Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Baumgartner und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein des Schriftführers Regierungsoberkommissär Dr. Puntigam, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 23. Jänner 1990, Zl. IIb2-V-8022/1-90, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit der Straßenpolizei, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 11. August 1989 wurde über den Beschwerdeführer wegen einer am 24. März 1989 begangenen Verwaltungsübertretung nach § 52 lit. a Z. 10a StVO gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. eine Geldstrafe von S 3.700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe sieben Tage) verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde dem (damals noch nicht anwaltlich vertretenen) Beschwerdeführer am 24. August 1989 durch Hinterlegung zugestellt. Innerhalb der Berufungsfrist wurde mit dem am 4. September 1989 (einem Montag) zur Post gegebenen, als Einspruch bezeichneten und mit 1. September 1989 (einem Freitag) datierten Schriftsatz die Vollmacht für den nunmehr ausgewiesenen Vertreter vorgelegt und "gegen das
Straferkenntnis vom 11.8.1989 ... Einspruch" erhoben.
Mit dem am 18. September 1989 bei der Erstinstanz eingelegten und mit 13. September 1989 datierten Schriftsatz stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und holte die versäumte Handlung nach. Dem Wiedereinsetzungsantrag war die mit 2. September 1989 (einem Samstag) datierte Berufung angeschlossen.
Mit Bescheid vom 7. November 1989 gab die Bezirkshauptmannschaft Imst dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit § 71 Abs. 4 AVG 1950 nicht statt.
Die dagegen vom Beschwerdeführer eingebrachte Berufung wies die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 23. Jänner 1990 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab. Zur Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer begründe seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand damit, daß er seinen Rechtsanwalt nach Erhalt des Straferkenntnisses zunächst telefonisch mit der Vertretung beauftragt habe. Dabei habe er lediglich die Aktenzahl und die Behörde des Straferkenntnisses bekanntgegeben. In der Folge habe sein Vertreter eine Kanzleiangestellte beauftragt, eine den Formerfordernissen des § 51 VStG 1950 entsprechende bloße Formalberufung zu erheben. Irrtümlicherweise habe die beauftragte Kanzleimitarbeiterin jedoch einen Einspruch verfaßt, welcher vom Vertreter auch unterschrieben worden sei. Unmittelbar darauf habe der Vertreter jedoch festgestellt, daß nicht eine Strafverfügung, sondern vielmehr ein Straferkenntnis zu bekämpfen gewesen sei. Sein Vertreter habe daher die Kanzleiangestellte am darauffolgenden Tage angewiesen, an Stelle des irrtümlich verfaßten Einspruches eine Standardberufung zu konzipieren. Diesen Auftrag habe die Kanzleikraft noch am selben Tage erledigt. Offenbar versehentlich und unverständlicherweise habe die Mitarbeiterin jedoch nicht die unterfertigte Berufung, sondern den am Tag zuvor irrtümlich verfaßten Einspruch, welcher nach Anweisung des Vertreters zu vernichten gewesen wäre, einkuvertiert und an die Erstbehörde übersandt. Gleichzeitig mit dem Brief an die Bezirkshauptmannschaft sei vom Rechtsanwalt auch die Versicherung verständigt worden. Anläßlich des Erhaltes eines Schreibens der Versicherung sei der Irrtum offenbar geworden, weil sich im Akt sowohl die Berufung als auch der irrtümlich verfaßte Einspruch befunden habe. Mit diesem Vorbringen werde von der Partei - so wird in der Begründung des Bescheides weiter dargelegt - nicht glaubhaft gemacht, daß sie durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist einzuhalten. Der Beschwerdeführer sei mit dem Strafbescheid nicht persönlich bei seinem Anwalt vorstellig geworden. Er habe sich damit begnügt, diesem die Aktenzahl und die bescheiderlassende Behörde bekanntzugeben. Es verwundere nicht, daß durch diesen Informationsmangel von der Kanzleiangestellten irrtümlich ein Einspruch konzipiert worden sei. Wenngleich dieser Irrtum nach den Angaben des Rechtsanwaltes offensichtlich noch rechtzeitig aufgeklärt habe werden können, so hätte dieser, nachdem er den Auftrag erteilt hat, eine Berufung vorzubereiten, umsomehr darauf achten müssen, daß auch diese Berufung und nicht der Einspruch abgefertigt werde. Unklar sei auch, warum der Einspruch nicht schon anläßlich der Vorlage durch die Kanzleiangestellte als für den Anlaßfall unbrauchbar gekennzeichnet worden sei. Ob die Kanzleiangestellte fachlich befähigt sei, Rechtsmittel gegen Strafverfügungen und Straferkenntnisse zu konzipieren, möge dahingestellt bleiben. Im Einspruch werde auch ausdrücklich angeführt, daß sich der Einspruch nicht gegen eine Strafverfügung, sondern gegen ein Straferkenntnis richte. Wäre die Kanzleimitarbeiterin in der Konzipierung von Rechtsmitteln geübt, so hätte ihr auffallen müssen, daß gegen ein Straferkenntnis nur das Rechtsmittel der Berufung zulässig sei. Dennoch sei sie noch beauftragt worden, eine Berufung vorzubereiten. In Kenntnis dieser Sachlage hätte der Vertreter des Beschwerdeführers jedenfalls größere Vorsicht walten lassen müssen. Dadurch, daß er sowohl den Einspruch als auch die Berufung im Akt belassen habe, habe er mit einer Verwechslung rechnen müssen. Der aufgetretene Irrtum könne daher nicht als unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis angesehen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verschulden des Vertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Wenn einem Angestellten des Vertreters im Zusammenhang mit der Einhaltung einer Frist ein Fehler unterläuft, hat das die Partei selbst nur dann nicht zu vertreten, wenn ihr bevollmächtigter Vertreter (hier der Rechtsanwalt) der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellen nachgekommen ist, den Vertreter (Rechtsanwalt) selbst also an der Versäumung keinerlei Verschulden, insbesondere auch nicht in der Form der "culpa in custodiendo" trifft. Lediglich rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann der Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer verläßlichen Kanzleikraft überlassen. Im übrigen trifft ihn aber an Irrtümern seiner Angestellten bei Vernachlässigung der ihm zumutbaren Überwachungspflicht ein Verschulden (vgl. unter anderem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Jänner 1985, Zlen. 85/02/0016, 0044).
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die seiner Meinung nach unrichtige Ansicht der belangten Behörde, er sei mit dem Strafbescheid nicht persönlich bei seinem Rechtsanwalt vorstellig geworden und habe sich damit begnügt, diesem die Aktenzahl und die bescheiderlassende Behörde bekannt zu geben. Die belangte Behörde übersehe hiebei, daß der Beschwerdeführer in seinem Wiedereinsetzungsantrag ausgeführt habe, daß er den Auftrag an seinen Rechtsfreund lediglich ZUNÄCHST telefonisch an dessen Kanzlei durchgegeben habe, womit klargestellt worden sei, daß diese Vorgangsweise vom Beschwerdeführer lediglich anfänglich gewählt worden sei. Es seien daher die Ausführungen der belangten Behörde, es verwundere nicht, daß durch "diesen Informationsmangel" von der Kanzleiangestellten irrtümlich ein Einspruch konzipiert worden sei, unrichtig.
Sollte der Beschwerdeführer damit zum Ausdruck bringen, er sei nach seiner telefonischen Information der Kanzlei bei seinem Vertreter persönlich vorstellig geworden und dieser sei bereits in dem Zeitpunkt, in dem von ihm der Einspruch unterfertigt wurde, im Besitz des Straferkenntnisses gewesen oder habe zumindest Kenntnis von dessen Inhalt gehabt, dann verwundert es umsomehr, daß es zu den im Wiedereinsetzungsantrag geschilderten Vorgängen in der Kanzlei seines Vertreters im gegebenen Zusammenhang kam und daß der Vertreter des Beschwerdeführers den von seiner Kanzleiangestellten irrtümlich verfaßten und ausdrücklich als Einspruch bezeichneten Schriftsatz offenbar ohne jede Prüfung, da ihm sonst der Irrtum jedenfalls schon damals hätte auffallen müssen, unterschrieb.
Der Beschwerdeführer meint weiters, sämtliche Fehler in der Abwicklung der gegenständlichen Angelegenheit lägen lediglich im Bereich des rein technischen Vorganges der Abfertigung. Sowohl bei dem Vernichten des ursprünglich irrtümlich verfaßten Einspruches, das von seinem Vertreter verfügt worden sei, als auch beim Einkuvertieren der letztendlich auf Anweisung seines Rechtsanwaltes verfaßten Berufung handle es sich um einen rein technischen Vorgang, bei dem den Rechtsanwalt keine Pflicht zur näheren Beaufsichtigung seiner sonst äußerst zuverlässigen Kanzleikraft treffe. Der Rechtsanwalt habe die gesetzlich gebotene und zumutbare Überwachung durchgeführt. Darüber hinaus handle es sich um einen minderen Grad des Versehens im allgemeinen.
Auch dieses Vorbringen vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Abgesehen davon, daß die Behauptung, SÄMTLICHE Fehler in der Abwicklung der gegenständlichen Angelegenheit lägen im Bereich des rein technischen Vorganges der Abfertigung, schon in Hinsicht auf die zeitliche Abfolge der Vorgänge nicht zutrifft, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 27. Juni 1986, Zlen. 85/18/0138, 0141, dem ein nahezu gleichgelagerter Sachverhalt zugrundelag - auch damals kam es bei der Absendung des Rechtsmittels gegen ein Straferkenntnis zu einem Irrtum, weil nicht die Berufung gegen das Straferkenntnis, sondern der ursprünglich irrtümlich verfaßte Einspruch von der Kanzleiangestellten des Rechtsanwaltes abgefertigt wurde -, ausgesprochen, daß es sich bei der Entscheidung und Sicherstellung, welcher von zwei diktierten Schriftsätzen bzw. Rechtsmitteln, die beide denselben Bescheid betreffen, abzusenden ist, nicht mehr um einen rein technischen Vorgang beim Abfertigen von Schriftstücken handelt, den ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer (auch) verläßlichen Kanzleikraft überlassen darf. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG hingewiesen. Aus dem von Beschwerdeführer in der Beschwerde zitierten Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. August 1988, Zl. AW 88/04/0056, ist für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts zu gewinnen, weil mit diesem Beschluß über einen mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entschieden wurde. Sollte der Beschwerdeführer damit aber den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. September 1988, Zl. 88/04/0161, meinen, mit dem dem Wiedereinsetzungsantrag, mit dem der vorstehend angeführte Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden war, stattgegeben wurde, ist ihm zu entgegnen, daß diesem Beschluß ein mit dem vorliegenden nicht vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde lag. Mit dem Hinweis auf den "minderen Grad des Versehens" übersieht schließlich der Beschwerdeführer, daß im vorliegenden Fall § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 357/1990 anzuwenden war.
Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990030058.X00Im RIS seit
13.02.1991Zuletzt aktualisiert am
27.07.2010