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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AußStrG §282;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Degischer, DDr. Jakusch und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Dr. N gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 28. Dezember 1989, Zl. 836.505/3-I 9/89, betreffend Ausstellung eines amtlichen Zeugnisses gemäß § 282 des Außerstreitgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 28. Dezember 1989 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, "ihm gemäß § 282 AußStrG ein amtliches Zeugnis über den Inhalt der Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes in der derzeit geltenden Fassung in der Art und Weise auszustellen, daß eine vollständige Fotokopie dieser Rechtsvorschrift, versehen mit einer amtlichen Bestätigungsklausel und dem Amtssiegel des Bundesministeriums für Justiz zur Verfügung gestellt wird", abgewiesen.
Nach einer Wiedergabe des Wortlautes des § 282 des Außerstreitgesetzes sowie des § 22 des Bundesgesetzes über den Obersten Gerichtshof, BGBl. Nr. 328/1968, in welchem die Ermächtigung des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes zur Erlassung einer Verwaltungsverordnung über den inneren Geschäftsbetrieb des Obersten Gerichtshofes geregelt ist, vertrat die Behörde die Auffassung, daß sich die Bestimmungen der Geschäftsordnung ausschließlich an die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes, an die Richter im Evidenzbüro und die beim Obersten Gerichtshof tätigen nichtrichterlichen Bediensteten richte. Daraus folge jedoch, daß die Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes keine allgemein verbindliche Norm sei, deren Normadressat der Antragsteller sei, und damit auch nicht als "Gesetz" im Sinne des § 282 des Außerstreitgesetzes angesehen werden könne. Zur Behauptung des Beschwerdeführers, im Zuge des (durch ihn anhängig gemachten) Beschwerdeverfahrens vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte sei wiederholt auf Bestimmungen der Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes Bezug genommen worden, wurde in der Begründung dieses Bescheides ausgeführt, es ergäbe sich aus der "Stellungnahme der Republik Österreich zur Frage der Zulässigkeit der Beschwerde und zu materiellen Beschwerdepunkten" nur eine einzige Bezugnahme auf eine Bestimmung der Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes.
Diese Bezugsstelle laute:
"Ebenso wie die übrigen Rechtsmittelwerber bzw. deren Vertreter wurde auch die Generalprokuratur vom Termin des anberaumten Gerichtstages in Kenntnis gesetzt, und zwar durch Übermittlung nur des Ausschreibungsformulares ON. 20 (§ 60 Abs. 6 OGHGeO 1980)".
Der Beschwerdeführer vermittle nun den Anschein, daß es ihm obliege, im Verfahren vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte den Inhalt dieser Bestimmung sowie weiterer Bestimmungen der Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes nachzuweisen. Daß die Kommission an den Beschwerdeführer ein derartiges Ersuchen konkret gerichtet habe, werde allerdings nicht behauptet. Mit einem solchen Ersuchen sei auch nicht zu rechnen. Es sei vielmehr davon auszugehen, daß die Kommission zur Vorlage von ihr relevant erscheinenden Rechtsvorschriften den Staat auffordern würde, gegen den Beschwerde geführt werde, und der diese Rechtsvorschriften in seiner Stellungnahme erwähne, nicht aber an den Beschwerdeführer.
Mit Beschluß vom 11. Juni 1990, Zl. B 192/90-7, hat der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde abgelehnt. Mit Beschluß desselben Gerichtshofes vom 31. Juli 1990, Zl. B 192/90-9, wurde die Beschwerde über nachträglichen Antrag des Beschwerdeführers gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - gemäß § 34 Abs. 2 VwGG ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 282 des Außerstreitgesetzes sind Zeugnisse über das in dem österreichischen Staate geltende Gesetz denjenigen, welche derselben zur Verfolgung oder Verteidigung ihrer Rechte im Auslande bedürfen, von dem Bundesminister für Justiz auszufertigen. In Zeugnissen dieser Art ist das gegenwärtig geltende Recht bestimmt zu bezeichnen und dessen wesentlicher Inhalt mit den eigenen Worten desselben anzuführen, jedoch alle Erläuterung oder Anwendung des Gesetzes auf einen bestimmten Rechtsfall zu vermeiden.
Wie schon erwähnt, hat die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Auffassung vertreten, daß die Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes kein "Gesetz" im Sinne der zitierten Norm sei, weil sie sich ausschließlich an die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes, an die Richter im Evidenzbüro und die beim Obersten Gerichtshof tätigen nichtrichterlichen Bediensteten richte und daher keine allgemein verbindliche Norm sei, deren Adressat der Beschwerdeführer sei.
Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich zwar der damit von der belangten Behörde offenbar vertretenen Meinung an, daß der im § 282 des Außerstreitgesetzes verwendete Begriff "Gesetz" nicht im formellen, sondern im materiellen Sinn zu verstehen ist, kann der belangten Behörde aber nicht darin folgen, daß die vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofes zu erlassende, - lediglich - "den inneren Geschäftsbetrieb des Obersten Gerichtshofes" regelnde Geschäftsordnung deshalb kein "Gesetz" im Sinne des § 282 des Außerstreitgesetzes sei, weil der Beschwerdeführer nicht als Adressat der Geschäftsordnung angesehen werden könne. Denn auch der Umstand, daß sich die Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes nicht an den Beschwerdeführer wendet, schließt nicht aus, daß die von ihm mittels Beschwerde befaßte Europäische Kommission für Menschenrechte dieser Regelung über den inneren Geschäftsbetrieb des Obersten Gerichtshofes in dem anhängigen Verfahren die Bedeutung eines Gesetzes (im materiellen Sinn) beimißt, dessen vollständige und richtige Anwendung aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht von vornherein völlig unerheblich ist. Dem Beschwerdeführer ist daher Recht zu geben, daß die Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes als "Gesetz" im Sinne des § 282 des Außerstreitgesetzes zu qualifizieren ist.
Hinsichtlich der weiteren zu beantwortenden Frage, ob der Beschwerdeführer des in Rede stehenden Zeugnisses zur Verfolgung oder Verteidigung seiner Rechte in dem bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte anhängigen Verfahren bedarf, vertritt der Verwaltungsgerichtshof den Standpunkt, daß diese Bestimmung nicht restriktiv ausgelegt werden darf, also ein "Bedürfnis" nach Kenntnis einer bestimmten Norm zur Verfolgung oder Verteidigung von Rechten im Ausland im Interesse des Rechtsschutzbedürfnisses des jeweiligen Einschreiters immer dann anzunehmen ist, wenn sein diesbezügliches Ansuchen nicht im Bewußtsein völliger Nutzlosigkeit, also offenbar mutwillig eingebracht wird. Von einer derartigen Annahme kann aber im Beschwerdefall schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides selbst erwähnt hat, daß in der "Stellungnahme der Republik Österreich zur Frage der Zulässigkeit der Beschwerde und zu materiellen Beschwerdepunkten" auf eine Bestimmung der Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes Bezug genommen worden sei. Der Beschwerdeführer hat daher ein legitimes Interesse an der Kenntnis dieser Verwaltungsverordnung, wobei ihm grundsätzlich auch die Kenntnis der in der erwähnten Stellungnahme nicht ausdrücklich genannten Bestimmungen dieser Verordnung zugebilligt werden muß, ohne daß er im Sinne des § 282 des Außerstreitgesetzes nachzuweisen hat, daß er dieser Bestimmungen "zur Verfolgung oder Verteidigung" seiner "Rechte im Auslande" bedarf, weil er ohne das begehrte Zeugnis mangels Kenntnis der in Rede stehenden Geschäftsordnung nicht beurteilen kann, welche Bestimmungen derselben von seinem Standpunkt im Verfahren vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte darüber hinaus noch bedeutsam sein könnten. Unter Bezugnahme auf diesbezügliche Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides ist daher festzuhalten, daß es nicht entscheidend sein kann, ob der Beschwerdeführer den Anschein vermittle, daß es ihm obliege, im Verfahren vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte den Inhalt der Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes nachzuweisen, weshalb es auch nicht darauf ankommt, ob die genannte Kommission an den Beschwerdeführer ein diesbezügliches Ersuchen gerichtet hat.
Dem Beschwerdeführer steht daher ein grundsätzlicher Anspruch auf Stattgebung seines Antrages zu, weshalb die belangte Behörde auch in dieser Hinsicht die Rechtslage unrichtig beurteilt hat.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Aus verfahrensökonomischen Gründen soll abschließend nicht unerwähnt bleiben, daß im fortgesetzten Verfahren - allenfalls im Einvernehmen mit dem Beschwerdeführer - Erwägungen darüber anzustellen wären, ob er zur Wahrnehmung seiner Rechte im Verfahren vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte der gesamten Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofes bedarf.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990180173.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
17.07.2009