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L40019 Anstandsverletzung Lärmerregung Wien;Norm
AVG §56;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 89/10/0166Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Mag. Onder und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Mag. Kirchner, über die Beschwerden des N gegen 1.) den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. November 1988, Zl. SD 204/88 und
2.) den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 11. November 1988, Zl. MA 62-III/161/88/Str, betreffend Verwaltungsübertretungen nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 und Art. VIII
2. Fall EGVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Wien (Bundespolizeikommissariat Landstraße) führte am 27. Februar 1988 eine mündliche Verhandlung durch, in deren Verlauf ein Straferkenntnis verkündet wurde, wonach der Beschwerdeführer am 27. Februar 1988 um 08.00 Uhr in Wien 3, X-gasse 9-11, durch ein näher bezeichnetes Verhalten Verwaltungsübertretungen nach Art. VIII (2. Fall) und IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 begangen habe. In der über diese Verhandlung aufgenommenen Niederschrift scheint nach der Verhängung der Strafe unter dem Titel "Weitere Verfügungen (z.B. Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):" folgende Verfügung auf: "Vorhaft von 08.00 Uhr bis 11.00 Uhr (unleserlich) entsp S 30,--".
Unter IV. des Formulars "LagerNr. 49" der Bundespolizeidirektion Wien ist ein vom Beschwerdeführer unterzeichneter Berufungsverzicht enthalten.
Mit Schreiben vom 7. März 1988 erhob der Beschwerdeführer, nachdem ihm über sein Ersuchen eine schriftliche Ausfertigung des Straferkenntnisses zugestellt worden war, Berufung, in der er das ihm vorgeworfene strafbare Verhalten bestritt.
Mit Schriftsatz, eingelangt bei der Behörde erster Instanz am 18. März 1988, erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter abermals Berufung und stellte einen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde damit begründet, daß dem Beschwerdeführer am 27. Februar 1988 keine Rechtsmittelbelehrung, welche ihm verständlich gewesen wäre, erteilt worden sei.
In einem Schriftsatz vom 22. Dezember 1988 brachte der Beschwerdeführer vor, daß der behauptete "Rechtsmittelverzicht" während aufrechter polizeilicher Verwahrungshaft erfolgt sei. Ein festgenommener Beschuldigter könne während seiner Verwahrung einen Berufungsverzicht nicht wirksam abgeben.
Mit dem erstangefochtenen Bescheid wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien die Berufung des Beschwerdeführers, soweit sie sich gegen Punkt 2. des Straferkenntnisses (Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 - ungestümes Benehmen) richtete, im Hinblick auf den abgegebenen Rechtsmittelverzicht als unzulässig zurück.
Zur Beurteilung des Rechtsmittelverzichtes führte sie aus, daß die am 1. Juli 1988 in Kraft getretene Bestimmung des § 51 Abs. 6 VStG als Verfahrensvorschrift nicht auf den vorliegenden Fall zurückwirke.
Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wies die Wiener Landesregierung die Berufung gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, soweit sie sich gegen Punkt 1. dieses Straferkenntnisses (Übertretung nach Art. VIII zweiter Fall EGVG 1950) bezog, als unzulässig zurück. In der Begründung dieses Bescheides wurde auf die Begründung des erstangefochtenen Bescheides verwiesen.
Der Beschwerdeführer erhob zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschlüssen vom 12. Juni 1989, B 1928/88 und B 1929/88 die Behandlung der Beschwerden ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
In den an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Ergänzungen werden sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangten Behörden haben Gegenschriften erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt unter Hinweis auf das Inkrafttreten der Verwaltungsstrafgesetz-Novelle 1987 mit 1. Juli 1988 vor, daß die belangten Behörden nach der Bestimmung des § 51 Abs. 6 VStG 1950 seiner Berufung hätten Folge geben müssen, weil der von ihm am 27. Februar 1988 während aufrechter polizeilicher Verwahrungshaft erklärte Berufungsverzicht nicht wirksam gewesen sei. Die belangten Behörden haben nämlich über seine Berufung erst mit Bescheid vom 8. November 1988, entschieden. Er habe bereits in seiner Stellungnahme vom 22. September 1988, also im Zuge des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens auf die Bestimmung des § 51 Abs. 6 VStG ausdrücklich hingewiesen. Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.
Art. I Z. 13 des Bundesgesetzes, mit dem das Verwaltungsstrafgesetz geändert wird (Verwaltungsstrafgesetz-Novelle 1987), BGBl. Nr. 516/1987, bestimmt, daß § 51 folgender Absatz 6 anzufügen ist:
"(6) Ein festgenommener Beschuldigter kann während seiner Verwahrung einen Berufungsverzicht (§ 63 Abs. 4 AVG 1950) nicht wirksam abgeben."
Gemäß Art. II Abs. 1 der Novelle tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 1988 in Kraft.
Art. II Abs. 2 bestimmt, daß im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängige Verfahren nach diesem Bundesgesetz weiterzuführen sind.
Die Frage, welches Recht von der Behörde anzuwenden ist, ist eine Auslegungsfrage jener Bestimmungen, die den zeitlichen Anwendungsbereich zum Gegenstand haben.
Eine derartige Bestimmung ist im gegenständlichen Fall durch Art. II Abs. 2 VStG-Novelle 1987 vorhanden. Diese allgemein und umfassend gestaltete Regelung läßt keinen Zweifel daran, daß auf alle anhängigen Verfahren die Bestimmungen des VStG in der Fassung der Novelle 1987, also auch § 51 Abs. 6 VStG 1950 anzuwenden sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, daß es sich im gegenständlichen Fall um ein anhängiges Verfahren im Zeitpunkt des Inkrafttretens der VStG-Novelle 1987 gehandelt hat. Am 1. Juli 1988 war nämlich über die Berufung des Beschwerdeführers vom 16. März 1988 noch nicht entschieden. Daß in derselben Sache ein - vom Beschwerdeführer bestrittener - Berufungsverzicht vorgelegen ist, vermag daran nichts zu ändern. Wenn die belangten Behörden zur Unterstützung ihrer Rechtsansicht auf das hg. Erkenntnis vom 8. März 1979, Zl. 2888/78, hinweisen, ist ihnen entgegenzuhalten, daß die für dieses Verfahren in Betracht zu ziehende Novelle (VStG-Novelle 1977, BGBl. Nr. 101) eine derartige ausdrückliche Übergangsbestimmung, wie sie in der VStG-Novelle 1987 enthalten ist, nicht vorgesehen hat.
Festzuhalten ist ferner, daß der Behauptung des Beschwerdeführers, sich während der Abgabe des Berufungsverzichtes in Verwahrung iSd § 31 VStG 1950 befunden zu haben, seitens der belangten Behörden nicht entgegengetreten worden ist und sich Gegenteiliges auch aus den vorgelegten Akten nicht ergibt.
Da die belangten Behörden den zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung anzuwendenden § 51 Abs. 6 VStG nicht beachtet haben, haben sie ihre Bescheide mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb diese schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren. Damit erübrigt sich aber ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
Berufungsverfahren Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1989100165.X00Im RIS seit
03.12.2001