Index
41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Festnahme und Anhaltung vor Erlassung eines Schubhaftbescheides - als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bekämpfbare Maßnahme - nicht aber weitere Anhaltung nach Erlassung des vollstreckbaren Schubhaftbescheides; Verhängung der Schubhaft schließt Festnahme ein; gesetzlose Festnahme und Anhaltung mangels vorangegangenen förmlichen Schubhaftbescheides - Verletzung der persönlichen FreiheitSpruch
Den Bf. ist durch die am 22. Oktober 1987 um 21,45 Uhr in Wien durch Kriminalbeamte der Bundespolizeidirektion Wien erfolgte Festnahme und die Anhaltung bis 23. Oktober 1987, 20,10 Uhr im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten der Bundespolizeidirektion (BPD) Wien, Zlen. Pst 9033-Z/87 und I-504.934/FrB/87, sowie aus den in den hier bedeutsamen Belangen übereinstimmenden Ausführungen der Parteien dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens ergibt, wurde der Bf. - ein türkischer Staatsangehöriger - am 22. Oktober 1987 um 21,45 Uhr in Wien am Westbahnhof im Rahmen einer sogenannten Bezirksstreife von Kriminalbeamten der BPD Wien "wegen Vorliegens der Voraussetzungen nach dem Fremdenpolizeigesetz" festgenommen (er verfügte über keinen Ausweis, kein Geld und konnte keine Wohnung nachweisen) und anschließend ins Bezirkspolizeikommissariat Schmelz überstellt. Nach Durchführung von Erhebungen wurde über ihn am 23. Oktober 1987 gemäß §5 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954 (FrPG) iVm §57 AVG die Schubhaft verhängt. Der Schubhaftbescheid wurde ihm am 23. Oktober 1987 um 20,10 Uhr ausgefolgt.
Am 24. Oktober 1987 wurde er ins Polizeigefangenenhaus der BPD Wien eingeliefert und am 28. Oktober 1987 um 16,00 Uhr aus der Schubhaft entlassen.
2. Die vorliegende, auf Art144 Abs1 (zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die am 23. (richtig: 22.) Oktober 1987 erfolgte Festnahme und die darauffolgende Anhaltung bis 28. Oktober 1987. Der Bf. behauptet, durch diese Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein und begehrt, dies kostenpflichtig festzustellen.
3. Die BPD Wien als bel. Beh. erstattete - vertreten durch die Finanzprokuratur - eine Gegenschrift. Sie gesteht zu, daß der Bf. mangels Vorliegens eines Schubhaftbescheides durch die Festnahme und durch die Anhaltung bis zur Ausfolgung des Schubhaftbescheides (23. Oktober 1987, 20,10 Uhr) im geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde. Die weitere Anhaltung sei jedoch durch den Schubhaftbescheid gedeckt gewesen; es wird daher begehrt, die dagegen gerichtete Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Gemäß §5 Abs1 FrPG kann ein Fremder (der Bf. besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft - siehe §1 FrPG) zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder zur Sicherung der Abschiebung vorläufig in Verwahrung genommen werden (Schubhaft), wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder aus dem Grund notwendig erscheint, um ein unmittelbar zu befürchtendes strafbares Verhalten des Fremden zu verhindern. Die Schubhaft ist, wie sich aus §11 Abs2 FrPG ergibt, mit Bescheid anzuordnen. Die Verhängung der Schubhaft schließt auch die Festnahme ein (vgl. zB VfSlg. 9323/1982 und die dort zitierte Vorjudikatur).
Eine Festnahme, die dazu dient, einen Fremden in Schubhaft zu nehmen, darf also nur erfolgen, wenn sie durch einen Bescheid verfügt worden ist (vgl. zB VfSlg. 9323/1982 und 9426/1982).
Diese Voraussetzung wurde hier nicht erfüllt: Der Bf. wurde am 22. Oktober 1987 um 21,45 Uhr festgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war ein Schubhaftbescheid noch nicht erlassen worden. Dieser Bescheid wurde erst am 23. Oktober 1987 um 20,10 Uhr erlassen.
Nach §4 des im Verfassungsrang stehenden Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (nur) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen.
Wie oben dargetan wurde, konnten die Festnahme des Bf. und seine Anhaltung bis 23. Oktober 1987, 20,10 Uhr, mangels eines vorangegangenen förmlichen Schubhaftbescheides nicht auf das FrPG gestützt werden. Eine andere gesetzliche Grundlage war nicht gegeben; dies wird von der bel. Beh. auch gar nicht behauptet.
Es war sohin festzustellen, daß der Bf. durch die am 22. Oktober 1987 erfolgte Festnahme und die Anhaltung bis 23. Oktober 1987, 20,10 Uhr (beides Maßnahmen, die in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgten) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
2. Hingegen diente die weitere Anhaltung nach Erlassung des (vollstreckbaren) Schubhaftbescheides der Vollstreckung eben dieses Bescheides. Diese Anhaltung erfolgte sohin nicht in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt; sie ist als solche nicht nach Art144 Abs1 B-VG beim VfGH bekämpfbar (vgl. zB VfSlg. 10175/1984 und 10 467/1985 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).
Die gegen die Anhaltung vom 23. Oktober 1987, 20,10 Uhr bis 28. Oktober 1987, 16,00 Uhr gerichtete Beschwerde war daher wegen offenbarer Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtgshofes gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
3. Da jede Partei teils obsiegt hat, teils unterlegen ist, waren die Kosten gegeneinander aufzuheben (§43 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG).
Schlagworte
Fremdenpolizei, Festnehmung, Schubhaft, VfGH / Zuständigkeit, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, VollstreckungshandlungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B1187.1987Dokumentnummer
JFT_10119390_87B01187_00