TE Vfgh Erkenntnis 1988/6/13 B200/88

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Veröffentlicht am 13.06.1988
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1

Leitsatz

Ein Beschwerdefall, der zu Beginn der mündlichen Verhandlung im Normenprüfungsverfahren anhängig war, ist einem Anlaßfall gleichzuhalten; Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetze (nach Aufhebung der Bestimmungen über die Aufsichtsratsabgabe); Rechtsvertretung nicht ausgeschlossen

Spruch

Die Bf. wurden durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetze in ihren Rechten verletzt.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, den Bf. die jeweils mit S 11.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH sind (weitere) 298 Beschwerden gegen Bescheide von Finanzlandesdirektionen anhängig, mit welchen gemäß §240 Abs3 BAO gestellte Anträge auf Rückerstattung der Aufsichtsratsabgabe letztinstanzlich abgewiesen bzw. im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer die entrichtete Aufsichtsratsabgabe nicht auf die Einkommensteuer angerechnet wurde.

2. Die bf. Aufsichtsratsmitglieder behaupten in erster Linie, durch die Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt worden zu sein und beantragen die Aufhebung der insgesamt 298 angefochtenen Bescheide.

II. Mit Erkenntnis vom 17. März 1988, G37-61/88 = VfSlg. 11667/1988), hat der VfGH das Gesetz über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom 28. März 1934, DRGBl. I, S. 253, in der Fassung des BG BGBl. 587/1983, sowie die im Range eines BG stehende V des Reichsministers der Finanzen über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31. März 1939, DRGBl. I, S. 691, als verfassungswidrig aufgehoben.

III. Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist ein als verfassungswidrig aufgehobenes Gesetz auf den Anlaßfall nicht mehr anzuwenden.

Nach der Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 10616/1985) ist ein Beschwerdefall, der zu Beginn der mündlichen Verhandlung im Normenprüfungsverfahren anhängig war, einem Anlaßfall gleichzuhalten. Solche Fälle liegen hier vor, da die insgesamt 298 Beschwerden vor der im genannten Normenprüfungsverfahren am 8. März 1988, um 8.01 Uhr begonnenen mündlichen Verhandlung beim VfGH eingelangt sind.

Die bel. Beh. haben bei Erlassung der angefochtenen Bescheide verfassungswidrige Gesetze angewendet. Dies gilt auch für jene angefochtenen Bescheide, in deren Begründung für die Abweisung von Rückerstattungsanträgen die bel. Beh. sich nur auf die Vorschrift des §240 Abs3 BAO stützen zu können vermeinte. Nach den Bestimmungen über die Erhebung der Aufsichtsratsabgabe hat nämlich der Entrichtung dieser Abgabe kein Bescheid - auch kein Einkommensteuerbescheid - voranzugehen (s. hiezu Stoll, Bundesabgabenordnung, Wien 1980, S. 601). Die Vorschriften über die Erhebung der Aufsichtsratsabgabe waren von der Abgabenbehörde daher schon zur Prüfung der Frage anzuwenden, ob die Voraussetzungen für eine Antragstellung nach §240 Abs3 BAO gegeben waren.

In den Fällen, in denen die Rückerstattung der entrichteten Aufsichtsratsabgabe begehrt wurde, war die Gebührlichkeit dieser Abgabe als solche Gegenstand des Verfahrens, nicht aber - wie die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland in ihrer Gegenschrift meint - die Anrechnung der Aufsichtsratsabgabe auf die Einkommensteuer. In diesen Fällen ergibt sich also nach Wegfall der aufgehobenen Bestimmungen (und damit nach Wegfall der Verpflichtung zur Entrichtung dieser Abgabe) - wieder entgegen der Auffassung der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland nicht ein Anrechnungsproblem gemäß §46 Abs1 EStG, es ist vielmehr keine Rechtsgrundlage für die Erhebung (und Einbehaltung) der Aufsichtsratsabgabe als solche vorhanden. Von dieser Auffassung ist der VfGH bereits in seinen Erkenntnissen vom 17. März 1988, B72/87 und andere Zahlen, sowie vom 18. März 1988, B1083/87 und andere Zahlen, ausgegangen.

Es ist nach Lage der Fälle zumindest nicht ausgeschlossen, daß die Bf. durch die angefochtenen Bescheide in ihren Rechten verletzt wurden. Die Bescheide waren daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne daß auf andere relevierte Fragen eingegangen zu werden brauchte.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.

IV. Der Zuspruch der Kosten erfolgte gemäß §88 VerfGG. In den zugesprochenen Beträgen sind jeweils S 1.000,-- an Umsatzsteuer enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B200.1988

Dokumentnummer

JFT_10119387_88B00200_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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