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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
StGG Art5Leitsatz
Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen des Verkaufs von Zeitungen auf der Fahrbahn ohne Bewilligung; §82 Abs1 unbedenklich im Hinblick auf Art10 Abs2 MRK; keine Verletzung des Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung, keine Verletzung des EigentumsrechtesSpruch
Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
und dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 6. November 1986 wurden über den Bf. wegen Übertretungen des §82 Abs1 iVm §99 Abs3 litd StVO 1960 Geldstrafen, bei Uneinbringlichkeit Ersatzarreststrafen verhängt, weil der Bf. in zwei Fällen Zeitungen auf der Fahrbahn verkauft hatte, ohne im Besitz einer entsprechenden behördlichen Bewilligung zu sein.
2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Bf. in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Meinungsäußerung und "Unverlässlichkeit" (wohl gemeint: Unversehrtheit) des Eigentums verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
3. Die Wiener Landesregierung hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. In der Beschwerde wird vorgebracht, die Behörde verletze mit ihrer Auffassung, daß der Vertrieb von Zeitungen auf der Fahrbahn eine Bewilligung voraussetze, das Recht der Freiheit der Meinungsäußerung nach Art13 Abs1 StGG und Art10 Abs1 MRK. Die Einführung eines Konzessionssystems sei zur Erreichung der Zielsetzungen des §82 StVO 1960 überflüssig, ja geradezu sinnwidrig, denn Gefährdungen der Gesundheit der übrigen Verkehrsteilnehmer könnten auch nach einem aufwendigen Ermittlungsverfahren niemals genehmigt werden.
Dazu komme, daß die Bestimmung des §47 Abs1 Mediengesetz eine ausschließlich für periodische Druckschriften geschaffene Sondernorm der Straßenbenützung zu verkehrsfremden Zwecken darstelle und daher zu den Bestimmungen der §§82ff StVO 1960 im Verhältnis der Spezialität stehe. Der Gesetzesvorbehalt des §47 Mediengesetz gelte wohl für die übrigen Bestimmungen der StVO 1960 - die Verbreitung periodischer Druckwerke dürfe nicht in einer Weise erfolgen, die das Leben und die Gesundheit von Menschen gefährde -, nicht aber für die Bestimmungen der §§82ff, die ja nicht die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, sondern ausschließlich die Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken zum Gegenstand hätten.
Es widerspreche den Denkgesetzen und ganz offensichtlich auch dem Willen des Gesetzgebers, wenn, wie dies die bel. Beh. tue, bundesgesetzliche Bestimmungen einander als gleichwertig gegenübergestellt würden und es dadurch dem Gutdünken der Behörde überlassen bleibe, ob sie die Anwendbarkeit einer bundesgesetzlichen Bestimmung durch Berufung auf eine andere, das gleiche Sachgebiet allerdings nur unvollkommen regelnde, außer Kraft setzen wollte oder nicht.
2.a) Der VfGH hat sich bereits im Erkenntnis VfSlg. 5616/1967 - auf welches die Beschwerde überhaupt nicht eingeht, obwohl sich die Behörde im angefochtenen Bescheid ausdrücklich darauf gestützt hat - mit einem ähnlichen Beschwerdevorbringen auseinandergesetzt und wie folgt auf dieses erwidert:
"§82 StVO. 1960 zielt aber keineswegs auf eine solche Einschränkung der Meinungsfreiheit der Presse ab. Diese Norm hat den Vertrieb von Druckschriften nicht zum Gegenstand. Sie dient dem Schutz eines von der Meinungsfreiheit völlig verschiedenen Rechtsgutes. Sie ist nicht dazu bestimmt, die geistige Wirkung der freien Meinungsäußerungen als solche zu unterbinden oder einzuschränken. §82 StVO. 1960 berührt deshalb das Grundrecht der freien Meinungsäußerung überhaupt nicht (vgl. Erk. Slg. Nr. 3837/1960 u.a.). Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Bf. auch nicht der Vertrieb von Druckschriften verboten oder eingeschränkt, er wurde vielmehr bestraft, weil er Verkaufseinrichtungen auf Verkehrsflächen ohne vorherige Bewilligung der Behörden aufgestellt hat. Verkehrsflächen dienen dem fließenden und ruhenden Verkehr. Es ist deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn das Gesetz jede andere Benützung - soweit sie nicht im Gesetz ausdrücklich schon vorgesehen ist - von der vorherigen Bewilligung der Behörde abhängig macht, gleichgültig, ob derjenige, der die Verkehrsfläche zu verkehrsfremden Zwecken benützt, etwa selbst in der Lage wäre zu beurteilen, ob durch diese Straßenbenützung der Verkehr gefährdet ist oder beeinträchtigt wird oder nicht, gleichgültig auch, welche Art von Ware mit diesen Selbstverkaufseinrichtungen verkauft werden soll. Dies und nichts anderes hat §82 StVO. 1960 zum Inhalt."
Auch der VwGH hat in seiner Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, daß §82 StVO 1960 den Vertrieb von Druckschriften nicht zum Gegenstand hat, sondern dem Schutz eines von der Meinungsfreiheit völlig verschiedenen Rechtsgutes dient (s. die Erkenntnisse des VwGH vom 21. Mai 1970, Z661,662,663/68, und vom 11. Juni 1970, Z1122/69, sowie die in diesen Erkenntnissen zitierte Vorjudikatur).
Der VfGH hat in jüngerer Zeit im Erkenntnis VfSlg. 11314/1987, unter dem Aspekt des Art10 MRK - die oben
angeführte ältere Judikatur bezog sich auf Art13 StGG - die Auffassung vertreten, die öffentliche Meinungsäußerung in Form der Verbreitung von Druckschriften dürfe jedenfalls an öffentlichen Orten, über welche die öffentliche Hand in der für sie typischen Weise verfügt, nur aus Gründen eingeschränkt oder unterbunden werden, die als solche vor Art10 Abs2 MRK Bestand haben.
In jüngster Zeit hat sich der VfGH im Erkenntnis vom 12. März 1988, B970/87 = VfSlg. 11651/1988, mit der Verfassungsmäßigkeit der hier maßgeblichen Bestimmungen der StVO 1960 unter dem Blickwinkel des Art10 MRK befaßt und ausgeführt, die Regelung des §82 Abs1 und 5 StVO 1960 liege ebenso wie die Strafsanktion des §99 Abs3 litd StVO 1960 im Interesse der bestimmungsmäßigen Verwendung der Straße mit öffentlichem Verkehr (s. §82 Abs5 StVO 1960), also im Interesse der öffentlichen Sicherheit und der Aufrechterhaltung der Ordnung und entspreche damit dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art10 Abs2 MRK. Die Beschränkung der Verwendung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken könne in jenen Fällen, in denen dies zu einer Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit führt, durchaus in einem angemessenen Verhältnis zu dem vom Gesetz verfolgten Ziel der Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Straßenverkehrs stehen (Hinweis auf VfSlg. 10700/1985). Der VfGH sah daher in dem genannten Erkenntnis vom 12. März 1988 keine Bedenken dagegen, daß es der Gesetzgeber weitgehend den Organen der Vollziehung überläßt, im Einzelfall das Interesse an der Meinungsäußerungsfreiheit gegen jenes des Straßenverkehrs abzuwägen, und fügte hinzu, das Gesetz und seine Vollziehung seien so lange verfassungsrechtlich unbedenklich, als keine unverhältnismäßige Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit bewirkt werde (so etwa, indem das Bewilligungsverfahren verzögert wird oder für die Bewilligung unzumutbar hohe Gebühren vorgeschrieben werden).
All diese Überlegungen führen zu dem Ergebnis, daß §82 StVO 1960 nicht verfassungswidrig ist und daß die bel. Beh. dieser Bestimmung auch nicht fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat.
b) Ebenso unzutreffend ist der Vorwurf des Bf., die bel. Beh. habe das Gesetz denkunmöglich angewendet, weil sie nicht berücksichtigt habe, daß §47 Mediengesetz zu §82 StVO 1960 im Verhältnis der Spezialität stehe. Auch hier steht die Beschwerde - wenn behauptet wird, die Auslegung der bel. Beh. widerspreche den Denkgesetzen und "ganz offensichtlich auch dem Willen des Gesetzgebers" - mit der vorhandenen Literatur und mit den Gesetzesmaterialien in Widerspruch. Der Bf. sei auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Mediengesetzes (2 BlgNR XV. GP, S. 47, wonach die Verbreitung der Medien einer Fülle von Rechtsnormen unterliegt, so auch der Bestimmung des §82 StVO 1960) hingewiesen, ebenso auf Hartmann-Rieder, Kommentar zum Mediengesetz, Wien 1985, S. 253 (wonach §47 Mediengesetz nur einen subsidiären Freiheitsraum gewährt und durch diese Bestimmung Beschränkungen, die dem Schutz anderer Rechtsgüter, zB der Verkehrssicherheit dienen, nicht berührt werden) sowie auf Kunst-Böhm-Twaroch, Das neue Medienrecht, Wien 1982, S. 181 (Anmerkung 4 zu §47).
Im übrigen ist darauf zu verweisen, daß bereits das oben angeführte Erkenntnis VfSlg. 5616/1967 zu einer hier durchaus vergleichbaren Rechtslage ergangen ist (s. die Bestimmung des §9 des damals geltenden Pressegesetzes 1922).
Insgesamt ist somit festzuhalten, daß die Behörde das Gesetz nicht denkunmöglich angewendet hat, wenn sie den Bf. deshalb bestraft hat, weil er der - ihm verfassungsrechtlich unbedenklich auferlegten - Pflicht nicht nachgekommen ist, eine Bewilligung nach §82 Abs1 StVO 1960 zu erwirken.
3. Da somit weder der behauptete Verstoß gegen verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte vorliegt (die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ist ebenfalls nicht hervorgekommen), noch eine Rechtsverletzung wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm, wird die Beschwerde abgewiesen.
Die antragsgemäße Abtretung der Beschwerde an den VwGH stützt sich auf Art144 Abs3 B-VG.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Meinungsäußerungsfreiheit / Pressefreiheit / StraßenpolizeiEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B11.1987Dokumentnummer
JFT_10119384_87B00011_00