TE Vwgh Erkenntnis 1991/2/5 90/05/0156

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Veröffentlicht am 05.02.1991
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §42 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs1;
BauO NÖ 1976 §118 Abs2;
BauO NÖ 1976 §118;
BauO NÖ 1976 §47;
BauO NÖ 1976 §5 Abs2;
BauO NÖ 1976 §5 Abs7;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Würth, Dr. Degischer und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde 1) des KN sen. und 2) des KN jun. gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 4. Juli 1990, Zl. R/1-V-90118, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1) KK und 2) WK, 3) Stadtgemeinde St. Valentin), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 23. November 1989 ersuchten der Erstmitbeteiligte und die Zweitmitbeteiligte beim Stadtamt St. Valentin um die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für einen Geschäftszu- und -umbau auf der Liegenschaft X-Straße 37.

Zu der für 7. Dezember 1989 anberaumten mündlichen Verhandlung wurden die beschwerdeführenden Nachbarn unter Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 42 AVG 1950 ordnungsgemäß geladen. Bei dieser Verhandlung wurde zunächst das Projekt näher beschrieben und festgestellt, daß der Bauplatz nach dem Flächenwidmungsplan im Bauland-Kerngebiet liege. Im Bereich der hier gegebenen geschlossenen Bauweise würde bis zu den Nachbargrenzen nach teilweisem Abbruch eines bestehenden Gebäudes ein Geschäftshaus mit Kellergeschoß, Erdgeschoß, Obergeschoß und ausgebautem Dachgeschoß zum Teil neu errichtet, zum Teil umgebaut. Dies wurde im einzelnen näher beschrieben. Die Beschwerdeführer sprachen sich gegen die Erteilung der Baubewilligung in der vorgesehenen Form auf dem Grundstück n/1 KG St. Valentin aus, weil dadurch der Lichteinfall zu ihrer Parzelle nicht mehr gewährleistet sei. Die Gebäudehalle entspreche auch nicht dem § 22 der NÖ Bauordnung (BO). Es liege kein Bauplatz im Sinne der Bauordnung vor, weil auf mehreren Einlagezahlen und Parzellen gebaut werde. Die Baufluchtlinie zu ihrer Parzelle sei nicht berücksichtigt. Nach dem Plan und der technischen Beschreibung seien in dem zu bauenden Projekt keine Brandabschnitte vorgesehen und auch keine Brandmeldeanlagen, sodaß bei einem Vollbrand des Gebäudes die Nachbarn ernsthaft gefährdet wären. Die Kanalanlage entspreche nicht mehr den technischen Gegebenheiten, weil derzeit bei größeren Regenmengen das Wasser in ihr Objekt gedrückt werde.

Der Bausachverständige verwies darauf, daß auf Grund der geschlossenen Bauweise im Bebauungsplan eine Bebauung bis zur Grundgrenze auch im seitlichen Bauwich vorgeschrieben sei. Der Abstand zu den Beschwerdeführern betrage mindestens 11 m, sodaß bei einer Traufenhöhe von 7,98 m der Lichteinfall unter 45 Grad möglich sei. Die im Projekt dargestellte Gebäudehöhe mit einer solchen Traufenhöhe sei kleiner als der Abstand der Fluchtlinien in diesem Straßenbereich. Eine Baufluchtlinie sei im Bebauungsplan nicht festgelegt worden, da für dieses Grundstück geschlossene Bebauungsweise vorgesehen sei. Der Amtssachverständige erachtete sodann unter gleichzeitiger Vorschreibung einer Reihe von Auflagen das Projekt als bewilligungsfähig.

Mit Bescheid vom 1. Februar 1990 erteilte der Bürgermeister die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen. Ein ausdrücklicher Abspruch über die Einwendungen der Beschwerdeführer erfolgte nicht, doch wurde das Protokoll über die Bauverhandlung zu einem wesentlichen Bestandteil des Bescheides erklärt. In die Begründung wurde der Satz aufgenommen, daß zu den Stellungnahmen bzw. Erklärungen der Anrainer festgestellt werde, bei der Bauverhandlung sei eingehend darauf eingegangen bzw. seien den Bauwerbern entsprechende Auflagen vorgeschrieben worden.

Die dagegen von den Beschwerdeführern erhobene Berufung wies der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 28. Mai 1990 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß hinsichtlich der Einwendung betreffend die Bebauungsdichte Präklusion eingetreten sei. Bei projektsmäßiger Ausführung sei der erforderliche Lichteinfallswinkel gewahrt. Bezüglich der Bebauungshöhe werde auf die festgelegte Bauklasse II verwiesen, der Zubau dürfe daher maximal 7,99 m hoch werden. Da für das Grundstück die geschlossene Bebauungsweise festgelegt sei und es keine inneren Baufluchtlinien gebe, sei sowohl an die Straßenfluchtlinie (= Baufluchtlinie) als auch an die seitlichen und hinteren Grundgrenzen anzubauen.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die NÖ Landesregierung die Vorstellung der Beschwerdeführer als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens vertrat die Gemeindeaufsichtsbehörde den Standpunkt, daß die Beschwerdeführer wohl hinsichtlich des Lichteinfalles bzw. der Gebäudehöhe sowie der Nichteinhaltung der Baufluchtlinie zu ihrem Grundstück Einwendungen vorgebracht hätten, nicht jedoch hinsichtlich der Bebauungsdichte bzw. der diesbezüglichen "Nichteinhaltung des Bebauungsplanes". Die Berufungsbehörde habe somit insoweit zu Recht Präklusion im Sinne des § 42 AVG 1950 angenommen. In der geschlossenen Bebauungsweise dürfe das Grundstück bis an die hintere Grundgrenze bebaut werden, auch sei die Festlegung einer hinteren Baufluchtlinie nicht zwingend Inhalt des Bebauungsplanes. Die Sicherung eines freien Lichteinfalles unter 45 Grad auf Hauptfenster im Sinne des § 47 Abs. 2 BO gewähre nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte, weil Vorschriften dieser Art nur der Sicherung einer ausreichenden Belichtung der neu zu schaffenden Räume dienten. Da überdies die zulässige Gebäudehöhe in der Bauklasse II sowie die Dachneigung im Sinne des § 39 Abs. 3 BO eingehalten würden, seien die Beschwerdeführer auch in dieser Hinsicht nicht in ihren Rechten verletzt worden.

In ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragen die Beschwerdeführer, den angefochtenen Bescheid nach "§ 42 Abs 2 VwGG" aufzuheben.

Über diese Beschwerde sowie über die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Nach § 118 Abs. 8 Satz 1 der NÖ Bauordnung 1976 (BO) genießen als Anrainer alle Grundstückeigentümer Parteistellung gemäß § 8 AVG 1950, wenn sie in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden. Nach § 118 Abs. 9 leg. cit. werden subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören insbesondere die Bestimmungen über

1.)

den Brandschutz;

2.)

den Schutz vor anderen Gefahren, die sich auf die Anrainergrundstücke ausdehnen können;

              3.)              die sanitären Rücksichten wegen ihres Einflusses auf die Umgebung;

              4.)              die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung.

Aus diesen gesetzlichen Bestimmungen ergibt sich, daß der Nachbar im Baubewilligungsverfahren nach der NÖ Bauordnung 1976 nur ein auf die Wahrung seiner subjektiv-öffentlichen Rechte beschränktes Mitspracherecht besitzt (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. September 1986, Zl. 85/05/0005, BauSlg. Nr. 766). Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. N.F. Nr. 10.317/A, ausgesprochen hat, beschränkt sich die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde im Falle einer derart beschränkten Parteistellung auf jene Fragen, hinsichtlich derer ein entsprechendes subjektiv-öffentliches Recht besteht. Im Beschwerdefall kommt hinzu, daß die Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG 1950 zur Bauverhandlung geladen wurden, sodaß die Berufungsbehörde und auch die Gemeindeaufsichtsbehörde nur jene Einwendungen berücksichtigen durften, die spätestens bei der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden sind (vgl. etwa das

hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1987, Zl. 84/05/0043, BauSlg. Nr. 1021).

Wie in der Beschwerde machten die Beschwerdeführer rechtzeitig auf Verwaltungsebene einen Rechtsanspruch auf Einhaltung eines bestimmten Abstandes von ihrer Grundgrenze durch den Neubau der mitbeteiligten Bauwerber geltend. Diesem Vorbringen hielten die Verwaltungsbehörden zutreffend entgegen, daß in der geschlossenen Bebauungsweise die völlige Bebauung eines Grundstückes zulässig ist, sofern nicht in einem Bebauungsplan ausdrücklich anderes angeordnet ist. Wenn die Beschwerdeführer darauf hinweisen, daß gemäß § 5 Abs. 7 BO der hintere Bauwich dann aufgehoben werden kann, wenn schon die Mehrzahl der Bauplätze bis zur hinteren Grundstücksgrenze bebaut sind, was hier nicht gegeben sei, dann übersehen sie, daß diese gesetzliche Regelung nicht bei der geschlossenen Bebauungsweise gilt, bei der schon rein begrifflich ein Bauwich, wie er für die offene Bebauung typisch ist, gar nicht gegeben ist, wie der Regelung des § 5 Abs. 2 Z. 1 BO eindeutig entnommen werden kann.

Soweit sich die Beschwerdeführer auf Vorschriften über die Sicherung eines Lichteinfalles im Sinne des § 47 BO berufen, verkennen sie, daß die die Belichtung der Räume regelnden Bestimmungen des § 47 BO keine subjektiv-öffentlichen Rechte der Anrainer zum Gegenstand haben, weil diese Vorschriften nur der Sicherung einer ausreichenden Belichtung der neu zu schaffenden Räume dienen. Der NÖ Landesgesetzgeber hat damit ganz allgemein den für die österreichische Rechtsordnung typischen Grundsatz zum Ausdruck gebracht, daß der Eigentümer eines Grundstückes durch Schaffung entsprechender Freiräume auf den eigenen Grundflächen für ausreichende Belichtungs- und Belüftungsverhältnisse zu sorgen hat, nicht aber einen Rechtsanspruch auf Freihaltung benachbarter Grundflächen für diesen Zweck besitzt (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Februar 1985, Slg. N.F. Nr. 11.685/A).

Eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblicken die Beschwerdeführer auch darin, daß für das gesamte Gemeindegebiet eine rechtswirksame Bausperre beschlossen worden sei, von der die Beschwerdeführer erst am 8. Juni 1990 Kenntnis erhalten hätten. Bestehende Gesetze und Verordnungen müssen aber von den Behörden von Amts wegen wahrgenommen werden. Der neue Bebauungsplan sehe eine Bebauungsdichte von 70 % vor, sodaß durch das bewilligte Bauvorhaben mit einer 100 %igen Verbauung eine Rechtsverletzung vorliege.

Zu diesem Vorbringen ist zunächst festzustellen, daß die Beschwerdeführer im Verfahren vor der Behörde erster Instanz eine derartige Einwendung nicht geltend gemacht haben, sodaß insoweit, wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides zutreffend ausführte, Präklusion eingetreten ist. Im übrigen hat die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zu Recht darauf verwiesen, daß nach dem Entwurf eines Bebauungsplanes, wie er für die hier maßgeblichen Liegenschaften bei den Gemeindeakten erliegt, eine 100-%ige Bebauung vorgesehen ist. Ihre gegenteilige Auffassung stützen die Beschwerdeführer offensichtlich auf den der Beschwerde angeschlossenen Entwurf eines Flächenwidmungsplanes, in dessen Legende festgehalten wurde, daß die Wohndichte im Wohnbauland, wenn nicht anderes angegeben ist, 30 EW/ha betragen solle. Das bedeutet nur einen Richtwert, nicht aber die konkrete Festlegung einer Bebauungsdichte, wie sie ja schon gemäß § 4 BO ausschließlich im Bebauungsplan festzulegen ist. Nach § 9 Abs. 4 BO hat darüber hinaus eine Bausperre nur die Wirkung, daß etwa Baubewilligungsbescheide dann nicht erlassen werden dürfen, wenn durch sie der Zweck der Bausperre gefährdet wird. Nach dem im Akt erliegenden Entwurf des Bebauungsplanes für das hier maßgebliche Gebiet kann von einer solchen Gefährdung keine Rede sein, sodaß auch die verhängte Bausperre entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nicht gegen die Erteilung der Baubewilligung sprach.

Da sich sohin die Beschwerde in allen Punkten als nicht begründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG und die Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Voraussetzungen des Berufungsrechtes Berufungsrecht und Präklusion (AVG §42 Abs1)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990050156.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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