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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art117 Abs2Leitsatz
Individualantrag auf Aufhebung des §23 Sbg. GemeindeO 1976 betreffend die Befangenheit von Gemeinderatsmitgliedern; kein Eingriff in die Rechtssphäre eines Gemeinderatsmitgliedes - insbesondere nicht in das aus dem passiven Wahlrecht erfließende Recht auf Ausübung des Mandates - LegitimationsmangelSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Der Antragsteller begehrt unter Berufung auf Art140 B-VG ausdrücklich die Aufhebung der Absätze 1, 2 und 4 des §23 Salzburger Gemeindeordnung 1976, LGBl. 56/1976 idF LGBl. 11/1978, 43/1979, 20/1984, 78/1985 und 106/1986, - obzwar er im Antragsvorbringen unter der Überschrift "Beschwerdeumfang" noch den "§23 zur Gänze" bezeichnet - wegen Verfassungswidrigkeit. Diese Bestimmungen sehen vor, daß Mitglieder einer Gemeindevertretung, auf welche einer der im Abs1 aufgezählten Befangenheitsgründe zutrifft, "für die Dauer der Beratung und Beschlußfassung den Sitzungssaal zu verlassen" haben (Abs1), daß Befangenheit in bestimmten Fällen der Interessenvertretung nicht vorliegt (Abs2), und daß Beschlüsse der Gemeindevertretung, die unter Mitwirkung befangener Gemeindevertretungsmitglieder gefaßt wurden, unter bestimmten Voraussetzungen "rechtsunwirksam (nichtig)" sind (Abs4).
2. Der Antragsteller führt seinen Antrag im wesentlichen wie folgt aus:
a) Er sei Mitglied der Gemeindevertretung Piesendorf und sei daher in Sachen, an denen er selbst oder Verwandte von ihm beteiligt seien, aber auch in denjenigen Sachen, in denen er in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt einer Partei bestellt sei, schließlich auch dann, wenn sonstige, nur in seiner Person gelegene wichtige Gründe vorlägen, die geeignet wären, seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu setzen, nicht nur von der Beratung und Beschlußfassung ausgeschlossen, sondern müsse auch den Sitzungssaal verlassen.
b) Der Antragsteller hält die angeführten Bestimmungen des §23 Salzburger Gemeindeordnung für gleichheitswidrig, weil das im Sinne des §23 befangene Gemeindevertretungsmitglied ohne erkennbaren Grund schlechtergestellt sei als die übrigen Mitglieder der Gemeindevertretung. Eine parteiische Entscheidung sei schon auf Grund des von jedem Mitglied der Gemeindevertretung zu leistenden Gelöbnisses (§19 Abs3 Salzburger Gemeindeordnung) "zumindest de jure ohnedies nicht möglich".
Gleichheitswidrig sei es aber auch, daß der Antragsteller im Falle der Befangenheit "nicht nur sich nicht an der Beratung und Beschlußfassung beteiligen darf, sondern auch den Sitzungssaal verlassen muß. Gemäß §24 GO sind Sitzungen der Gemeindevertretung in der Regel öffentlich. Es kann daher jeder beliebige Gemeindebürger in Sachen, an denen dieser selbst beteiligt ist bzw. seine Verwandten betroffen sind, er Vertreter von Parteien ist oder sonstige Befangenheitsgründe vorliegen, an der Gemeindevertretungssitzung teilnehmen, nicht jedoch der Gemeindevertreter, auf den dieselben Kriterien zutreffen." Dafür fehle es an einer sachlichen Begründung.
Gleichheitswidrig sei schließlich nach Meinung des Antragstellers die Bestimmung des Abs2 des §23 Salzburger Gemeindeordnung deswegen, weil "er als Interessenvertreter einer Bevölkerungsgruppe nicht von der Beschlußfassung ausgeschlossen ist, ... er aber im Sinne des Abs1 litc sehr wohl als Vertreter der Interessen eines einzelnen Mandanten von der Beschlußfassung ausgeschlossen ist".
Schließlich erachtet sich der Antragsteller als Gemeindevertreter der Gemeinde Piesendorf gegenüber den Mitgliedern anderer allgemeiner Vertretungskörper, insbesondere des Landtages und gegenüber den Mitgliedern des Nationalrates und Bundesrates schlechtergestellt. "Die Mitglieder dieser Körperschaften sind in keinem Fall von der Beratung und Beschlußfassung an Gegenständen, an denen eine Befangenheit ihrerseits zu besorgen wäre, ausgeschlossen. Eine Bestimmung dahingehend, daß sie gar den Sitzungssaal verlassen müßten, ist den entsprechenden Gesetzen fremd. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, warum ein Gemeindevertreter schlechtergestellt sein sollte als ein Mitglied einer der anderen Gebietskörperschaften."
c) Nach Meinung des Antragstellers wirke sich die angefochtene Bestimmung direkt auf ihn aus. Da ihm auch kein anderer Weg zur Bekämpfung der gesetzlichen Bestimmungen offenstünde, insbesondere die Gemeindeordnung keine Möglichkeit biete, bescheidmäßig über die Frage der Befangenheit abzusprechen, sei ihm kein anderer zumutbarer Weg zur Bekämpfung der Befangenheitsregelung des §23 Salzburger Gemeindeordnung eingeräumt.
II. Der VfGH hat zur Frage der Zulässigkeit des Antrages erwogen:
1. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG ist, daß die angefochtene gesetzliche Bestimmung die Rechtssphäre des Antragstellers tatsächlich (also nicht bloß behauptetermaßen) berührt und diese - im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit - verletzt (VfSlg. 8187/1977, 9638/1983).
2. Der VfGH hat daher zu untersuchen, ob durch das gesetzliche Verbot der Mitwirkung befangener Mitglieder der Gemeindevertretung an deren Beratung und Beschlußfassung in die subjektive Rechtssphäre dieser Mitglieder, zu denen der Antragsteller zählt, eingegriffen wird.
Der VfGH hat zur subjektiven Rechtssphäre von Gemeinderatsmitgliedern in seinem Erkenntnis VfSlg. 9638/1983 ausgeführt:
"Eine Kollegialbehörde kann ihren Willen nur durch Beschluß bilden, der durch Abgabe der Stimmen der Mitglieder zustandekommt (VfSlg. 7837/1976 S 392).
Diese Willensbildung ist somit das Ergebnis eines 'gleichzeitigen und gleichartigen, wenngleich verschieden gerichteten Zusammenwirkens einer Mehrzahl von Einzelorganen' (Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, Neudruck 1969, S 325 ff.), sie ist das 'Resultat einer gemeinschaftlichen Willensbildung (Abstimmungsergebnis) mehrerer Organwalter' (Adamovich-Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1980, S 252).
In dem Bereich der Willensbildung einer Kollegialbehörde haben die einzelnen Mitglieder dieser Behörde eine staatliche Funktion auszuüben, die - sofern nicht gesetzlich anderes normiert ist - ihre subjektive Rechtssphäre nicht berührt. Die die Willensbildung regelnden Normen haben nämlich nicht die Rechtsstellung der Organwalter, sondern deren Funktion zum Gegenstand. Diese schon in VfSlg. 5433/1966 (S 840) und 6110/1969 (S 969) zum Ausdruck gebrachten Überlegungen wurden in der späteren Rechtsprechung des VfGH noch verdeutlicht (VfSlg. 8187/1977 S 354, 8210/1977 S 447, 8385/1978 S 107, 8774/1980 S 168).
Im Bereich der kollegialen Willensbildung steht somit auch der diesen Verfahrensvorgang leitende Vorsitzende des Kollegiums dessen Mitgliedern nicht als Verwaltungsbehörde gegenüber (vgl. VfSlg. Anh. 3/1955 S 536, 4864/1964 S 759, 6837/1972 S 812). Würde der Vorsitzende eines Kollegialorganes durch Maßnahmen normativer Art subjektive Rechte eines Mitgliedes berühren - etwa das im passiven Wahlrecht liegende Recht auf Ausübung des Mandates durch Maßnahmen, die darauf hinauslaufen, die Ausübung des Mandates schlechthin zu verhindern, beispielsweise durch zwangsweise Entfernung eines Mitgliedes aus dem Sitzungssaal -, so läge ein solches Verhalten nicht mehr innerhalb des Bereiches der kollegialen Willensbildung (vgl. VfSlg. 6110/1969 S 969)."
Der Gerichtshof ist der Meinung, daß die gesetzlichen Vorschriften über die Befangenheit von Gemeinderatsmitgliedern lediglich die Willensbildung im Gemeinderat zum Gegenstand haben, ohne die Rechtsstellung der einzelnen Gemeinderatsmitglieder als gewählte Mandatare zu verändern oder gar zu verkürzen. Durch den Ausschluß eines Mitgliedes des Gemeinderates von der Beratung und Beschlußfassung des Gemeinderates in einer konkreten Angelegenheit wegen Befangenheit wird nämlich nicht "die Ausübung des Mandates schlechthin" (so VfSlg. 9638/1983) verhindert.
Auch aus dem Homogenitätsprinzip des Art117 Abs2 zweiter Satz B-VG, wonach die Bedingungen des passiven Wahlrechtes zum Gemeinderat nicht enger gezogen werden dürfen als in der Wahlordnung zum Landtag, kann nicht abgeleitet werden, daß die Rechtssphäre eines Gemeinderatsmitgliedes durch eine Befangenheitsregelung der geschilderten Art betroffen ist, mag es auch an einer solchen Regelung für Abgeordnete zum Landtag fehlen. Denn dadurch, daß der Gesetzgeber im Wege von Befangenheitsvorschriften ausschließlich die Willensbildung in der Gemeindevertretung betreffende Regelungen erlassen hat, hat er die Bedingungen des passiven Wahlrechtes nicht enger gezogen.
Weder das aus dem passiven Wahlrecht erfließende Recht des Antragstellers auf Ausübung seines Mandates als Mitglied der Gemeindevertretung noch ein sonstiges subjektives Recht des Antragstellers wird sohin durch die Befangenheitsregelung des §23 der Salzburger Gemeindeordnung betroffen. Desgleichen kann der Antragsteller auch aus Art117 Abs4 B-VG (in Verbindung mit §24 Salzburger Gemeindeordnung) über die Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen keine subjektive Rechtssphäre für sich ableiten.
3. Mangels eines Eingriffs in die Rechtssphäre des Antragstellers braucht der VfGH nicht weiter zu prüfen, ob durch die genannten gesetzlichen Bestimmungen Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt wurden, wiewohl der Antragsteller lediglich abstrakt seine mögliche Befangenheit, nicht jedoch eine aktuelle Beeinträchtigung seiner Mitwirkungsbefugnisse in der Gemeindevertretung aus Anlaß eines konkreten Falles behauptet hat. (Zur Unzulässigkeit eines Individualantrages mangels aktueller Rechtsbeeinträchtigung vgl. VfSlg. 10511/1985.)
4. Der Antrag war daher gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG zurückzuweisen, ohne daß auf das Vorbringen in der Sache einzugehen war.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Gemeinderecht Organe, Gemeinderat, Wahlen, Wahlrecht passives, Rechte subjektiveEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:G3.1988Dokumentnummer
JFT_10119379_88G00003_00