Index
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §167 Abs2;Beachte
Besprechung in: ÖStZB 1992, 42;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der Z gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 16. April 1986, Zl. 6/3-3446/84, betreffend Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 1980 - 1982, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.710,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin betreibt seit 1979 in einem erworbenen Betrieb das Friseurgewerbe. Vorher war sie in dem Betrieb als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen. Im Zuge einer Betriebsprüfung für die Jahre 1980 bis 1982 traf der Prüfer folgende Feststellungen:
Die Eintragungen in das Wareneingangsbuch seien nicht zeitgerecht und chronologisch richtig erfolgt und die nicht fortlaufend numerierten Belege seien nicht chronologisch richtig abgelegt worden.
Zwecks Überprüfung der Vollständigkeit der erklärten Erlöse führte der Prüfer eine kalkulatorische Umsatzverprobung auf Basis des Zeiteinsatzes durch. Im Hinblick auf die dabei festgestellten erheblichen Abweichungen wurden die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungsweg ermittelt. Dabei ging der Prüfer von einer unproduktiven Zeit (Stehzeit) von 40 Prozent der gesamten Anwesenheitszeit (nach Abzug von Urlauben, Krankenständen und Ausbildungszeiten) aus. Bei Lehrlingen wurde eine dem Ausbildungsstand entsprechende längere Stehzeit berücksichtigt. Da die Preislisten für den Prüfungszeitraum nicht aufbewahrt worden waren, wurden die durchschnittlichen Bruttostundenerlöse auf Grund der Angaben der Beschwerdeführerin bzw. in Anlehnung an die vorgelegten Preislisten der Jahre 1983 und 1984 unter Berücksichtigung von Preissteigerungen ermittelt und zwar mit S 200,-- für das Jahr 1980, S 220,-- für das Jahr 1981 und S 240,-- für das Jahr 1982. Auf Grund einer Zeitkalkulation gelangte der Prüfer so zu Umsatz- und Gewinnhinzuschätzungen von S 200.000,-- für das Jahr 1980, S 150.000,-- für das Jahr 1981 und S 100.000,-- für das Jahr 1982.
Das Finanzamt folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ entsprechende Abgabenbescheide.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Es treffe nicht zu, daß die Belege nicht chronologisch abgelegt worden seien. Vielmehr seien die Belege nach den Kassazahlen abgelegt worden und leicht auffindbar gewesen. Die Schätzung beruhe auf "willkürlichen und durch nichts bewiesenen Annahmen". Die Stehzeiten seien zwar von der Beschwerdeführerin auf Befragen zuerst mit 50 Prozent und dann mit 40 Prozent angegeben worden; die Antwort sei aber ohne genaues Wissen und mit dem Zusatz "mindestens" erfolgt. Tatsächlich sei die Produktivität weit geringer gewesen. Der Schätzung werde mit einem inneren Betriebsvergleich begegnet (1976 bis 1983). Dieser zeige deutlich, daß die Schätzung "vollkommen irreal" sei.
Auch die angenommenen Stundensätze seien falsch. Sie seien bei den einzelnen Beschäftigten sehr unterschiedlich; von einem einheitlichen Stundensatz könne daher überhaupt nicht gesprochen werden. Für zwei verschiedene Wochen des Jahres 1983 würden "Zeitnehmungen" vorgelegt, aus denen ersichtlich sei, daß die Produktivität nur etwa 40 Prozent betragen habe.
Der Betriebsprüfer nahm zu der Berufung wie folgt Stellung:
Die vom Steuerberater der Beschwerdeführerin erstellte und dem Prüfer überreichte Kalkulation habe sich hinsichtlich der Berechnungsgrundlagen mit jenen des Prüfers gedeckt und ebenfalls zu einer erheblichen Umsatzdifferenz geführt. Der Steuerberater sei dabei von den nunmehr als "fiktiv" bezeichneten Stundensätzen ausgegangen. Auch die produktive Auslastung der Arbeitskräfte sei zunächst nicht bestritten, sondern vom Steuerberater der Beschwerdeführerin in seine "Gegenkalkulation" aufgenommen worden. Erst nach einer Besprechung an Hand der Kalkulationsunterlagen sei plötzlich der Auslastungsgrad der Arbeitnehmer bestritten und mit 40 Prozent angegeben worden. Ein unproduktiver Arbeitszeitanteil von 60 Prozent widerspreche aber den Erfahrungswerten, zumal die Friseurleistungen nach eigener Angabe der Beschwerdeführerin hauptsächlich gegen Voranmeldung erbracht worden seien. Aus diesem Grund komme auch den "Zeitnehmungen" im Jahr 1983, mit denen sogar ein unproduktiver Arbeitszeitanteil von 62,9 Prozent nachgewiesen werden sollte, keine Beweiskraft zu. Die betreffenden Aufzeichnungen stammten nicht von den Arbeitnehmern und wiesen stark unterschiedliche Arbeitszeiten bei gleicher Tätigkeit und ein und demselben Arbeitnehmer aus.
Weiters sei festgestellt worden, daß zu den unproduktiven Stehzeiten zu Unrecht auch Zeiten gerechnet worden seien, innerhalb derer die Arbeitnehmer Haarfarben gemischt und Vorbereitungsarbeiten für Dauerwellenbehandlungen durchgeführt hätten. Die geringere Produktivität der Lehrlinge sei je nach Ausbildungsstand berücksichtigt worden. Mit dem Steuerberater der Beschwerdeführerin habe es diesbezüglich während der Prüfung keine Differenzen gegeben. Die Stundensätze stellten einen Durchschnittswert dar. Der für neun Jahre (unter Einbeziehung von Zeiträumen des Rechtsvorgängers) aufgestellte innere Betriebsvergleich sei nicht beweiskräftig, weil dabei stets vom verbuchten Zahlenmaterial ausgegangen worden sei. Erst die kalkulatorische Umsatzverprobung unter Verwendung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit habe die Kalkulationsdifferenz aufgedeckt. Hätte der Auslastungsgrad der Arbeitskräfte nur 40 Prozent betragen, so hätte die Beschwerdeführerin sich wohl kaum zum Kauf des Unternehmens entschlossen.
Der Steuerberater der Beschwerdeführerin bestritt in einer Gegendarstellung, jemals die Kalkulation des Prüfers anerkannt zu haben. Er habe lediglich "mit den Zahlen des Prüfers" eine andere Berechnung durchgeführt. Eine Gegenkalkulation sei jedoch nicht beabsichtigt gewesen. Er habe mehrere Branchenkollegen befragt und keiner habe den Auslastungsgrad genau angeben können. Allgemein sei nur von einer 60-prozentigen Produktivität die Rede gewesen. Es sei eine "amtliche Anmaßung", das willkürliche Kommen von Kunden als Schätzungsbasis zu nehmen. Als solche komme nur der Wareneinsatz in Betracht. Allerdings sei auch diese Kalkulationsmethode problematisch. Die Tatsache der Voranmeldungen von Kunden hätte auf den Auslastungsgrad der Arbeitnehmer keinen Einfluß, weil deren Dienstzeit auch Zeiten vor und nach Anwesenheit der vorangemeldeten Kunden umfasse. Über die Motivation für den Kauf des Betriebes habe sich das Finanzamt "nicht zu verbreitern". Mit Rücksicht auf die geringe Auslastung habe die Beschwerdeführerin ohnedies im zweiten Jahr ihrer Betriebsführung mit einer "Stundenreduktion" begonnen. Dies habe der Betriebsprüfer nicht zur Kenntnis genommen und für alle drei Jahre die gleiche Auslastung angenommen.
In der mündlichen Berufungsverhandlung teilte der Steuerberater der Beschwerdeführerin mit, daß er unter "Stehzeiten" alle "nicht unmittelbar am Kunden" verbrachten Zeiten verstehe. Zu den Stehzeiten zähle daher auch jene Zeit, in der der Kunde unter der Trockenhaube sitze. Eine summarische Schätzung der Produktivität sei unmöglich. Sie hänge einzig und allein von den Mitarbeitern ab. Es werde eine Gegenkalkulation vorgelegt. Ein äußerer Betriebsvergleich sei abzulehnen, wenn der innere Betriebsvergleich der einzelnen Jahre "halbwegs" stimme. Den Hinweis des Prüfers auf eine Aussage der Beschwerdeführerin vom 25. Jänner 1984 betreffend das Ausmaß ihres eigenen produktiven Tätigwerdens im Betrieb beantwortete der Steuerberater der Beschwerdeführerin damit, daß seiner Meinung nach über den produktiven Zeiteinsatz keine genauen Angaben gemacht werden könnten.
Nach Vertagung der mündlichen Berufungsverhandlung auf unbestimmte Zeit nahm der Steuerberater der Beschwerdeführerin im Schreiben vom 19. Februar 1986 nochmals Stellung zu den Umsatz- und Gewinnhinzurechnungen. Er wies darauf hin, daß keinerlei Buchführungsmängel festgestellt worden seien. Die Kassaführung sei in Ordnung gewesen. Die Erlöse laut den vollständigen Kassastreifen seien richtig erfaßt worden. Die Kassa sei täglich geführt und täglich abgeschlossen worden. Der innere Betriebsvergleich habe durch fast zehn Jahre hindurch ein selten gleichmäßiges Betriebsergebnis aufgezeigt. Die Zeitkalkulation des Betriebsprüfers habe zu einem völlig wirklichkeitsfremden Ergebnis geführt. Obwohl die Arbeitsstunden von 14.450 im Jahr 1980 auf 9.556 im Jahr 1981 abgesunken seien, hätte sich dies kaum auf den Umsatz ausgewirkt. Allein dies zeige die Unrichtigkeit der Zeitkalkulation. Die Bezugnahme auf den Preisindex des Statistischen Zentralamtes für Friseurleistungen sei "irrelevant", denn die Statistik "lügt immer und ist seit jeher ein sehr zweifelhaftes Instrument".
In der fortgesetzten mündlichen Berufungsverhandlung brachte der Steuerberater der Beschwerdeführerin ergänzend vor, daß keine gesetzliche Verpflichtung zur Führung von Vormerkkalendern, auf denen die Vorbestellungen von Kunden einzutragen wären, bestehe.
Die belangte Behörde gab der Berufung in Fragen, die nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sind, teilweise statt. Bezüglich der Schätzungsberechtigung und der Schätzungsmethode wurde die Berufung jedoch abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde stützt ihre Schätzungsberechtigung darauf, daß Preislisten und Aufzeichnungen über vorgemerkte Kunden betreffend die Streitjahre nicht aufbewahrt worden seien, und daß die Betriebsergebnisse der Beschwerdeführerin von den Betriebsergebnissen anderer Betriebe gleicher Art und Größe eklatant abwichen.
Worin das Abweichen bestanden haben soll bzw. welche Betriebsergebnisse andere Betriebe gleicher Art und Größe erzielt hätten, wird mit keinem Wort erwähnt. Der Gerichtshof ist daher nicht in der Lage, diese Behauptung der belangten Behörde auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.
Das Nichtaufbewahren von Preislisten und Kalendern, auf denen Kunden-Voranmeldungen eingetragen worden waren, bietet für sich allein ebenfalls keine Handhabe, die sachliche Richtigkeit der Bücher und Aufzeichnungen der Beschwerdeführerin in Zweifel zu ziehen.
In Wahrheit begründet die belangte Behörde ihre Schätzungsberechtigung auch nicht mit festgestellten Buchführungsmängeln, sondern mit einem Zirkelschluß: Weil die "den wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragende Schätzungsmethode" der Zeitkalkulation von der Beschwerdeführerin "nicht widerlegt werden konnte", sei ein Abweichen der geschätzten von den erklärten Betriebsergebnissen festgestellt worden, was wiederum zur Schätzung berechtige. Nun trifft es zwar zu, daß die Abgabenbehörde die sachliche Unrichtigkeit einer formell fehlerfreien Buchführung als erwiesen annehmen und damit die Schätzungsberechtigung bejahen kann, wenn sie, etwa im Wege einer Nachkalkulation bzw. im Wege eines inneren oder äußeren Betriebsvergleiches Differenzen zwischen den erklärten und den vergleichsweise ermittelten Besteuerungsgrundlagen feststellt, und diese Differenzen nicht anders aufgeklärt werden können. Das Feststellen solcher Differenzen setzt jedoch objektive Vergleichsmaßstäbe voraus, die regelmäßig Erfahrungswerte darstellen. Diese Erfahrungswerte müssen nachprüfbar und schlüssig aus Beweismitteln gewonnen und dem Abgabepflichtigen vorgehalten werden. Bloße Behauptungen genügen hiefür nicht. Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde weder begründet, weshalb sie eine 60-prozentige produktive Auslastung der Beschwerdeführerin und ihrer Arbeitnehmer angenommen hat, noch hat sie den Gedankengang dargelegt und mit detailliertem Zahlenmaterial untermauert, auf dem sie zu den "Stundensätzen" gelangt ist. Die ungeprüfte Übernahme der von der Beschwerdeführerin bestrittenen Annahmen der Abgabenbehörde erster Instanz vermag diesen Verfahrensmangel nicht zu beseitigen, zumal auch diese Annahmen weitgehend auf unbewiesenen Behauptungen beruhten.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde außerdem zu beachten haben, daß eine rechtmäßige Berufungsentscheidung eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen in der Berufung voraussetzt. Es wird daher insbesondere auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend das Ausmaß des produktiven Auslastungsgrades einzugehen sein, wobei auch dem Umstand Bedeutung beizumessen sein wird, daß die Beschwerdeführerin bereits bald nach Erwerb des Betriebes eine deutliche Personalreduktion durchgeführt hat, was darauf hindeuten kann, daß zunächst ungewöhnlich hohe Stehzeiten angefallen sind. Auch die kalkulatorisch ermittelten Umsatz- und Gewinnhinzuschätzungen des Betriebsprüfers, die jährlich stark fallende Tendenz aufweisen, sprechen dafür, daß die Beschwerdeführerin relativ bald nach Erwerb des Betriebes Maßnahmen gesetzt hat, um die verhältnismäßig langen Stehzeiten in ihrem Betrieb durch Pesonalreduktion zu verkürzen.
Im Hinblick auf die aufgezeigten Begründungsmängel erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1986130094.X00Im RIS seit
19.12.1990