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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1968 §1 idF 1974/796;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):90/01/0215Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerden 1.) des AT, 2.) der MT und 3.) der mj. DT, diese vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als Kindesmutter, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 21. Mai 1990, Zlen. 4 283.811/2-III/13/90, und 4 283.811/4-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von je S 460,-- (insgesamt S 920,--) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerden wurden wegen ihres sachlichen, rechtlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden.
Die Beschwerdeführer, türkische Staatsangehörige kurdischer Nationalität, reisten am 24. September 1989 in das Bundesgebiet ein und stellten am 29. September 1989 Anträge auf Asylgewährung. Bei der niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsbehörde am 14. Oktober 1989 gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei nie Mitglied einer politischen Organisation gewesen. Schon in der Schulzeit sei er vom Lehrer bestraft worden, wenn er mit kurdischen Mitschülern kurdisch gesprochen habe. Da er "linksorientiert" gewesen sei, hätten Milizsoldaten ihn immer wieder mitgenommen, verhört und geschlagen; die Soldaten hätten wissen wollen, ob er bestimmte Personen kenne. Im Jahre 1986 sei der Erstbeschwerdeführer nach Istanbul verzogen, wo er ein Konfektionsgeschäft bis 1988 geführt habe. Von 1988 an bis zu seiner Ausreise sei er Makler gewesen. Eines Tages habe ihn ein Vetter in seinem Geschäft besucht, der nach dem Besuch von der Polizei verhaftet worden sei. Zwei Wochen später habe man ihn tot aufgefunden. Nachforschungen bei der Polizei seien von dieser "mit Drohungen quittiert" worden. Ein Polizist, der dem Erstbeschwerdeführer hätte behilflich sein wollen, sei eines Tages nicht mehr "auffindbar" gewesen. Auch ein Journalist, der über dieses Geschehen geschrieben habe, sei "in Schwierigkeiten" geraten. Die Polizei sei oft im Geschäft des Erstbeschwerdeführers vorbeigekommen und habe sich nach seinem Schwager erkundigt, der ebenfalls gesucht worden sei. Da der Erstbeschwerdeführer in der Türkei "keine Rechte" gehabt habe, habe er sich entschlossen, mit seiner Familie das Land zu verlassen.
Die 1964 geborene Zweitbeschwerdeführerin gab bei ihrer Einvernahme an, sie habe keiner Partei oder einer anderen Organisation angehört. Während ihrer Schulzeit sei sie "linksorientiert" gewesen und hätte auch an Veranstaltungen teilgenommen. Nach dem Jahre 1980 habe sie jedoch keine Aktivitäten mehr gesetzt. 1987 habe sie den Erstbeschwerdeführer geheiratet. Die Zweitbeschwerdeführerin sei laufend von der Polizei "belästigt" worden, da die Beamten sie ständig befragten, wo sich ihr Ehemann und ihr Schwager aufhalten würden. Mitgenommen sei sie allerdings nicht worden. Ihr Bruder sei Lehrer an einer Volksschule gewesen. Nach Beendigung der Mittelschule habe die Zweitbeschwerdeführerin im Jahre 1983 selbst an dieser Schule als Lehrerin aufgenommen werden wollen. Da ihr Bruder jedoch festgenommen worden sei, habe man sie nicht aufgenommen. Offiziell habe man dies damit begründet, daß ihr "Schulakt" nicht in Ordnung gewesen sei. Die Kurden würden ständig benachteiligt und ausgenützt und hätten keine Freiheiten; sie würden verhöhnt und beschimpft. Da ihr Ehemann und sie kein "Leben in Ruhe und Freiheit" führen hätten können, hätten sie sich entschlossen, die Türkei zu verlassen.
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 15. Februar 1990 wurde festgestellt, daß der Erstbeschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. März 1990 wurde festgestellt, daß die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin nicht Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes seien.
Der Erstbeschwerdeführer wiederholte in der Berufung im wesentlichen sein Vorbringen vor der Behörde erster Instanz und ergänzte es mit den Ausführungen, daß die Leiche seines Vetters schwerste Folterspuren aufgewiesen habe. Nach "diesem Vorfall" habe der Erstbeschwerdeführer in ständiger Angst gelebt. Von der Polizei sei er öfters mitgenommen und stundenlangen Verhören unterzogen worden. Die Beamten hätten wissen wollen, ob er oder ihm bekannte Personen einer verbotenen Organisation angehörten. Bei diesen Verhören sei er auch geschlagen worden. Die Beamten seien auch immer "dreister" geworden wenn sie in das Geschäft des Erstbeschwerdeführers gekommen seien. Sie hätten Geld und Kleidungsstücke mitgenommen.
Die Zweitbeschwerdeführerin wiederholte in ihrer Berufung ebenfalls ihr Vorbringen vor der Behörde erster Instanz und führte ergänzend aus, nach dem Tod des Vetters ihres Ehemannes hätte sie in ständiger Angst gelebt. Sie wie auch ihr Ehemann seien zu jeder Tages- und Nachtzeit von Polizisten zu Hause aufgesucht und stundenlangen Verhören unterzogen worden. Die Beamten hätten wissen wollen, ob die Zweitbeschwerdeführerin oder ihr bekannte Personen einer verbotenen Organisation angehörten. Bei diesen Verhören sei die Zweitbeschwerdeführerin geschlagen und bedroht worden. Auch als sie schwanger gewesen sei, bzw. als ihr Kind bereits geboren gewesen sei, sei auf ihren Zustand und auf das Kind durch die Beamten keine Rücksicht genommen worden. Die Beamten hätten auch Geld und Kleidungsstücke im Geschäft ihres Mannes mitgenommen.
Mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Erstbeschwerdeführers abgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, es liege in der Natur der Sache, daß in Anwendungsfällen der Konventionsnorm die vom Asylwerber geltend gemachte Furcht nicht nur objektivierbar sein und von ihm nicht bloß behauptet, sondern auch glaubhaft gemacht werden müsse. Dabei stehe die Vernehmung des Asylwerbers als wichtigstes Beweismittel zur Verfügung. Im Rahmen der Beweiswürdigung seien grundsätzlich den Angaben des Asylwerbers bei seiner ersten Befragung im Verwaltungsverfahren größere Glaubwürdigkeit beizumessen als späterem Vorbringen. Die Ausführungen des Erstbeschwerdeführers in den beiden Instanzen des Verwaltungsverfahrens divergierten voneinander und wiesen überdies eine Steigerung in ihrer Intensität auf. Generell könne in der Türkei nicht von einer Diskriminierung der Kurden in wirtschaftlicher Hinsicht auf Grund der ethnischen Abstammung gesprochen werden. Türken kurdischer Abstammung seien in den höchsten Kreisen des wirtschaftlichen und politischen Lebens zu finden. Aus dem Umstand, daß der Vetter des Erstbeschwerdeführers unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen sei, und daß die türkischen Behörden vom Erstbeschwerdeführer den Aufenthaltsort seines Schwagers in Erfahrung hätten bringen wollen, könne nicht auf eine Verfolgung im Sinne der Konvention geschlossen werden. Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei, daß den vom Asylwerber im Laufe des Verwaltungsverfahrens vorgebrachten Argumenten zu entnehmen sei, er müsse konkrete Verfolgungen befürchten. Dies treffe im vorliegenden Fall nicht zu. Die Zugehörigkeit eines Asylwerbers zu einer Minderheit könne nicht als Grund für seine Anerkennung als Konventionsflüchtling angesehen werden. Überdies sei es dem Erstbeschwerdeführer möglich gewesen, Geschäfte zu eröffnen und dabei ein dem allgemeinen Lohnniveau angemessenes Einkommen zu beziehen. Es sei daher auch im Zusammenhang mit seiner beruflichen Laufbahn keine Verfolgung erkennbar. Auch die Tatsache seiner Ausreise sei ein Indiz dafür, daß er keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Da an jeder Grenze Fahndungslisten auflägen, wäre eine Ausreise nicht möglich gewesen, wenn man ein Interesse an der Verfolgung des Erstbeschwerdeführers gehabt hätte.
Mit dem zweiten vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die von der Zweitbeschwerdeführerin als Fluchtgrund angegebenen mehrmaligen Befragungen könnten nicht als gegen sie selbst gesetzte Verfolgungsakte angesehen werden, die eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Konvention bescheinigen würden, zumal Verhöre lediglich ein Mittel der Beweissicherung darstellten und keinen pönalen Charakter hätten. Ebenso könne das Vorbringen, die Zweitbeschwerdeführerin hätte wegen der Festnahme ihres Bruders keine Anstellung als Lehrerin an der Schule erhalten, an der auch ihr Bruder unterrichtet habe, nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen. Überdies sei der Zweitbeschwerdeführerin der Besuch der Universität ermöglicht gewesen. Die Zugehörigkeit eines Asylwerbers zu einer Minderheit allein könne nicht als Grund für seine Anerkennung als Konventionsflüchtling angesehen werden. Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei, daß den vom Asylwerber im Laufe des Verwaltungsverfahrens vorgebrachten Argumenten zu entnehmen sei, er müsse konkrete Verfolgung befürchten. Dies treffe im vorliegenden Fall nicht zu.
Gegen diese Bescheide richten sich die gleichlautenden, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen Beschwerden. Die Beschwerdeführer erachten sich nach dem Beschwerdevorbringen in ihrem Recht als Flüchtling anerkannt zu werden, verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 126, in der Fassung der Novelle vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796 (Asylgesetz), ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müssen konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Umstände behauptet und bescheinigt werden, aus denen die von der zitierten Konventionsbestimmung geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist; der Hinweis eines Asylwerbers auf einen allgemeinen Jahresbericht von "Amnesty International" genügt ebensowenig wie der Hinweis auf die allgemeine Lage der Kurden in der Türkei (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 1990, Zl. 90/01/0113 und die dort angeführte Judikatur). Außerdem begründen schon längere Zeit zurückliegende Verfolgungshandlungen dann keinen Asylanspruch, wenn der Asylwerber bis zu seiner tatsächlichen Flucht nicht ständig in "wohlbegründeter Furcht" vor Verfolgung aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen gelebt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. März 1989, Zlen. 88/01/0303, 0304).
Soweit der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin behaupten, wegen ihrer "linksorientierten" Einstellung während der Schulzeit Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein, kann dies nicht zur Anerkennung als Flüchtling führen, liegen diese Umstände doch viele Jahre zurück. Im Jahre 1986 verlegten die Beschwerdeführer ihren Wohnsitz nach Istanbul, wo sie eine Familie gründeten und Geschäfte einrichteten. Die Befragung der Beschwerdeführer durch Organe der staatlichen Behörden nach dem gewaltsam herbeigeführten Tod des Vetters des Erstbeschwerdeführers und die dabei angeblich erfolgten Übergriffe stellen deswegen keine Verfolgungshandlungen aus den in der Konvention genannten Gründen dar, weil die Beschwerdeführer selbst nicht einmal behaupten, daß der Tod des Vetters im Zusammenhang mit Maßnahmen aus den in der Konvention genannten Gründen stünde. Soweit die Beschwerdeführer behaupten, sie hätten Verfolgung durch körperliche Mißhandlung erfahren, ist der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie diesem Vorbringen keinen Glauben geschenkt hat, denn nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. hg. Erkenntnis vom 19. September 1990, Zl. 90/01/0113) ist die Behörde grundsätzlich berechtigt, den ersten Angaben eines Asylwerbers mehr Glauben zu schenken als den späteren.
Die weitwendigen Beschwerdeausführungen, die einzelne Stellen aus dem Jahresbericht von Amnesty International für 1989, Berichte der Sektion der Bundesrepublik Deutschland von Amnesty International aus dem Jahre 1990 enthalten und auf deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit und Verwaltungspraxis usw. verweisen, betreffen nicht die Beschwerdeführer, sondern ganz andere Personen und können eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide nicht aufzeigen.
Da die Beschwerden sich sohin als unbegründet erweisen, waren sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Spruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990010214.X00Im RIS seit
03.04.2001Zuletzt aktualisiert am
25.06.2010