TE Vwgh Erkenntnis 1991/1/28 90/19/0258

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Veröffentlicht am 28.01.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ArbIG 1974 §6 Abs1;
AVG §56;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 22. März 1990, Zl. 60.010/8-3/90, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Sachen Aufforderung des Arbeitsinspektorates gemäß § 6 Abs. 1 ArbIG 1974, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Anläßlich einer Erhebung im Betrieb des Beschwerdeführers am 4. Oktober 1989 und auf Grund der nachgereichten Unterlagen wurden vom Arbeitsinspektorat für den 5. Aufsichtsbezirk Übertretungen des Heimarbeitsgesetzes 1960, BGBl. Nr. 105/1961, festgestellt.

Das Arbeitsinspektorat für den 5. Aufsichtsbezirk richtete hierauf an den Beschwerdeführer ein (undatiertes) Schreiben mit folgendem Wortlaut:

"Betr.: Aufforderung gemäß § 6 (1) ArbIG 1974

Im Anschluß an die am 4. 10. 1989 in Ihrem Betrieb sowie der, aufgrund Ihrer nachgereichten Unterlagen, bei den mit Heimarbeit beschäftigten Personen durchgeführten Heimarbeitserhebungen, werden Ihnen aufgrund § 6 Arbeitsinspektionsgesetzes BGBl. Nr. 143 vom 5. 2. 74 zur Einhaltung der Bestimmungen des Heimarbeitsgesetzes 1960 BGBl. Nr. 105/61 in der derzeit geltenden Fassung, folgende Aufträge erteilt:

1)

Gemäß § 7 des Heimarbeitsgesetzes ist vom Auftraggeber eine fortlaufende richtiggestellte Liste aller unmittelbar beschäftigten Heimarbeiter, Zwischenmeister und Mittelspersonen in zweifacher Ausfertigung zu führen, deren Form und Inhalt durch Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung geregelt wurde. Die erste Ausfertigung ist bis zum 15. Jänner eines jeden Jahres (über das vergangene Jahr) dem Arbeitsinspektorat vorzulegen. Diese Liste ist unverzüglich nachzureichen.

2)

Gemäß § 8 Abs. 1 ist ein Abdruck des Heimarbeitsgesetzes 1960, BGBl. Nr. 105/61 in der derzeit geltenden Fassung, in den Räumen in denen die Arbeit abgeliefert oder vergeben wird, an gut sichtbarer Stelle zur Einsichtnahme für die mit Heimarbeit Beschäftigten aufzulegen.

3)

Gemäß § 10 Heimarbeitsgesetz sind Auftraggeber verpflichtet für Heimarbeiter die gesetzlichen Abrechnungsnachweise in zweifacher Ausfertigung zu führen.

Die Erstausfertigung ist drei Jahre im Betrieb des Auftraggebers aufzubewahren, die Zweitausfertigung ist nachweislich an die mit Heimarbeit Beschäftigten auszufolgen und von diesen ebenfalls aufzubewahren. Die Abrechnungsnachweise sind ordnungsgemäß, dem Vordruck entsprechend, zu führen.

Insbesonders ist die Arbeitszeit für jedes Arbeitsstück oder die Berechnungsgrundlage (z.B.: Stundenlohngrundlage oder die Vorgabe einer zu leistenden Arbeitsmenge pro Stunde), die den Stückentgelten zugrundegelegt wird, einzutragen.

4)

Aufgrund des geltenden Heimarbeitstarifs T V/6/33-88 gebührt den Heimarbeitern ein Heimarbeitszuschlag in der Höhe von 10 Prozent in Form eines Zuschlages zu den erzielten Arbeitsentgelten. Dieser Zuschlag ist in die Lohnsteuerbemessungsgrundlage miteinzubeziehen, jedoch sozialversicherungsfrei und gesondert auszuweisen.

5)

Gemäß § 18 Heimarbeitsgesetz haben Heimarbeiter Anspruch auf Feiertagsentgelt. Es ist in Form eines Zuschlages zu den erzielten Arbeitsentgelten (ohne Unkostenzuschläge) einschließlich allfällig gezahlter Urlaubsentgelte und Entgelte gemäß § 27 (Krankenentgelte) in der Höhe von 4 Prozent bzw. 4 1/3 Prozent für Angehörige der Evangelischen Kirche AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Methodisten zu leisten. Das Feiertagsentgelt ist jeweils bei der ersten Entgeltzahlung nach dem 15. März und nach dem 15. September abzurechnen und auszuzahlen.

6)

Das Urlaubsentgelt gem. § 22 Heimarbeitsgesetz beträgt bei einem Urlaubsausmaß von 2 1/2 Werktagen pro Monat 10 Prozent und bei einem Urlaubsausmaß von 3 Werktagen pro Monat 12 Prozent (= nach 25 Beschäftigungsjahren) des Arbeitsentgeltes, das für den Urlaubszeitraum gebührt hat, zuzüglich allfällig gezahlter Feiertags- und Urlaubsentgelte, sowie Entgelte gem. § 27 (Krankenentgelte). Das Urlaubsausmaß umfaßt nur VOLLE Beschäftigungsmonate. Das Urlaubsentgelt ist vor Antritt des Urlaubs abzurechnen und auszuzahlen.

7)

Gemäß § 27 a des Heimarbeitsgesetzes gebühren den Heimarbeitern Urlaubszuschuß und Weihnachtsremuneration in der Höhe von 2 Prozent je Wochenlohn, in dem Ausmaß des für Ihre Betriebsarbeiter geltenden Kollektivvertrages, der im Abrechnungszeitraum erzielten Arbeitsentgelte einschließlich allfällig gezahlter Urlaubsentgelte, Feiertagsentgelte und Entgelte gem. § 27 (Krankenentgelte), jedoch ausschließlich der Unkostenzuschläge. Der Urlaubszuschuß ist jeweils vor Urlaubsantritt für den Urlaubszeitraum abzurechnen und auszuzahlen.

8)

Endabrechnungen sind folgendermaßen durchzuführen:

Zuerst wird das noch fällige Feiertagsentgelt ermittelt und dieses in die Berechnungsgrundlage für die Abrechnung des Urlaubsentgeltes (Urlaubsentschädigung oder Urlaubsabfindung) einbezogen. Sowohl letztermitteltes Feiertagsentgelt wie auch das Urlaubsentgelt bzw. die Urlaubsentschädigung sind in die Berechnungsgrundlage für die Errechnung des fällig gewordenen Urlaubszuschusses und der Weihnachtsremuneration einzubeziehen.

Die sich aus Punkt 4) bis 8) ergebenden Minderbeträge sind allen mit Heimarbeit beschäftigten Personen, beginnend mit Oktober 1986, unverzüglich nachzuverrechnen und nachweislich auszuzahlen. Eine diesbezügliche Meldung ist unter Angabe der einzelnen Bruttobeträge ha.

bis spätestens 5. März 1990

vorzulegen."

Die gegen dieses Schreiben vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wies der Bundesminister für Arbeit und Soziales (belangte Behörde) mit Bescheid vom 22. März 1990 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unzulässig zurück.

Begründend wurde im wesentlichen nach Wiedergabe des § 6 Abs. 1 und 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 (ArbIG 1974) ausgeführt, Ziel der Aufforderung gemäß § 6 Abs. 1 ArbIG 1974 sei es, den Arbeitgeber dazu anzuhalten, jenen Zustand, der der Rechtslage entspreche und den er herzustellen habe, unverzüglich herbeizuführen. Für die Nichtbefolgung der Aufforderung nach § 6 Abs. 1 ArbIG 1974 bestehe keine eigene Strafsanktion. Das Arbeitsinspektorat habe vielmehr Anzeige wegen der Nichtherstellung des gesetzmäßigen Zustandes, also der Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde zu erstatten. Jede Nichteinhaltung einer Arbeitnehmerschutzvorschrift löse bereits für sich die für sie bestehende Strafsanktion aus. An die Aufforderung gemäß § 6 Abs. 1 ArbIG 1974 seien unmittelbar keine Rechtswirkungen geknüpft, es würden lediglich bereits bestehende gesetzliche Verpflichtungen nochmals schriftlich festgehalten werden. Die Aufforderung sei daher nicht als Bescheid anzusehen, es könne gegen sie daher nicht mit dem Rechtsmittel der Berufung vorgegangen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Abs. 1 und 2 von § 6 des Bundesgesetzes vom 5. Februar 1974 über die Arbeitsinspektion (Arbeitsinspektionsgesetz 1974 - ArbIG 1974) lauten wie folgt:

"(1) Stellt der Arbeitsinspektor die Übertretung einer dem Schutz der Arbeitnehmer dienenden Vorschrift fest, so hat er den Arbeitgeber oder dessen Bevollmächtigten aufzufordern, unverzüglich den den geltenden gesetzlichen Vorschriften und behördlichen Verfügungen entsprechenden Zustand herzustellen. Diese Aufforderung hat das Arbeitsinspektorat schriftlich vorzunehmen, wenn sie wesentliche oder eine größere Zahl von Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer betrifft. Eine Ausfertigung der schriftlichen Aufforderung ist den Betriebsvertretungen zu übersenden.

(2) Wird der Aufforderung nach Abs. 1 nicht entsprochen, so hat das Arbeitsinspektorat Anzeige an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde zu erstatten, falls die Anzeige nicht bereits anläßlich der Feststellung der Übertretung erstattet wurde. Mit der Anzeige kann auch ein Strafausmaß beantragt werden."

Im Beschwerdefall ist allein die Frage strittig, ob einem ausdrücklich auf § 6 Abs. 1 ArbIG 1974 gestützten Schreiben eines Arbeitsinspektorates Bescheidcharakter zukommt oder nicht.

Der Beschwerdeführer bringt dazu - wie zum Teil bereits in seiner Berufung - in der Beschwerde vor, das Arbeitsinspektorat sei eine Behörde (§ 2 Abs. 1 ArbIG 1974), welche vom Gesetzgeber mit Hoheitsaufgaben betraut sei, woraus denknotwendig folge, daß das Arbeitsinspektorat mit dem entsprechenden Imperium (kraft Gesetzes) ausgestattet sei. Im streitgegenständlichen Schreiben des Arbeitsinspektorates seien in befehlender Formulierung Aufträge "zur Einhaltung der Bestimmungen des Heimarbeitsgesetzes" erteilt worden. Diese Aufträge seien durch eine zusätzliche Willensäußerung derart ergänzt worden, daß ganz bestimmte Fristen für die Erfüllung der erteilten Aufträge durch die Behörde gegenüber dem Beschwerdeführer festgesetzt worden seien. Daraus ergebe sich eindeutig, daß die Behörde mit ihren an den Beschwerdeführer unter Fristsetzung erteilten Aufträgen von ihrem Imperium Gebrauch gemacht habe, und zwar individuell abgestellt auf den Beschwerdeführer und offensichtlich getragen von dem Willen, dem Beschwerdeführer ein bestimmtes mit individueller Normqualität gekennzeichnetes Verhalten anzuordnen.

Diesen Ausführungen vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu folgen.

Wie von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend ausgeführt, ist die Arbeitsinspektion die zur Wahrnehmung des gesetzlichen Schutzes der Arbeitnehmer berufene Behörde (§ 2 Abs. 1 ArbIG 1974). Ihr obliegt die Überwachung der Einhaltung der dem Schutz der Arbeitnehmer dienenden gesetzlichen Vorschriften und behördlichen Verfügungen hinsichtlich des Schutzes des Lebens, der Gesundheit, der Sittlichkeit der Arbeitnehmer, der Beschäftigung von Jugendlichen und weiblichen Arbeitnehmern, des Schutzes von Lehrlingen etc. durch ihre Organe (Arbeitsinspektoren). Stellt der Arbeitsinspektor die Übertretung einer dem Schutz der Arbeitnehmer dienenden Vorschrift fest, so hat er den Arbeitgeber aufzufordern, unverzüglich den Zustand herzustellen, der nach den gesetzlichen Vorschriften und behördlichen Verfügungen gefordert ist; wird dieser Aufforderung nicht entsprochen, so hat der Arbeitsinspektor Anzeige an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde, in der Regel die Bezirksverwaltungsbehörde, zu erstatten, wobei er auch das Strafausmaß beantragen kann (§ 6 Abs. 1 und 2 ArbIG 1974). Nur in Fällen unmittelbar drohender Gefahr für Leben und Gesundheit von Arbeitnehmern hat der Arbeitsinspektor "anstelle der zuständigen Behörde die erforderliche Verfügung mit der gleichen Wirkung zu treffen, als ob sie von dieser Behörde erlassen worden wäre". Dieser Bescheid ist ohne vorangegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen und als einstweilige Verfügung sofort vollstreckbar (§ 7 Abs. 3 ArbIG 1974).

Der Arbeitsinspektion sind somit zwar hoheitliche Befugnisse übertragen, doch liegt das Schwergewicht der gesetzlichen Regelung auf der vorausgehenden Aufforderung des Arbeitsinspektors an den Arbeitgeber, den gesetzmäßigen Zustand herzustellen. Nur ausnahmsweise können die Arbeitsinspektorate selbst Bescheide erlassen. Für die erstgenannte Tätigkeit dieser Verwaltungsorgane wird von einem Teil der Lehre die Bezeichnung "schlichte Hoheitsverwaltung" verwendet. Darunter versteht man ein Verwaltungshandeln, das nicht privatwirtschaftlicher Natur ist, sondern zum Bereich der Hoheitsverwaltung gehört, auch wenn im konkreten Fall kein Hoheitsakt gesetzt wird. In der schlichten Hoheitsverwaltung werden die Verwaltungsorgane nicht in den Handlungsformen des Bescheides, des unmittelbaren Befehls- und Zwangsaktes sowie der Verordnung tätig, obwohl diese ihre Befugnis, anzuordnen und durchzusetzen, im Hintergrund vorhanden ist. In diesem Sinn ist die schlichte Hoheitsverwaltung eine potentiell hoheitliche Verwaltung, die durch Einsatz von Imperium zur aktuell hoheitlichen Verwaltung werden kann; es handelt sich also um eine "verschiedene Intensität" einer Verwaltungstätigkeit, die insgesamt zum Bereich der Hoheitsverwaltung gehört (siehe zum Ganzen Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht,

2. Auflage, S. 23 f).

Im Lichte dieser Betrachtungsweise stellt die zwar zum Bereich der Hoheitsverwaltung zählende, vom Arbeitsinspektorat gemäß § 6 Abs. 1 ArbIG 1974 an den Beschwerdeführer gerichtete Aufforderung, den gesetzmäßigen Zustand herzustellen, keinen Hoheitsakt dar. Einer Aufforderung nach § 6 Abs. 1 ArbIG 1974 kommt demgemäß mangels rechtserzeugenden oder rechtsfeststellenden Inhaltes der Charakter eines Bescheides nicht zu.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Belehrungen Mitteilungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990190258.X00

Im RIS seit

23.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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