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83 Natur- und UmweltschutzNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Mitwirkung eines befangenen Mitgliedes bei Entscheidung eines Unabhängigen Verwaltungssenates über eine Berufung hinsichtlich Müllablagerung auf einer Mülldeponie; verfassungswidrige Besetzung aufgrund der verfassungsrechtlich ganz allgemein geltenden Anforderungen der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit für die Mitglieder der Unabhängigen Verwaltungssenate; äußerer Anschein der Parteilichkeit hinsichtlich eines früher im Landesdienst in einer Umweltabteilung tätigen MitgliedesSpruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 16. Jänner 2006 wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft gemäß §62 Abs2 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (im Folgenden: AWG 2002) die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes der Deponie R. durch umgehende Einstellung der (entgegen §76 Abs8 AWG 2002 vorgenommenen) Ablagerung von nicht im Bundesland Tirol angefallenen Abfällen mit mehr als 5 Masseprozent TOC (samt Berichterstattung über die erfolgte Einstellung - Spruchpunkt 1.) sowie durch Vorlage einer monatlichen Dokumentation über bestimmte Kriterien jeder abgelagerten Abfallcharge an den Landeshauptmann als Aufsichtsbehörde (Spruchpunkt 2.) aufgetragen.
2. Die dagegen seitens der beschwerdeführenden Gesellschaft erhobene Berufung wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol (im Folgenden: UVS) mit Bescheid vom 23. Mai 2006 als unbegründet abgewiesen.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, in eventu die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und einer gesetzwidrigen Verordnung geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
In ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) und auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) erachtet sich die beschwerdeführende Partei für verletzt, weil mit Mag. G. ein gemäß §7 Abs1 Z4 und Z5 AVG befangenes Mitglied an der Entscheidung der belangten Behörde mitgewirkt habe: Mag. G. sei (vor ihrer Ernennung zum Mitglied des UVS) jahrelang in erster Instanz beim Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Umweltschutz - Rechtliche Angelegenheiten, als Sachbearbeiterin für die Deponie R. zuständig gewesen und auch im gegenständlichen erstinstanzlichen Verfahren eingeschritten. Damit sei der "äußere Anschein" eines fairen Verfahrens iSd Art6 EMRK nicht gewahrt.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -
Beschwerde erwogen:
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist im Ergebnis im Recht:
1. Über Berufungen gegen Bescheide des Landeshauptmannes entscheidet gemäß §38 Abs8 AWG 2002 der unabhängige Verwaltungssenat des jeweiligen Bundeslandes.
Die in Rede stehende Berufungsentscheidung vom 23. Mai 2006 wurde von der nach §11 iVm §14g der Geschäftsverteilung des UVS Tirol für das Jahr 2006, Z uvs-2006/52-2, zuständigen Kammer 13 (Gruppe Umweltrecht) in der vorgesehenen Zusammensetzung, bestehend aus dem Vorsitzenden Dr. A. H., der Berichterstatterin Mag. B. G. und dem weiteren Mitglied Mag. F. S., gefällt.
Mag. B. G. gehört dem UVS Tirol seit 1. Oktober 2005 an. Sie wurde gemäß Art129b Abs1 B-VG iVm §2 Abs2 erster Satz des Gesetzes über den Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol (im Folgenden: UVS-G) von der Tiroler Landesregierung auf die (für die erstmalige Bestellung gesetzlich vorgegebene) Dauer von sechs Jahren zum Mitglied des UVS ernannt. Bis zu dieser (Erst)Bestellung war die Betreffende beim Amt der Tiroler Landesregierung als Sachbearbeiterin der Abteilung Umweltschutz - Rechtliche Angelegenheiten für den Landeshauptmann tätig.
2. Der Verfassungsgesetzgeber, der die unabhängigen Verwaltungssenate mit der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. 685, eingerichtet hat, beabsichtigte damit Behörden zu schaffen, die den spezifischen Anforderungen der Art5 und 6 EMRK an unabhängige und unparteiische Gerichte (Tribunale) voll entsprechen sollten (s. mwN und unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien VfSlg. 15.439/1999).
Wie der Verfassungsgerichtshof im angeführten Erkenntnis VfSlg. 15.439/1999, in dem ua. die Behördenbesetzung des UVS bei Entscheidung über eine Hausdurchsuchung zu beurteilen war, in Weiterführung der zunächst für Fälle der Freiheitsentziehung entwickelten Judikatur (VfSlg. 14.939/1997) überdies ausgesprochen hat, liegen die Anforderungen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit an UVS den Art129a f. B-VG insgesamt zugrunde.
Nach der (in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR ergangenen) Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes haben die UVS in Bezug auf die "Unparteilichkeit" und "Unabhängigkeit" seiner Mitglieder den Erfordernissen eines Tribunals iSd Art6 EMRK zu genügen und daher eine Zusammensetzung aufzuweisen, die keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit seiner Mitglieder entstehen lässt. Dabei ist nicht nur eine allfällige tatsächliche Befangenheit entscheidend, sondern auch der "äußere Anschein der Parteilichkeit" (vgl. etwa VfSlg. 11.131/1986, 15.507/1999, 15.439/1999, 16.959/2003).
3. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung gelangt der Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Fall zum Ergebnis, dass das Mitglied des UVS Tirol Mag. B. G. - und damit auch die zuständige Kammer, die die bekämpfte Entscheidung getroffen hat (wiewohl die Geschäftsverteilung des UVS die Entscheidung durch ein anderes Mitglied bzw. durch eine anders zusammengesetzte Kammer ermöglicht hätte - §16) - nicht dem Erfordernis der "Unabhängigkeit und Unparteilichkeit" entspricht:
Zwar sind die Mitglieder des UVS bei Besorgung der ihnen (gemäß Art129a und 129b B-VG) zukommenden Aufgaben an keine Weisungen gebunden (Art129b Abs2 erster Satz B-VG; §5 Abs1 UVS-G); ferner hat jedes Mitglied vor Antritt seines Amtes die gesetzmäßige - somit auch die unabhängige - und gewissenhafte Erfüllung seiner Amtspflichten zu geloben (§3 UVS-G); schließlich darf es vor Ablauf der - vorerst mit sechs Jahren befristeten (§2 Abs2 erster Satz UVS-G) - Bestellungsdauer nur aus den in §6 Abs2 und Abs3 UVS-G genannten Gründen seines Amtes enthoben werden.
Ebenso trifft es aber auch zu, dass es sich bei dem an der Entscheidungsfindung des UVS über die Berufung gegen einen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol beteiligten Kammermitglied Mag. B. G. um eine zuvor für diesen im Landesdienst (beim Amt der Tiroler Landesregierung) als Sachbearbeiterin im Bereich Umweltschutz tätige Beamtin handelt, die - zufolge ihrer (zunächst) bloß befristeten Zugehörigkeit zum UVS (§2 Abs2 erster Satz UVS-G) - nach Ablauf der (sechsjährigen) Bestellungsdauer erneut mit der Wahrnehmung von Aufgaben im Landesdienst für den Landeshauptmann betraut werden könnte. Aufgrund der Tatsache, dass hier also ein auf Zeit ernanntes Mitglied des UVS berufen war, über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides eben jener Behörde (mit) zu befinden, aus der es hervorgegangen ist, wird - im Sinne der Rechtsprechung des EGMR (vgl. Urteil vom 29.4.1988, Belilos gegen die Schweiz, EuGRZ 1989, 21 ff.) - ein "äußerer Anschein" der Parteilichkeit nicht auszuschließen sein: Die der Gerichtsbarkeit dieser Kammer unterworfenen Personen könnten nämlich - jedenfalls in Bezug auf Verfahren, bei denen (wie hier) der Landeshauptmann von Tirol Partei ist - versucht sein, in Mag. B. G. ein Mitglied des Amtes der Tiroler Landesregierung zu sehen, das mit dem Landeshauptmann und damit mit ihren Kollegen beim Amt der Tiroler Landesregierung solidarisch ist (vgl. abermals VfSlg. 14.939/1997, 15.439/1999). Eine solche Situation erscheint aber objektiv geeignet, jenes Vertrauen in Frage zu stellen, das Gerichte in einer demokratischen Gesellschaft vermitteln sollten.
4. Schon angesichts dessen konnten dem äußeren Anschein nach Zweifel an der vollständigen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der belangten Behörde als Tribunal im Sinne des Art6 EMRK entstehen. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf den Umstand, dass Mag. B. G. am konkreten erstinstanzlichen Verfahren mitgewirkt hat.
5. Da die Grundrechtsverletzung hier schon darin zu erblicken ist, dass die von der Bundesverfassung an das entscheidungsbefugte Organ gestellten Anforderungen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit - wegen eines möglichen objektiven Anscheines von Befangenheit - nicht erfüllt wurden, es sich also insofern um eine verfassungswidrige Besetzung handelt, wurde die beschwerdeführende Partei im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Der bekämpfte Bescheid war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- sowie eine Eingabegebühr gemäß §17a VfGG enthalten.
7. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Unabhängiger Verwaltungssenat, Behördenzusammensetzung, Kollegialbehörde, Befangenheit, Tribunal, civil rights, AbfallwirtschaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:B1258.2006Dokumentnummer
JFT_09938873_06B01258_2_00