TE Vwgh Erkenntnis 1990/12/13 90/09/0153

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Veröffentlicht am 13.12.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
25/01 Strafprozess;
40/01 Verwaltungsverfahren;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §63 Abs2;
BDG 1979 §114 Abs1;
BDG 1979 §123 Abs1;
BDG 1979 §123 Abs2;
B-VG Art131 Abs1;
StPO 1975 §84;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 90/09/0178

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 7. August 1990, GZ.: 89/3-DK/8/90, betreffend Disziplinarverfahren (Einleitungs- und Unterbrechungsbeschluß), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit mit ihm die Einleitung des Disziplinarverfahrens verfügt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im übrigen (Unterbrechungsbeschluß) wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Hauptmann in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist die Bundespolizeidirektion R, Sicherheitswacheabteilung T.

Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte die belangte Behörde am 7. August 1990 beschlossen, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979) ein Disziplinarverfahren durchzuführen (einzuleiten). Im Spruch dieses Bescheides wird dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe seine Dienstpflichten im Sinne der §§ 43 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 und 46 Abs. 1 BDG 1979 dadurch verletzt, daß er von den dienstlichen Verfehlungen des Revierinspektors F, der verdächtig sei, seine Dienstpflichten dadurch verletzt zu haben, daß er unter Ausnützung seiner dienstlichen Stellung als Sicherheitswachebeamter unbefugt Fotomaterial von Polizeieinrichtungen hergestellt und an Reporter verkauft habe, als Vorgesetzter gewußt habe, ohne die erforderlichen dienstrechtlichen Schritte einzuleiten und sogar die Übergabe von widerrechtlich hergestellten Fotos an den "S" vorsätzlich veranlaßt bzw. vorsätzlich dazu beigetragen habe. Unter einem wurde beschlossen, bis zur Beendigung der vom Sicherheitsbüro noch geführten Ermittlungen bzw. im Falle der Einleitung eines Gerichtsverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluß das Disziplinarverfahren gemäß § 114 Abs. 1 BDG 1979 zu unterbrechen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Disziplinarakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Gerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht darauf verletzt, daß ein Disziplinarverfahren gegen ihn nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 91, 123 BDG 1979 eingeleitet werde, durch unrichtige Anwendung dieser Normen in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Z. 2 leg. cit., sowie der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung verletzt. Er trägt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, der angefochtene Bescheid enthalte keinerlei Begründung. Die darin enthaltenen Anschuldigungen würden aufgestellt, ohne daß angegeben werde, aus welcher Beweisgrundlage sie abgeleitet werden. Daß auch eine Entscheidung der gegenständlichen Art begründet werden müsse, habe der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen. Aber auch aus der Disziplinaranzeige sei nicht die Spur eines Beweismittels zu ersehen. In Wahrheit stelle sich diese nach seiner Information so dar, daß anonyme Informanten Behauptungen aufgestellt hätten. Überdies sei auch die Unterbrechungsentscheidung rechtswidrig. Die Verfahrensunterbrechung würde im Beschwerdefalle nur durch eine Strafanzeige an die zuständige Staatsanwaltschaft gerechtfertigt werden können. Vom Sicherheitsbüro geführte Ermittlungen reichten dafür nicht hin.

Die Beschwerde gegen den Bescheid, betreffend die Einleitung eines Disziplinarverfahrens ist begründet.

Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Beschluß gemäß § 123 Abs. 2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979), dem beschuldigten Beamten, dem Disziplinaranwalt und der Dienstbehörde zuzustellen. Gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens ist kein Rechtsmittel zulässig.

Da gegen den Beschluß auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens kein Rechtsmittel zulässig ist, ist damit der Instanzenzug erschöpft und die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

Der Beschluß, das Disziplinarverfahren gemäß § 123 Abs. 2 BDG 1979 einzuleiten, ist nicht bloß eine prozessuale Verfügung. Der Beschluß gestaltet vielmehr das Dienstverhältnis des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer erhält nämlich durch den Beschluß den Status eines Beamten, gegen den ein Disziplinarverfahren eingeleitet ist, dessen Rechtsverhältnisse anders sind als die jener Beamten, gegen die kein Disziplinarverfahren eingeleitet ist (VfSlg. 4327;

VwSlg. 9168/A).

Die dem Einleitungsbeschluß nach § 123 BDG 1979 zukommende rechtliche Bedeutung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darin gelegen, dem einer Dienstpflichtverletzung beschuldigten Beamten gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird. Dies ist schon deshalb erforderlich, um klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren innerhalb der Verjährungsfrist eingeleitet wurde (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 1985, Zl. 84/09/0143, VwSlg. 11.938/A und vom 27. April 1989, Zl. 89/09/0014).

Der Bescheid, durch den das Disziplinarverfahren eingeleitet wird und für dessen weiteren Gang er eine Prozeßvoraussetzung bildet, dient zugleich dem Schutz des Beschuldigten, der ihm entnehmen kann, nach welcher Richtung er sich vergangen und inwiefern er pflichtwidrig gehandelt haben soll. Der Einleitungsbeschluß begrenzt regelmäßig den Umfang einer durchzuführenden Untersuchung und des vor den Disziplinarkommissionen stattfindenden Verfahrens: Es darf keine Disziplinarstrafe wegen eines Verhaltens ausgesprochen werden, das nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluß in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens war (vgl. VfSlg 5523/1967, 7016/1973). Eine selbständige, bindende Feststellung über die Schuld des betroffenen Beamten enthält der Einleitungsbeschluß nicht; er stellt nur eine vorläufige Meinungsäußerung der zuständigen Disziplinarbehörde dar, daß der Beschuldigte eines Dienstvergehens verdächtigt sei und daß bei der Schwere des Vorwurfs über Schuld und Strafe im Disziplinarverfahren entschieden werden müsse. Er ist also nicht in sich abgeschlossen, sondern - wie sein Name besagt - lediglich dazu bestimmt, das Disziplinarverfahren einzuleiten, sofern nicht schon vorher eine Einstellung erfolgt.

Im Hinblick auf die in den §§ 58 Abs. 2, 60 AVG 1950 festgelegte Begründungspflicht wäre die belangte Behörde gehalten gewesen, die Verdachtsgründe für die Einleitung des Disziplinarverfahrens in der Bescheidbegründung sowohl in sachverhaltsmäßiger als auch in rechtlicher Hinsicht darzulegen. Ein Verdacht liegt vor, wenn bekannt gewordene Tatsachen für die Begehung eines Dienstvergehens einen Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht haben, der ihn von einer bloßen Vermutung abhebt (vgl. z.B. erst jüngst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Oktober 1990, Zl. 90/09/0107).

Die Partei eines Disziplinarverfahrens, in deren Rechte eingegriffen wird, hat einen Anspruch darauf, die Gründe dafür zu erfahren; denn nur dann kann sie ihre Rechte sachgemäß verteidigen.

Der angefochtene Bescheid läßt jegliche Begründung vermissen. Dieser Mangel hindert den Verwaltungsgerichtshof daran, die inhaltliche Rechtmäßigkeit des Bescheides im Sinne des § 41 Abs. 1 VwGG auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes zu überprüfen.

Daraus ergibt sich, daß einerseits infolge fehlender Sachverhaltsfeststellung der angefochtene Bescheid ergänzungsbedürftig geblieben ist, anderseits die belangte Behörde Verfahrensvorschriften über die Begründungspflicht außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher deshalb im ausgesprochenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Gemäß § 114 Abs. 1 BDG 1979 ist das Disziplinarverfahren dann zu unterbrechen, wenn die Disziplinarbehörde während des Disziplinarverfahrens zur Ansicht kommt, daß eine von Amts wegen zu verfolgende gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbare Handlung vorliegt. In diesem Fall ist sogleich - wie dies auch § 84 StPO anordnet - die Anzeige an die zuständige Staatsanwaltschaft oder Verwaltungsbehörde zu erstatten.

Die Verfügung über die Unterbrechung eines Disziplinarverfahrens ist in der Form eines ANFECHTBAREN verfahrensrechtlichen Bescheides zu treffen (vgl. im Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 1985, Zl. 84/09/0151, 0152).

Das im Art. 131 Abs. 1 B-VG aufgestellte Erfordernis der Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges hat zur Folge, daß immer nur der Bescheid, der von der nach der gesetzlichen Ordnung des Instanzenzuges im Einzelfall in Betracht kommenden Behörde der höchsten Organisationsstufe erlassen worden ist, nicht aber ein in der Angelegenheit ergangener Bescheid einer Verwaltungsbehörde niederer Instanz, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochten werden kann.

Solcherart war die Beschwerde, soweit sie sich gegen den Ausspruch über die Unterbrechung des Disziplinarverfahrens richtet, mangels Erschöpfung des Instanzenzuges gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Die Entscheidung über den Anspruch auf Ersatz des Aufwandes gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

Schlagworte

Begründung Allgemein Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Verfahrensanordnungen Bescheidcharakter Bescheidbegriff Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Nichterschöpfung des Instanzenzuges Besondere Rechtsgebiete Dienstrecht Organisationsrecht Instanzenzug VwRallg5/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990090153.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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