TE Vfgh Erkenntnis 1988/6/11 B65/88

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Veröffentlicht am 11.06.1988
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Bescheidadressat eine Erwerbsgesellschaft bürgerlichen Rechts; Beschwerdelegitimation der Mitglieder dieser Jagdgesellschaft gegeben - Rechtssphäre selbst und unmittelbar betroffen Einen Anlaßfall gleichzuhaltender Fall; Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen offenkundig nachteiliger Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes

Spruch

Die Bf. sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Burgenland ist schuldig, den Bf. zuhanden des Beschwerdevertreters die mit S 12.100,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit Schiedsspruch der Schiedskommission zur Entscheidung über Ansprüche auf Ersatz von Jagd- und Wildschäden in der Gemeinde Frauenkirchen vom 26.5.1986 wurde der Bf. J K verpflichtet, Ersatz für Wildschaden in der Höhe von S 7.300,-zu leisten. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Bezirksschiedskommission für Jagd- und Wildschäden bei der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 4.12.1987 teilweise Folge gegeben und der Schiedsspruch der Schiedskommission dahingehend abgeändert, als nunmehr die Jagdgesellschaft Frauenkirchen verpflichtet wurde, Ersatz für Wildschaden in der Höhe von S 5.000,-- zu leisten.

In ihrer auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde gegen den Berufungsbescheid der Bezirksschiedskommission für Jagd- und Wildschäden machen die Bf. als Gesellschafter der Jagdgesellschaft Frauenkirchen die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. In der Beschwerde wird angeregt, hinsichtlich der Bestimmungen des §123 Abs2-6 Burgenländisches Jagdgesetz 1970, LGBl. 30, ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten.

Über Aufforderung des VfGH legten die Bf. den der Jagdgesellschaft zugrunde liegenden Gesellschaftsvertrag vor und führten dazu aus, daß der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer erst durch Erlassung des angefochtenen Bescheides in das Verfahren einbezogen worden seien. Da die Jagdgesellschaft über kein eigenes Vermögen verfüge, seien durch den angefochtenen Bescheid die als Mitglieder der Jagdgesellschaft zur Zahlung verhaltenen Bf. selbst in ihren Rechten verletzt worden.

Die bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdelegitimation der Bf. ergibt sich ungeachtet der Adressierung des angefochtenen Bescheides an die Jagdgesellschaft Frauenkirchen, eine Erwerbsgesellschaft bürgerlichen Rechts, daraus, daß die Bf. als Mitglieder der Jagdgesellschaft gem. §31 Abs7 Burgenländisches Jagdgesetz 1970 für bestimmte Verbindlichkeiten der Jagdgesellschaft, insbesondere auch aus Jagd- und Wildschäden, zur ungeteilten Hand haften. Da sohin durch den angefochtenen Bescheid die Rechtssphäre der Bf. als Gesellschafter selbst und unmittelbar betroffen ist (vgl. zB VfSlg. 6599/1971, 6830/1972, 8149/1977 und 10424/1985) und anders als durch Anfechtung des von der bel. Beh. erlassenen Berufungsbescheides nicht verteidigt werden kann, besitzen die Bf. dagegen auch die Beschwerdelegitimation vor dem VfGH.

III. Auf Grund der zu G211/87 und G212/87 protokollierten Anträge des VwGH leitete der VfGH gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §123 Abs2 bis 4 des Burgenländischen Jagdgesetzes 1970 ein und hob mit Erkenntnis vom 10. März 1988, G211/87 und G212/87, den dritten und vierten Satz des §123 Abs2 Jagdgesetz über die Zusammensetzung und Bestellung der Mitglieder der Bezirksschiedskommission als verfassungswidrig auf.

Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind alle jene Fälle gleichzuhalten, die (im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren) bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren bereits anhängig geworden sind (VfSlg. 10616/1985).

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren wurde gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG abgesehen. Die nichtöffentliche Beratung fand am 10. März 1988 statt.

Die vorliegende Beschwerde ist beim VfGH am 20. Jänner 1988 - also noch vor der Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren eingelangt.

Nach dem Gesagten ist der vorliegende Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Die bel. Beh. hat bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig befundene Vorschrift angewendet. Nach der Lage des Falles ist es offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Bf. nachteilig war.

Die Bf. wurden durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt. Der Bescheid ist daher aufzuheben (vgl. etwa VfSlg. 10736/1985).

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den zugesprochenen Kosten sind S 1.100,- USt enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B65.1988

Dokumentnummer

JFT_10119389_88B00065_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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