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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ASVG §500;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Puck, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde der L gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 8. März 1976, Zl. MA 14-L 8/75, betreffend Begünstigung nach den §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei:
Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Zur Vorgeschichte dieses Beschwerdeverfahrens wird auf die hg. Erkenntnisse vom 16. Dezember 1982, Zl. 08/2264/80 und Zl. 08/2459/80 - es handelte sich um verfahrensrechtliche Fragen - hingewiesen.
1.2. Mit Bescheid vom 18. Juli 1974 lehnte die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag der Beschwerdeführerin auf Begünstigung gemäß den §§ 500 ff ASVG für die Zeit vom 13. März 1938 bis 31. März 1959 ab. Nach der Begründung dieses Bescheides stehe die Auswanderung der Beschwerdeführerin am 26. August 1936 in keinem Zusammenhang mit einer Verfolgung aus Gründen der Abstammung, da eine solche in Österreich frühestens mit März 1938 habe eintreten können.
Die Beschwerdeführerin erhob mit der Begründung Einspruch, daß sie politische Verfolgungsgründe geltend gemacht habe.
1.3. Mit Bescheid vom 8. März 1976, der Beschwerdeführerin zugestellt am 29. November 1984, gab der Landeshauptmann von Wien diesem Einspruch keine Folge und stellte fest, daß die Ablehnung der begünstigten Anrechnung von Versicherungszeiten für die Beschwerdeführerin in der Pensionsversicherung der Angestellten für die Zeit vom 13. März 1938 bis 31. März 1959 gemäß § 502 ASVG zu Recht erfolgt sei.
In der Begründung dieses Bescheides heißt es, aus dem Begünstigungsantrag vom 15. Jänner 1973 gehe hervor, daß die Beschwerdeführerin im September 1936 zwecks Heirat nach Argentinien gefahren sei und diese Reise wohl nicht durch die kommenden politischen Ereignisse, doch aber durch die Erfahrungen in der Zeitungsredaktion ihres damaligen Arbeitgebers bedingt gewesen sei. Erst in einem weiteren Schreiben vom 22. Februar 1973 werde vorgebracht, der bedeutungsvolle Faktor der Bedrohung durch Telefonanrufe und Briefe in den Jahren 1935 und 1936 sei im Antrag unerwähnt geblieben. Im weiteren Schreiben der Beschwerdeführerin vom 21. Mai 1973 komme wiederum zum Ausdruck, das "übliche Schema eines politischen Flüchtlings" sei auf die Beschwerdeführerin wohl nicht anwendbar, dennoch habe ihre Emigration politische Hintergründe.
Mit dem Einspruch habe die Beschwerdeführerin zum Nachweis ihres Vorbringens Zeitungsausschnitte vorgelegt, die Zeugen hiefür seien nicht mehr am Leben.
Nach Auffassung der belangten Behörde könne eine Schädigung im Sinne des § 500 ASVG, "nunmehr" bezogen auf die vorgebrachten politischen Hintergründe der Emigration im Jahr 1936, nur eintreten, wenn sich der Betroffene in konkreten Handlungen gegen die Träger des Austrofaschismus gewandt habe und in der Folge konkreten Verfolgungshandlungen von Seiten des damaligen Regimes ausgesetzt gewesen sei. Das Schreiben von Zeitungsartikeln sei hiefür nicht ausschlaggebend; Drohbriefe, heute nicht mehr eruierbaren Inhaltes, vermöchten hiefür ebenfalls keinen Beweis abzugeben. Politische Gründe für die Emigration lägen sohin nicht vor.
Es ergebe sich vielmehr schlüssig, daß die erste, völlig unbeeinflußte Angabe der Beschwerdeführerin im Begünstigungsantrag vom 15. Jänner 1973, sie hätte Österreich im Jahr 1936 zur Heirat in Argentinien, somit aus rein persönlichen Gründen, verlassen, den Tatsachen entspreche.
1.4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Es sei aktenkundig, daß die Beschwerdeführerin nur bis 31. März 1934 zur Sozialversicherung gemeldet gewesen sei. Von diesem Zeitpunkt an bis zur Auswanderung sei sie - die historischen Umstände könnten als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden - (offenbar illegal) für den sozialistischen Vorwärtsverlag tätig gewesen. Schon der Umstand der Tätigkeit für eine damals verbotene politische Partei bzw. einen Verlag dieser Partei sei zweifellos ein politischer Umstand, welcher die der Beschwerdeführerin nach ihren Behauptungen widerfahrene Gefährdung als durchaus plausibel erscheinen lasse. Eine solche Gefährdung vermöge durchaus den Tatbestand der politischen Verfolgung im Sinne des § 500 ASVG zu erfüllen.
Die belangte Behörde habe in vorwegnehmender Beweiswürdigung die von der Beschwerdeführerin angebotenen Beweise nicht aufgenommen. Sie habe nicht einmal die Beschwerdeführerin einvernommen. Sie habe aber auch dadurch, daß sie die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Zeitungsartikel als schlechthin nicht geeignet ansehe, die von ihr vorgetragenen Behauptungen zu untermauern, eine Beweisregel aufgestellt, die in dieser Form den Verwaltungsverfahrensgesetzen fremd sei.
1.5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Die zugestellte Ausfertigung des angefochtenen, im Mehrparteienverfahren bereits (durch die Zustellung an die mitbeteiligte Partei am 18. März 1976) erlassenen Bescheides an den rechtsfreundlichen Vertreter der Beschwerdeführerin am 29. November 1984 entspricht ungeachtet des Fehlens einer Unterschrift oder einer Beglaubigung dem § 18 Abs. 4 vierter Satz AVG 1950 in der Fassung BGBl. Nr. 199/1982, da die vervielfältigte Bescheidausfertigung die maschinschriftliche Beisetzung des Namens des Genehmigenden aufweist.
2.2. Gemäß § 500 ASVG in der Fassung BGBl. Nr. 684/1978 werden Personen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, Personen, die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 begünstigt.
2.3. Unter den in § 500 ASVG genannten politischen Gründen, aus denen ein Begünstigungswerber ausgewandert ist, kann - in dem hier in Rede stehenden Zeitraum - nicht schon eine politische Überzeugung oder allein die Mitgliedschaft zu einer bestimmten politischen Partei verstanden werden, sondern eine konkrete politische Verfolgung oder die begründete Gefahr einer solchen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 1980, Zl. 3451/78 = ZfVB 1981/5/1368).
Aus diesem Erkenntnis geht aber auch die Notwendigkeit hervor, daß diese erforderliche konkrete Verfolgungshandlung aus politischer Motivation durch die damaligen Träger der Macht im Staate als Bewahrer der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung gesetzt wurden oder zu fürchten waren (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 1985, Zl. 84/08/0030 = ZfVB 1986/5/2132, unter Bezugnahme auf ein
weiteres Erkenntnis vom 13. September 1985, Zl. 84/08/0017 = ZfVB 1986/5/2131).
2.4. Wenn nun die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt, es sei erforderlich, daß sich der Betroffene in konkreten Handlungen gegen die Träger des Austrofaschismus gewandt habe und in der Folge konkreten Verfolgungshandlungen von Seiten des damaligen Regimes ausgesetzt gewesen sei, das Schreiben von Zeitungsartikeln hingegen sei "hiefür nicht ausschlaggebend und vermögen Drohbriefe, heute nicht mehr eruierbaren Inhaltes, hiefür ebenfalls keinen Beweis abzugeben", so verkennt sie mit dieser ihrer völlig undifferenziert geäußerten Rechtsauffassung den Inhalt des Gesetzesbegriffes der Auswanderung "aus politischen Gründen" im Sinne des § 500 ASVG. Es hängt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes vielmehr davon ab, welcher Art die von der Beschwerdeführerin verfaßten Zeitungsartikel waren, in welchem Druckwerk sie veröffentlicht wurden sowie welchen Inhalt und welche Herkunft die gegen sie geäußerten Drohungen hatten und wie sich der behauptete tätliche Angriff gegen sie dargestellt hat.
Wegen ihrer unrichtigen Rechtsauffassung hat es die belangte Behörde verabsäumt, Feststellungen über die eben aufgezeigten Umstände, nämlich über die Art der Zeitungsartikel und die durch sie ausgelösten, gegenüber der Beschwerdeführerin geäußerten Drohungen, einschließlich eines tätlichen Angriffes, zu treffen, und zwar letzteres dahingehend, ob diese behaupteten Bedrohungen und Tätlichkeiten durch Organe des Staates veranlaßt oder bewußt geduldet wurden.
Bemerkt wird freilich, daß auf geeignete Ermittlungen gegründete Feststellungen dieses Inhaltes nicht entbehrlich gewesen wären, weil die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin unzutreffend ist, daß schon der Umstand der Tätigkeit für den sozialistischen Vorwärtsverlag zweifellos - die historischen Umstände könnten als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden - ein politischer Umstand sei, welcher die der Beschwerdeführerin nach ihren Behauptungen widerfahrene Gefährdung als durchaus plausibel erscheinen lasse. Im Erkenntnis vom 26. März 1982, Zl. 3539/80 = ZfVB 1983/3/1248, hat der Verwaltungsgerichtshof nämlich ausgesprochen, daß sogar die Ausübung einer exponierten Funktion politischer Natur, nämlich eines Alarmreferenten im Republikanischen Schutzbund, allein selbst bei Berücksichtigung der geschichtlichen Gegebenheiten zu wenig sei, um die begründete Gefahr einer konkreten politischen Verfolgung in Österreich nach dem Februar 1934 als offenkundige Tatsache im Sinne des § 45 Abs. 1 AVG 1950 ansehen zu können.
2.5. Wenn die belangte Behörde der Beschwerdeführerin die Glaubwürdigkeit deswegen absprechen möchte, weil sie nicht bereits in ihrem ersten Schreiben (Antrag) vom 15. Jänner 1973 auf die Bedrohungssituation hingewiesen habe, ist ihr entgegenzuhalten, daß die Beschwerdeführerin noch vor Erhalt einer Antwort seitens der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten aus eigenem in einem weiteren Schreiben vom 22. Februar 1973 diese Umstände als Verfolgungstatbestand ins Treffen geführt hat. Sie hat dafür auch Zeugen benannt und diese Zeugenbenennung noch im Einspruch vom 9. Jänner 1976 präzisiert. Die Feststellung der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe zum Nachweis für ihr Vorbringen Zeitungsausschnitte vorgelegt und geäußert, Zeugen hiefür seien nicht mehr am Leben, ist aktenwidrig. Sie hat vielmehr in einem ihrer früheren Schreiben, jenem vom 15. Mai 1973, angegeben, daß sich eine Reihe namentlich genannter Kollegen aus dem Vorwärts-Verlag, soweit sie noch lebten, an sie unter ihrem Journalistennamen wohl noch erinnern würde.
Auch in dieser Frage sind der belangten Behörde daher Verfahrensfehler unterlaufen, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
2.6. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat, wobei der erstgenannte Mangel nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes prävaliert.
Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
2.7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst BGBl. Nr. 206/1989.
2.8. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Schlagworte
Unterschrift des GenehmigendenVervielfältigung von AusfertigungenBeglaubigung der KanzleiEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1985080009.X00Im RIS seit
14.08.2001Zuletzt aktualisiert am
01.01.2009