Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 12. Juli 1990, Zl. VerkR-16.633/5-1990-I/Au, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Vorstellungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 29. Juni 1989 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A, B, C und E vorübergehend entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm vor Ablauf von 12 Monaten ab Zustellung des Mandatsbescheides dieser Behörde am 23. November 1988, "somit vor 24.11.1989 keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden" darf. Als Entziehungsgrund gab die Erstbehörde an, daß der Beschwerdeführer am 10. November 1988 "in alkoholbeeinträchtigtem Zustand und infolge überhöhter Geschwindigkeit einen Verkehrsunfall verschuldet" habe. Darin liege eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 1 lit. e KFG 1967. Die Begründung des Vorstellungsbescheides setzte sich des weiteren damit auseinander, daß die Erstbehörde von einer vom Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Vorfall begangenen Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 ausgegangen sei, obwohl der Beschwerdeführer vom Kreisgericht Wels mit Urteil vom 16. Juni 1989 nur wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB, jedoch "unter Wegfall des § 81 Z. 1 und 2 StGB" verurteilt worden sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid vom 29. Juni 1989 bestätigt. Laut Begründung des angefochtenen Bescheides ging die belangte Behörde vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 aus, weil der Beschwerdeführer bei dem Verkehrsunfall in einer angekündigten Engstelle und Linkskurve bei Nebel und nach Konsum von Alkohol mit 90 km/h (statt der erlaubten 30 km/h) gefahren sei und erst eine zweimonatige Fahrpraxis aufgewiesen habe. Er habe damit unter besonders gefährlichen Verhältnissen und mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen Verkehrsvorschriften verstoßen.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Vorauszuschicken ist, daß die belangte Behörde nicht daran gehindert war, die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers mit einer anderen bestimmten Tatsache als die Erstbehörde zu begründen. Die Berufungsbehörde dürfte sogar - unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften - den Entziehungsgrund insofern auswechseln, als sie etwa die Lenkerberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit entzieht, während die Erstbehörde von der mangelnden geistigen Eignung der betreffenden Person ausgegangen ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Mai 1986, Zl. 86/11/0015).
2. Ebenfalls ist vorweg festzuhalten, daß das Befahren einer Engstelle und Linkskurve, für die eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h gilt und die mit einem Gefahrenzeichen nach § 50 Z. 8 ("Fahrbahnverengung") gekennzeichnet ist, bei Dunkelheit - der Verkehrsunfall ereignete sich um 23.30 Uhr -, bei Nebel und nach Konsum von Alkohol, der geeignet war, eine Blutalkoholkonzentration von über 0,8 Promille zu bewirken, auch wenn diese zum Unfallszeitpunkt noch nicht erreicht gewesen sein sollte, mit 90 km/h (statt der erlaubten 30 km/h) eine unter besonders gefährlichen Verhältnisssen begangene Verletzung von Verkehrsvorschriften im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 darstellt.
3. Der Beschwerdeführer bestreitet, daß die Verhältnisse beim Unfall das Kriterium der besonderen Gefährlichkeit erfüllt hätten. Seine Fahrgeschwindigkeit habe nicht 90 km/h betragen, die Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h sei ihm nicht bewußt gewesen; es sei nicht festgestellt worden, daß der Nebel sichtbehindernd gewesen sei; eine Alkoholbeeinträchtigung sei ausdrücklich nicht festgestellt worden. In diesem Zusammenhang sei auch das Parteiengehör verletzt worden, weil ihm die "Auswechslung des Sachverhaltes" nicht vorgehalten worden sei, sodaß er sich dazu nicht habe äußern können.
Die belangte Behörde hat im Berufungsverfahren dem Beschwerdeführer tatsächlich kein Parteiengehör gewährt. Dazu wäre sie verpflichtet gewesen, wenn sie ihrer Entscheidung Tatsachen zugrunde gelegt hätte, die der erstinstanzlichen Entscheidung noch nicht zugrunde gelegt worden waren. Das ist hier der Fall: Jene Sachverhaltselemente, die die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse bei der vom Beschwerdeführer an sich nicht bestrittenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit begründen, wurden mit zwei Ausnahmen dem Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgehalten und im erstinstanzlichen Bescheid nicht festgestellt. Bei diesen Ausnahmen handelt es sich um die Tatsache der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ungeachtet ihres Ausmaßes und um die durch vorangegangenen Alkoholkonsum bewirkte Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit, ebenfalls unabhängig von ihrer Stärke. Alle anderen Tatsachen, also die Beschaffenheit der Straße, die Witterungsverhältnisse sowie das konkrete Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung wurden von der belangten Behörde als Berufungsbehörde erstmals bei ihrer Entscheidung verwertet; hinsichtlich des Ausmaßes der Alkoholisierung des Beschwerdeführers ging die belangte Behörde freilich offenbar in Übereinstimmung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren und mit den Annahmen des Strafgerichtes davon aus, daß der eingestandene Alkoholkonsum vor dem Vorfall nicht zu einer Alkoholbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO 1960 geführt habe.
Ist somit davon auszugehen, daß der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides durch die Unterlassung der Gewährung des Parteiengehörs ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, so ist weiterhin zu fragen, ob dieser Verfahrensmangel im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wesentlich ist. In dieser Hinsicht wäre es Aufgabe des Beschwerdeführers gewesen, in der Beschwerde darzutun, was er im Berufungsverfahren vorgebracht hätte, wäre ihm die Absicht der belangten Behörde, diese Tatsachen in ihrem Bescheid zu verwerten, vorgehalten worden.
Die Beschwerde enthält in diesem Zusammenhang nur folgende Aussagen: Die Fahrgeschwindigkeit von 90 km/h habe nur auf Grund der auf einer Schätzung beruhenden Aussagen des Beschwerdeführers gegenüber Gendarmeriebeamten unmittelbar nach dem Unfall angenommen werden können; damals sei ihm seine Fahrgeschwindigkeit "im nachhinein betrachtet relativ hoch" vorgekommen; bei der Verläßlichkeit seiner Schätzung müsse auch seine mangelnde Fahrpraxis veranschlagt werden. Damit bringt er nichts vor, was die - ohne Gewährung des Parteiengehörs getroffene - Feststellung der belangten Behörde über das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung als fehlerhaft erscheinen ließe. Das genaue Ausmaß ist unerheblich. Die Annahme der belangten Behörde, auch die Geschwindigkeit des vom Beschwerdeführer gelenkten Fahrzeuges habe zur besonderen Gefährlichkeit der Verhältnisse beigetragen, kann schon deswegen nicht als unrichtig angesehen werden, weil sie mit der subjektiven Einschätzung des Beschwerdeführers, seine Geschwindigkeit sei verhältnismäßig hoch - und damit den Verhältnissen nicht angepaßt - gewesen, übereinstimmt. Die fehlende Fahrpraxis und die damit verbundene Unverläßlichkeit seiner Geschwindigkeitsschätzung können im übrigen auch zu Ungenauigkeiten in der anderen Richtung geführt haben, wofür auch die Erfahrung spricht, wonach Unfallbeteiligte eher dazu neigen, ihr Verschulden an dem Unfall zu verringern.
Der "Wegfall des Entziehungsgrundes nach § 66 Abs. 2 lit. e KFG" hinderte die belangte Behörde nicht, von einer die Gefährlichkeit der Verhältnisse weiter erhöhenden Alkoholbeeinträchtigung des Beschwerdeführers auszugehen, auch wenn der Tatbestand des § 5 Abs. 1 StVO 1960 nicht erfüllt gewesen ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Juli 1985, Zl. 84/11/0257), lag doch der Blutalkoholgehalt des Beschwerdeführers zur Unfallszeit nach dem von ihm selbst im Verwaltungsverfahren vorgelegten Gutachten "sicherlich .... irgendwo im Grenzbereich von 0,8 Promille".
Daß die Straßenverhältnisse nicht so beschaffen gewesen wären, wie es die belangte Behörde annimmt, behauptet der Beschwerdeführer nicht. Daß er das Verkehrsschild betreffend Kundmachung der Geschwindigkeitsbeschränkung nicht wahrgenommen habe, spricht ebenfalls nicht dagegen, daß die Verhältnisse am Unfallsort zur Unfallszeit in ihrer Gesamtheit objektiv besonders gefährlich gewesen seien, sondern läßt vielmehr den Schluß auf eine mangelnde Aufmerksamkeit des Beschwerdeführers vor dem Unfall zu.
Angesichts dieser Erwägungen erübrigt sich ein Eingehen darauf, ob durch das Fahrverhalten des Beschwerdeführers auch das zweite Tatbestandselement des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 - die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern - erfüllt wurde. Dasselbe gilt für den Umstand, daß die belangte Behörde das Ausmaß der durch den am Unfsllort herrschenden Nebel bewirkten Sichtbehinderung nicht geprüft hat. Schließlich brauchte nicht darauf eingegangen zu werden, daß der Beschwerdeführer in der kurzen Zeit zwischen der Erteilung der Lenkerberechtigung an ihn (am 16. September 1988) und dem Unfall (am 10. November 1988) nur eine geringfügige Fahrpraxis erwerben konnte.
Dem Beschwerdeführer ist es somit nicht gelungen, die Wesentlichkeit des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensfehlers darzutun. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. Sie war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Dar Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990110171.X00Im RIS seit
19.03.2001