TE Vwgh Erkenntnis 1991/1/24 90/06/0071

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.01.1991
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der X-GmbH gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 6. April 1990, Zl. 1/02-30.306/10-1990, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheit der Anordnung einer Ersatzvornahme und Vorauszahlung der Kosten dieser Ersatzvornahme, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Salzburg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde E vom 23. September 1981 wurde die Beschwerdeführerin unter anderem dazu verpflichtet, die über die Grundstücke Nr. nn/11 und nn/1 verlaufende Aufschließungsstraße hart und staubfrei zu befestigen.

Wegen Nichterfüllung dieser Leistungsverpflichtung trotz mehrmaliger Aufforderung zur Herstellung des konsensgemäßen Zustandes bzw. der Androhung der Ersatzvornahme wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 13. März 1989 die angedrohte Ersatzvornahme angeordnet und die Vorauszahlung für die Kosten der Ersatzvornahme vorgeschrieben.

Dieser Bescheid wurde dem Postbevollmächtigten (für RSa-Briefe) der Beschwerdeführerin am 15. März 1989 zugestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin am 31. März 1989 Berufung.

Mit Schreiben vom 27. September 1989 teilte die belangte Behörde dem Vertreter der Beschwerdeführerin mit, im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei von ihr festgestellt worden, daß die am 31. März 1989 zur Post gegebene Berufung verspätet sei, weil der angefochtene Bescheid durch eigenhändige Unterschrift bereits am 15. März 1989 von der Beschwerdeführerin übernommen worden sei. Zur Wahrung des Parteiengehörs werde der Beschwerdeführerin dieser Umstand zur Kenntnis gebracht. Als Beweismittel würden je eine Kopie der Übernahmsbestätigung vom 15. März 1989 sowie des Poststempels des Kuverts der Berufungsschrift vom 31. März 1989 beigeschlossen.

Am 6. Oktober 1989 beantragte die Beschwerdeführerin unter anderem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erhob zugleich (neuerlich) Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 13. März 1989. Den Antrag auf Wiedereinsetzung begründete die Beschwerdeführerin wie folgt: Der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung sei nach seiner Übernahme am 15. März 1989 durch einen Zustellungsbevollmächtigten der Beschwerdeführerin an Dr. G von der Geschäftsleitung weitergeleitet worden. Dieser habe den Bescheid seinerseits am 28. März 1989 seiner Sekretärin, L, übergeben und diese angewiesen, den Bescheid unverzüglich mit dem Auftrag, die Berufung sofort einzubringen, an den im konkreten Verwaltungsverfahren ausgewiesenen Vertreter der Beschwerdeführerin zu senden. Wegen der gebotenen Dringlichkeit, die Dr. G wohl bekannt gewesen sei, habe dieser sich noch am selben Abend, vor Antritt einer Dienstreise - bei seiner Sekretärin erkundigt, ob diese seinem Auftrag auch tatsächlich nachgekommen sei. L habe ihm versichert, daß der Bescheid bereits an die Kanzlei des Vertreters Dr. K abgesandt worden sei. Tatsächlich habe die Sekretärin den Bescheid an diesem Tag aber lediglich versandfertig gemacht und ihn erst am nächsten Tag zur Post bringen wollen. Da sie sich überdies an den beiden folgenden Arbeitstagen im Krankenstand befunden habe, habe der Bescheid erst am 31. März 1989 von ihr persönlich in die Kanzlei des Vertreters der Beschwerdeführerin gebracht werden können. Sie habe es dabei jedoch unterlassen, bei der Übergabe darauf hinzuweisen, daß die Berufungsfrist bereits abgelaufen sein könnte. Es sei von ihr lediglich erklärt worden, daß die Berufung noch am selben Tag einzubringen sei. Auch die Beschwerdeführerin sei von L nicht über die verspätete Weiterleitung des Bescheides informiert worden.

Bei L handle es sich - von diesem Vorfall abgesehen - um eine sehr verläßliche und gründliche Mitarbeiterin, die bereits seit Jahren für die Beschwerdeführerin tätig sei, ohne daß es jemals irgendeine Beanstandung gegeben habe. Wäre L der Anweisung ihres Vorgesetzten nachgekommen, den Bescheid unverzüglich - d.h. noch am selben Tag - mit dem Auftrag, die Berufung sofort einzubringen, an die Kanzlei des Vertreters der Beschwerdeführerin weiterzuleiten, so wäre die Berufung rechtzeitig überreicht worden.

Zur Bescheinigung dieser Ausführungen wurden Erklärungen Dris. G und seiner Sekretärin L dem Wiedereinsetzungsantrag beigeschlossen. Aus der letzteren ergibt sich zusätzlich, daß die Sekretärin ihren Vorgesetzten und auch die Kanzlei des Vertreters der Beschwerdeführerin von ihrem Versäumnis unter anderem deswegen nicht informiert habe, weil sie gehofft habe, daß die Berufungsfrist allenfalls überschritten würde. Daher habe sie die Kanzlei des Vertreters der Beschwerdeführerin auch nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Berufungsfrist allenfalls überschritten sein könnte, sondern nur dringend ersucht, die Berufung noch am gleichen Tag einzubringen.

Mit Schreiben vom 8. Februar 1990 forderte die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung den Vertreter der Beschwerdeführerin auf, binnen vier Wochen ein ärztliches Attest über die Krankheit der L beizubringen.

Mit schriftlicher Mitteilung vom 5. März 1990 gab die Beschwerdeführerin bekannt, daß die Vorlage eines ärztlichen Attests über die Krankheit der L nicht möglich sei, da diese seinerzeit keinen Arzt aufgesucht habe. Es sei im Unternehmen der Beschwerdeführerin nicht üblich, für Krankenstände unter einer Dauer von vier Tagen eine ärztliche Bestätigung zu verlangen.

Mit Bescheid vom 9. März 1990 wies die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und gab gemäß § 71 Abs. 6 AVG 1950 dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung statt. Zur Begründung führte die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung im wesentlichen aus, daß die Beschwerdeführerin über einen eigenen Rechtsabteilungsbereich verfüge, wobei auch den Angestellten zuzumuten sei, daß ihnen der Grad der Dringlichkeit zur Einbringung von Rechtsmitteln bekannt sei, wobei diese durch die Frage Dris. G, ob der Bescheid wegen der Dringlichkeit auch tatsächlich abgesandt worden sei, augenscheinlich geworden sei. Die versandfertige Vorbereitung des Bescheides scheine daher nicht ausreichend bzw. dem Auftrag entsprechend.

Weiters sei die aufgetretene Bauchgrippe der L bis zum Zeitpunkt der Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages nicht attestiert worden. Da L im Hinblick auf ihre Leistungen Verläßlichkeit und Gründlichkeit bescheinigt werde, wäre ihr zumindest zumutbar gewesen, daß sie bei Bekanntgabe ihrer Krankheit auch auf die Dringlichkeit ihrer Posterledigung hingewiesen hätte. Die aufgetretene Krankheit mag zwar als unvorhergesehenes Ereignis eingestuft werden, scheine jedoch nicht so schwerwiegend, daß dadurch auch ein gänzlicher Wegfall der Dispositionsfähigkeit anzunehmen gewesen sei. Schließlich sei gerade im Bereich der Rechtsabteilung ein geordnetes System der Posterledigung unerläßlich und scheine es nicht glaubwürdig, daß die versandfertige Post solange liegen bleibe, bis die Angestellte, welche das Poststück bearbeitet hat, dieses der Postbeförderung zuführe. Eine zeugenschaftliche Einvernahme zu den schriftlich abgegebenen Erklärungen sei deshalb nicht erforderlich gewesen. Die aufschiebende Wirkung sei dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung deswegen zuerkannt worden, weil die Nichterfüllung der sich aus dem Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde E vom 23. September 1981 ergebenden Verpflichtung der Beschwerdeführerin, die private Aufschließungsstraße hart und staubfrei zu befestigen, bislang noch zu keiner erheblichen Beeinträchtigung des öffentlichen Wohles geführt habe.

In der dagegen erhobenen Berufung wies die Beschwerdeführerin insbesondere darauf hin, daß nicht erkennbar sei, ob die Behörde den Sachverhalt als nicht bescheinigt angenommen habe (dann hätte sie die beantragten Zeugen vernehmen müssen) oder nur, daß er als Wiedereinsetzungsgrund nicht ausreiche.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 9. März 1990 insoweit abgeändert, als der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 6. Oktober 1989 betreffend Versäumung einer Berufungsfrist als unzulässig zurückgewiesen wurde. Eine der formalen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Wiedereinsetzungsantrages sei nach § 71 Abs. 2 AVG 1950 die Einhaltung der einwöchigen Frist ab Kenntnisnahme der Verspätung des eingebrachten Rechtsmittels. Während offensichtlich die Berufungswerberin die Auffassung vertrete, daß der Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Verspätung des eingebrachten Rechtsmittels mit dem Zeitpunkt der amtswegigen Mitteilung dieser Verspätung ident sei, könne sich die Berufungsbehörde dieser Rechtsauffassung besonders im Hinblick auf die im Wiedereinsetzungsverfahren maßgeblichen Sorgfaltspflichten nicht anschließen. Bereits die zeugenschaftliche Erklärung der Angestellten, die das Versehen der Fristversäumnis zu vertreten habe, zeige, daß sie um die Verspätung der Berufung bereits im Zeitpunkt der Übergabe des Schriftstückes, also am 31. März 1989, sehr wohl gewußt habe, aus diversen Gründen jedoch eine dezidierte Mitteilung an die Rechtanwaltskanzlei unterlassen habe. Doch auch dieser gegenüber habe sie sich dahingehend geäußert, daß die Berufungsfrist möglicherweise bereits überschritten sei (diese Annahme ist aktenwidrig). Nicht nur die gegenüber der Rechtsanwaltskanzlei geäußerten Zweifel an der Einhaltung der Berufungsfrist, sondern auch die "an sich übliche Übergabe des Bescheides mit dem Rückschein am 31. März 1989" hätten dem Vertreter bei Einhaltung der ihm zumutbaren Sorgfaltspflicht die Verspätung unzweifelhaft erkennen lassen müssen. Bei der vorliegenden Sach- und Rechtslage sei nach Ansicht der Berufungsbehörde unzweifelhaft davon auszugehen, daß als maßgeblicher Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Verspätung - wonach die einwöchige Frist gemäß § 71 Abs. 2 AVG 1950 zu berechnen sei - der 31. März 1989 anzusehen sei. Da der Wiedereinsetzungsantrag am 6. Oktober 1989 gestellt worden sei, sei er im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG 1950 als unzulässig anzusehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde, die auch die Akten des Verwaltungsverfahrens vorlegte, erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Hierüber hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Nach § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 357/1990 ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen.

Gemäß § 71 Abs. 2 AVG 1950 muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach Aufhören des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

Nach § 12 AVG 1950 sind die Vorschriften dieses Gesetzes über die Beteiligten auch auf deren gesetzliche Vertreter und Bevollmächtigte zu beziehen.

Die Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrages nach § 71 Abs. 2 AVG 1950 ist ab Kenntnis der Verspätung des eingebrachten Rechtsmittels zu berechnen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1983, Zl. 82/06/0056, mit einem weiteren Hinweis auf die Rechtsprechung). Als Hindernis im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG 1950 ist jenes Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 zu verstehen, das die Fristeinhaltung verhindert hat,im vorliegenden Fall also das Verhalten der nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin als verläßlich bekannten Sekretärin, der lediglich Botenfunktion zukam, sodaß es auf ihr Wissen (oder Verschweigen) nicht ankommt. Daß sie nämlich anläßlich der verspäteten Übergabe des Schriftstückes an die Rechtsanwaltskanzlei sich dahingehend geäußert habe, daß die Berufungsfrist möglicherweise bereits überschritten sei, steht mit der im angefochtenen Bescheid richtig wiedergegebenen Erklärung der Kanzleiangestellten, auf deren Inhalt sich die belangte Behörde in ihrer Begründung beruft, in offensichtlichem Widerspruch, denn danach heißt es ausdrücklich: "Daher habe ich die Kanzlei Dr. K auch nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Berufungsfrist eventuell überschritten sein könnte, sondern habe nur dringend ersucht, die Berufung noch am gleichen Tag einzubringen."

Insofern also ist die Begründung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid aktenwidrig. Nicht völlig klar ist die zweite Begründung, daß auch "die an sich übliche Übergabe des Bescheides mit dem Rückschein am 31.3.1989" "dem Rechtsvertreter bei Einhaltung der ihm zumutbaren Sorgfaltspflicht die Verspätung unzweifelhaft" hätte "erkennen lassen müssen"; sie reicht nicht aus, davon auszugehen, daß als maßgeblicher Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Verspätung der 31. März 1989 anzusehen ist. Irgendwelche objektiven Gründe, denen zufolge der Rechtsanwalt an der Rechtzeitigkeit der sofortigen Einbringung der Berufung zweifeln hätte müssen, hat die Behörde nicht dargetan.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensbestimmungen nach § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990060071.X00

Im RIS seit

24.01.1991

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten