigen Abgabe von demselben Besteuerungsgegenstand (§6 Z2 litc, Z4 litc F-VG), daß jede der beiden einander gleichartigen Abgaben für sich betrachtet einer der anderen Abgabenformen entspricht. Aus der Tatsache, daß die Finanzverfassung die Kombination gleichartiger Abgaben nur im Verhältnis Bund - Länder (Gemeinden) bzw. Länder Gemeinden vorsieht, läßt sich schließen, daß der Verfassungsgesetzgeber andere Kombinationen nicht zulassen wollte.

Die Bundesregierung meint nun aber, §6 F-VG habe lediglich die Aufgabe, die Befugnisse von Bund und Ländern gegeneinander abzugrenzen, nicht aber Schranken für den Bund innerhalb seines Bereiches vorzusehen. Es sei also denkbar, daß §6 F-VG zwar die Kombination von gleichartigen Bundes- und Landes(Gemeinde)abgaben (abschließend) regle, nicht aber die von mehreren Bundesabgaben.

Dem ist folgendes entgegenzuhalten:

Der VfGH hat in seiner bisherigen Judikatur wiederholt entschieden, daß die im FAG aufgezählten ausschließlichen Landes(Gemeinde)abgaben auch im Fall ihrer Gleichartigkeit mit Bundesabgaben verfassungsrechtlich unbedenklich sind, weil durch die Anführung ausschließlicher Landes(Gemeinde)abgaben im FAG den Ländern die nach §8 Abs3 F-VG erforderliche Ermächtigung zur Erhebung dieser Abgaben erteilt wurde (zuletzt VfSlg. 9804/1983 zum Tiroler Getränkesteuergesetz). Die Zulässigkeit einer solchen Überschneidung im Abgabengegenstand ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Der VfGH hat in ständiger Judikatur die Auffassung vertreten, daß den Ländern finanzverfassungsrechtlich die Befugnis eingeräumt ist, in den Schranken des F-VG neue Steuern zu erheben (Abgabenerfindungsrecht; vgl. VfSlg. 3742/1960; 5859/1968; 9804/1983). Eine wesentliche Grenze dieses Abgabenerfindungsrechtes liegt dort, wo die neue Abgabe einer bestehenden Bundesabgabe gleichartig ist. In diesem Fall bedarf die Steuererhebung einer bundesgesetzlichen Ermächtigung, wie sich aus §8 Abs3 F-VG ergibt.

Wenn nun aber die Finanzverfassung den Ländern ermöglicht, mit Einverständnis des Bundesgesetzgebers weitere gleichartige Abgaben einzuführen (und überdies nicht gleichartige Abgaben zu erfinden, vgl. auch hiezu das Erk. VfSlg. 9804/1983), dann ist daraus noch nicht der Schluß zu ziehen, daß auch der Bund - über die ihm in der Finanzverfassung ohnehin eingeräumten weitgehenden Möglichkeiten hinaus - gleichartige Bundesabgaben kombinieren kann.

Der Bund hat es zwar angesichts der ihm im §7 Abs1 und 2 F-VG eingeräumten Befugnisse in der Hand, das von ihm gewünschte Ergebnis auf andere Weise herbeizuführen, indem er etwa die betreffende ausschließliche Bundesabgabe in die gemeinschaftliche Bundesabgabe einbezieht und den Anteil, den er sich daraus zuwendet, erhöht. Dies kann der Bund in verfassungskonformer Weise nur tun, wenn er im Sinne der das Erkenntnis VfSlg. 7995/1977 tragenden Überlegungen gemäß §4 F-VG vorgeht und die Ertragshoheit über die Abgaben im Sinne des §6 F-VG zwischen Bund und Ländern entsprechend der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung insgesamt bedenkt und dementsprechend regelt. Es ist daher unter dem Aspekt der von der Finanzverfassung besorgten bundesstaatlichen Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Abgabenwesens durchaus sinnvoll, wenn die Finanzverfassung eine klare Gliederung der Abgaben vorsieht, weil dann deutlich wird, in welchem Ausmaß die einzelnen Gebietskörperschaften an der Ausschöpfung eines bestimmten Besteuerungsgegenstandes beteiligt werden. Diese Übersichtlichkeit ginge verloren, wenn es dem Bund über die ohnedies bestehenden Möglichkeiten hinaus gestattet wäre, alle möglichen Kombinationen von Steuerformen zu erfinden.

Der VfGH meint daher, wie schon in VfSlg. 7995/1977 ausgedrückt, daß §6 F-VG für den Bereich der Bundesabgaben eine taxative Aufzählung der zulässigen Abgabenformen enthält und daher neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe eine gleichartige ausschließliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand nicht vorgesehen werden darf.

b) Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht das Vorbringen der Bundesregierung, bereits beim Wirksamwerden der Finanzverfassung 1948 (ebenso wie beim Wirksamwerden der Finanzverfassung 1922) habe das gleichzeitig in Kraft getretene einfache Gesetz eine Kombination solcher Abgabenformen vorgesehen.

Soweit die Bundesregierung (und in der Verhandlung die beteiligten Behörden) auf dem Boden der Finanzverfassung 1922 argumentierten, sind sie schon deswegen nicht im Recht, weil §14 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1922, BGBl. 124 als Übergangsbestimmung ausdrücklich vorsah, daß Bundes- oder Landesgesetze oder einzelne Bestimmungen solcher Gesetze, die mit dem Finanzverfassungsgesetz im Widerspruch stehen, binnen drei Monaten nach Inkrafttreten des F-VG außer Wirksamkeit zu setzen sind. (Für den Fall, daß dies nicht geschah, regelte diese Übergangsbestimmung die Möglichkeit der Anfechtung dieser gesetzlichen Bestimmungen beim VfGH.) Der Verfassungsgesetzgeber rechnete also sehr wohl damit, daß die von ihm vorgefundene (oder gleichzeitig in Kraft gesetzte) einfache Gesetzeslage mit dem eingeführten finanzverfassungsgesetzlichen System zum Teil in Widerspruch stand, hat diese also keinesfalls als durch die neue Verfassungslage saniert verstanden.

Eine vergleichbare Übergangsbestimmung findet sich im F-VG 1948 nicht. Die Problematik war aber bei diesem die gleiche:

Eine große Anzahl abgabengesetzlicher Bestimmungen verschiedener (auch fremder) Rechtskreise war in ein wieder eingeführtes finanzverfassungsgesetzliches System einzuordnen. Nach dem Konzept der österreichischen Finanzverfassung geschah dies durch eine umfangreiche Wechselwirkung von verfassungsgesetzlichen und einfachgesetzlichen Bestimmungen.

Es ist hiebei durchaus denkbar, daß im Einzelfall die einfachgesetzliche Rechtslage mit der Verfassungslage nicht in Einklang steht.

Auch wenn der VfGH in der von der Bundesregierung zitierten Judikatur (VfSlg. 5978/1969, 9280/1981) zum Ausdruck gebracht hat, es könne nicht angenommen werden, daß der Nationalrat eine einfachgesetzliche Regelung ohne Bedachtnahme auf die am selben Tag beschlossene Kompetenzregelung erlassen hat, kann daraus nicht geschlossen werden, daß eine unter solchen Voraussetzungen ergangene Gesetzeslage unter allen Umständen verfassungskonform und damit gleichsam verfassungsrechtlich unanfechtbar ist. Aus einem Detail des einfachen Gesetzes (zB der Anführung der Aufsichtsratsabgabe als ausschließliche Bundesabgabe im FAG 1948) können keinesfalls Schlußfolgerungen gezogen werden, die den aus der Finanzverfassung selbst deutbaren Inhalt der Finanzverfassung in Frage stellen. Vielmehr ist hier der Schluß zu ziehen, daß der Finanzausgleichsgesetzgeber des Jahres 1948 einer unrichtigen Einschätzung unterlegen ist, ob die Aufsichtsratsabgabe mit der Einkommensteuer gleichartig ist. In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Gleichartigkeit von Abgaben keineswegs von vornherein auf der Hand liegt und daß deren Beurteilung sowie die dabei anzustellende vergleichende Betrachtung oft weitgehende Überlegungen erfordert, über deren Resultat durchaus verschiedene Meinungen auftreten können (vgl. zu den gesamten Erwägungen in Pkt. 3 die gleichlautenden Ausführungen zur Aufsichtsratsabgabe im Erk. VfSlg. 11667/1988).

4. Zu den Bedenken des VfGH hinsichtlich Gleichartigkeit von Zinsertragsteuer und Einkommensteuer im Beschluß vom 11. Dezember 1987, welcher sich seinerseits wieder auf das Erkenntnis des VfGH vom 14. März 1986, B371/85, (VfSlg. 10827/1986), stützt, ist im Gesetzesprüfungsverfahren nichts vorgebracht worden. Es ist auch sonst nichts hervorgekommen, was die Annahme des VfGH betreffend die Gleichartigkeit dieser beiden Abgaben entkräftet hätte.

Zinserträge im Sinne des §1 Abs1 des Abschnittes XIV des BG vom 29. November 1983, BGBl. 587, sind - wie der Gerichtshof bereits im genannten Erkenntnis vom 14. März 1986 festgestellt hat - ihrer Art nach zugleich der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß §§2 Abs3 Z5 und 27 Abs1 Z4 EStG. Der in §1 Abs1 des Abschnittes XIV festgelegte Besteuerungsgegenstand ist somit ein Ausschnitt der Einkünfte im Sinne des §27 Abs1 Z4 EStG. Auch der Kreis der Abgabepflichtigen ist insofern gleich, als in allen Fällen des Entstehens der Verpflichtung zur Leistung einer Abgabe nach den Bestimmungen über die Zinsertragsteuer auch eine Abgabenschuld nach dem EStG vorliegt; Abgabenschuldner ist in beiden Fällen der Gläubiger der Zinserträge. Die Unterschiede in der Steuerbemessung zwischen Zinsertragsteuer und Einkommensteuer stellen nach der Rechtsprechung des VfGH zur Gleichartigkeit von Abgaben im Sinne des §6 F-VG lediglich tarifliche Verschiedenheiten dar, welche - ansonsten gleichen Abgabenregelungen nicht die Gleichartigkeit nehmen. Gesamthaft betrachtet ist also die Zinsertragsteuer in Wahrheit nicht eine von der Einkommensteuer verschiedene Objektsteuer, sondern eine der Einkommensteuer gleichartige Abgabe.

Zur näheren Begründung dieser - hier in zusammenfassender Weise erfolgten - Feststellungen sei auf die Ausführungen im oben unter Pkt. 2. wiedergegebenen Beschluß des VfGH vom 11. Dezember 1987, im Erk. VfSlg. 10827/1986, sowie auf die dort zitierte Judikatur und Literatur verwiesen.

5. Die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen sind daher als in Widerspruch zur Verfassungsbestimmung des §6 F-VG stehend aufzuheben. Wenngleich die nunmehr aufgehobene Regelung ihren zeitlichen Anwendungsbereich bereits verloren hat, ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH zu Abgabengesetzen mit beschränktem zeitlichen Anwendungsbereich (s. VfSlg. 8709/1979, S. 417, und die dort angeführte Vorjudikatur) mit einer Aufhebung nach Abs3 des Art140 B-VG und nicht mit einem Ausspruch nach Abs4 der genannten Verfassungsbestimmung vorzugehen.

Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.

Schlagworte

Einkommensteuer, Einkünfte, Finanzverfassung, Abgabenwesen, Zinsertragsteuer, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:G7.1988

Dokumentnummer

JFT_10119683_88G00007_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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