Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher, Dr. Weiss, DDr. Jakusch und Dr. Gruber als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Puntigam, über die Beschwerde der N-GesmbH gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 19. April 1990, Zl. 312.450/1-III-3/90, betreffend Vorschreibung einer Auflage gemäß § 79 GewO 1973 (mitbeteiligte Partei: A in X), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien - Magistratisches Bezirksamt für den 22. Bezirk - vom 14. April 1989 wurde der Beschwerdeführerin in Ansehung ihrer mit Bescheid vom 25. September 1986 rechtskräftig genehmigten Betriebsanlage für die Ausübung der Konzession des Gast- und Schankgewerbes in der Betriebsart eines Cafe-Restaurants im Standort Wien 22., Z-Straße 26, gemäß § 79 GewO 1973 als zusätzliche Auflage eine Betriebszeit ausschließlich von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr vorgeschrieben.
Einer dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin gab der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 4. September 1989 mit der Maßgabe keine Folge, als die in Rede stehende Vorschreibung wie folgt zu lauten habe:
"Die Betriebsanlage darf nur in der Zeit von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr betrieben werden."
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin bringe in der Berufung vor, daß die Geräusche aus der Betriebsanlage zu einem Zeitpunkt gemessen worden seien, zu dem erfahrungsgemäß die stärkste Gästefrequenz bestehe (Freitag). Auch seien die vom Individualverkehr hervorgerufenen Störgeräusche in der Z Straße bei der Beurteilung der Auswirkungen der betriebskausalen Störgeräusche auf die Nachbarn nicht beachtet und es wären mittlerweile eine Reihe von Schallschutzmaßnahmen durchgeführt worden. Um beurteilen zu können, inwieweit den Berufungsausführungen Berechtigung zukomme, sei in Ergänzung des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens ein Gutachten der Magistratsabteilung 15 (Gesundheitsamt) eingeholt worden. In diesem habe der medizinische Amtssachverständige nach Vornahme eines Augenscheines am 8. Juni 1989 in der Zeit von 22.00 Uhr bis 22.45 Uhr folgendes ausgeführt: In dem oberhalb der Betriebsanlage gelegenen Schlafzimmer der mitbeteiligten Partei habe mit einiger Aufmerksamkeit wahrgenommen werden können, daß in der Betriebsanlage gesprochen worden sei. Es seien auch Geräusche in der Art von Sesselrücken hörbar gewesen, die allerdings nicht mit Sicherheit der Betriebsanlage hätten zugeordnet werden können. Im Vorzimmer seien Geräusche von Gästen (Gespräche) aus der Betriebsanlage deutlich hörbar. Nach dem Verlassen der Wohnung habe festgestellt werden können, daß sich im vorderen Teil des Lokales im Bereich der Bar 15 Gäste aufgehalten hätten, während sich im hinteren Teil der Betriebsanlage nur zwei Personen befunden hätten. Im Zuge der bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgenommenen Schallpegelmessung am 20. Jänner und 10. Februar 1989 seien in einem Aufenthaltsraum der Wohnung des Beschwerdeführers ab 22.00 Uhr folgende L(A)-bewertete Schallpegel gemessen worden:
Grundgeräuschpegel 26 dB; am 20. Jänner 1989: Störgeräusche durch Gespräche der Gäste bis 39 dB, Störgeräusche durch Sesselrücken der Gäste 37 dB. Am 20. Februar 1989:
Störgeräusche durch Unterhaltung der Gäste 34 bis 37 dB, Störgeräusche durch Lachen eines Gastes 37 dB, Poltergeräusche aus der Betriebsanlage 35 dB. Fußend auf diesem Meßergebnis und auf Grund der eigenen Wahrnehmungen habe der medizinische Amtssachverständige weiter ausgeführt, daß die vom Individualverkehr der Z Straße erzeugten Geräusche zwar eine wichtige Rolle im vorgefundenen Geräuschspektrum spielten, aber aus Erfahrung im Laufe der Nachstunden mit einem Abnehmen der Fahrzeugfrequenz zu rechnen sei. Dadurch würden die betriebskausalen Geräusche in den späten Nachtstunden noch deutlicher in Erscheinung treten. Weiters sei zu berücksichtigen, daß sich zum Zeitpunkt der Erhebung fast alle Gäste im vorderen Teil der Betriebsanlage aufgehalten hätten, während das Schlafzimmer der mitbeteiligten Partei oberhalb des hinteren Teiles des Betriebes gelegen sei. Die betriebskausalen Störgeräusche zeichneten sich durch Impuls- (Poltergeräusche) bzw. Informationshaltigkeit (Gespräche der Gäste) aus. Es müsse auch angemerkt werden, daß durch Körperschall übertragene Immissionen (durch die niedrigen Frequenzen und den "dumpfen" Charakter) eher als Störung empfunden würden, als durch Luftschall übertragene. Auf Grund der festgestellten Qualität (Körperschall, Informations- und Impulscharakter) und der beschriebenen Intensität (z.B. Störgeräusche bis 11 dB über dem herrschenden Grundgeräuschpegel) seien die Immissionen aus der Betriebsanlage geeignet, Schlafstörungen, vor allem Einschlafstörungen und eine Verringerung der Schlaftiefe, zu bewirken. Schlafdefizite führten zu Müdigkeiten und erhöhter Reizbarkeit sowie über eine Aktivierung des vegetativen Nervensystems zu organmanifesten Veränderungen, etwa im Herz-Kreislauf-Bereich. Im Hinblick auf diese gutächtlichen Ausführungen, deren Schlüssigkeit auch nicht durch die gegenteiligen Behauptungen der Beschwerdeführerin in Frage hätten gestellt werden können, habe sich die erkennende Behörde zu dem spruchgemäßen Vorgehen gehalten gesehen. Gemäß den im § 77 Abs. 2 GewO 1973 festgelegten Beurteilungskriterien müßten die von der gegenständlichen Betriebsanlage derzeit ausgehenden Lärmbelästigungen als für die Nachbarn unzumutbar und bei längerer Fortdauer gesundheitsgefährdend bezeichnet werden, sodaß es notwendig gewesen sei, zumindest die Nachtruhe für den betroffenen Personenkreis zu gewährleisten. An der vorgenommenen Betriebszeitenregelung vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, daß die Beschwerdeführerin der mitbeteiligten Partei eine Ersatzwohnung angeboten habe. Dies deshalb, weil der betroffene Nachbar nicht verpflichtet sei, von diesem Angebot Gebrauch zu machen bzw. seinerseits schalldämmende Maßnahmen zu setzen. Diese müßten allein im Betrieb durchgeführt werden. Im Berufungsverfahren habe sich aber gezeigt, daß die in der Berufung aufgeführten Schallschutzmaßnahmen offenbar nicht ihrer Zielsetzung gerecht werden.
Einer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin gab der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom 19. April 1990 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 aus dessen im wesentlichen zutreffenden Gründen, welche durch die Berufungsausführungen nicht hätten entkräftet werden können, keine Folge. Ergänzend werde bemerkt, es sei klarzustellen, daß die bekämpfte Auflage zum Schutz der Gesundheit von Nachbarn vorgeschrieben worden sei. In einem solchen Fall sei jedoch die in einem Verfahren gemäß § 79 GewO 1973 zu beachtende Verhältnismäßigkeit jedenfalls gegeben. Das von den Vorinstanzen durchgeführte Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß die in der Wohnung der mitbeteiligten Partei auftretenden Lärmimmissionen durch die in der Betriebsanlage in Entsprechung zum Bescheid des Magistrats der Stadt Wien - Magistratisches Bezirksamt für den 22. Bezirk - vom 5. Mai 1988 gesetzten Schallschutzmaßnahmen nicht wesentlich vermindert worden seien. Dies deshalb, da die gesetzten Maßnahmen lediglich zum Schutze vor Luftschall, nicht jedoch vor Trittschall oder Körperschall, dienten. Der gewerbetechnische Amtssachverständige des Bundesministeriums habe in seiner gutächtlichen Äußerung vom 15. Februar 1990 die zitierten Vorgutachten (Stellungnahme der MA 22 vom 14. Februar 1989 und vom 31. August 1988) bestätigt und weiter ausgeführt, daß "auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes keine technischen Vorschläge zur sicheren Reduzierung der aus der Betriebsanlage herrührenden Geräuscheinwirkungen gemacht werden könnten". Bereits der beim von der Bundespolizeidirektion Wien am 11. März 1988 durchgeführten Augenschein anwesende medizinische Amtssachverständige habe die auftretenden betriebskausalen Geräusche auf Grund der damit verbundenen Schlafstörungen als gesundheitsgefährdend bezeichnet. Diese Einschätzung sei im medizinischen Gutachten vom 21. Juni 1989 "mit hoher Wahrscheinlichkeit" bestätigt worden. Die Verwendung dieser Formulierung vermöge die Beweiskraft des Gutachtens nicht abzuschwächen, da absolute Sicherheit im Leben nie erreichbar sei. In der dem Bundesministerium vorliegenden Berufung seien die Ergebnisse der durchgeführten Lärmmessungen in ihrer sachlichen Richtigkeit nicht bestritten, sondern lediglich mit dem Hinweis darauf zu relativieren versucht worden, daß "die von der Behörde gemessenen Höchstwerte sicherlich nicht täglich erreicht" würden. Damit könne aber die Notwendigkeit der in Rede stehenden Auflage nicht bestritten werden, da die gemessenen Höchstwerte bei ordnungsgemäßem Betrieb der Betriebsanlage regelmäßig auftreten könnten und die Vorschreibung von Auflagen der Vermeidung der "aus den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren" Gefährdung diene (§ 77 Abs. 1 GewO 1973).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Beschwerde keine Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Ihrem Vorbringen zufolge erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht zum Betrieb der für die Ausübung des Gast- und Schankgewerbes in der Betriebsart eines Cafe-Restaurants rechtskräftig genehmigten Betriebsanlage auch über 22.00 Uhr hinaus verletzt. Sie bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, schon das von der belangten Behörde weiterverwendete Schallmeßergebnis der Magistratsabteilung 22 (Bericht vom 14. Februar 1989) sei offenbar unzutreffend. Ein durch die Verkehrsgeräusche im Zuge der sehr stark befahrenen Z Straße bedingter Grundgeräuschpegel von nur 26 dB(A) könne nicht richtig gemessen sein, da er jedem bekannten Erfahrungswert für den Grundgeräuschpegel an solchen Straßen, der regelmäßig im Bereich von 40 dB(A) liege, widerspreche. Die Beschwerdeführerin habe in sämtlichen Verfahren immer wieder auf die offenbare Unrichtigkeit dieses Meßergebnisses hingewiesen, ohne daß dies eine der drei involvierten bescheiderlassenden Behörden, insbesondere die belangte Behörde, dazu bewogen hätte, durch weitere Messungen die Richtigkeit des ersten Meßergebnisses zu überprüfen. Es sei daher den Grundsätzen der Amtswegigkeit des Verfahrens gröblichst zuwider gehandelt worden. Der angefochtene Bescheid habe sich mit dem diesbezüglichen Vorbringen in keiner Weise auseinandergesetzt und sei daher auch mangelhaft begründet. Von besonderer Bedeutung sei das von der belangten Behörde ebenfalls übernommene Gutachten der MA 15 vom 21. Juni 1989. Die MA 15 habe bei der Befundaufnahme festgestellt, daß im Schlafzimmer der mitbeteiligten Partei lediglich mit einiger Aufmerksamkeit habe wahrgenommen werden können, daß in der Betriebsanlage gesprochen worden sei. Die anderen Störgeräusche (Art von Sesselrücken) hätten bei der Befundaufnahme vom 8. Juni 1989 nicht mit Sicherheit der Betriebsanlage zugeordnet werden können. Wenn es aber einiger Aufmerksamkeit bedürfe, um von der Wohnung der mitbeteiligten Partei aus festzustellen, daß in der darunterliegenden Betriebsanlage gesprochen werde, dann könne die betreffende Geräuschimmission unmöglich das von der belangten Behörde angenommene Maß der Gesundheitsgefährdung erreichen. Diese Gesundheitsgefährdung werde ja auf der Basis der von der belangten Behörde zitierten Gutachten darin gesehen, daß die Geräuschimmission Einschlafstörungen oder Veränderungen der Schlaftiefe nach sich ziehe. Nun sei die Annahme, daß jemand, der einschlafe oder bereits schlafe, "einige Aufmerksamkeit" darauf verwende, von außen kommende Geräusche wahrzunehmen, denkunmöglich. In diesem Bereich, also im Bereich der Schallimmission durch Gästegespräche, sei weiter zu bedenken, daß auch die von der belangten Behörde eingeholte gutächtliche Äußerung der Abteilung III/2 nicht von der Unmöglichkeit der Immissionsdämpfung durch entsprechende schalldämmende Maßnahmen ausgehe, da diese Äußerung lediglich von der mangelnden Möglichkeit nachträglicher, schalltechnischer Verbesserungen im Bereich der Körperschallübertragung, nicht aber auch der Luftschallübertragung ausgehe, Maßnahmen im Bereich der Luftschallübertragung hingegen für möglich und zielführend halte. Bei den Gesprächsgeräuschen liege nun eindeutig Luftschallübertragung, nicht Körperschallübertragung vor. In diesem Bereich seien also auch nach den im Verfahren dritter Instanz eingeholten Gutachten Maßnahmen möglich. Solange aber unter Berücksichtigung der Interessen des Betriebsinhabers "mildere" Maßnahmen zum Schutz der vom § 74 Abs. 2 GewO 1973 bedachten Interessen zum Ziele führen könnten, solange habe die Behörde unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgebotes und des Übermaßverbotes diese "milderen" Maßnahmen heranzuziehen und dürfe Maßnahmen, die die Interessen des Betriebsanlageninhabers stärker beeinträchtigten, nicht vorschreiben. In der Unterlassung und der Vorschreibung derartiger anderer Schallschutzmaßnahmen - soweit überhaupt erforderlich - liege sohin eine weitere inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides begründet. Was nun die "zweite" Störmöglichkeit (Sesselrücken) betreffe, so habe die MA 15 nicht einmal mit Sicherheit diese entsprechenden Geräusche der Betriebsanlage zuordnen können. In diesem Zusammenhang sei im Verfahren dritter Instanz keine wie immer geartete Ortsverhandlung oder auch nur Befundaufnahme durch Amtssachverständige durchgeführt worden. Vor allem sei darauf hinzuweisen, daß das sogenannte Gutachten des Bezirksgesundheitsamtes für den 22. Bezirk vom 9. März 1989 nicht im mindesten den Voraussetzungen für ein Gutachten gerecht werde. Insbesondere sei jede Befundaufnahme unterlassen worden, darüber hinaus werde lediglich apodiktisch und ohne jede nachvollziehbare Begründung eine Meinung vertreten, die in keiner Weise nachvollziehbar sei. Ebenso mangelhaft - und zweifelhaft - sei der Gutachtensteil der gutachtlichen Stellungnahme der MA 15 vom 21. Juni 1989, da dieser mit den Ergebnissen der Befundaufnahme (Seite 2 der genannten Stellungnahme) in unlösbarem Widerspruch stehe. Hier sei nochmals darauf hinzuweisen, daß die MA 15 auf Seite 2 der Stellungnahme feststelle, daß das Gesprächsgeräusch nur mit "einiger Aufmerksamkeit wahrgenommen" habe werden können und das Sesselrücken-Geräusch nicht mit Sicherheit der Betriebsanlage zugeordnet werden könne. Was schließlich das Amtsgutachten der Abteilung III/2 betreffe, so fehle es hier wiederum an jeglicher, wie immer gearteten Befundaufnahme. Verschärft werde diese "Gutachtenssituation" noch dadurch, daß die Beschwerdeführerin sowohl in den Unterinstanzen als auch die belangte Behörde mehrfach darauf hingewiesen habe, daß nach den (einzigen) Schallpegelmessungen der MA 22 im Jänner 1989 (weitere) schalldämmende Maßnahmen vorgenommen worden seien. Allein dieser Umstand habe bereits neue zusätzliche Schallmessungen unumgänglich notwendig erscheinen lassen, die dennoch weder von Unterinstanzen noch von der belangten Behörde in Auftrag gegeben worden seien. Es sei daher nicht einmal bekannt, ob die Immissionssituation (durch die weiteren von der Beschwerdeführerin gesetzten Maßnahmen) sich seit den ersten Schallpegelmessungen durch die MA 22 nicht grundlegend geändert habe.
Gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1973 hat die Behörde, wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid und im Betriebsbewilligungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die nach dem Stand der Technik und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem, wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit der Auflage angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen. Nach Abs. 2 sind zugunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 geworden sind, Auflagen im Sinne des Abs. 1 nur soweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen notwendig sind. Auflagen im Sinne des Abs. 1 zur Vermeidung einer über die unmittelbare Nachbarschaft hinausreichenden beträchtlichen Belastung durch Luftschadstoffe, Lärm oder Sonderabfälle sind, sofern sie nicht unter den ersten Satz fallen, zugunsten solcher Personen nur dann vorzuschreiben, wenn diese Auflagen im Sinne des Abs. 1 verhältnismäßig sind.
Im Beschwerdefall ging die belangte Behörde von der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 79 Abs. 1 GewO 1973 unter Hinweis auf die Begründungsdarlegungen im zweitbehördlichen Bescheid davon aus, daß die nach den getroffenen Feststellungen auf Grund der betriebskausalen Abläufe hervorgerufenen Geräusche Schlafstörungen von Nachbarn herbeiführten, die als gesundheitsgefährdend zu bezeichnen seien.
Wie bereits dargelegt, hatte die zweitinstanzliche Behörde laut ihren Bescheiddarlegungen, um beurteilen zu können, inwieweit den Berufungsausführungen - wonach die Geräusche aus der Betriebsanlage zu einem Zeitpunkt gemessen worden seien, zu dem erfahrungsgemäß die stärkste Gästefrequenz bestehe (Freitag), und daß die vom Individualverkehr hervorgerufenen Störgeräusche in der Z Straße bei der Beurteilung der Auswirkungen der betriebskausalen Störgeräusche auf die Nachbarn nicht beachtet worden seien, sowie daß mittlerweile eine Reihe von Schallschutzmaßnahmen gesetzt worden sei - Berechtigung zukomme, in Ergänzung des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens ein Gutachten der MA 15 (Gesundheitsamt) eingeholt. In weiterer Folge bezog sich die Zweitbehörde bei ihren Sachverhaltsfeststellungen auf die Ausführung des medizinischen Amtssachverständigen auf Grund eines von diesem am 8. Juni 1989 in der Zeit von 22.00 Uhr bis 22.45 Uhr durchgeführten Augenscheines. Hiezu ist auszuführen, daß es im Rahmen eines nach § 79 Abs. 1 GewO 1973 zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 GewO 1973 normierten Interessen durchgeführten Verfahrens Aufgabe des beigezogenen gewerbetechnischen Amtssachverständigen ist, sich darüber zu äußern, welcher Art die von einer Betriebsanlage ausgehenden Einflüsse auf die Nachbarschaft sind, welche Einrichtungen der Betriebsanlage als Quelle solcher Immissionen anzusehen sind, und ob und durch welche Vorkehrungen die im Sinne der vordargestellten Gesetzeslage als relevant in Betracht kommenden Immissionen verhütet oder verringert werden können. Dem ärztlichen Sachverständigen fällt - fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen - die Aufgabe zu, darzulegen, welche Einwirkungen die nach der festgestellten Sachlage zu erwartenden Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus auszuüben vermögen. Auf Grund der Ergebnisse dieser dem Sachverhaltsbereich angehörenden Sachverständigengutachten hat sodann die Behörde ihre rechtlichen Schlüsse zu ziehen (vgl. hiezu sinngemäß die Darlegungen im hg. Erkenntnis vom 27. November 1990, Zl. 90/04/0150, und die dort zitierte weitere
hg. Rechtsprechung).
Im Beschwerdefall hatte sich die zweitinstanzliche Behörde laut den - bereits vordargestellten - Begründungsausführungen ihres Bescheides vom 4. September 1989, um beurteilen zu können, inwieweit den Berufungsausführungen Berechtigung zukomme, in Ergänzung des erstbehördlichen Ermittlungsverfahrens gehalten gesehen, ein medizinisches Amtssachverständigengutachten (MA 15 - Gesundheitsamt) einzuholen, dessen unter Bezugnahme auf den am 8. Juni 1989 durchgeführten Augenschein erfolgte Befundaufnahme über die in der Wohnung der mitbeteiligten Partei festgestellten betrieblichen Lärmimmissionen und die hieraus gezogenen Schlüsse, als Sachverhaltsfeststellungen übernommen wurden. Danach hat aber der ärztliche Amtssachverständige den für ihn nach den obigen Darlegungen auf Grund seiner Fachkunde bestehenden Aufgabenbereich überschritten, da selbst dann, wenn etwa hinsichtlich der Eigenart eines Geräusches, wie z.B. Impulscharakter, besondere Frequenzzusammensetzung und Informationshaltigkeit, subjektive Wahrnehmungen durch den ärztlichen Sachverständigen von Bedeutung sein können, dieser hiebei von dem objektiv durch den gewerbetechnischen Sachverständigen aufgenommenen Beweis in seinem Gutachten auszugehen hat (vgl. hiezu die entsprechenden Darlegungen im hg. Erkenntis vom 6. Dezember 1990, Zl. 90/04/0149, und die weitere dort zitierte hg. Rechtsprechung). Daran vermag auch der Umstand keine Änderung zu bewirken, daß der amtsärztliche Sachverständige nach den Begründungsdarlegungen im zweitbehördlichen Bescheid auf die bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgenommenen Schallpegelmessungen vom 20. Jänner und 10. Februar 1989 Bezug nahm, da die belangte Behörde ihrer Erörterung zu den Berufungsausführungen der Beschwerdeführerin insbesondere auch seine eigenen Befundaufnahmen zugrunde legte, deren Durchführung aber einem gewerbetechnischen Amtssachverständigen vorbehalten gewesen wäre. Dieser Verfahrensmangel haftet auch dem angefochtenen Bescheid an, da die belangte Behörde sich in diesem auf die "im wesentlichen zutreffenden Gründe" des zweitbehördlichen Bescheides bezog und diese sohin zum Inhalt ihrer Begründungsdarlegungen machte und ergänzend lediglich ausführte, daß der gewerbetechnische Sachverständige des Bundesministeriums in seiner gutächtlichen Äußerung vom 15. Februar 1990 die zitierten Vorgutachten bestätigt und weiters ausgeführt habe, daß "auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes keine technischen Vorschläge zur sicheren Reduzierung der aus der Betriebsanlage herrührenden Geräuscheinwirkungen gemacht werden könnten". Abgesehen von den im angefochtenen Bescheid weiters erörterten Fragen im Zusammenhalt mit dem Inhalt der ärztlichen Begutachtung läßt nämlich diese Darlegung keine Schlüssigkeitsprüfung zu, wobei darauf hinzuweisen ist, daß die angeführte Stellungnahme vom 15. Februar 1990 im übrigen den vorgelegten Verwaltungsakten nicht angeschlossen war.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid schon im Hinblick darauf mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Dieser war daher - ohne daß bei der gegebenen Verfahrenslage eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens zu erfolgen hatte - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
Sachverständiger Aufgaben Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker GewerbetechnikerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990040178.X00Im RIS seit
29.01.1991