TE Vwgh Erkenntnis 1990/12/17 90/19/0326

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Veröffentlicht am 17.12.1990
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/10 Grundrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
69/05 Fürsorgewesen;

Norm

AVG §13a;
B-VG Art7 Abs1;
FürsorgeAbk BRD 1969 Jugendwohlfahrtspflege Art8 Abs1;
StGG Art2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. Juni 1990, Zl. SD 264/90, betreffend Sichtvermerk, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Vorgeschichte auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. März 1989, Zl. 88/01/0282, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 23. September 1987, mit dem dem Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsbürgers der Bundesrepublik Deutschland, vom 30. März 1987 auf Erteilung eines unbefristeten Sichtvermerks für die mehrmalige Wiedereinreise nach Österreich keine Folge gegeben worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil der dem genannten Bescheid zugrundeliegende Bescheid der belangten Behörde vom 24. Februar 1986, mit dem gegen den Beschwerdeführer ein bis 31. Dezember 1995 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden sei, mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Dezember 1987, Zl. 86/01/0076, aufgehoben worden sei und daher nicht mehr dem Rechtsbestand angehöre.

Aufgrund eines vom Beschwerdeführer - fristgerecht - gestellten Devolutionsantrages erließ die belangte Behörde gemäß § 73 AVG 1950 als die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde den angefochtenen (Ersatz-)Bescheid, mit dem dem Antrag des Beschwerdeführers vom 30. März 1987 auf Erteilung eines unbefristeten Sichtvermerks gemäß § 25 Abs. 3 lit. e des Paßgesetzes 1969 keine Folge gegeben wurde. Nach der Begründung stehe fest, daß der Beschwerdeführer weder über ein Einkommen noch über Vermögen oder sonstige Barmittel verfüge bzw. verfügen könne und daher als hilfsbedürftig anzusehen und auf öffentliche Fürsorgemittel angewiesen sei. Die Erteilung eines Sichtvermerks, die sonst im Ermessen der Behörde liege, sei gemäß § 25 Abs. 3 lit. e des Paßgesetzes 1969 dann zu versagen, wenn die Annahme gerechtfertigt sei, daß der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte. Dieser Versagungstatbestand treffe an sich auf den geschilderten Sachverhalt zu, doch sei auch auf das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege, BGBl. Nr. 258/1969, Bedacht zu nehmen, weil dieses den erwähnten Versagungstatbestand modifiziere. Nach diesem Abkommen dürfe der Aufenthaltsstaat einen Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaates nicht allein aus dem Grunde der Hilfsbedürftigkeit den weiteren Aufenthalt versagen oder ihn rückschaffen. Dies gelte allerdings dann nicht, wenn der im Sinne des Art. 9 Abs. 2 des Abkommens ununterbrochene und erlaubte Aufenthalt auf seinem Gebiet noch nicht ein Jahr dauere, wobei Zeiträume, in denen der Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus Fürsorgemitteln gewährt worden sei, nicht miteingerechnet werden dürften. Auf dieses Abkommen habe der Beschwerdeführer selbst bereits in früheren Verfahren hingewiesen. Darüber hinaus sei die Rechtslage vom Verwaltungsgerichtshof sowohl im Erkenntnis vom 16. Dezember 1987, Zl. 86/01/0076, über die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes und im Erkenntnis vom 25. November 1987, Zl. 86/01/0004, über die Aufhebung der Versagung eines befristeten Sichtvermerks erörtert und dem Beschwerdeführer vor Augen geführt worden. Mit dieser Frage, ob das zitierte Abkommen im Falle des Beschwerdeführers anzuwenden sei, habe sich auch die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren betreffend den Antrag auf Erteilung eines befristeten Sichtvermerks für die Dauer von zwei Jahren auseinandergesetzt und festgestellt, daß sich der Beschwerdeführer (nach einer letzten vorausgegangenen Meldung vom 2. Mai bis zum 18. Juli 1985) am 7. März 1986 in Wien polizeilich angemeldet und hier Aufenthalt genommen habe, weiters, daß er (aufgrund des Abkommens über den Personenverkehr, BGBl. Nr. 329/1969) lediglich berechtigt gewesen sei, sich drei Monate, also bis zum 7. Juni 1986, in Österreich aufzuhalten und daß daher ein folgender, allenfalls ununterbrochener Aufenthalt (mangels einer Erlaubnis zum Aufenthalt) nicht erlaubt gewesen sei und daß sich der Beschwerdeführer daher jedenfalls nicht ein Jahr lang ununterbrochen erlaubt in Österreich aufgehalten habe. In diesem Verfahren sei dem Beschwerdeführer auch Gelegenheit gegeben worden, Stellung zu nehmen. Er sei jedoch auf die Frage der Dauer seines Aufenthaltes in seiner Stellungnahme nicht eingegangen. Da die Tatsache des mehr als einjährigen Aufenthalts in Österreich mangels einer Erlaubnis dazu einer Versagung des weiteren Aufenthalts in Österreich nicht entgegenstehe, sei der Antrag auf Erteilung eines befristeten Sichtvermerks für die Dauer von zwei Jahren rechtskräftig abgewiesen worden. Der Verwaltungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 12. März 1990, Zl. 90/19/0134, die Rechtmäßigkeit dieses Versagungsbescheides bestätigt. Nach Erhalt dieses Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Sichtvermerkserteilung und zur Frage der Anwendbarkeit des Fürsorgeabkommens habe der Beschwerdeführer auch im gegenständlichen Verfahren, in dem nun ein weiterer Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerks, diesmal ohne zeitliche Befristung, zu behandeln sei, neuerlich Gelegenheit gehabt, sich zu dieser Frage zu äußern. Er habe in seiner Stellungnahme vom 11. Mai 1990 allerdings bloß die Behauptung aufgestellt, daß er sich seit dem Jahre 1977 ununterbrochen in Österreich aufhalte. Abgesehen davon, daß er sich den Verwaltungsakten betreffend den befristeten Sichtvermerk zufolge seit dem Jahre 1982 stets (nur) für zwei bis drei Monate im Jahr im Bundesgebiet aufgehalten habe, habe er selbst in den Beschwerden an den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof vom 2. März 1988 gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 23. September 1987, Zl. I-357.507-FrB/87, angegeben, seit elf Jahren mit verschiedenen Unterbrechungen infolge Auslandsaufenthalten in Österreich zu wohnen. Es sei ihm bereits im vorausgegangenen Verfahren wegen eines befristeten Sichtvermerks vorgehalten worden, am 7. März 1986 in Wien zur Anmeldung gelangt und nur zu einem dreimonatigen Aufenthalt berechtigt gewesen zu sein. Es wäre wohl, wie schon im vorausgegangenen Verfahren, Sache des Beschwerdeführers gewesen, den zur Feststellung der für die Anwendbarkeit des ihm bekannten Fürsorgeabkommens maßgebenden Umstände relevanten Sachverhalt darzulegen. Der vorliegende Sachverhalt lasse jedenfalls nicht die Feststellung zu, daß sein im Sinne des Art. 9 Abs. 2 des Abkommens ununterbrochener Aufenthalt in Österreich bis in die Zeit vor März 1986 zurückreiche und daß dieser Aufenthalt bei Außerachtlassung von Zeiträumen, während der ganz oder teilweise Fürsorgmittel für ihn aufgewendet worden seien, zumindest für die Dauer eines Jahres erlaubt gewesen sei. Das Vorbringen des Beschwerdeführers enthalte auch sonst keine besonderen Gründe, die gegen eine Versagung des Aufenthaltes in Österreich sprächen. Da im übrigen der Aufenthalt des Beschwerdeführers jedenfalls eine finanzielle Belastung darstelle und die Annahme gerechtfertigt sei, daß dies auch in Hinkunft der Fall sein werde, sei die Erteilung eines noch dazu unbefristeten Sichtvermerks zu versagen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, sie habe sein Vorbringen, daß Gründe der Menschlichkeit gegen eine Abschiebung in die Bundesrepublik Deutschland sprächen, nicht geprüft. Obwohl er in seiner Stellungnahme vom 11. Mai 1990 von "Folterungen, Mißhandlungen und Einkerkerungen ohne hinreichenden Rechtsgrund" durch Behörden der Bundesrepublik Deutschland gesprochen habe, habe die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid erlassen, ohne Ermittlungen anzustellen und Feststellungen zu treffen, ob und inwiefern der Beschwerdeführer von den Behörden der Bundesrepublik Deutschland verfolgt oder bedroht werde oder sich von diesen in einer Weise verfolgt oder bedroht fühle, daß Gründe der Menschlichkeit gegen seine Abschiebung in dieses Land sprächen. Der vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vertretenen Auffassung, daß bereits subjektive Gefühle, "von Behörden oder wem auch immer" verfolgt und bedroht zu werden, zur Erfüllung des Tatbestandes der gegen die Versagung des weiteren Aufenthaltes sprechenden Gründe der Menschlichkeit im Sinne des Art. 8 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege, BGBl. Nr. 258/1969, genügten, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht beizutreten, würde doch eine Regelung, die bestimmte Rechtsfolgen bloß an subjektive, einer objektiven Nachprüfung weitestgehend entzogene Wertungen eines Betroffenen knüpft, zu unsachlichen Differenzierungen führen. Das Vorliegen des angeführten Ausnahmetatbestandes erfordert vielmehr, daß objektive, einer Nachprüfung zugängliche Umstände eine Gefährdung allgemein anerkannter Interessen des Aufenthaltswerbers besorgen lassen. Daß und in welcher Weise der Beschwerdeführer bei Versagung des weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet einer derartigen objektiven Gefährdung ausgesetzt wäre, hat er weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde hinreichend konkret dargetan. Die allgemein gehaltenen, durch keine bestimmten Beweise gestützten Behauptungen des Beschwerdeführers über angebliche Verfolgungen in der Bundesrepublik Deutschland, die noch dazu "durch österreichische Beihilfe" ermöglicht worden sein sollen, reichen hiefür nicht aus. Auch in der Beschwerde wird nicht ausgeführt, aufgrund welcher Ermittlungen die belangte Behörde zur Feststellung bestimmter Tatsachen hätte gelangen können, die eine objektive Gefährdung schutzwürdiger Interessen des Beschwerdeführers zu begründen geeignet wären. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.

Ferner bemängelt der Beschwerdeführer, daß keine Feststellung darüber getroffen worden sei, ob er sich nicht schon vor dem 18. Juli 1985 "unter Erfüllung der gesetzlichen Bedingungen" ein Jahr lang in Österreich aufgehalten habe. Dies wäre von der belangten Behörde zu prüfen gewesen, weil er im Verwaltungsverfahren vorgebracht habe, daß er sich bereits seit 1977 ununterbrochen in Österreich aufhalte. Auch mit dieser Rüge vermag der Beschwerdeführer keinen wesentlichen Verfahrensmangel darzutun, läßt doch das erwähnte Vorbringen keinerlei Rückschlüsse auf die Erlaubtheit des Aufenthaltes in Österreich zu. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer keine konkreten Gründe aufgezeigt, welche die in der Begründung des angefochtenen Bescheides dargelegten Erwägungen der belangten Behörde, aufgrund derer sie sich zu der Feststellung außerstande sah, daß sein im Sinne des Art. 9 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege, BGBl. Nr. 258/1969, ununterbrochener Aufenthalt in Österreich bis in die Zeit vor März 1986 zurückreiche und daß dieser Aufenthalt bei Außerachtlassung von Zeiträumen, während der ganz oder teilweise Fürsorgemittel für den Beschwerdeführer aufgewendet worden seien, zumindest für die Dauer eines Jahres erlaubt gewesen sei, als unschlüssig oder nicht mit der Aktenlage in Einklang stehend erscheinen ließen. Wenn der Beschwerdeführer der belangten Behörde eine Verletzung der Manuduktionspflicht zum Vorwurf macht, weil sie ihn nicht zu einem zielführenden Vorbringen angeleitet habe, so übersieht er, daß die Behörde nach § 13a AVG 1950 nur zu Anleitungen im Hinblick auf die von der Partei zu setzenden Verfahrensschritte, nicht aber dazu verhalten ist, der Partei Anweisungen zu erteilen, wie sie ihr Vorbringen zu gestalten habe, damit ihrem Standpunkt Rechnung getragen werden könnte (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. September 1988, Zlen. 87/03/0237, 0238, uva.).

Hinsichtlich der bei dieser Sachlage zur Anwendung kommenden Rechtslage wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das denselben Beschwerdeführer betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. März 1990, Zl. 90/19/0134, verwiesen.

Auf dem Boden dieser Rechtslage erweist sich die Beschwerde als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990190326.X00

Im RIS seit

13.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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