TE Vfgh Erkenntnis 1988/6/9 B1338/87

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Veröffentlicht am 09.06.1988
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
DSt 1872 §25

Leitsatz

Zuziehung von Ersatzmitgliedern nur im Fall der Verhinderung oder Ablehnung von Mitgliedern gesetzmäßig; gesetzwidrige Zusammensetzung des Disziplinarrates von OBDK nicht wahrgenommen - Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer für Kärnten ist schuldig, dem Bf. die mit S 11.000,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 15. Jänner 1987, Z D 9/84-47, wurde Rechtsanwalt Dr. R W für schuldig erkannt:

"a) seine Honorarforderungen für die Vertretung der Ehegatten J und B B nicht durch tarifmäßig erstellte Honorarnoten bekanntgegeben, sondern offenbar übermäßige Pauschalbeträge von

S 250.000,-- und S 400.000,-- als seine Honorarforderung an die Sparkasse Lienz abgetreten zu haben, damit diese die Honorarforderungen für ihn gegen J und B B gerichtlich geltend macht;

b) am 19.5.1984 beim BG Lienz bei Abschluß des prätorischen Vergleiches 2 C580/84 zwischen der Sparkasse Lienz als Klägerin und J und B B als Beklagte nach §30 ZPO unter Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht für J und B B als Vertreter eingeschritten zu sein und sich in deren Vollmachtsnamen verpflichtet zu haben, an die Sparkasse Lienz sofort neben dem gewährten Darlehen von S 650.000,-- auch seine eigenen Kosten von S 250.000,-- und J B allein weitere S 400.000,--, alle Beträge mit 13.5 % Zinsen und 6 % Verzugszinsen, welche Kostenforderungen er an die Sparkasse Lienz abgetreten hatte, zu bezahlen, ohne von B und J B zum Abschluß dieses Vergleiches bevollmächtigt worden zu sein und

c) im Zuge der anschließenden Exekutionsführung durch die Sparkasse Lienz gegen J und B B auch zur Hereinbringung des Honorares von S 250.000,-- s.A. die ihm von seiner Klientin B B anvertraute Mitteilung, daß deren frühere Geschäftsführerin E K aus Griffen verschiedene Sachen aus ihrem Haus in Seeboden nach Griffen schaffte, dazu verwendet zu haben, daß er E K anrief und aufforderte, alle Sachen wieder ins Haus B nach Seeboden zu schaffen und hiebei E K empfahl, die Gendarmerie anzurufen und damit wahrheitswidrig den Anschein erweckt zu haben, daß bei der Gendarmerie bereits eine Anzeige wegen Wegschaffens von Sachen vorliege."

Er habe hiedurch die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes begangen; hiefür wurde er zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße von S 30.000,-- und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig: OBDK) vom 7. September 1987, Z Bkd 46/87-15, keine Folge gegeben.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Unverletzlichkeit des Eigentums, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein "fair trial" geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

4. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1. Der Bf. behauptet zunächst, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weil die bel. Beh. nicht wahrgenommen habe, daß der Disziplinarrat der Kärntner Rechtsanwaltskammer bei Erlassung des Bescheides erster Instanz nicht gesetzmäßig bestellt und zusammengesetzt gewesen sei. Nach §25 DSt wären zur Verhandlung vor dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten neben dem Präsidenten(-stellvertreter) vier Mitglieder des Disziplinarrates zu laden gewesen; Ersatzmänner seien nach §7 DSt nur im Falle der Verhinderung von Mitgliedern teilnahmeberechtigt. Da sich schon aus der Ladungsverfügung ergebe, daß lediglich drei Mitglieder des Disziplinarrates geladen wurden, sei der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten unrichtig zusammengesetzt gewesen.

4.2. Der Beschwerdevorwurf ist begründet.

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 8731/1980, 10022/1984).

Da der administrative Instanzenzug als Einheit aufzufassen ist, wird das Recht auf den gesetzlichen Richter auch dann verletzt, wenn in unterer Instanz eine unrichtig zusammengesetzte Kollegialbehörde eingeschritten ist und dies von der bel. Beh. nicht wahrgenommen wurde (vgl. zB VfSlg. 5700/1968, 7605/1975, 9599/1983).

Ein solcher Fall liegt tatsächlich vor. Nach §25 DSt hat der Disziplinarrat in Senaten zu verhandeln und zu entscheiden, "die aus einem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern bestehen". Die einzelnen Senate sind vom Präsidenten unter Bedachtnahme auf eine möglichst gleichmäßige Belastung der einzelnen Mitglieder sowie auf mögliche Ausschließungs- und Befangenheitsgründe zusammenzusetzen. Nach §7 Abs4 DSt haben Ersatzmänner nach der Reihenfolge, in der sie gewählt wurden, und nur, wenn sich der Fall einer Verhinderung oder Ablehnung von Mitgliedern ergibt, an deren Stelle zu treten.

Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, daß das Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 15. Jänner 1987 - mit dem angefochtenen Bescheid wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung abgewiesen - von einem Senat, bestehend aus dem Präsidentenstellvertreter Dr. Wilhelm Watzke als Vorsitzendem, im Beisein der Mitglieder des Disziplinarrates Dr. Otfried Fresacher (Schriftführer) und Dr. Günther Moshammer sowie der Ersatzmitglieder Dr. Günter Schnitzer und Dr. Peter Thalhammer beschlossen wurde. Wie sich aus den Verwaltungsakten weiters ergibt, wurden als "Mitglieder des Senates II des Disziplinarrates" vom Vizepräsidenten Dr. Wilhelm Watzke die Mitglieder DDr. Heinrich Erlach, Dr. Otfried Fresacher, Dr. Günther Moshammer und die Ersatzmitglieder Dr. Günter Schnitzer und Dr. Peter Thalhammer für den in Rede stehenden Termin geladen.

Der VfGH hat auf Grund dessen eine Anfrage an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten gerichtet, die wie folgt beantwortet wurde:

"Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten besteht aus 9 Mitgliedern und 4 Ersatzmännern. Aus 9 Mitgliedern können nicht zwei Fünfer-Senate gebildet werden so, daß kein Mitglied in beiden Senaten mitwirkt. In der Vergangenheit wurden zwei Fünfer-Senate gebildet. Ein Senat bestand unter Einschluß des Präsidenten aus 5 Mitgliedern, der andere Senat bestand aus dem Präsident-Stellvertreter und 3 Mitgliedern, sowie einem Ersatzmitglied.

Aus diesem Grunde waren zur Verhandlung am 15.1.1987 außer dem Vorsitzenden, Dr.Wilhelm Watzke, nur 3 Mitglieder DDr.Heinrich Erlach, Dr.Otfried Fresacher und Dr.Günther Moshammer und außerdem die Ersatzmänner Dr.Günter Schnitzer und Dr.Peter Thalhammer geladen.

...

Der Umstand, daß nur zwei Ersatzmänner geladen wurden, ist mit der in der Vergangenheit bestandenen Übung zu erklären, daß je zwei Ersatzmänner einem der beiden Fünfer-Senate zugeteilt waren."

Dies erweist, daß zur Disziplinarverhandlung entgegen §25 DSt - abgesehen vom Vorsitzenden - nicht vier weitere Mitglieder, sondern nur drei weitere Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder geladen wurden, und daß an der Disziplinarverhandlung vom 15. Jänner 1987 - neben dem Vorsitzenden - nur zwei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder mitwirkten. Die Zuziehung mindestens eines der Ersatzmitglieder ist nicht wegen Verhinderung oder Ablehnung von Mitgliedern erforderlich gewesen. Auch wenn §25 DSt dem Präsidenten des Disziplinarrates die Befugnis überträgt, Senate unter möglichst gleichmäßiger Belastung der einzelnen Mitglieder sowie unter Berücksichtigung möglicher Ausschließungs- und Befangenheitsgründe zusammenzusetzen, bedeutet dies nicht, daß Ersatzmitglieder in einen Disziplinarsenat einberufen werden dürfen, soferne sich dies nicht wegen Verhinderung oder Ablehnung von Mitgliedern als notwendig erweist (§7 Abs4 DSt). Die Zuziehung von Ersatzmitgliedern auch in Fällen, in denen diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, widerspricht dem Gesetz.

Für den Beschwerdefall bedeutet dies, daß der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten bei der Verhandlung vom 15. Jänner 1987 gesetzwidrig zusammengesetzt war; da die bel. Beh. dies nicht wahrgenommen hat, ist der Bf. durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

4.3. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 1.000,-- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Disziplinarrecht / Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B1338.1987

Dokumentnummer

JFT_10119391_87B01338_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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