TE Vfgh Erkenntnis 1988/6/16 WI-12/87

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Veröffentlicht am 16.06.1988
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art141 Abs1 lita
Wr GemeindewahlO 1964 §44 Abs2
VfGG §68 Abs1
Wr Stadtverfassung §61a

Leitsatz

Bezirksvertretung allgemeiner Vertretungskörper; Nichtzulassung eines Wahlvorschlages mangels erforderlicher Anzahl von Unterstützungserklärungen - Legitimation der Wählergruppe zur Anfechtung der Wahl gegeben; keine Bedenken gegen das System der Unterstützungserklärungen

Spruch

Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Am 8. November 1987 fand die vom Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien gemäß §3 der Wiener Gemeindewahlordnung (GWO), LGBl. 17/1964 idF LGBl. 34/1987, im Amtsblatt der Stadt Wien vom 11. September 1987, Heft 37a, ausgeschriebene Wahl der Bezirksvertretungen - darunter die Wahl der Bezirksvertretung für den 1. Wiener Gemeindebezirk - statt.

1.1.2. Dieser Wahl lagen die von folgenden Wahlparteien eingebrachten, gemäß §50 GWO abgeschlossenen und am 25. Oktober 1987 kundgemachten Wahlvorschläge zugrunde:

1.

Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ),

2.

Österreichische Volkspartei (ÖVP),

3.

Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ),

4.

Die Grüne Alternative (GRÜNE).

Ein von der Wählergruppe "Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ)" am 11. Oktober 1987 erstatteter und mit 28 gültigen Unterstützungserklärungen versehener Wahlvorschlag galt laut Bescheid der Bezirkswahlbehörde für den 1. Bezirk vom 15. Oktober 1987, Z MBA 1/8-1417/87, als nicht eingebracht (§47 Abs3 GWO), weil er die gemäß §44 Abs2 GWO erforderliche Anzahl von Unterstützungserklärungen (: mindestens 50) nicht aufgewiesen hatte.

1.1.3. Laut Niederschrift der Bezirkswahlbehörde für den

1. Bezirk vom 8. November 1987 entfielen von den 8.600 gültig abgegebenen Stimmen - 290 wurden als ungültig gewertet - auf die

         SPÖ     2.116   Stimmen      (10 Mandate),

         ÖVP     4.851   Stimmen      (23 Mandate),

         FPÖ       893   Stimmen      ( 4 Mandate),

         GRÜNE     740   Stimmen      ( 3 Mandate).

Als Wahlzahl wurde die Zahl 210 errechnet.

1.1.4. Die Anzahl der Bezirksvertretungsmandate der einzelnen Wählergruppen sowie die Namen der gewählten Bewerber und Ersatzmänner wurden von der Bezirkswahlbehörde für den

1. Bezirk gemäß §82 Abs6 GWO am 9. November 1987 durch Anschlag an der Amtstafel (und überdies in einer Sonderausgabe des Amtsblattes der Stadt Wien vom 21. November 1987) verlautbart.

1.2.1. Mit ihrer am 7. Dezember 1987 zur Post gegebenen und auf Art141 Abs1 B-VG gestützten Wahlanfechtungsschrift begehrte die Wählergruppe "Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ)", der VfGH möge die Wahl der Bezirksvertretung für den 1. Wiener Gemeindebezirk vom 8. November 1987 wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens aufheben.

Begründend wurde dazu - gerafft wiedergegeben ausgeführt, das in §44 Abs2 GWO aufgestellte Erfordernis, daß Wahlvorschläge mit mindestens 50 Unterstützungserklärungen versehen sein müssen, verstoße gegen die in §61 a der Wiener Stadtverfassung (WStV) festgelegten Grundsätze des (gleichen, unmittelbaren) geheimen (und persönlichen) Verhältniswahlrechtes. Daher sei die KPÖ wegen Anwendung dieser verfassungswidrigen Bestimmung im Wahlverfahren zu Unrecht von der Teilnahme an der Bezirksvertretungswahl für den 1. Bezirk ausgeschlossen worden. Ferner habe die - auf §62 Abs1 GWO gestützte - Ausgabe und Verwendung verschiedenfarbiger Wahlkuverts für Männer und Frauen ebenfalls die Grundsätze des §61 a WStV verletzt und das Wahlergebnis beeinflußt.

1.2.2. Die (Wiener) Stadtwahlbehörde erstattete unter Vorlage der Wahlakten eine Gegenschrift, in der sie für die Zurückweisung, hilfsweise jedoch für die Abweisung der Wahlanfechtung eintrat.

2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der VfGH ua. über Anfechtungen von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern. Dazu zählen nach der Rechtsprechung des VfGH - für den Bereich des Art141 B-VG - auch die in der Gemeinde Wien landesgesetzlich eingerichteten Bezirksvertretungen (VfSlg. 6087/1969; s. auch VfSlg. 888/1927). Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.

Nach §67 Abs2 VerfGG 1953 sind zur Anfechtung der Wahl eines allgemeinen Vertretungskörpers grundsätzlich jene Wählergruppen berechtigt, die der Wahlbehörde rechtzeitig Wahlvorschläge vorlegten. Dazu nimmt der VfGH seit dem Erkenntnis VfSlg. 4992/1965 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt ein, daß die Anfechtungslegitimation, jedenfalls soweit die Frage der Gültigkeit des eingereichten Wahlvorschlags das Ergebnis der Wahlanfechtung - wie hier - mitbestimmen kann, nicht zusätzlich davon abhängt, ob dieser Vorschlag rechtswirksam eingebracht wurde (so VfSlg. 7387/1974, 10217/1984; s. auch VfSlg. 6087/1969, 10178/1984, 11255/1987).

Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht werden.

2.1.2. Nun sieht zwar §90 Abs1 GWO administrative Einsprüche - iS eines Instanzenzuges nach §68 Abs1 VerfGG 1953 - vor, doch nur gegen ziffernmäßige Ermittlungen und Berichtigungen (in den Ergebnissen nach §83 Abs1 GWO) sowie gegen eine gesetzwidrige Beurteilung und Zurechnung von Stimmzetteln.

Zur Geltendmachung aller anderen Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens steht - weil insoweit ein zunächst zu durchlaufender Instanzenzug iS des §68 Abs1 VerfGG 1953 nicht eingerichtet ist - die unmittelbare Anfechtung der Wahl beim VfGH binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens (erster Teilsatz des §68 Abs1 VerfGG 1953) offen (vgl. zB VfSlg. 10610/1985).

2.1.3.1. Im vorliegenden Fall strebt die Einschreiterin mit ihrer Anfechtungsschrift nicht die dem Einspruchsverfahren nach §90 Abs1 GWO vorbehaltene Nachprüfung ziffernmäßiger Ermittlungen und Berichtigungen sowie die Überprüfung der wahlbehördlichen Beurteilung oder Zurechnung von Stimmzetteln an; sie rügt vielmehr die - in den Bereich sonstiger Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens fallende - Nichtzulassung ihres Wahlvorschlages sowie die Ausgabe und Verwendung verschiedenfarbiger Wahlkuverts, wofür die sofortige Wahlanfechtung nach Art141 Abs1 lita B-VG eingeräumt ist.

2.1.3.2. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Frist zur Anfechtung ist in diesem Fall die Beendigung des Wahlverfahrens (s. VfSlg. 9085/1981, 9940/1984), d. i. hier bei der Bezirksvertretungswahl die gemäß §82 Abs6 GWO der Bezirkswahlbehörde obliegende Kundmachung des Wahlergebnisses in Form der Verlautbarung "der gewählten Bewerber und der Ersatzmänner" durch Anschlag an der Amtstafel und der Veröffentlichung im Amtsblatt der Stadt Wien (vgl. auch VfSlg. 10610/1985).

Diese Verlautbarungen fanden hier am 9. November 1987 (Amtstafel) und am 21. November 1987 (Amtsblatt) statt.

Die am 7. Dezember 1987 zur Post gegebene Wahlanfechtungsschrift wurde darum rechtzeitig eingebracht.

2.1.4. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.

2.2. Zur Nichtzulassung des Wahlvorschlags:

Abgesehen davon, daß der VfGH die Ausgangsposition der Anfechtungswerberin, bei §61 a WStV handle es sich um ein Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit des §44 Abs2 GWO bildendes (Landes-)Verfassungsgesetz, aus den zu Abschnitt 2.3. angestellten Überlegungen nicht beitreten kann, genügt hier der Hinweis auf die in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung über die grundsätzliche verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit des Systems der sog. Unterstützungserklärungen (vgl. VfSlg. 2758/1954, 3653/1959, 3969/1961, 6087/1969, 6201/1970, 6207/1970, 7387/1974, 7821/1976, 8694/1979, 10065/1984, 10178/1984, 10217/1984; VfGH 2.3.1987 WI-15/86), an der - auch aus der Sicht dieses Rechtsfalls - unverändert festgehalten wird.

2.3. Zu den Bedenken gegen §62 Abs1 GWO:

2.3.1. Die Anfechtungswerberin hält die Bestimmung des §62 Abs1 GWO - lautend "Für Männer und Frauen sind verschiedenfarbige, undurchsichtige Wahlkuverte zu verwenden" für verfassungswidrig, weil sie die in §61 a der Wiener Stadtverfassung, LGBl. 28/1968, (WStV) garantierten Grundsätze, namentlich das Prinzip des geheimen Wahlrechts verletze, indem sie Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Wähler ermögliche.

2.3.2. Dabei wird jedoch übersehen, daß die das geheime Wahlrecht für Bezirksvertretungswahlen in Wien (allein) garantierende Norm des §61 a WStV - ebenso wie die bedenklich erachtete Vorschrift des §62 Abs1 GWO - lediglich auf der Stufe eines einfachen Landesgesetzes steht. (Das Erste Hauptstück der WStV (§§1 bis 112 h) ist ein schlichtes Landesgesetz mit den in den §§119 und 121 leg. cit. vorgesehenen Beschlußerfordernissen; nur das Zweite Hauptstück (§§113 bis 139 a) enthält Landesverfassungsrecht, wofür die qualifizierten Beschlußerfordernisse des Art99 Abs2 B-VG bestehen.)

Eine Verfassungswidrigkeit des §62 Abs1 GWO läßt sich darum aus der bezogenen Norm der WStV keinesfalls ableiten, ganz abgesehen davon, daß diese Bestimmung im Hinblick auf die rechtmäßige Nichtzulassung des Wahlvorschlages der Wählergruppe KPÖ für die Entscheidung dieser Rechtssache gar nicht präjudiziell in der Bedeutung des Art140 Abs1 B-VG ist.

2.3.3. Im übrigen wird auf die Ausführungen zu §62 Abs1 GWO in der Entscheidung des VfGH vom 16. Juni 1988, W I-11/87, besonders verwiesen.

2.4. Die Wahlanfechtung war darum als unbegründet abzuweisen.

2.5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Wahlen, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:WI12.1987

Dokumentnummer

JFT_10119384_87W0I012_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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