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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. März 1990, Zl. 4 240.704/2-III/13/89, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige kurdischer Nationalität, reiste am 4. November 1987 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 10. Mai 1988 Asyl. Bei der niederschriftlichen Befragung am 16. August 1988 brachte die Beschwerdeführerin vor, sie und ihre Familienangehörigen seien Sympathisanten der "PKK". Kämpfer dieser Organisation seien 1986 in ihr Wohnhaus gekommen und von ihr mit Lebensmitteln versorgt worden. Die türkischen Behörden dürften davon Kenntnis erlangt haben und hätten ihren Vater verhaftet. Die Beschwerdeführerin sei kurz danach gefoltert worden. Man habe von ihr die Namen jener Personen erfahren wollen, die bei ihr im Haus gewesen seien. Wegen dieses Vorfalles habe sie Kars verlassen und sei nach Istanbul gegangen, wo sie bei ihrem Onkel geblieben sei. Dieser habe mit seinem Bruder in Österreich Kontakt aufgenommen und ihn ersucht, ob die Beschwerdeführerin zu ihm nach Österreich kommen könne. Danach habe die Beschwerdeführerin einen Paß ohne Probleme erhalten und sei nach Österreich eingereist. Sie habe die Absicht gehabt, wieder in die Türkei zurückzukehren. Anfang 1988 habe die Beschwerdeführerin mit ihrem Vater telefoniert und dieser habe ihr mitgeteilt, sie solle auf keinen Fall in die Türkei zurückkehren, weil gegen sie ein Haftbefehl vorläge. Deshalb habe sie den Asylantrag gestellt.
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. November 1988 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetztes sei.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit der Begründung Berufung, sie habe Angst, in ihre Heimat zurückzukehren, weil täglich neue Greueltaten "von Seiten der türkischen Regierung passieren".
Mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Berufung abgewiesen. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, angesichts der gegenwärtig in der Türkei herrschenden politischen und wirtschafltichen Umstände könne den Angaben der Beschwerdeführerin kein Glaube geschenkt werden. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Folterung stehe "in keiner Relation" dazu, daß sie Kämpfer der PKK mit Lebensmittel versorgt hätte. Es sei der Beschwerdeführerin auch nicht möglich gewesen, ihre Behauptung zu konkretisieren. Sie habe überdies erst mehr als sechs Monate nach ihrer Einreise Asyl beantragt. Wäre die Beschwerdeführerin tatsächlich vor ihrer Ausreise Verfolgungen ausgesetzt gewesen, so hätte sie ihren Antrag sicherlich unmittelbar nach ihrer Einreise gestellt. Dies und die Tatsache, daß die Beschwerdeführerin legal ausreisen habe können, seien Indizien dafür, daß sie keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Da das gesamte Vorbringen der Beschwerdeführerin unglaubwürdig sei, sei davon auszugehen, daß sie sich nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb ihres Heimatlandes befinde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Anerkennung als Flüchtling verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 unter Bedachtnahme auf das Protokoll BGBl. Nr. 78/1974 erfüllt und daß bei ihn kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Die belangte Behörde ist, wie der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen ist, davon ausgegangen, daß die Angaben der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren unglaubwürdig seien. Sie hat ihre Beweiswürdigung jedoch nicht schlüssig begründet. Insbesondere ist nicht zu erkennen, warum die belangte Behörde die in der Türkei herrschenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse so einschätzt, daß daraus die Unglaubwürdigkeit der Aussagen der Beschwerdeführerin abzuleiten wäre. Ebensowenig kann der Bescheidbegründung entnommen werden, warum nach Auffassung der belangten Behörde keine Beziehung zwischen den von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Tatsachen, insbesondere der Versorgung von Kämpfern der PKK mit Lebensmitteln und der von der Beschwerdeführerin behaupteten Folterung bestehen sollte. Welche weitere Konkretisierung der Aussagen der Beschwerdeführerin in dieser Beziehung von der belangten Behörde vermißt wird, ist der Bescheidbegründung nicht zu entnehmen.
Schließlich ist auch der Unterschied, daß die Beschwerdeführerin sich nach legaler Ausreise aus ihrem Heimatland über sechs Monate in Österreich aufgehalten hat, ohne einen Asylantrag zu stellen, kein überzeugendes Argument für die Unglaubwürdigkeit ihrer Angaben betreffend Verfolgungshandlungen in der Türkei. Die erst verhältnismäßig späte Einbringung des Asylantrages, hat die Beschwerdeführerin nämlich damit erklärt, erst in Wien durch ihren Vater davon erfahren zu haben, daß gegen sie in ihrem Heimatland ein Haftbefehl ergangen sei. Mit dieser Aussage der Beschwerdeführerin hat sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides überhaupt nicht auseinandergesetzt.
Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit wesentlichen Begründungsmängeln belastet hat und nicht ausgeschlossen ist, daß sie bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit.c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil durch den zuerkannten Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand auch die Umsatzsteuer abgegolten ist.
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Behandlung von Parteieinwendungen Ablehnung von Beweisanträgen Abstandnahme von BeweisenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990010181.X00Im RIS seit
30.01.1991