TE Vwgh Erkenntnis 1990/12/14 86/18/0082

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Veröffentlicht am 14.12.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
StVO 1960 §20 Abs1;
StVO 1960 §52 lita Z10a;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des Alexander N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 12. Februar 1986, Zl. MA 70-IX/P 95/85/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt (Land) Wien Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis vom 8. Oktober 1985 erkannte die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Floridsdorf, den Beschwerdeführer schuldig, er habe am 29. März 1985 um 3.50 Uhr in Wien XXI, Brünnerstraße 232 bis Gerasdorf als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw's die durch Verbotszeichen gemäß § 52 Z. 10a StVO 1960 kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h erheblich überschritten. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 52 Z. 10a in Verbindung mit § 20 Abs. 1 StVO 1960 begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe, im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzarresstrafe verhängt.

Der Beschwerdeführer erhob gegen dieses Straferkenntnis Berufung.

Auf Grund dieser rechtzeitig eingebrachten Berufung bestätigte die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 das Straferkenntnis in der Schuldfrage mit der Abänderung, daß die Tatumschreibung wie folgt zu lauten habe:

    "Der Beschuldigte ... hat am 29. März 1985 um 3.50 Uhr in

Wien 21., Brünnerstraße 232 Richtung stadtauswärts bis Einfahrt

Heeresspital als Lenker des Kraftfahrzeuges W ... die durch

Verbotszeichen kundgemachte Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h erheblich überschritten."

Die Geld- und Ersatzarreststrafe sowie der erstinstanzliche Kostenbeitrag wurden herabgesetzt.

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde unter anderem aus, die Geschwindigkeitsschätzung sei vom Meldungsleger auf Grund seiner Straßendiensterfahrung auf einer Wegstrecke von ca. 400 m während der Vorbeifahrt des Beschwerdeführers mit dem Fahrzeug am Standort des Meldungslegers und durch anschließendes Nachfahren mit dem Streifenkraftwagen in gleichbleibendem Abstand und durch Ablesen der Geschwindigkeit vom nicht geeichten Tachometer des Streifenkraftwagens vorgenommen worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde.

In Ansehung der Beweiswürdigung ist die verwaltungsgerichtliche Prüfungsbefugnis jedoch dahingehend beschränkt, ob die Behörde den Sachverhalt genügend erhoben hat und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind (vgl. dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).

Die belangte Behörde gründete ihre Annahme, der Beschwerdeführer habe die in Rede stehende Verwaltungsübertretung begangen, auf die Angaben des Meldungslegers in der Anzeige und auf seine zeugenschaftliche Einvernahme, weiters auf die Zeugenaussage des Fahrers des Streifenkraftwagens. In der Anzeige führte der Meldungsleger aus, er habe den Beschwerdeführer beobachtet, wie dieser mit seinem Kfz die Brünnerstraße mit überhöhter Geschwindigkeit stadtauswärts gefahren sei. Bei der mit Blaulicht durchgeführten Nachfahrt von Brünnerstraße ONr 232 bis Gerasdorf, Kreuzung Johann-Kinzlgasse, habe er eine Geschwindigkeitsüberschreitung von ca. 40 km/h durch Ablesen vom nicht geeichten Tachometer des Streifenkraftwagens bei gleichbleibendem Abstand (ca. 80 m) feststellen können. Zeugenschaftlich einvernommen gab der Meldungsleger an, er sei mit seinem Kollegen Inspektor M. als Besatzung eines Streifenkraftwagens in Wien 21., Brünnerstraße 232, gestanden und habe den Verkehr überwacht. Dabei habe er den Beschwerdeführer bemerkt, wie dieser mit überhöhter Geschwindigkeit stadtauswärts Richtung Stammersdorferstraße gefahren sei. Er habe von seinem Standort aus eine Sicht von ca. 200 m nach links und 200 m nach rechts gehabt. Er habe das Kfz des Beschwerdeführers beim Herannahen beobachten und feststellen können, daß sich dieses mit überhöhter Geschwindigkeit dem Standort Brünnerstraße 232 nähere und an diesem vorbeifahre. Auch Inspektor M., der mit dem Meldungsleger als Besatzung des Streifenkraftwagens in Wien 21., Brünnerstraße 232, den Verkehr überwachte, gab zeugenschaftlich einvernommen an, daß er von seinem Standort aus nach links und nach rechts ca. 200 m eine gute Einsicht auf die Brünnerstraße gehabt habe. Er habe das Kfz des Beschwerdeführers schon gesehen, wie sich dieses mit überhöhter Geschwindigkeit dem Standort Brünnerstraße 232 genähert habe und an diesem vorbeigefahren sei. Auf Grund von Vergleichsschätzungen habe die Geschwindigkeit seiner Meinung nach sicher über 100 km/h betragen.

Die belangte Behörde durfte auf Grund der oben auszugsweise wiedergegebenen, in sich widerspruchsfreien Zeugenaussagen der Polizeibeamten durchaus schlüssig annehmen, der Beschwerdeführer habe am Tatort "Brünnerstraße 232 Richtung stadtauswärts bis Einfahrt Heeresspital" die Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritten. Geschulte Straßenaufsichtsorgane sind nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes durchaus in der Lage, die Geschwindigkeit eines vorbeifahrenden Kraftfahrzeuges richtig zu schätzen, wenn die Wegstrecke lange genug ist (z.B. reicht nach den hg. Erkenntnissen vom 13. Februar 1985, Zl. 85/18/0039, und vom 27. April 1988, Zl. 87/03/0149, eine Wegstrecke von 100 m bzw. 120 m aus, um die Geschwindigkeit eines sich nähernden und an dem Beobachter vorbeifahrenden Kraftfahrzeuges zu schätzen). Den in dieser Hinsicht unbestrittenen Zeugenaussagen zufolge konnten die Polizeibeamten sogar auf eine Strecke von insgesamt rund 400 m den Pkw des Beschwerdeführers beobachten. Diese Wegstrecke ist aber, im Hinblick auf die vorher zitierten Erkenntnisse für eine solche Geschwindigkeitsschätzung mehr als ausreichend. Für die Schätzung der vom Beschwerdeführer gefahrenen Geschwindigkeit hätte es somit nicht mehr des Nachfahrens und des Ablesens der Geschwindigkeit vom Tachometer bedurft.

Die Beweiswürdigung hinsichtlich der Tat und des - von der belangten Berufungsbehörde wesentlich eingeschränkten - Tatortes "Brünnerstraße 232 Richtung stadtauswärts bis Einfahrt Heeresspital" wird dadurch nicht unschlüssig, daß der angefochtene Bescheid zusätzliche - und hier ist dem Beschwerdeführer zu folgen - unschlüssige Angaben über die Geschwindigkeitsschätzung durch Nachfahren und Ablesen der Geschwindigkeit vom nicht geeichten Tachometer enthält. Zur Überprüfung, ob den Sicherheitswachebeamten auf der von der belangten Behörde angenommenen Tatstrecke nach entsprechender Reaktionszeit (zur Aufnahme der Verfolgung) und nach dem Beschleunigen ihres Fahrzeuges auf die vom Fahrzeug des Beschwerdeführers eingehaltene Geschwindigkeit eine ausreichend lange Zeitspanne und Wegstrecke zur Verfügung gestanden ist, die Geschwindigkeit des im möglichst gleichbleibenden Abstand verfolgten Fahrzeuges einigermaßen verläßlich zu schätzen, hätte es eines durch einen Sachverständigen erstellten Weg-Zeit-Diagrammes bedurft. Ein solches Weg-Zeit-Diagramm hat die belangte Behörde nicht eingeholt, obwohl der Meldungsleger bei seiner Zeugeneinvernahme angegeben hat, daß es ihm zunächst nicht möglich gewesen sei, sich dem Fahrzeug des Beschwerdeführers auch nur annähernd zu nähern. Entsprechend der Zeugenaussage des zweiten Polizeibeamten konnten die Polizeibeamten den Beschwerdeführer erst außerhalb des Ortsgebietes von Wien einholen. Daraus ist ersichtlich, daß sich die Schätzung der Geschwindigkeit durch Nachfahren im gleichbleibenden Abstand und Ablesen vom Tachometer nur auf die weitere vom Beschwerdeführer gefahrene - und von der Berufungsbehörde nicht mehr als Tatort angeführte - Strecke außerhalb des Ortsgebietes von Wien beziehen konnte.

Da somit erkennbar ist, daß die durch die Polizeibeamten erfolgte Geschwindigkeitsschätzung des sich nähernden und entfernenden Kraftfahrzeuges des Beschwerdeführers nur den

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gegenüber dem erstinstanzlichen Bescheid wesentlich eingeschränkten - Tatortbereich "Brünnerstraße 232 Richtung stadtauswärts bis Einfahrt Heeresspittal" betreffen konnte, bedurfte es auch keiner neuerlichen Einvernahme der Polizeibeamten zur Klärung irgendwelcher Widersprüche.

Die Berufungsbehörde hat dem Beschwerdeführer auch keinen völlig verschiedenen Tatort als die Behörde erster Instanz vorgeworfen, ist doch in der - von der Erstbehörde im Spruch des Straferkenntnisses als Tat angeführten - Strecke "Brünnerstraße 232 bis Gerasdorf Kreuzung Johann-Kinzl-Gasse" der dem Beschwerdeführer im Spruch des Berufungsbescheides angelastete Tatort enthalten. Es handelt sich somit um eine zulässige Einschränkung des Tatortes und es bedeutet keinen Verstoß gegen § 44a lit. a VStG 1950, wenn die belangte Behörde aus der gesamten Strecke, auf der der Beschwerdeführer

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entsprechend dem erstinstanzlichen Bescheid - eine Geschwindigkeitsübertretung begangen habe, lediglich eine kurze Strecke als Tatort der Bestrafung zugrundegelegt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. September 1989, Zl. 89/18/0068). Da die Berufungsbehörde den Tatort nicht - wie dies der Beschwerdeführer meint - mit "Brünnerstraße 232 bis Gerasdorf" angenommen hat, gehen die Hinweise des Beschwerdeführers auf die hg. Erkenntnisse vom 27. Juni 1984, Zl. 83/03/0321, und 28. Jänner 1983, Zl. 82/02/0214, in welchen der Verwaltungsgerichtshof die Bezeichnung des Tatortes als nicht ausreichend konkretisiert angesehen hat, ins Leere. Auch mit dem Hinweis des Beschwerdeführers auf das hg. Erkenntnis vom 13. April 1984, Zl. 83/02/0333, vermag der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun, geht es doch in diesem Erkenntnis darum, daß die Behörde im Falle einer Geschwindigkeitsschätzung klarzustellen hat, ob es sich um eine bloße Schätzung oder eine durch eine Tachometerangabe gestützte Schätzung handelt. Im vorliegenden Beschwerdefall ist jedoch - wie oben dargelegt - erkennbar, daß die belangte Behörde ihren Schuldspruch für den von ihr eingeschränkten Tatortbereich zulässigerweise darauf gestützt hat, daß zwei Straßenaufsichtsorgane die Geschwindigkeit des Kraftfahrzeuges des Beschwerdeführers durch Beobachten des herannahenden und sich entfernenden Fahrzeuges geschätzt haben.

Da die Beschwerde die behaupteten Rechtsverletzungen nicht dartun konnte, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Hinsichtlich der zitierten, nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes wird an Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatort Beweismittel Sachverständigenbeweis Technischer Sachverständiger Beweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von Amtspersonen Feststellen der Geschwindigkeit Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker Kraftfahrzeugtechniker

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1986180082.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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