Index
97 Öffentliches AuftragswesenNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf den gesetzlichen Richter durch Zurückweisung eines Nachprüfungsantrags in einem Vergabeverfahren wegen unrichtiger Bezeichnung des Antragsgegners (Amt der Landesregierung statt Bundesland) durch denkunmögliche Gesetzesauslegung; fehlerhafte Parteibezeichnung behebbarer Formmangel im Sinne der Verwaltungsverfahrensgesetze; Irrtum durch Auftraggeber in der Ausschreibung mitverursachtSpruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Das Amt der Tiroler Landesregierung hat ein Verfahren zur Vergabe des Bauvorhabens "L267 Gramaiser Straße, km 1,32 - km 1,78, Ausbau Aufstieg Gramais" in einem offenen Verfahren durchgeführt. Bei dem Auftrag handelte es sich um einen Bauauftrag im Unterschwellenbereich. Das Leistungsverzeichnis enthielt u.a. folgende Bestimmungen:
"Ausschreibende Stelle: Amt der Tiroler Landesregierung
Abteilung Straßenbau
Herrengasse 1-3
6020 Innsbruck
0512/508-4041
Fax: 4045
Ende der Angebotsfrist: Freitag, 21.04.2006, 11:30 Uhr
Abgabeort: Landesbaudirektion, Abteilung Straßenbau
Herrengasse 1-3, 6020 Innsbruck
3. Stock, Zimmer 316"
Den Bietern wurde lediglich das Leistungsverzeichnis übermittelt, ein Begleitschreiben zur Ausschreibung - aus dem der öffentliche Auftraggeber hätte hervorgehen können - gab es nicht.
Die Antragstellerin hat rechtzeitig ein Angebot gelegt. Die Beschwerdeführerin wurde mittels E-Mail vom 8. Mai 2006 vom Amt der Tiroler Landesregierung darüber verständigt, dass der Auftrag einer Mitbewerberin erteilt werden sollte. Dieses E-Mail lautet wie folgt:
"Das Land Tirol - Landesbaudirektion Abteilung Straßenbau beabsichtigt die Bauarbeiten für das Baulos L 267 Gramaiser Straße, km 1,32-km 1,78, 'Ausbau Aufstieg Gramais' an die Firma T, Innsbruck zu vergeben und gibt somit gemäß §131 BVergG die Zuschlagsentscheidung bekannt.
Die Stillhaltefrist endet 7 Tage nach Erhalt dieses E-Mails.
Mit freundlichen Grüßen
Dipl.Ing. R Z Amt der Tiroler Landesregierung
Abteilung Straßenbau
Herrengasse 1-3
A-6020 Innsbruck"
Mit Schreiben vom 12. Mai 2006 teilte das Amt der Tiroler Landesregierung der Beschwerdeführerin die Gründe für die Zuschlagsentscheidung mit. Die Beschwerdeführerin beantragte hierauf am 15. Mai 2006 beim UVS in Tirol die Nichtigerklärung der Entscheidung und bezeichnete das Amt der Tiroler Landesregierung als Antragsgegner. Ferner beantragte sie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.
2. Mit Bescheid vom 22. Mai 2006 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung der Nichtigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin zurückgewiesen und dies wie folgt begründet:
"Gemäß §2 Ziff.8 BVergG 2006 ist Auftraggeber jeder Rechtsträger, der vertraglich an einen Auftragnehmer einen Auftrag zur Erbringung von Leistungen gegen Entgelt erteilt oder zu erteilen beabsichtigt.
Sowohl aus dem Leistungsverzeichnis als auch aus der Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung vom 08.05.2006 ist ersichtlich und daher auch davon auszugehen, dass im gegenständlichen Fall das Land Tirol beabsichtigt, an einen Auftragnehmer einen Auftrag zur Erbringung von Leistungen gegen Entgelt zu erteilen. Somit ist das Land Tirol im gegenständlichen Verfahren Auftraggeber.
Gemäß §2 Ziff.41 leg.cit ist vergebende Stelle jene Organisationseinheit oder jener Bevollmächtigter des Auftraggebers, die bzw. der das Vergabeverfahren für den Auftraggeber durchführt.
Aus dem Leistungsverzeichnis geht als ausschreibende Stelle das Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Straßenbau, Herrengasse 1 - 3, 6020 Innsbruck, hervor. Die Angebote waren bei der Landesbaudirektion, Abteilung Straßenbau, Herrengasse 1 - 3, 6020 Innsbruck, abzugeben. Auch aus der Angebotsöffnung ist ersichtlich, dass das Amt der Tiroler Landesregierung jene Bevollmächtigte des Auftraggebers ist, welche das Vergabeverfahren durchführt. Somit ist das Amt der Tiroler Landesregierung im gegenständlichen Vergabeverfahren vergebende Stelle.
Die Antragstellerin bezeichnet am Deckblatt als Antragsgegnerin in ihrem Nachprüfungsantrag das 'Amt der Tiroler Landesregierung'. In den Ausführungen zum Nachprüfungsantrag wird das 'Amt der Tiroler Landesregierung' ebenfalls als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des §3 Abs1 BVergG 2006 bezeichnet, welches das gegenständliche Bauvorhaben ausgeschrieben hat. Weiters führt die Antragstellerin auf Seite 6 des Nachprüfungsantrages aus, dass das Land und das Amt der Tiroler Landesregierung öffentliche Auftraggeber gemäß §3 Abs1 Ziff.1 BVergG sind.
Die Antragstellerin übersieht hier jedoch, dass nur das Land Tirol öffentlicher Auftraggeber im Sinne des §2 Ziff. 8 BVergG 2006 ist.
Das Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Straßenbau, Herrengasse 1 - 3, 6020 Innsbruck, hingegen fungiert gemäß §2 Ziff. 41 BVergG 2006 lediglich als vergebende Stelle und damit als zur Durchführung des Vergabeverfahrens seitens der Auftraggeberin bevollmächtigten Stelle, weiche eben das Verfahren durchführt.
Das Amt der Tiroler Landesregierung verfügt über keine eigene Rechtspersönlichkeit, zumal es lediglich der 'Hilfsapparat' der Landesregierung ist. Insoferne der Nachprüfungsantrag nicht gegen den Auftraggeber gerichtet ist, kann dieser daher nicht Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens sein und ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
Ein Antrag zur Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens ist gegen den Auftraggeber zu richten, zumal im Nachprüfungsverfahren nur Entscheidungen von Auftraggebern bekämpft werden können.
In der gegenständlichen Rechtsangelegenheit bezeichnet die Antragstellerin - wie bereits ausgeführt - in ihrem Nachprüfungsantrag vom 15.05.2006, mit welchem sie die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung beantragte, ausdrücklich und wiederholt als Antragsgegnerin und Auftraggeberin das Amt der Tiroler Landesregierung. Das Amt der Tiroler Landesregierung war jedoch - wie bereits oben ausgeführt - im gegenständlichen Vergabeverfahren nicht Auftraggeberin, was der Antragstellerin bekannt sein hätte müssen.
Ein amtswegiges Umdeuten eines von vorne herein verfehlten Begehrens lässt sich aus dem Vergabegesetz 2006 nicht ableiten. Es ist dem Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol auch nicht gestattet, die falsche Bezeichnung des Auftraggebers durch die Antragstellerin amtswegig - in welche Richtung auch immer - umzudeuten.
Weiters liegt hier auch nicht ein Form- oder Inhaltsmangel des Antrages im Sinne des §13 Abs3 AVG vor, sondern wurde ein Antrag gestellt, dem es an der gesetzlichen Grundlage mangelt."
3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.
Der UVS in Tirol hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der er bekräftigt, dass aufgrund der falschen Bezeichnung des Antragsgegners das Begehren der Beschwerdeführerin von vornherein verfehlt war und ein amtswegiges Umdeuten der belangten Behörde nicht gestattet war.
II. Die - zulässige - Beschwerde ist begründet:
1. §13 Abs3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl. Nr. 51/1991 (WV) idF BGBl. I Nr. 10/2004 (in der Folge: AVG) hat folgenden Wortlaut:
"§13 [...] (3) Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels mit der Wirkung auftragen, daß das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht."
2. Die Beschwerdeführerin erachtet sich - auf das Wesentliche zusammengefasst - in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dadurch verletzt, dass der UVS in Tirol zu Unrecht eine Sachentscheidung über ihre Anträge verweigert und der Bestimmung des §13 Abs3 AVG einen denkunmöglichen Inhalt unterstellt habe. Des Weiteren sei im Leistungsverzeichnis eindeutig das Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Straßenbau, als ausschreibende Stelle angegeben, das Land Tirol jedoch mit keinem Wort erwähnt. Auch kenne das BVergG 2006 zwar den Unterschied zwischen Auftraggeber als Rechtsträger und der vergebenden Stelle als Organisationseinheit, den Begriff "ausschreibende Stelle" kenne das BVergG jedoch nicht. Die Bezeichnung des Amtes der Tiroler Landesregierung als "ausschreibende Stelle" könne somit nicht als Indiz dahingehend gewertet werden, dass dieses nicht Auftraggeber, sondern vergebende Stelle sei. Vom Land Tirol sei lediglich in der E-Mail vom 8. Mai 2006, mit der die Zuschlagsentscheidung bekannt gegeben wurde, die Rede gewesen. Auch in dieser E-Mail sei nicht zum Ausdruck gebracht worden, dass das Land Tirol Auftraggeber im Vergabeverfahren sei. Im gesamten Vergabeverfahren sei der Eindruck erweckt worden, dass das Amt der Tiroler Landesregierung Auftraggeber des gegenständlichen Bauauftrages sei. Die Beschwerdeführerin konnte somit davon ausgehen, dass dieses auch Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren sei.
3. Im Ergebnis ist die Beschwerdeführerin im Recht:
Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Die Zurückweisung des Antrages auf Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung hat der UVS damit begründet, dass die Bezeichnung des Amtes der Tiroler Landesregierung als Antragsgegner im Vergabeverfahren kein Mangel iSd §13 Abs3 AVG sei, sondern ein von vornherein verfehltes Begehren, dem es an der gesetzlichen Grundlage mangle.
Wenn die Beschwerdeführerin (in gleicher Weise wie in der Ausschreibung) das Amt der Tiroler Landesregierung, also ein Organ des Landes Tirol, als öffentlichen Auftraggeber und damit als Antragsgegner bezeichnet, so kann damit nur dessen Rechtsträger, nämlich das Land Tirol gemeint sein.
Im übrigen verkennt die belangte Behörde völlig Sinn und Zweck von §13 Abs3 AVG. Es ist der eigentliche Zweck von §13 Abs3 AVG, einer Partei Gelegenheit zu geben, allfällige Mängel in schriftlichen Anbringen, wie etwa eine irrtümlich fehlerhafte Parteibezeichnung, zu korrigieren. Dies muss umso mehr gelten, wenn der Auftraggeber selbst nahezu durchgehend den Auftraggeber falsch bezeichnet bzw. nicht eindeutig kenntlich macht, wer eigentlich Vertragspartner werden soll. Das Bundesvergabegesetz 2006, BGBl. I Nr. 17/2006, unterscheidet zwar zwischen vergebender Stelle und öffentlichem Auftraggeber, der Begriff der "ausschreibenden Stelle", der in den Ausschreibungsunterlagen gebraucht wurde, ist dem BVergG jedoch fremd. Als solche wurde das Amt der Tiroler Landesregierung bezeichnet.
Das Land Tirol wurde im gesamten Verfahren nur in der Zuschlagsentscheidung erwähnt. Insofern ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Irrtum der Beschwerdeführerin über die Bezeichnung des Auftraggebers von der Antragsgegnerin zumindest mitverursacht wurde. Dass in so einem Fall eine amtswegige Umdeutung oder ein Auftrag zur Mängelbehebung nicht in Frage komme, unterstellt §13 Abs3 AVG einen verfassungswidrigen Inhalt.
Eine nicht verfassungskonforme Auslegung eines Gesetzes ist der Denkunmöglichkeit gleichzuhalten.
4. Indem der UVS in Tirol dies verkannt und eine Sachentscheidung verweigert hat, verletzt der Bescheid die beschwerdeführende Gesellschaft im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- enthalten.
IV. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, Eingaben, Formgebrechen, Vergabewesen, Auslegung eines AntragesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:B1084.2006Dokumentnummer
JFT_09938873_06B01084_00