Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §69 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 4. Juli 1990, Zl. 645.209/2-5a/90, betreffend Opferfürsorge (Feststellung eines Übergenusses), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die am 13. November 1914 geborene Beschwerdeführerin stand im Bezug einer Unterhaltsrente nach dem Opferfürsorgegesetz (OFG).
Mit Bescheid vom 4. Dezember 1989 verfügte der Landeshauptmann von Wien (LH) gemäß § 69 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 AVG 1950 die amtswegige Wiederaufnahme des durch Bescheid vom 30. April 1987 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens hinsichtlich dieser Unterhaltsrente und änderte diesen Bescheid dahin ab, daß der Beschwerdeführerin gemäß § 11 (5, 14) OFG die Unterhaltsrente ab dem 1. März 1985 nicht mehr gebühre. Dadurch sei in der Zeit vom 1. März 1985 bis zum 30. November 1989 ein Übergenuß in der Höhe von S 257.866,-- entstanden, über dessen Rückforderbarkeit nach Rechtskraft dieses Bescheides entschieden werde.
Diesen Bescheid begründete der LH im wesentlichen damit, daß der Bescheid über die Höhe der Unterhaltsrente der Beschwerdeführerin auf der Annahme beruht habe, ihr anrechenbares Einkommen bestehe lediglich aus einer Pension der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft. Nun sei die Beschwerdeführerin aber mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. April 1989 wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida u.a. deshalb verurteilt worden, weil sie
1.) in den Jahren 1983/84 eine Villa verkauft und den Erlös im Betrag von S 1,400.000,-- an ihre Kinder verschenkt und 2.) am 7. September 1985 eine Liegenschaft unter dem erzielbaren Verkaufserlös von S 2,400.000,-- um nur S 1,327.064,-- an ihre Tochter R veräußert habe. Das Vermögen der Beschwerdeführerin habe daher nur deshalb nicht den entsprechenden Ertrag abgeworfen, weil es die Beschwerdeführerin unterlassen habe, es ertragreich zu bewirtschaften. Es sei daher von einem fiktiven Ertrag dieses Vermögens auszugehen. Hätte die Beschwerdeführerin die ihr entgangenen Erlöse von
S 1,400.000,-- im Jahre 1983/84 und von S 1,072.936,-- im Jahre 1985 mündelsicher mit 6 % Verzinsung angelegt, hätte sie daraus in den Jahren 1985 und 1986 je S 84.000,-- und ab 1987
S 148.376,16 aus Kapitalertrag bezogen. Das hieraus und aus der Pension der Beschwerdeführerin anrechenbare Gesamteinkommen hätte daher schon seit dem Jahre 1985 den Meßbetrag für die Unterhaltsrente nach dem OFG überschritten. Daß die Beschwerdeführerin diese Umstände bei der ursprünglichen Berechnung der Unterhaltsrente im Jahre 1987 verschwiegen habe, stelle ein Erschleichen des die Rente gewährenden Bescheides dar. Nach verfügter Wiederaufnahme sei somit die Unterhaltsrente spruchgemäß einzustellen gewesen.
In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin geltend, die ihr angelasteten Beträge könnten nicht stimmen, weil die Objekte verschuldet gewesen seien. Die Beschwerdeführerin sei keine Betrügerin, es habe sich nur um Schulden gehandelt, die sie nicht mehr bestreiten habe können. Sie schulde dem Staat nichts, obwohl sie doch Millionen Schulden haben könnte; wen wolle man zur Verantwortung ziehen, wenn sie alles verwirtschaftet habe. Im Jänner leiste sie einen Offenbarungseid, sie sei arm und habe nie Geld gehabt.
In einem weiteren, anwaltlich gefertigten Berufungsschriftsatz wendete sich die Beschwerdeführerin gegen die Zulässigkeit der Wiederaufnahme, weil sie den Rentenbescheid nicht erschlichen habe. Ferner machte sie geltend, daß sie den gesamten von ihr nach Ansicht des LH erzielbaren Verkaufserlös umgehend ihren Gläubigern zu überweisen gehabt hätte, sodaß sie keines anrechenbaren Einkommens verlustig gegangen sei.
Dieser Berufung gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 4. Juli 1990 keine Folge. Nach einer kurzen Darstellung des bisherigen Verfahrensverlaufes führte die belangte Behörde dazu begründend aus, die amtswegige Wiederaufnahme sei dadurch gerechtfertigt, daß die Beschwerdeführerin Unterlassungen hinsichtlich der Meldung des Verkaufes ihres früheren Vermögens begangen habe, die eine Erschleichungsabsicht erkennen ließen. Die belangte Behörde folge im übrigen im Wege der freien Beweiswürdigung den Feststellungen im Strafurteil, wonach die Beschwerdeführerin 1983/84 den Verkaufserlös von S 1,4 Millionen an ihre Kinder verschenkt und 1985 eine Liegenschaft weit unter dem erzielbaren Verkaufserlös von S 2,4 Millionen um nur S 1,327.064,-- an ihre Tochter R verkauft habe. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, sie hätte für den Fall des Nichtverschenkens des Verkaufserlöses bzw. des Liegenschaftsverkaufes um S 2,4 Millionen an ihre Tochter den jeweiligen Differenzbetrag an ihre Gläubiger zu überweisen gehabt, sei zwar unter Umständen dem Grunde nach richtig, es könne jedoch aus dieser Rechtspflicht nicht zwingend abgeleitet werden, daß die Beschwerdeführerin diese Mittel auch tatsächlich in diesem Sinne verwendet hätte. Der Möglichkeit eines diesbezüglichen Verwendungsnachweises habe sich die Beschwerdeführerin durch ihr Verhalten selbst begeben. Aus von der Beschwerdeführerin vorgelegten Zahlungsbelegen würden sich nur nachgewiesene absetzbare Ausgaben in der Höhe von insgesamt S 252.955,50 ergeben. Da aber der der Beschwerdeführerin am 7. September 1985 zugeflossene Verkaufserlös in der Höhe von S 1,327.064,-- vom LH bei der Feststellung des anrechenbaren Einkommens ohnedies nicht berücksichtigt worden sei und die Höhe der nachgewiesenen absetzbaren Ausgaben diese Summe bei weitem unterschreite, könne die belangte Behörde eine Entscheidung zugunsten der Beschwerdeführerin nicht treffen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, "wegen Verletzung der gesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gewährung der Unterhaltsrente nach dem Opferfürsorgegesetz" erhobene Beschwerde. Beantragt wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
In der Beschwerde wird ausschließlich das bereits im Berufungsverfahren von der Beschwerdeführerin gebrauchte Argument aufrechterhalten, die Beschwerdeführerin sei durch ihr Verhalten "keinesfalls irgend eines Einkommens verlustig gegangen", denn sie hätte ja bei "rechtskonformem" Verhalten den Verkaufs- bzw. Mehrerlös an ihre Gläubiger auszuzahlen gehabt und wäre so gar nicht in die Gelegenheit gekommen, davon ein Einkommen zu erzielen. Es ließen sich daher aus der strafgerichtlichen Verurteilung der Beschwerdeführerin keinerlei Rechtsfolgen für die Beschwerdeführerin nach dem OFG ableiten, wobei im übrigen auch die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grund dieses Strafurteiles nicht gerechtfertigt sei.
Gegen die im angefochtenen Bescheid auf Grund des Strafurteiles getroffenen Feststellungen, die Beschwerdeführerin habe 1983/84 einen Liegenschaftserlös an ihre Kinder verschenkt, und sie habe 1985 eine weitere Liegenschaft an ihre Tochter R um nur S 1,327.064,-- veräußert, obwohl dafür S 2,400.000,-- zu erzielen gewesen wären, wird in der Beschwerde nichts vorgebracht. Ebensowenig bestreitet die Beschwerdeführerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Umstand, daß sie von den beiden genannten Liegenschaftsveräußerungen und von den dafür erzielten Erlösen den Opferfürsorgebehörden aus eigenem keine Mitteilung gemacht hat. Von diesen Tatsachen hatte somit der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 Abs. 1 VwGG bei der nachprüfenden Kontrolle des angefochtenen Bescheides auszugehen.
Gemäß § 15 Abs. 6 OFG kann der Anspruch auf Rentenfürsorge nach § 11 vom Bundesminister nach Anhören der Opferfürsorgekommission dann aberkannt oder gemindert werden, wenn bei der Rentenwerbung oder während des Rentenbezuges Umstände verschwiegen oder nicht rechtzeitig angezeigt wurden, die für die Einstellung oder Bemessung der Rente von bestimmendem Einfluß sind. Durch diese Bestimmung ist allerdings die Anwendung der Bestimmungen des AVG 1950 über die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens in Angelegenheiten der Rentenfürsorge nicht ausgeschlossen (siehe dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1970, Zl. 214/70 = Slg. 7805/A). Da das Beschwerdevorbringen hinsichtlich der Wiederaufnahme im Beschwerdefall über die nicht weiter substantiierte Behauptung hinausgeht, diese Wiederaufnahme sei
"im übrigen ... nicht gerechtfertigt" gewesen, kann der
Verwaltungsgerichtshof, ausgehend vom festgestellten Sachverhalt, nicht finden, daß durch die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte Wiederaufnahme des Rentenverfahrens Rechte der Beschwerdeführerin in gesetzwidriger Weise verletzt worden wären.
Gemäß § 11 Abs. 4 OFG sind Opfer- und Hinterbliebenenrente nach den jeweils für die Entschädigung der Kriegsopfer geltenden Grundsätzen und Bestimmungen und im Ausmaß der für die Kriegsopfer vorgesehenen Vergütungen zu leisten; gemäß § 11 Abs. 8 OFG gelten die Vorschriften des Abs. 4 für die Leistung der Unterhaltsrente, der Beihilfen und der Zulagen im übrigen sinngemäß. Diese Anwendung der Vorschriften des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 (KOVG 1957) auf die Rentenfürsorge nach dem OFG bedingt notwendigerweise auch die Mitanwendung der die Versorgungsmaßnahmen des KOVG 1957 betreffenden allgemeinen Bestimmungen, soweit ihnen nicht Anordnungen des OFG entgegenstehen, also auch die Anwendung der Bestimmungen der §§ 53 und 54 KOVG über die Anzeige- und Ersatzpflicht (siehe dazu Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Februar 1959, Zl. 1378/57).
Nach dem ersten Satz des § 53 KOVG 1957 sind die Versorgungsberechtigten verpflichtet, jede ihnen bekannte Veränderung in den rechtlichen Voraussetzungen für den Rentenbezug, die den Verlust oder eine Minderung ihres Anspruches begründet, binnen zwei Wochen dem zuständigen Landesinvalidenamt (§ 79) anzuzeigen.
Gemäß § 54 Abs. 1 KOVG 1957 sind zu Unrecht empfangene Rentenbezüge und sonstige Geldleistungen einschließlich eines von einem Träger der Krankenversicherung für Rechnung des Bundes gezahlten Kranken- und Familiengeldes dem Bund zu ersetzen. Sie dürfen jedoch nur für einen Zeitraum von drei Jahren, gerechnet vom Ersten des Monates an, in dem die Behörde (§ 78) von dem Neubemessungs- oder Einstellungsgrund Kenntnis erlangt hat, zum Rückersatz vorgeschrieben werden, sofern die Leistungen nicht durch eine Handlung im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 herbeigeführt worden sind. Trifft den Empfänger an der Ungebührlichkeit dieser Leistung kein Verschulden und ist die Leistung von diesem in gutem Glauben empfangen worden, so tritt keine Verpflichtung zum Rückersatz ein.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid wurde die bloße Ungebührlichkeit der von der Beschwerdeführerin seit dem 1. März 1985 empfangenen Unterhaltsrentenbeträge festgestellt. Ob sie an diesem Empfang ein Verschulden trifft, ist nicht in dem Verfahren über die Berichtigung einer Leistung bzw. die Feststellung der Ungebühr, sondern erst in dem Verfahren nach § 54 KOVG 1957 über die Verpflichtung zum Rückersatz ungebührlich bezogener Leistungen zu prüfen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Mai 1988, Zl. 86/09/0054, und die dort angeführte Vorjudikatur).
Die Feststellung der Ungebühr bestreitet die Beschwerdeführerin, wie bereits oben ausgeführt, ausschließlich mit dem Argument, ein fiktives Einkommen aus den beiden Liegenschaftsveräußerungen laut Strafurteil sei ihr deshalb nicht anzurechnen, weil sie allenfalls bei ihr eingehende Mittel aus einer wirtschaftlichen Verwertung ihres Liegenschaftsbesitzes umgehend ihren Gläubigern auszufolgen gehabt hätte und demzufolge keine Erträge hätte erzielen können. Die Beschwerdeführerin hat zwar weder im Verwaltungsnoch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Näheres zur Person dieser Gläubiger und zur Höhe ihrer Forderungen vorgebracht, doch trifft es ohne Zweifel zu, daß die Beschwerdeführerin eine Rechtspflicht zur Berichtigung ihrer Schulden traf. Auf der anderen Seite ist der belangten Behörde darin Recht zu geben, daß das Bestehen dieser Rechtspflicht noch nicht eine Feststellung dahin zuläßt, daß die Beschwerdeführerin dieser Pflicht auch tatsächlich nachgekommen wäre und daß sie nicht etwa die erzielten Erlöse und die erzielbaren Zinseneingänge vielmehr für ihre eigenen Zwecke verbraucht hätte. Für diese letztere Annahme spricht insbesondere, daß die Beschwerdeführerin nicht einmal vorgebracht hat, sie hätte den Verkaufserlös von S 1,327.064,-- im Jahre 1985 zur Schuldentilgung verwendet, und daß - wie ihre Verurteilung wegen betrügerischer Krida anschaulich zeigt - das Bestreben der Beschwerdeführerin in keiner Weise auf Befriedigung der Forderungen ihrer Gläubiger ausgerichtet war. Unter den gegebenen Umständen vermag der Verwaltungsgerichtshof eine Rechtswidrigkeit darin nicht zu erkennen, daß die belangte Behörde ihrer Entscheidung die Annahme zugrunde gelegt hat, die Beschwerdeführerin hätte aus den beiden geannten Veräußerungen die - ziffernmäßig unbestritten gebliebenen - Einkünfte erzielen können, welche durch die im § 11 Abs. 14 OFG (§ 13 KOVG 1957) vorgesehene Anrechnung zur Ungebührlichkeit des Empfanges von Zahlungen aus einer Unterhaltsrente nach dem OFG zu führen hatten.
Die somit unbegründete Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I B Z. 4 und 5 der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
UngebührVerschulden und guter GlaubeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990090134.X00Im RIS seit
27.03.2001Zuletzt aktualisiert am
21.06.2012