TE Vwgh Erkenntnis 1990/12/13 90/09/0002

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Veröffentlicht am 13.12.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

ABGB §7;
AVG §38;
KOVG 1957 §12 Abs2;
KOVG 1957 §12;
KOVG 1957 §13 Abs1;
KOVG 1957 §13;
KOVG 1957 §54a Abs1;
KOVG 1957 §54a Abs2;
KOVG 1957 §86 Abs1;
KOVG 1957 §86;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 7. November 1989, Zl. OB 117-280.776-002, betreffend Aussetzung eines Verfahrens nach § 38 AVG (Zusatzrente nach § 12 KOVG 1957), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1915 geborene Beschwerdeführer steht entsprechend dem Bescheid des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. Juni 1986 im Bezug einer Beschädigten-Grundrente, die unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 v.H. auf Grund der dort neu bezeichneten Dienstbeschädigungen neu bemessen wurde.

Mit Eingabe vom 23. Juni 1988 ersuchte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf einen in der Zwischenzeit eingestellten Krankengeldbezug "die Kürzung der Kriegsopferrente wieder aufzuheben und mir den vollen Satz zu überweisen". Die Versorgungsbehörde wertete dieses Schreiben als Antrag auf Zuerkennung einer Zusatzrente nach § 12 KOVG 1957.

Bereits zuvor hatte der Beschwerdeführer nach der Aktenlage bei der Pensionsversicherungsanstalt für Angestellte im Dezember 1986 insgesamt drei Anträge gestellt, die die Feststellung der Versicherungszeiten, die Gewährung einer Alterspension bzw. einer Berufsunfähigkeitspension zum Inhalt haben. Diese Verfahren waren bis zum Zeitpunkt der Erledigung des angefochtenen Bescheides noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

Mit Bescheid vom 24. Februar 1989 setzte das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland das Verfahren betreffend den Antrag des Beschwerdeführers vom 23. Juni 1988 auf Gewährung einer Zusatzrente nach dem KOVG 1957 gemäß § 38 AVG 1950 in Verbindung mit § 86 Abs. 1 KOVG 1957 bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten über den dort eingebrachten Antrag auf Alters- bzw. Berufsunfähigkeitspension aus. Die Versorgungsbehörde erster Instanz begründete dies nach Wiedergabe des Sachverhaltes und Darstellung der Rechtslage im wesentlichen damit, ein Abspruch über die einkommensabhängige Zusatzrente nach dem KOVG 1957 setze die genaue Höhe der Alters- bzw. Berufsunfähigkeitspension des Beschwerdeführers voraus. Das diesbezüglich bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten anhängige Pensionsfeststellungsverfahren des Beschwerdeführers betreffe daher eine für das Zusatzrentenverfahren nach dem KOVG 1957 maßgebliche Vorfrage; dies berechtige die Behörde zur Aussetzung des Verfahrens.

In seiner innerhalb offener Frist eingebrachten Berufung brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, aus dem Wortlaut des § 12 Abs. 2 KOVG 1957 ("wenn sie kein Einkommen haben") ergebe sich deutlich, daß der gegenwärtige und nicht der zukünftige Zustand der Einkommensverhältnisse für die Entscheidung über die beantragte Zusatzrente maßgeblich sei. Auch stelle der Einkommensbegriff des § 13 Abs. 1 KOVG 1957 auf das Zufließen der Wertsumme ab. Schon aus diesen Gründen betreffe das bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten anhängige pensionsrechtliche Verfahren (Alters- bzw. Berufsunfähigkeitspension) keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG 1950 für das versorgungsrechtliche Verfahren nach dem KOVG 1957. Im Hinblick auf die seiner Ansicht nach gemäß § 54a KOVG 1957 bestehende Möglichkeit der Versorgungsbehörde, den Übergang von pensionsrechtlichen Ansprüchen des Versorgungsberechtigten aus der Sozialversicherung auf den Bund beim Sozialversicherungsträger in Höhe des Betrages geltend zu machen, der sich aus einer durch den Pensionsanfall ergebenden Minderung oder Einstellung seiner Zusatzrente ergebe, liege überhaupt kein Grund für die Aussetzung des Verfahrens betreffend die Zusatzrente nach dem KOVG 1957 vor. Da die Zusatzrente eindeutig der Sicherung der Lebenshaltung des Schwerbeschädigten diene, sei eine rasche Erledigung auch im Sinne des sozialpolitischen Geistes, der dem Kriegsopferversorgungsgesetz innewohne, geboten. Deshalb beantrage der Beschwerdeführer die Aufhebung des Aussetzungsbescheides.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 7. November 1989 gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 keine Folge und bestätigte den Bescheid der Versorgungsbehörde erster Instanz. Nach Darstellung des bisherigen Verwaltungsgeschehens leitete die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides aus dem Wortlaut des von ihr wiedergegebenen § 54a Abs. 1 KOVG 1957 ab, daß diese Bestimmung nur dann wirksam sei, wenn das Landesinvalidenamt bereits eine einkommensabhängige Leistung zuerkannt habe. Im Beschwerdefall sei das pensionsrechtliche Verfahren bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten seit Dezember 1986 anhängig, der Antrag auf Gewährung einer Zusatzrente nach dem KOVG 1957 sei jedoch erst am 23. Juni 1988 bei der Versorgungsbehörde erster Instanz gestellt worden. Die Entscheidung der Behörde erster Instanz entspreche daher dem Gesetz.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich seinem gesamten Vorbringen nach in seinem Recht, das Verfahren betreffend die Zusatzrente nach dem KOVG 1957 mangels Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 38 AVG 1950 nicht auszusetzen, verletzt. Der Beschwerdeführer bringt in Ausführung dieses Beschwerdepunktes unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften im wesentlichen vor, aus § 54a Abs. 1 KOVG 1957 in Verbindung mit der unbestrittenen Tatsache der Anhängigkeit seines Pensionsansuchens bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten könne nicht auf deren Vorfragecharakter für das Zusatzrentenverfahren geschlossen werden. § 54a Abs. 1 KOVG 1957 bestätige im Zusammenhang mit seinem Abs. 2, den die belangte Behörde nicht herangezogen habe, die vom Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren vertretene Auffassung, daß ein unerledigtes Pensionsverfahren eines Versorgungswerbers die Versorgungsbehörde nach dem KOVG keinesfalls hindere, über dessen Anspruch auf Gewährung der Zusatzrente zu entscheiden. Die belangte Behörde habe sich auch nicht mit den vom Beschwerdeführer in seiner Berufung aus § 12 Abs. 1 und § 13 Abs. 1 KOVG 1957 abgeleiteten Schlüssen auseinandergesetzt.

§ 12 KOVG 1957 sei zu entnehmen, daß die Zusatzrente eine gegenwartsbezogene Leistung sei und als solche bei Zutreffen der Gebührlichkeit dem Schwerbeschädigten solange den Lebensunterhalt sichern solle, bis allenfalls künftig eintretende Einkommenserhöhungen (Pensionszuerkennungen) die Leistungskürzung oder Leistungseinstellung im Sinn des § 52 Abs. 2 KOVG geböten. Damit es bei späteren Pensionszuerkennungen an Empfänger einer Zusatzrente nach dem KOVG 1957, die und meist rückwirkend auf den Zeitpunkt des Pensionsanfalles vorzunehmenden Einstellungen bzw. Neubemessungen von Zusatzrenten durch die Versorgungsbehörde verbunden seien, zu keinem Nachteil für den Bund komme, habe der Gesetzgeber die Rechtsvorschrift des § 54a KOVG 1957 erlassen.

Die Beschwerde ist berechtigt.

Nach § 10 KOVG 1957 wird die Beschädigtenrente als

Grundrente und als Zusatzrente geleistet.

Schwerbeschädigte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, erhalten zur Sicherung ihrer Lebenshaltung zur Grundrente eine Zusatzrente, wenn sie kein Einkommen haben, das nach Abs. 2 die Gewährung einer Zusatzrente ausschließt (§ 12 Abs. 1 KOVG 1957).

Die Zusatzrente beträgt monatlich S 1.927,-- (vgl. nunmehr die Anpassungsvorschrift nach § 63 KOVG 1957). Sie ist - abgesehen von den in den Abs. 4 und 5 enthaltenen Regelungen - auf Antrag und nur insoweit zu zahlen, als das monatliche Einkommen (§ 13) des Schwerbeschädigten ohne Berücksichtigung der Grundrente und einer allfälligen Schwerstbeschädigtenzulage die Höhe der ihm bei Erwerbsunfähigkeit zustehenden Beschädigtenrente (Grundrente und Zusatzrente, jedoch ohne Berücksichtigung der Erhöhungen nach Abs. 3 und § 11 Abs. 2 und 3) nicht erreicht (§ 12 Abs. 2 erster und zweiter Satz KOVG 1957).

Nach § 13 Abs. 1 erster Satz ist unter Einkommen im Sinn des § 12 Abs. 2 - abgesehen von den Sonderbestimmungen der Abs. 4 bis 9 - die Wertsumme zu verstehen, die einer Person aus dauernden Ertragsquellen in Geld- oder Güterform zufließt und die sie verbrauchen kann, ohne daß ihr Vermögen geschmälert wird.

§ 54a KOVG 1957 lautet:

(1) Hat ein Landesinvalidenamt Zusatzrente, Elternrente oder eine sonstige vom Einkommen (§ 13) des Versorgungsberechtigten abhängige Versorgungsleistung gewährt, so geht ein Anspruch des Versorgungsberechtigten auf eine Pension oder Rente aus der Sozialversicherung auf den Bund in der Höhe des Betrages über, der sich aus der Minderung oder Einstellung der Versorgungsleistung nach diesem Bundesgesetz auf Grund des Pensions- oder Rentenanfalles ergibt, wenn das Landesinvalidenamt innerhalb der im Abs. 2 bestimmten Frist beim Träger der Sozialversicherung den Übergang des Anspruches geltend macht. Der Übergang des Anspruches wird nur bis zur Höhe der nachzuzahlenden Pensions- oder Rentenbeträge wirksam.

(2) Die Träger der Sozialversicherung haben bei Einleitung des Pensions- oder Rentenfeststellungsverfahrens die Anspruchswerber zu befragen, ob sie eine Versorgungsleistung nach diesem Bundesgesetz beziehen oder beantragt haben; zutreffendenfalls hat der Träger der Sozialversicherung das zuständige Landesinvalidenamt von der Einleitung des Pensions- oder Rentenfeststellungsverfahrens unverzüglich zu verständigen. Das Landesinvalidenamt hat innerhalb von vier Wochen nach Einlangen dieser Verständigung beim Träger der Sozialversicherung den Übergang des Anspruches geltend zu machen."

Nach § 86 Abs. 1 KOVG 1957 finden auf das Verfahren, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 Anwendung.

Mangels einer abweichenden Bestimmung im KOVG 1957 findet

§ 38 AVG 1950 auch in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung voll Anwendung (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 1988, Zl. 87/09/0256).

§ 38 AVG 1950 lautet:

"Sofern die Gesetze nichts anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheide zugrunde zulegen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Bei einer Vorfrage handelt es sich um eine Frage, zu deren Beantwortung die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde sachlich nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet und daher von ihr bei ihrer Beschlußfassung berücksichtigt werden muß. Eine Vorfrage ist somit ein vorweg, nämlich im Zuge der Tatbestandsermittlung zu klärendes rechtliches Element des bestimmten zur Entscheidung stehenden Rechtsfalles und setzt voraus, daß der Spruch der erkennenden Behörde in der Hauptfrage nur nach Klärung einer in den Wirkungsbereich einer anderen Behörde fallenden Frage gefällt werden kann (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1965, Zl. 1193/65). Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist daher nur eine Entscheidung, die 1. eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfrageentscheidung unabdingbar - d.h. eine notwendige Grundlage - ist und 2. die diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. dazu z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Mai 1986, Zl. 85/11/0287).

Ob die erstgenannte Voraussetzung zutrifft, hat die zur Beantwortung der Hauptfragenentscheidung zuständige Behörde an Hand der diesen Verfahrensgegenstand betreffenden Verwaltungsvorschriften zu prüfen.

Verfahrensgegenstand ist im Beschwerdefall die Frage, ob dem Beschwerdeführer eine Zusatzrente gebührt oder nicht. Dies ist anhand der §§ 12 und 13 KOVG 1957 zu prüfen. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, daß die Zusatzrente eine einkommensabhängige Rentenleistung ist (§ 12 Abs. 2 KOVG 1957) und der für die Beurteilung maßgebliche Einkommensbegriff im § 13 Abs. 1 KOVG 1957 umschrieben wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem auch für die spätere Judikatur grundlegenden Erkenntnis vom 6. Juli 1951, Zl. 1810/50 = Slg. N.F. Nr. 2184/A, vorweg festgestellt, daß der Einkommensbegriff des geltenden Einkommensteuerrechtes nicht mit dem Einkommensbegriff des § 13 KOVG 1957 identisch ist. Diese Feststellung bezog sich auf die sogenannte "Quellentheorie", die dem Einkommensteuerrecht fremd ist. Außerdem sind bei der Umschreibung des versorgungsrechtlichen Einkommensbegriffes auch noch verschiedene Besonderheiten zu beachten, die sich aus dem im Vordergrund stehenden Versorgungszweck dieses Gesetzes ergeben. Grundsätzlich schließt aber auch der Einkommensbegriff des § 13 KOVG 1957 diejenigen Bestandteile in sich, die dem Einkommensbegriff des Steuerrechtes eigen sind, nämlich: die Beziehung auf eine bestimmte Person, die Abstellung auf einen bestimmten Zeitraum und die Beachtung der sich innerhalb dieses Zeitraumes abspielenden Vermögensbewegungen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. November 1973, Zl. 23/72 = Slg. N.F. Nr. 8508/A). Damit sind trotz der Verschiedenartigkeit der beiden Einkommensbegriffe doch unverkennbare und beachtliche Beziehungen des versorgungsrechtlichen Einkommensbegriffes zur steuerlichen Einkommensermittlung hergestellt. Auf die Beachtung dieser Beziehungen kann bei der Auslegung des versorgungsrechtlichen Einkommensbegriffes keinesfalls verzichtet werden, weil die Formulierung des § 13 KOVG 1957 eine Reihe von Fragen offen läßt, die nur im Wege über den rechtlich ausgebauten Einkommensbegriff des Steuerrechtes beantwortet werden können (§ 7 ABGB).

Dies trifft nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch für den Begriff des "Zufließens" in § 13 Abs. 1 Satz 1 KOVG 1957 zu. Soferne es sich nicht um fiktiv zu ermittelnde Einkommen handelt, die bei ordentlicher Bewirtschaftung zu erzielen wären - dies spielt im Beschwerdefall jedoch keine Rolle - ist Einkommen dann zugeflossen, wenn der Empfänger darüber rechtlich und wirtschaftlich verfügen kann (vgl. z.B. SCHUBERT, POKORNY, SCHUCH, QUANTSCHNIGG, Einkommensteuer-Handbuch, 2. Auflage, Anmerkung 5 zu § 19 EStG, Seite 440 und die dort zitierte Judikatur). Daß auf die rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsgewalt abzustellen ist, wird auch durch das KOVG 1957 bestätigt, setzt doch das Verbrauchenkönnen des Einkommens (im Sinn des § 13 Abs. 1 erster Satz) die Verfügbarkeit darüber (im genannten Sinn) voraus. Diese Auslegung entspricht daher (unbeschadet der Fälle der fiktiven Einkommensermittlung) auch dem Versorgungszweck des KOVG 1957.

Zweifellos gehört der Bezug einer Pension (Rente) zum Einkommen im Sinn des § 13 (vgl. den letzten Satz des § 13 Abs. 1 KOVG 1957, wonach die zur Pension, einer Rente, einem Gehalt oder einem sonstigen gleichartigen Bezug geleisteten Sonderzahlungen nicht als Einkommen gelten). Ist jedoch der vom Anspruchswerber geltend gemachte Pensions-(Renten)anspruch strittig und Gegenstand eines (behördlichen) Verfahrens, in dem diese Frage rechtsverbindlich geklärt werden soll, so liegt mangels rechtlicher Verfügbarkeit über den geltend gemachten Anspruch noch kein aus diesem Titel zufließendes Einkommen im Sinn des § 13 Abs. 1 KOVG 1957 vor, das bei der Beurteilung geltend gemachter einkommensabhängiger Versorgungsansprüche nach dem KOVG zu beachten ist.

Für den Beschwerdefall ergibt sich daraus, daß die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage den Ausgang des pensionsrechtlichen Verfahrens des Beschwerdeführers bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten betreffend die von ihm geltend gemachten Ansprüche auf Berufsunfähigkeits- bzw. Alterspension zu Unrecht als präjudiziell für die von ihr zu lösende Frage, ob eine einkommensabhängige Zusatzrente nach dem KOVG 1957 gebührt oder nicht, gewertet hat und daher unzutreffend das Vorliegen einer Tatbestandsvoraussetzung nach § 38 AVG 1950 bejaht hat.

An diesem Ergebnis vermag die von der belangten Behörde zur Stützung ihrer Auffassung ausschließlich herangezogene Bestimmung des § 54a KOVG 1957 nichts zu ändern. Zutreffend hat die belangte Behörde darauf hingewiesen, daß nach den Eingangsworten des § 54a Abs. 1 die GEWÄHRUNG einer einkommensabhängigen Versorgungsleistung nach dem KOVG als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des dort geregelten Anspruchsüberganges ist. Daß sich aus dieser Regelung die von der belangten Behörde offenbar angenommene "Vorwirkung" für anhängige Verfahren nach dem KOVG 1957, die einkommensabhängige Versorgungsleistungen zum Gegenstand haben, ergibt, läßt sich nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes dieser Bestimmung nicht entnehmen. § 54a KOVG 1957 ist nicht nur dann anwendbar, wenn erst nach Vorliegen eines rechtskräftigen Zuerkennungsbescheides nach dem KOVG 1957 (auf Grund dessen Leistungen gewährt werden) ein Pensions- oder Rentenfeststellungsverfahren beim Träger der Sozialversicherung anhängig gemacht wird (mag dies auch der Regelfall sein); dem Abs. 2 dieser Bestimmung ist vielmehr auch zu entnehmen, daß bereits die bloße Anhängigkeit eines Verfahrens betreffend einer vom Anspruchswerber beantragten Versorgungsleistung nach dem KOVG 1957 - unter der Bedingung, daß später Leistungen aus diesem Titel (vor Abschluß des sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens) gewährt werden (dies ergibt sich aus dem Zusammenhang mit Abs. 1) - für den vom Landesinvalidenamt beim Träger der Sozialversicherung geltend zu machenden Anspruchsübergang ausreicht.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes begrenzt § 54a Abs. 2 erster Halbsatz KOVG 1957 lediglich die Ermittlungspflicht des Sozialversicherungsträgers in bezug auf (durchgeführte oder anhängige) Versorgungsverfahren nach dem KOVG in zeitlicher (Einleitung des sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens) und umfänglicher Hinsicht (Einschränkung auf die Befragung des Anspruchswerbers). Der Zweck des § 54a (Vermeidung von Doppelzahlungen) führt jedoch zu der vom Wortlaut des § 54a Abs. 2 zweiter Halbsatz zugelassenen Auslegung, daß die Verständigungspflicht des Trägers der Sozialversicherung (und damit der Fristenlauf für den Anspruchsübergang nach Abs. 1) nicht nur bei Vorliegen der Voraussetzungen nach dem ersten Halbsatz dieser Regelung gegeben ist, sondern auch dann, wenn zu einem späteren Zeitpunkt der Sozialversicherungsträger - von wem immer - in Kenntnis gesetzt wurde, daß der Anspruchswerber Versorgungsleistungen nach dem KOVG bereits bezieht oder zumindestens beantragt hat. § 54a KOVG 1957 findet also auch Anwendung, wenn ein Versorgungsverfahren nach dem KOVG 1957 erst nach dem Zeitpunkt der Einleitung des Pensions- oder Rentenfeststellungsverfahrens beim zuständigen Träger der Sozialversicherung vom Anspruchswerber beantragt wird.

Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift festhält, daß in Anbetracht der Einkünfte des Beschwerdeführers aus einer Pension der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin-Wilmersdorf und aus Krankengeld bis 11. Februar 1988 in einer bestimmten Höhe bei Entscheidung im nachhinein gemäß § 13 Abs. 3 und 10 KOVG 1957 unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen monatlichen Einkommens von über S 7.000,-- die maßgebende Einkommensgrenze im Jahr 1988 überschritten würde, ist darauf hinzuweisen, daß Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausschließlich die Frage ist, ob die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 38 AVG 1950 dem Gesetz entspricht oder nicht. Für die Lösung dieser Frage ist aber der mögliche Ausgang des Verfahrens über die Hauptfrage (hier: Gebührlichkeit der Zusatzrente) ohne rechtliche Bedeutung.

Soweit die belangte Behörde darauf hinweist, daß dem Beschwerdeführer gemäß § 12 Abs. 4 KOVG 1957 ab dem 1. Jänner 1989 im Hinblick auf die ihm gewährte Pflegezulage ohne Rücksicht auf die Einkommenshöhe die Zusatzrente gebührt, ist darauf hinzuweisen, daß sich der geltend gemachte Versorgungsanspruch auf Zusatzrente auch auf Zeiträume im Jahr 1988 bezieht.

Aus den oben angeführten Gründen ist der angefochtene Aussetzungsbescheid nach § 38 AVG 1950 mangels Vorliegen einer Vorfragesituation inhaltich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Anwendung einkommensteuerrechtlicher GrundsätzeBezüge die als Einkommen anzusehen sind DiversesDefinition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3Einkommensermittlung und Absetzbarkeit Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990090002.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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