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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Mai 1990, Zl. 4 290.742/3-III/13/90, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste am 27. Dezember 1989 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag Asylantrag. Nach seinen niederschriftlichen Einvernahmen am selben Tag und am 19. Jänner 1990 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich mit Bescheid vom 28. März 1990 fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Zur Begründung wurde lediglich ausgeführt, die niederschriftliche Vernehmung habe keine einwandfreien Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung auch tatsächlich zuträfe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er folgendes vorbrachte:
"Hiermit berufe ich gegen den Bescheid des Asylwerberreferates vom 28.3.1990, zugestellt am 23.4.1990 und begründe diese Berufung damit, daß ich derzeit eine Rückkehr in meine Heimat wegen Gefahr für mein Leben nicht wage. Es bestehen noch dieselben Gründe, die ich bei der ersten Befragung gesagt habe."
Mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 28. Mai 1990 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurückgewiesen.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde nach Wiedergabe des § 63 Abs. 3 AVG und der zu dieser Gesetzesstelle ergangenen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes im wesentlichen ausgeführt, pauschal abstrakte Floskeln als Begründung des Berufungsantrages genügten nicht. Es "ist eine derartige Konkretisierung der Begründung zu fordern, daß die Berufungsbehörde die angeführten Argumente nachvollziehen und bestimmte Mängel 'ansprechen' kann, sodaß sie die Möglichkeit hat, ihrer Aufgabe, die in der Regel nicht in der vollständigen Rekapitulation des gesamten Verwaltungsverfahrens vor der nachgeordneten Behörde besteht, nachzukommen". Wohl sei kein strenger Maßstab "am Erfordernis" der Konkretisierung anzulegen, doch könne vom gänzlichen Fehlen bestimmter oder zumindest bestimmbarer "bescheidgerichteter" Mängel in der Berufungsbegründung nicht abgesehen werden. Ein Berufungswerber, der seine Berufungsgründe abstrakt und pauschal beschreibe, wäre hinsichtlich des Umfanges der Überprüfungstätigkeit einem Berufungswerber gegenüber im Vorteil, der seine Berufungsgründe im erforderlichen Ausmaß konkretisiert (präzisiert) habe. Die (wörtliche oder sinngemäße) Wiedergabe des Gesetzeswortlautes (hier des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge) erfülle diese Voraussetzungen nicht, insbesondere sei die Verwendung des Begriffes "politische Gründe" für sich allein nicht ausreichend. Dies gelte auch für einen pauschalen, abstrakten Verweis auf bereits dargelegte Gründe. Die Berufung sei ja kein Antrag auf Asylgewährung. Die Behauptung, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z. 1 der Konvention auf den Antragsteller zuträfen, begründe die Parteistellung im Asylverfahren und einen Anspruch auf Erlassung eines erstinstanzlichen Bescheides. Für die Einleitung des Berufungsverfahrens hingegen sei die schlichte Behauptung, an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches beteiligt zu sein, nicht ausreichend; diese sei an das zusätzliche Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages geknüpft. Würde man von jeder inhaltlichen Anforderung an eine Berufungsbegründung absehen und die bloße Rechtsbehauptung ohne Bezugnahme auf den bekämpften Bescheid akzeptieren, so wäre nicht nur § 63 Abs. 3 AVG "in diesem Punkt sinnlos und ad absurdum geführt", es erwiese sich letztlich die Einrichtung eines Instanzenzuges als "obsolet". Die belangte Behörde meine, in gegenständlicher Sache nicht "formalistisch" vorgegangen zu sein, da sie ihre Überlegungen nicht auf äußere Formen oder Bezeichnungen, sondern auf inhaltliche Aspekte konzentriert habe. Da in der Vergangenheit vielfach ähnlich kurze Berufungen meritorisch erledigt worden seien, müsse dem entgegen gehalten werden, daß eine Entscheidung in der Sache anstatt einer "vorzunehmenden" Zurückweisung, "auch wenn der Verwaltungsgerichtshof in einem solchen Fall die Beschwerdelegitimation mangels Beschwer verneint", rechtswidrig sei und ein subjektives Recht auf Gleichbehandlung im Unrecht nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht bestehe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich nach dem Beschwerdevorbringen in seinem Recht auf eine Sachentscheidung verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 63 Abs. 3 AVG hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.
Strittig ist im vorliegenden Fall allein die Frage, ob die Berufung des Beschwerdeführers einen begründeten Berufungsantrag enthält oder nicht. Eine Eingabe ist nur dann als Berufung im Sinne des § 63 AVG anzusehen, wenn ihr entnommen werden kann, daß der bezeichnete Bescheid angefochten wird, d.h. daß die Partei mit der Erledigung der erkennenden Behörde nicht einverstanden ist. Des weiteren muß aber aus der Eingabe auch ersichtlich sein, aus welchen Erwägungen die Partei die Entscheidung der Behörde bekämpft. Denn das Gesetz verlangt nicht nur einen Berufungsantrag, sondern überdies eine Begründung, d.h. Ausführungen, aus welchen Gründen der angefochtene Bescheid bekämpft wird. Tatsächlich enthält die Berufung des Beschwerdeführers eine, wenn auch knappe Begründung darüber, worin die Unrichtigkeit des Bescheides der Behörde erster Instanz gelegen sein soll, nämlich darin, daß der Beschwerdeführer aus denselben Gründen, die er bei der ersten Befragung angegeben habe, in seiner Heimat einer Gefahr für sein Leben ausgesetzt sei. Es handelt sich hiebei entgegen der von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides und in der Gegenschrift vertretenen Meinung nicht um eine allgemein gehaltene Begründung oder um eine teilweise Wiedergabe eines Gesetzeswortlautes, sondern um die Behauptung eines Sachverhaltes, bei dessen Vorliegen Asyl zu gewähren wäre. Der Beschwerdeführer hat damit hinreichend zum Ausdruck gebracht, daß sein Vorbringen vor der Behörde erster Instanz unter dem Gesichtspunkt zu beurteilen sei, daß ihm in seiner Heimat Lebensgefahr drohe.
Ob dies der Fall ist, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu beurteilen.
Indes ist die Behörde erster Instanz in ihrer Bescheidbegründung auf das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht konkret eingegangen, sondern hat nur ganz allgemein pauschal festgestellt, daß das Vorbringen nicht erkennen lasse, der Beschwerdeführer wäre Verfolgungen im Sinne der Konvention ausgesetzt gewesen. Daraus ist aber eine eindeutige rechtliche Subsumtion des Vorbringens des Beschwerdeführers und dessen rechtliche Würdigung nicht zu erkennen. Die belangte Behörde wäre daher verhalten gewesen über die Wertung der behaupteten Verfolgungshandlungen eine Sachentscheidung zu treffen. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Rechtsansicht bereits in gleichgelagerten Fällen vertreten (vgl. hg. Erkenntnissen vom 4. Oktober 1989, Zlen. 89/01/0214, 0215 und vom 21. November 1990, Zl. 90/01/0126, 0127).
Die von der belangten Behörde für ihre Betrachtungsweise zitierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes steht in keiner Weise mit dem vorstehenden Ergebnis in Widerspruch. Hat doch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stets betont, daß die erwähnte Gesetzesbestimmung nicht formalistisch ausgelegt werden darf. Es genügt, daß die Berufung erkennen läßt, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt. So hat auch der Verfassungsgerichtshof insbesondere in seinen Erkenntnissen Slg. N.F. Nr. 8738 und 9051 eine kurze Begründung (etwa "beim Wohnmobil handle es sich nicht um ein Bauwerk") als ausreichende Berufungsbegründung angesehen, während in den Berufungen der den anderen Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes zu Grunde liegenden Fällen jegliche Andeutung fehlte, worin die Unrichtigkeit des bekämpften Bescheides gelegen sein sollte.
Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren für Einheitssatz und Umsatzsteuer war abzuweisen, da hiefür keine gesetzliche Grundlage besteht.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBerufungsrecht Begriff des Rechtsmittels bzw der Berufung Wertung von Eingaben als BerufungenAnspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive BescheideBesondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des BerufungsbescheidesInhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990010207.X00Im RIS seit
25.01.2001Zuletzt aktualisiert am
25.03.2009