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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
OBDK eine iS des Art133 Z4 B-VG eingerichtete Kollegialbehörde - Tribunal iS des Art6 MRK mit der Befugnis, über "criminal charges" zu erkennen; kein Entzug des gesetzlichen Richters; kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler durch den Vorwurf, wegen nicht unverzüglicher Abrechnung iS des §19 bzw. wegen leichtfertiger Mitteilung des Verdachtes des Amtsmißbrauchs eines Beamten an eine Zeitung ein Disziplinarvergehen begangen zu haben; keine Willkür; keine Verletzung der Freiheit der ErwerbsausübungSpruch
Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 18. März 1987, Zlen. D 12/85 und D 4/86, wurde Rechtsanwalt Dr. A W der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er in einer ihm übertragenen Eintreibungssache über einen am 14. Feber 1984 eingegangen Betrag von S 3.500,-- nicht ordnungsgemäß und zeitgerecht abgerechnet habe; er wurde dafür zu einer Geldstrafe von S 3.000,-- und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt. Wegen der weiters wider ihn erhobenen Anschuldigung, die genannten Disziplinarvergehen dadurch begangen zu haben, daß er gegenüber einem Mitarbeiter der "Kronen-Zeitung" ohne entsprechende Einsichtnahme in den Behördenakt und ohne Abwarten von Beweisergebnissen eine Sachverhaltsdarstellung abgegeben habe, auf Grund derer es geschehen habe können, daß ein Artikel erschienen sei, in welchem unter anderem erwähnt wurde, daß Dr. A W einen Verwaltungsstrafjuristen anzeigen und wegen Amtsmißbrauchs vor ein ordentliches Gericht bringen werde, erfolgte ein Freispruch.
2. Mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig: OBDK) vom 12. Oktober 1987, Z Bkd 79/87-10, wurde der Berufung des Beschuldigten keine Folge gegeben; hingegen wurde der Berufung des Kammeranwaltes Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis, das in seinem Schuldspruch bestätigt wurde, in seinem freisprechenden Teil sowie im Strafausspruch aufgehoben. In der Sache selbst wurde zu Recht erkannt:
"Dr. A W, Rechtsanwalt in Linz, ist schuldig, er hat im Dezember 1985 in einer Mitteilung an die Kronen-Zeitung leichtfertig den Vorwurf erhoben, es liege der Verdacht des Amtsmißbrauches des Strafjuristen der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung im Verwaltungsstrafverfahren GZ VerkR 96/6331/1985 vor, wenn die Angaben seines Mandanten stimmen sollten.
Er hat hiedurch die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen und wird hiefür, sowie für die im verurteilenden Teil des angefochtenen Erkenntnisses dargestellte Tathandlung zu einer Geldbuße in der Höhe von S 15.000,-- ... sowie zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens verurteilt."
Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:
"Was zunächst die Berufung des Beschuldigten anlangt, so liegt eine Eintreibungssache vor, bei der der Beschuldigte ... vom Schuldner einen Teilbetrag von S 3.500,-- erhalten hat. Er hat diesen Betrag für seine Kosten und für die Kosten des Inkassobüros, durch das er die Vollmacht erhalten hatte, verrechnet, ohne seinen Mandanten vorher zu befragen, wie er verrechnen soll. Der Beschuldigte als Rechtsanwalt wäre verpflichtet gewesen, seinen Klienten aufzuklären und ihm eine Abrechnung zu geben. Wohl wäre der Beschuldigte berechtigt gewesen, seine Auslagen in Abzug zu bringen. Er hätte sie jedoch gemäß §19 RAO sogleich mit seiner Partei verrechnen müssen. Er wäre daher verpflichtet gewesen, sofort eine Verrechnung vorzunehmen. ...
Was den ... ergangenen Freispruch anlangt, ist die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission der Ansicht, daß dieser zu Unrecht erfolgt ist. Der Beschuldigte hat die Öffentlichkeit durch eine Zeitung über einen Sachverhalt informiert, den ihm sein Mandant mitgeteilt hat. Sein Mandant hat ihm gesagt, daß er verurteilt worden sei, weil er im alkoholisierten Zustand mit seinem Kraftfahrzeug gefahren sei, obwohl er nur der Beifahrer gewesen wäre. Der Beschuldigte hat diese Angaben nicht weiter überprüft. Er hat die Sachverhaltsschilderung seines Mandanten der Presse bekanntgegeben und hinzugefügt, wenn die Angaben seines Mandanten stimmen, so liege der Verdacht des Verbrechens des Amtsmißbrauches des Beamten der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vor. Darin liegt eine leichtfertige Verdächtigung, die der Beschuldigte gegen den Strafjuristen der Verwaltungsbehörde erhoben hat, weil der Sachverhalt noch keineswegs erkennen läßt, warum der Beamte, selbst wenn er irrtümlich eine Verurteilung vorgenommen haben sollte, einen Amtsmißbrauch begangen hätte. Der Vorwurf des Mißbrauches der Amtsgewalt ist ein sehr schwerwiegender Vorwurf gegenüber einem Beamten einer Verwaltungsstrafbehörde. Wenn der Beschuldigte als Rechtsanwalt einen so schwerwiegenden Vorwurf erhebt, dann hätte er schon entsprechende Anhaltspunkte dafür haben müssen. Solche sind aber selbst nach der Darstellung seines Klienten nicht vorhanden. Der Umstand, daß der Beschuldigte der von ihm erhobenen Anschuldigung beigefügt hat, wenn die Angaben seines Mandanten stimmen, ist daher ohne Belang. ...
Mit Rücksicht auf den zu Punkt 2.) erfolgten Schuldspruch war die Disziplinarstrafe für beide Fakten neu zu bemessen. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission hat bei der Strafbemessung als mildernd das teilweise Geständnis, als erschwerend hingegen angenommen das Zusammentreffen zweier Disziplinardelikte, jeweils die doppelte Qualifikation, weiters die disziplinären Vorstrafen und insbesondere die besonders gravierende Sorglosigkeit im Faktum H. Unter Berücksichtigung dieser Strafzumessungsgründe erscheint der Obersten Berufungsund Disziplinarkommission eine Geldbuße in der Höhe von S 15.000,-- sowohl dem Verschulden als auch dem Unrechtsgehalt der beiden disziplinären Verfehlungen angemessen."
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, an den VfGH gerichtete Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Die bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.
4. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
4.1.1. Der Bf. behauptet zunächst, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu sein, weil der bel. Beh. jede Strafbefugnis fehle. Hiezu seien "ausschließlich Gerichte und Verwaltungsbehörden befugt, nicht aber Interessensvereinigungen wie Kammern".
4.1.2. Dieser Vorwurf ist schon vom Ansatz her verfehlt, da es sich bei der OBDK um eine im Sinne des Art133 Z4 B-VG eingerichtete Kollegialbehörde handelt, der - wie der VfGH mit Erkenntnis VfSlg. 11512/1987 ausgesprochen hat - Tribunalqualität zukommt; es steht ihr daher Art6 MRK entsprechend die Befugnis zu, über "criminal charges" zu erkennen.
4.2.1. Hinsichtlich der Verurteilung zum Faktum D 12/85 meint der Bf. weiters, der angefochtene Bescheid greife in das ihm verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums ein, da der Anzeiger - gemeint ist der Klient, für den der Bf. die Forderungseintreibung übernahm - weder einen Anspruch auf die Spesen des Inkassobüros, das von ihm mit der Eintreibung betraut gewesen war, noch darauf hatte, daß die Verfahrenskosten vom Bf. vorfinanziert würden. Abgesehen davon wäre die bel. Beh. nach Art6 MRK verpflichtet gewesen, entsprechend "dem offenbar herrschenden Inquisitionsprinzip" den Inhaber des Inkassobüros als Zeugen einzuvernehmen, woraus sich ergeben hätte, daß eine Vereinbarung auf Abdeckung der Inkassospesen bestanden habe.
4.2.2. Auch diese Beschwerdeausführungen sind nicht zielführend, da sie am Thema vorbeigehen. Gegenstand der disziplinären Verurteilung sind nicht die Dispositionen des Bf. über den von ihm hereingebrachten Teilbetrag, sondern der Umstand, daß er seinem Klienten gegenüber keine Abrechnung vornahm. Die von der bel. Beh. insoferne ergangene Entscheidung ist weder rechtlich so verfehlt, noch mit solchen Verfahrensmängeln behaftet, daß von einer Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte gesprochen werden kann; es genügt, hiezu auf §19 Abs1 RAO zu verweisen, der den Rechtsanwalt ausdrücklich verpflichtet, "sich mit seiner Partei sogleich zu verrechnen", unbeschadet des Rechtes, von den für seine Partei an ihn eingegangenen Barschaften die Summe seiner Auslagen und seines Verdienstes, insoweit sie durch erhaltene Vorschüsse nicht gedeckt ist, in Abzug zu bringen. Der Bf. führt weiters aus, daß er zur Abrechnung überhaupt nicht verpflichtet gewesen sei, weil es sich um eine sogenannte "causa miserabilis" gehandelt habe. Damit wird umso deutlicher, daß der bel. Beh. kein grundrechtlich relevanter Fehler vorgeworfen werden kann. Ob die Entscheidung richtig ist, hat der VfGH nicht zu beurteilen.
4.3.1. Der Bf. meint schließlich, daß er auch hinsichtlich des Sachverhaltes, der Gegenstand des Verfahrens D 4/86 war, gesetzwidrig bestraft wurde. Es stehe fest, daß der Bf. weder den Kontakt zur Kronen-Zeitung hergestellt, noch auf die Textierung des Artikels Einfluß genommen habe. Er habe lediglich über ausdrücklichen Wunsch seines Klienten der genannten Zeitung eine Information gegeben, für den Fall, daß ("wenn") diese richtig sei. Die bel. Beh. hätte diesem Sachverhalt nachzugehen gehabt; die "reine Vermutung, die Kronen-Zeitung hätte sich auf das Redaktionsgeheimnis berufen, (vermöge) in einem Rechtsstaat ein Beweisverfahren nicht zu ersetzen". Seine Verurteilung widerspreche dem Recht auf freie Berufsausübung und dem Recht auf freie Meinungsäußerung und stehe im Widerspruch zur Unschuldsvermutung des Art6 MRK. Während man ihm willkürlich vorgeschrieben habe, Akteneinsicht - wohl gemeint in den Verwaltungsstrafakt - zu nehmen, werde er verurteilt, ohne daß diese Akten beigeschafft worden wären. Offenbar komme die Anzeige einer Bezirkshauptmannschaft "wie in einem metternichschen Obrigkeitsstaat der Bestrafung gleich, ohne daß es eines Beweisverfahrens oder gar des Beweises des Vorliegens der subjektiven Tatseite" bedürfe.
4.3.2. Der VfGH versteht diese Ausführungen des Bf. als Vorwurf, der angefochtene Bescheid verletze ihn im Gleichheitsrecht und im Recht auf freie Erwerbsausübung.
Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 10413/1985) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985).
Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird mit Rücksicht auf den in Art6 StGG enthaltenen Gesetzesvorbehalt nur verletzt, wenn einem Staatsbürger durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird, ohne daß ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungwidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige V in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10413/1985).
All dies liegt nicht vor. Der disziplinären Verurteilung liegt ausschließlich der Vorwurf zu Grunde, der Bf. hätte den schwerwiegenden Verdacht des Amtsmißbrauchs gegenüber dem Beamten einer Verwaltungsbehörde leichtfertig erhoben; selbst dann, wenn sein Mandant (rechts-)irrtümlich verurteilt worden sei, hätte deshalb - wie die bel. Beh. betont - auf einen Mißbrauch der Amtsgewalt noch keineswegs geschlossen werden können; auch wenn der Bf. bei seinen Mitteilungen an die Zeitung den rhetorischen Vorbehalt machte, der Vorwurf des Amtsmißbrauches träfe nur zu, wenn die Information seines Klienten richtig sei, mußte er sich dessen bewußt sein und hat er demnach in Kauf genommen, daß eine journalistische Aufbereitung leicht zu einer diskriminierenden Darstellung führen kann. Der bel. Beh. kann daher offenkundig nicht angelastet werden, die Rechtslage im gehäuften Maße verkannt zu haben; ebensowenig kann von einem willkürlichen jegliches Beweisverfahren außer- achtlassenden - Vorgehen die Rede sein. Ausgehend von den eigenen Darlegungen des Bf. ist es jedenfalls nicht abwegig, wenn die bel. Beh. unter den gegebenen Umständen nicht als vertretbar ansah, daß der Bf. gegen einen Verwaltungsjuristen den außerordentlich gravierenden Vorwurf des Amtsmißbrauches erhob und ihn deshalb einer disziplinären Verfehlung für schuldig erachtete. Ein gegen Art6 MRK verstoßendes Verhalten oder ein sonst in die Verfassungssphäre reichender Fehler liegt auch insoferne nicht vor. Die Beurteilung der Richtigkeit des angefochtenen Bescheides ist - wie bereits gesagt - nicht Sache des Verfassungsgerichtshofes.
4.4. Soweit sich die Beschwerdeausführungen gegen die Höhe der über ihn verhängten Strafe richten, handelt es sich ausschließlich um Fragen der richtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Verfassungsrechtlich relevante Fragen werden insoferne gar nicht behauptet.
4.5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Bf. in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Tribunal, ErwerbsausübungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B118.1988Dokumentnummer
JFT_10119391_88B00118_00