Index
90/02 Kraftfahrgesetz;Norm
KDV 1967 §30 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 16. Februar 1990, Zl. I/7-St-D-8975, betreffend Befristung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Befristung der Lenkerberechtigung der Beschwerdeführerin für die Gruppe B bis 11. Dezember 1991 ausgesprochen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde ging auf Grund des von ihr eingeholten Gutachtens des ärztlichen Amtssachverständigen vom 11. Dezember 1989 davon aus, daß seit der am 28. Juni 1989 bei einer namentlich genannten Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie durchgeführten Kontrolluntersuchung keine Änderung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin eingetreten sei. Es bestehe bei ihr eine paranoid- "mißbraucherische" (richtig wohl "mißtrauische") Grundhaltung, wobei die Verschlechterung oder Exazerbation des psycho-pathologischen Zustandsbildes sowie die Rezidivgefahr nicht ausgeschlossen werden könnten. Der Sachverständige halte eine psychiatrische Observanz für angebracht und habe empfohlen, die Lenkerberechtigung für die Gruppe B befristet auf zwei Jahre auszustellen. Die Beschwerdeführerin sei daher nur bedingt zum Lenken eines Kraftfahrzeuges geeignet, weshalb entsprechend der Empfehlung des Sachverständigen die Befristung für die Dauer von 24 Monaten ab Erstattung des Gutachtens auszusprechen gewesen sei.
Die Beschwerdeführerin bekämpft die von der belangten Behörde verfügte Befristung ihrer Lenkerberechtigung im wesentlichen mit der Begründung, nach dem Gutachten vom 11. Dezember 1989 sei davon auszugehen, daß keine Einschränkung hinsichtlich ihrer Eignung gegeben sei. Es sei ausdrücklich davon die Rede, daß sie keinerlei Auffälligkeiten im Straßenverkehr gezeigt habe, daß ein psycho-pathologisch stabiles Zustandsbild vorliege, daß die Beschwerdeführerin ein hohes Maß an Selbstkritik aufweise und daß es keine Hinweise gebe, daß es je zu psychotischen Exazerbationen gekommen sei. Trotzdem vertrete der Sachverständige ohne nähere Begründung hiefür die Auffassung, daß eine Verschlechterung ihres Zustandes nicht ausgeschlossen werden könne. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei bei den meisten Inhabern einer Lenkerberechtigung nicht auszuschließen; überdies sei die Notwendigkeit von Nachuntersuchungen nicht begründet worden.
Bei der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde ist davon auszugehen, daß gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 unter anderem dann, wenn ein Besitzer einer Lenkerberechtigung nicht mehr geistig oder körperlich geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu lenken, ihm die Lenkerberechtigung entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit ganz oder nur hinsichtlich bestimmter Gruppen zu entziehen oder durch Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit einzuschränken ist; dies gilt auch sinngemäß, wenn die geistige und körperliche Eignung nicht mehr in vollem Umfang gegeben ist oder nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und Nachuntersuchungen erforderlich sind. Gemäß § 69 Abs. 1 lit. b KFG 1967 hat, wenn der zu Begutachtende nach dem ärztlichen Befund zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Gruppen nur unter der Voraussetzung geeignet ist, daß er Körperersatzstücke oder Behelfe (Brillen, Sitzpolster udgl.) oder daß er nur Fahrzeuge mit bestimmten Merkmalen verwendet, das Gutachten "bedingt geeignet" für die entsprechenden Gruppen zu lauten und Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit anzuführen, unter denen eine Lenkerberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit erteilt werden kann; das gleiche gilt auch für Personen, deren Eignung nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und bei denen Nachuntersuchungen erforderlich sind.
Nach § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV 1967 gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften u.a. ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen ist. Gemäß § 31 der zitierten Verordnung gelten als ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderung im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 Personen, bei denen weder Erscheinungsformen von solchen Krankheiten oder Behinderungen, noch schwere geistige und seelische Störungen vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen.
Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung auf das Gutachten des Amtssachverständigen gestützt und die Auffassung vertreten, die Beschwerdeführerin sei bedingt geeignet und die Befristung sei für zwei Jahre ab Erstattung des Gutachtens auszusprechen. Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten eine "psychiatrische Observanz", somit Nachuntersuchungen für erforderlich erachtete und die Befristung für zwei Jahre vorschlug, ist sein Gutachten nicht nachvollziehbar, weil nicht dargetan wird, inwiefern sich eine vom Sachverständigen als möglich erachtete Verschlechterung des psycho-pathologischen Zustandsbildes, das in der psychiatrischen Diagnose des nervenfachärztlichen Befundes vom 14. April 1989 als Paranoia bezeichnet wurde, auf die Verkehrssicherheit nachteilig auswirken könnte. Krankheiten, Behinderungen und Störungen im Sinne der §§ 30 Abs. 1 Z. 1 und 31 KDV 1967 sind nämlich für eine Entziehung oder Einschränkung der Lenkerberechtigung im Sinne des § 73 Abs. 1 KFG 1967 nur insoweit von Belang, als sie eine "Beeinträchtigung des Fahrverhaltens" (wegen fehlender oder zumindest eingeschränkter Fähigkeit zum sicheren Beherrschen der Kraftfahrzeuge und zum Einhalten der für ihr Lenken geltenden Vorschriften) und damit eine Gefährdung der Verkehrssicherheit erwarten lassen. Dies erfordert im Sachverständigengutachten entsprechende Ausführungen über die von einer Krankheit, einer Behinderung oder einer Störung ausgehenden Auswirkungen auf das Verhalten der betreffenden Person im Straßenverkehr, sofern dies - was hier nicht der Fall ist - nicht ohnedies schon auf Grund der Art der Krankheit, Behinderung oder Störung auf der Hand liegt, sowie darüber, welche Entwicklung der jeweils festgestellte regelwidrige Zustand hinsichtlich der relevanten Auswirkungen auf das Verhalten der betreffenden Person im Straßenverkehr nehmen kann (siehe das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Juni 1990, Zl. 89/11/0279). Infolge Fehlens derartiger Ausführungen ist der maßgebende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben. Aus diesem Grund ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990110087.X00Im RIS seit
12.06.2001