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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 2. September 1988, Zl. FrB-4250/88, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 2. September 1988 wurde gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein auf § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954, in der derzeit geltenden Fassung (FrPolG), gestütztes, bis zum 31. Dezember 1993 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen.
Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und Verweisung auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 9. November 1987, Zl. 24 b EVr 793/87, wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15 zu 269 Abs. 1 StGB bedingt zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe am 14. Februar 1987 in Feldkirch Beamte der städtischen Sicherheitswache Feldkirch mit Gewalt an einer Amtshandlung (der Durchsetzung seiner Festnahme) zu hindern versucht. Schon vor dieser gerichtlichen Bestrafung sei dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 19. Dezember 1986 die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für den Fall der Begehung weiterer gravierender Verwaltungsübertretungen angedroht worden. Der Beschwerdeführer sei (entsprechend den Feststellungen der Erstbehörde) nämlich in den letzten Jahren wiederholt verwaltungsrechtlich negativ aufgefallen und wiederholt wegen Verwaltungsübertretungen rechtskräftig wie folgt bestraft worden: Im Jahre 1983 wegen Übertretung des § 2 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 FrPolG (Geldstrafe S 1.000,--), im Jahre 1985 wegen der Übertretungen gemäß § 4 Abs. 5 und § 99 Abs. 3 StVO sowie gemäß § 20 Abs. 1 und § 99 Abs. 3 StVO (Geldstrafen S 1.500,-- und S 300,--) sowie im Jahre 1985 wegen Übertretung gemäß Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG (Geldstrafe S 500,--). Von Bedeutung sei, daß der Beschwerdeführer unmittelbar nach Androhung des Aufenthaltsverbotes wiederum einen gravierenden Rechtsbruch gesetzt habe. Diese Tatsache scheine auch im Blickwinkel des Art. 8 Abs. 2 MRK von Bedeutung, wonach Eingriffe in die persönliche Sphäre eines Fremden auch zur Verhinderung von strafbaren Handlungen zulässig seien. Die belangte Behörde schließe sich daher der Rechtsmeinung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch an, daß der weitere Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle und die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung von Straftaten geboten sei. Schwerwiegende Übertretungen stellten der vom Beschwerdeführer auf Grund überhöhter Geschwindigkeit verursachte Verkehrsunfall dar, da der Beschwerdeführer nach diesem Fahrerflucht begangen habe. Desgleichen stelle auch die Übertretung des FrPolG eine gravierende Verwaltungsübertretung dar, da der Beschwerdeführer sich in der Zeit vom 3. Mai 1983 bis September 1983 ohne Aufenthaltsgenehmigung und ohne polizeilich gemeldet zu sein in Österreich aufgehalten habe. Auf den Beschwerdeführer träfen demnach die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 FrPolG zu. Unter Bezugnahme auf § 3 Abs. 3 FrPolG stellte die belangte Behörde fest, daß sich der Beschwerdeführer seit zirka zehn Jahren im Bundesgebiet aufhalte, einer Beschäftigung nachgehe und daß sowohl sein Vater seit längerer Zeit und seine Ehegattin seit dem 19. Jänner 1988 im Bundesgebiet lebten. Die belangte Behörde verkenne nicht, daß die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie gewichtig seien. Dennoch erscheine die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dringend geboten. Wie bereits dargelegt, habe sich der Beschwerdeführer trotz der erfolgten Androhung eines Aufenthaltsverbotes des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt schuldig gemacht. Dies, obwohl ihm die Folgen eines solchen Verhaltens in aller Deutlichkeit bekannt gemacht worden seien. Für die Behörde sei offensichtlich, daß der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, sich rechtmäßig zu verhalten. Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes würden unverhältnismäßig schwerer wiegen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie. Die unbestrittenerweise vorliegenden familiären und persönlichen Verhältnisse hätten die belangte Behörde dazu veranlaßt, das Aufenthaltsverbot im untersten Rahmen des Denkmöglichen, und zwar bis zum 31. Dezember 1993, zu befristen.
Bemerkt werde noch, daß die Notwendigkeit eines Aufenthaltsverbotes nicht durch eine bedingte Verurteilung beseitigt werde.
Die Behandlung der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde von diesem mit Beschluß vom 28. Februar 1989, B 1658/88-6, abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG über nachträglichen Antrag im Sinne des § 87 Abs. 3 VerfGG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft der Beschwerdeführer diesen Bescheid mit der Behauptung inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie der Behauptung der Verletzung von Verfahrensvorschriften und begehrt aus diesen Gründen die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 3 Abs. 1 FrPolG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958 (MRK), genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. ist, wenn durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen: 1) die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen; 2) die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen; 3) die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.
Nach Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Die belangte Behörde hat die unbestrittenermaßen rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der Verwaltungsübertretungen gemäß §§ 2 Abs. 1 und 14 Abs. 1 FrPolG, gemäß §§ 4 Abs. 5 und 99 Abs. 3 lit. b StVO, gemäß §§ 20 Abs. 1 und 99 Abs. 3 lit. a StVO und gemäß Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG sowie die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15 zu 269 Abs. 1 StGB durch das Landesgericht Feldkirch (Urteil vom 9. November 1987) gemäß § 3 Abs. 1 FrPolG als bestimmte Tatsachen gewertet, auf Grund deren die Annahme gerechtfertigt sei, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde oder anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0136, zu § 3 Abs. 1 FrPolG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 575/1987 ausgesprochen hat, handelt es sich bei Abs. 1 des § 3 FrPolG um die Generalklausel und bei Abs. 2 um die beispielsweise Aufzählung von Fällen, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes jedenfalls rechtfertigen. Ein Aufenthaltsverbot kann gemäß § 3 Abs. 1 FrPolG auch dann erlassen werden, wenn triftige Gründe vorliegen, die zwar nicht die Voraussetzungen der im Abs. 2 angeführten Fälle aufweisen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die Annahme rechtfertigen, daß durch den Aufenthalt des Betroffenen eine tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit vorliegt oder andere öffentliche Interessen verletzt werden. Der Entscheidung über die Erlassung des Aufenthaltsverbotes ist von der Behörde das Gesamtverhalten des Betroffenen zugrunde zu legen. Die belangte Behörde war daher berechtigt, die in Rede stehenden Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Verwaltungsübertretungen und die gerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers als bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 dieses Paragraphen zu werten.
Zum Einwand des Beschwerdeführers, die belangte Behörde hatte eine Bestrafung herangezogen, von der offenkundig sei, daß sie zu Unrecht erfolgt wäre, ist er darauf zu verweisen, daß die belangte Behörde zwar nicht die erwähnte Bestrafung, jedoch - wozu sie berechtigt war - das dieser Verurteilung zugrundeliegende Verhalten des Beschwerdeführers bei der Wertung des Gesamtverhaltens im Rahmen des § 3 Abs. 1 FrPolG herangezogen hat.
Auch der weitere unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit erhobene Vorwurf, es könne ein Aufenthaltsverbot nach § 3 Abs. 3 FrPolG nicht dringend geboten sein, wenn das Gericht die Strafe nur bedingt ausgesprochen habe, vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Dem ist entgegenzuhalten, daß nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes allein der Umstand, daß eine Strafe nur bedingt verhängt wurde, der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegensteht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. September 1989, Zl. 88/01/0121). Auch aus dem Hinweis des Beschwerdeführers auf sein zwischenzeitliches Wohlverhalten kann für seinen Standpunkt nichts gewonnen werden, da der Zeitraum seit Begehung der Tat, die Gegenstand der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers war, bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides für eine verläßliche Prognose über das künftige Wohlverhalten des Beschwerdeführers nicht hinreicht.
In Ausführung der Verfahrensrüge macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde habe ihm die Einsicht in Aktenteile verweigert, die sie ihrer Entscheidung zugrunde gelegt habe. Eine Relevanz des Verfahrensmangels legt der Beschwerdeführer allerdings nicht dar und vermag der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu erkennen. Im übrigen wurde der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, daß er Akteneinsicht nehmen kann.
Ebenso findet das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers zur Verfahrensrüge in dem Verwaltungsakt keine Deckung. So trifft es nicht zu, daß von der belangten Behörde die Strafanzeige und nicht das im Akt erliegende Urteil des Landesgerichtes Feldkirch der Sachverhaltsfeststellung zugrunde gelegt worden ist.
Soweit der Beschwerdeführer schließlich als aktenwidrig die von der belangten Behörde auf Seite 2 des angefochtenen Bescheides gemachte Bemerkung, "die dem Fremden vorgeworfenen Rechtsbrüche werden grundsätzlich nicht in Abrede gestellt", rügt, ist ihm entgegenzuhalten, daß es ihm nicht gelungen ist, die Relevanz dieses Verfahrensmangels darzutun, wird doch nicht einmal in der Beschwerde behauptet, daß der Beschwerdeführer nicht rechtskräftig bestraft worden ist.
In Anbetracht des in der Angelegenheit ergangenen Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Februar 1989, B 1658/88-6, mit dem dieser die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und somit keinen Anlaß zur Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 3 FrPolG erblickt hat, vermag auch der Verwaltungsgerichtshof der Anregung des Beschwerdeführers nicht zu folgen, ein Prüfungsverfahren hinsichtlich der angeführten Gesetzesstelle zu beantragen.
Zusammenfassend ergibt sich somit, daß der angefochtene Bescheid keine Rechtswidrigkeit aufweist. Die Beschwerde war daher als unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990190146.X00Im RIS seit
03.12.1990