TE Vwgh Erkenntnis 1991/2/18 90/19/0294

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Veröffentlicht am 18.02.1991
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/05 Reisedokumente Sichtvermerke;

Norm

PaßG 1969 §25 Abs1;
PaßG 1969 §25 Abs2;
PaßG 1969 §25 Abs3 lite;
PaßG 1969 §25 Abs3;
Sichtvermerkszwang Aufhebung Türkei 1955;
VwGG §41;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 25. April 1990, Zl. III 370-22200-90, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.470,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 14. Dezember 1989 sichtvermerksfrei nach Österreich ein. Mit Eingabe vom 16. März 1990 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß § 25 Abs. 1 des Paßgesetzes 1969.

Diesen Antrag wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 25. April 1990 gemäß § 25 Abs. 1 und 2 des Paßgesetzes 1969, BGBl. Nr. 422, in der Fassung BGBl. Nr. 510/1974, 335/1979 und 135/1986 (PaßG), ab.

In der Begründung wurde nach Wiedergabe des § 25 Abs. 1 und 2 PaßG im wesentlichen ausgeführt, das Bundesministerium für Inneres habe die Frage der Erteilung eines Wiedereinreisesichtvermerkes für Gesellschafter einer GesmbH im Erlaßwege geregelt. Darin komme zum Ausdruck, daß "bei Mehrheitsgesellschaften oder sogenannten geschäftsführenden Gesellschaften" zu unterscheiden und zu prüfen sei, ob die Geschäftsführung eine tatsächliche Anwesenheit im Bundesgebiet erforderlich mache oder diese lediglich handelsrechtlicher Natur sei und daher auch vom Ausland eventuell über Bevollmächtigte in Österreich erfüllt werden könne. Die alleinige Tatsache eines Mehrheitsanteiles oder eines beherrschenden Einflusses eines Minderheitseigentümers - ohne sonstigen Nachweis des Vorhandenseins und der Herkunft der Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes - rechtfertigten die Erteilung eines Wiedereinreisesichtvermerkes nicht. Das Bundesland Vorarlberg weise einen überaus hohen Anteil an ausländischen Arbeitnehmern auf, deren Familienangehörige zu einer zunehmenden Belastung der Infrastruktur, des Wohnungs- und des Schulwesens beitrügen, sodaß eine Erhöhung des Ausländerstandes nicht mehr tragbar sei. In neuester Zeit habe sich eingebürgert, daß türkische Staatsbürger als Touristen nach Österreich einreisten und sich hier an einer Kapitalgesellschaft als Gesellschafter beteiligten. Das Bundesministerium für soziale Verwaltung habe mit Erlaß vom 3. Jänner 1985, Zl. 35470/35-2/84, den Landesarbeitsämtern Richtlinien für die Beurteilung, ob ein Gesellschafter einer GemsbH, der für die Gesellschaft Arbeitsleistungen erbringe, einer Beschäftigungsbewilligung bedürfe, bekanntgegeben. Danach sei zu prüfen, ob der Gesellschafter Mehrheits- oder Minderheitseigentümer sei. Ein Mehrheitseigentümer bedürfe für die Erbringung einer Arbeitsleistung keiner Beschäftigungsbewilligung. Minderheitseigentümer, denen beherrschender Einfluß auf die Gesellschaft nicht zukomme, bedürften zur Erbringung einer Arbeitsleistung einer Beschäftigungsbewilligung. Die belangte Behörde sei auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers eingegangen und habe festgestellt, daß die Mittel für seinen Lebensunterhalt nicht nachgewiesen worden seien. Der konkrete Nachweis über den Unterhalt sei nicht erbracht worden. Der Beschwerdeführer habe zwar seine Stellung innerhalb der Gesellschaft dargestellt, trotz Aufforderung das Vorhandensein und die Herkunft der Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes aber nicht durchschaubar nachgewiesen. Öffentliche, insbesondere wirtschaftliche Interessen an seinem Hierbleiben seien nicht gegeben, da zum einen der Arbeitsmarkt mit Ausländern in Österreich übersättigt sei und zum anderen ausländische Gesellschaften in ausreichender Zahl vorhanden seien. Die Behörde habe auf die Lage des Arbeitsmarktes Bedacht genommen, indem sie berücksichtigt habe, daß derzeit die Kontingente an ausländischen Arbeitskräften, die der Bundesminister für Arbeit und Soziales mit Verordnung festgesetzt habe, ausgeschöpft seien. Wichtige öffentliche oder gesamtwirtschaftliche Interessen erforderten die Beschäftigung des Beschwerdeführers nicht. Die belangte Behörde habe freies Ermessen ausgeübt, da kein Sichtvermerksversagungsgrund gemäß § 25 Abs. 3 PaßG vorgelegen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 23 Abs. 1 PaßG bedürfen Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet außer einem gültigen Reisedokument eines österreichischen Sichtvermerkes, soweit nicht durch zwischenstaatliche Vereinbarung anderes bestimmt wird. Gemäß Art. 1 Abs. 3 des im Zeitpunkt der Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich zur Gänze in Kraft gestandenen österreichisch-türkisch Sichtvermerksabkommens, BGBl. Nr. 194/1955, müssen die Staatsangehörigen jedes der beiden Vertragsstaaten, welche wünschen, sich in der Türkei bzw. in Österreich niederzulassen oder dort länger als drei Monate Aufenthalt zu nehmen, noch vor ihrer Einreise von den in Betracht kommenden diplomatischen oder konsularischen Vertretungsbehörden den erforderlichen Sichtvermerk einholen. Nach Art. 1 Abs. 4 des Abkommens müssen die österreichischen und türkischen Staatsangehörigen, die ohne Sichtvermerk nach der Türkei oder nach Österreich eingereist und die aus berechtigten Gründen genötigt sind, ihren Aufenthalt zu verlängern, von den örtlichen Behörden die erforderliche Bewilligung erlangen, wobei es den besagten Behörden freisteht, diese zu erteilen oder zu verweigern.

Der Regelung des § 25 Abs. 1 PaßG zufolge kann ein Sichtvermerk einem Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund gemäß § 25 Abs. 2 des Gesetzes vorliegt. Nach § 25 Abs. 2 leg. cit. hat die Behörde bei der Ausübung des ihr im Abs. 1 eingeräumten freien Ermessens auf die persönlichen Verhältnisse des Sichtvermerkswerbers und auf die öffentlichen Interessen, insbesondere auf die wirtschaftlichen und kulturellen Belange, auf die Lage des Arbeitsmarktes und auf die Volksgesundheit Bedacht zu nehmen. Gemäß § 25 Abs. 3 lit. e leg. cit. ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte.

Bei dieser Rechtslage hat die Behörde, der die Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes obliegt, zunächst festzustellen, ob und inwieweit einer der angeführten gesetzlichen Versagungsgründe vorliegt. Erst dann und nur dann, wenn die Behörde auf Grund ihrer Sachverhaltsannahme zu dem Schluß gelangt, daß keiner der Versagungsgründe des § 25 Abs. 3 PaßG gegeben ist, ist es unter Bindung an die im § 25 Abs. 2 vorgezeichneten materiell-gesetzlichen Richtlinien der Behörde überantwortet, durch einen Akt freien Ermessens über das Ansuchen um Erteilung eines Sichtvermerkes verbindlich abzusprechen (siehe u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0135).

Im Beschwerdefall stützte die belangte Behörde ihren Bescheid im Spruch ausdrücklich nur auf § 25 Abs. 1 und 2 PaßG. Sie ging also - wie sie ausdrücklich in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt hat - davon aus, daß kein Versagungsgrund gemäß § 25 Abs. 3 leg. cit., also insbesondere auch nicht der der lit. e dieser Bestimmung, vorliege. Damit steht aber in Widerspruch, daß sie ihre negative Ermessensausübung vor allem auch damit begründete, daß die Mittel für den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers nicht nachgewiesen worden seien, der konkrete Nachweis über den Unterhalt nicht erbracht worden sei und daß der Beschwerdeführer überdies trotz Aufforderung das Vorhandensein und die Herkunft der Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht durchschaubar nachgewiesen habe. Diese Ausführungen bringen zum Ausdruck, daß die belangte Behörde offenbar doch den Versagungsgrund des § 25 Abs. 3 lit. e PaßG als gegeben erachtete. In einem solchen Fall bleibt aber für eine Ermessensentscheidung gemäß § 25 Abs. 1 und 2 leg. cit., wie sie die belangte Behörde getroffen hat, kein Raum.

Diese rechtswidrige Vorgangsweise der belangten Behörde würde den Beschwerdeführer allerdings dann nicht in dem von ihm als Beschwerdepunkt geltend gemachten Recht auf Erteilung des beantragten Sichtvermerkes verletzen, wenn das Vorliegen des in der Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogenen Versagungsgrundes des § 25 Abs. 3 lit. e PaßG auf Grund des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhaltes tatsächlich zu bejahen wäre oder wenn die Ermessensübung nach § 25 Abs. 1 und 2 leg. cit. auch ohne Berücksichtigung des als Begründungselement für die Ermessensentscheidung untauglichen Tatbestandes nach § 25 Abs. 3 lit. e leg. cit. zu keinem anderen Ergebnis hätte führen können (vgl. u.a. das bereits angeführte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Zl.90/19/0135). Beides trifft hier nicht zu:

Der Beschwerdeführer hat durch Vorlage von Urkunden nachgewiesen, daß er mit einem zweiten türkischen Staatsangehörigen in Lustenau eine GesmbH zum Betrieb einer Metzgerei mit einem Stammkapital von S 500.000,-- gegründet hat und daß er an dieser Gesellschaft zu 50 % mit einer Stammeinlage in der Höhe von S 250.000,-- beteiligt ist. Ferner verfügt der Beschwerdeführer über ein Sparbuch mit einem Einlagenstand von S 147.840,--, das allerdings zur Besicherung einer Mietvorauszahlung für das Geschäftslokal der GesmbH an eine Bank verpfändet ist. Schließlich hat der Beschwerdeführer ein Konto bei der Vorarlberger Hypothekenbank mit einem Einlagenstand von S 100.000,-- per 21. März 1990, über das er frei verfügen kann. Diese durch Urkunden belegten Behauptungen des Beschwerdeführers wurden von der belangten Behörde nicht nachgeprüft. Auf Grund des bisher vorliegenden Verfahrensergebnisses war die Schlußfolgerung der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer die Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes nicht nachgewiesen habe, noch nicht gerechtfertigt.

Der belangten Behörde kann aber ebenso nicht gefolgt werden, wenn sie die dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich entgegenstehenden öffentlichen Interessen mit dem überaus hohen Anteil von ausländischen Arbeitnehmern im Bundesland Vorarlberg und der Übersättigung des Arbeitsmarktes mit Ausländern in Österreich begründete: Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid zwar nicht festgestellt, von welchem Sachverhalt sie bei ihrer Ermessensübung ausgegangen ist, doch kann aus der Begründung des angefochtenen Bescheides im Zusammenhalt mit den Ausführungen der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift entnommen werden, daß sie die durch Urkunden belegten Angaben des Beschwerdeführers über die Gründung einer GesmbH und deren rechtliche Gestaltung nicht in Zweifel gezogen hat. Das Verfahren hat keinen Anhaltspunkt dafür erbracht, daß der Beschwerdeführer die Absicht hat, in Österreich eine unselbständige Arbeit anzunehmen, weshalb die angespannte Lage am Arbeitsmarkt in Vorarlberg nicht zur Begründung des der Erteilung des begehrten Sichtvermerkes entgegenstehenden öffentlichen Interesses herangezogen werden kann. Ebenso muß der Hinweis der belangten Behörde auf den genannten Erlaß des Bundesministeriums für soziale Verwaltung ins Leere gehen, da Erlässen als Verwaltungsverordnungen bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides keine Relevanz zukommt. Eine Rechtsvorschrift, die es Ausländern untersagt, ohne Genehmigung eine Kapitalgesellschaft in Österreich zu gründen, besteht nicht.

Ob aber die belangte Behörde den Versagungsgrund des § 25 Abs. 3 lit. d PaßG wegen eines Verstoßes gegen das österreichisch-türkische Sichtvermerksabkommen (Pkt. 3) annehmen konnte, ist bei dem bisherigen Verfahrensergebnis nicht erkennbar.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde erübrigte sich.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990190294.X00

Im RIS seit

06.08.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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