TE Vwgh Erkenntnis 1991/2/19 90/11/0114

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Veröffentlicht am 19.02.1991
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Index

90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

KFG 1967 §76 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des N gegen die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch vorläufige Abnahme des Führerscheins, zu Recht erkannt:

Spruch

Die am 23. April 1990 durch ein Organ des Gendarmeriepostenkommandos Puchenau vorgenommene vorläufige Abnahme des Führerscheins des Beschwerdeführers wird für rechtswidrig erklärt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In seiner Beschwerde gegen die im Spruch genannte Maßnahme beantragt der Beschwerdeführer, diese Maßnahme kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären. Die belangte Behörde legte die noch am Vorfallstag verfaßte Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos P gegen den Beschwerdeführer vor, erstattete aber keine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 76 Abs. 1 KFG 1967 haben Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, daß er unter anderem infolge eines außergewöhnlichen Erregungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt, den Führerschein vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die vorläufige Abnahme des Führerscheins eine Sicherungsmaßnahme, die im Interesse der Verkehrssicherheit gesetzt wird. Sie soll verhindern, daß eine Person ein Kraftfahrzeug lenkend am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl sie sich in einem Zustand befindet, in dem sie das Kraftfahrzeug nicht zu beherrschen imstande ist (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 23. Jänner 1987, Zl. 86/11/0146, und vom 12. Juni 1990, Zl. 89/11/0253).

Der Verwaltungsgerichtshof nimmt auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers, der Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos P und der Zeugenaussagen jener zwei Gendarmeriebeamten, die am 23. April 1990 eingeschritten sind, folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Der Beschwerdeführer lenkte am 23. April 1990 kurz nach 07.00 Uhr in P einen Lkw-Zug von der Kirchenstraße kommend in Richtung Gartenstadtstraße. Auf dieser Straße näherte sich von rechts ein Gendarmeriefahrzeug. Der Beschwerdeführer fuhr mit dem Lkw-Zug in die Kreuzung ein und brachte ihn erst aufgrund von Hupsignalen des Gendarmeriefahrzeugs zum Stillstand, wobei sein Fahrzeug in die Kreuzung hineinragte. Bei der anschließenden Lenker- und Fahrzeugkontrolle durch die beiden Insassen des Gendarmeriefahrzeugs wurde dem Beschwerdeführer eine Vorrangverletzung vorgeworfen. Der Beschwerdeführer erklärte sich zunächst bereit, das ihm in Aussicht gestellte Organmandat zu bezahlen. In der Folge verweigerte er dies mit dem Hinweis, er wolle einen Anwalt mit dem Fall betrauen. Es kam zu einer wörtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und den beiden Gendarmerieorganen. Dabei geriet der Beschwerdeführer in einen Zustand deutlich erkennbarer heftiger Erregung (hochroter Kopf, Zittern, heftiges Gestikulieren mit den Armen, lautstarke Unmutsäußerungen u.dgl.). Da sich das Geschehen bereits einige Zeit hinzog und der Lkw-Zug verkehrsbehindernd im Kreuzungsbereich stand, wurde der Beschwerdeführer noch während der Auseinandersetzung aufgefordert, das Fahrzeug anderswo zu parken. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer nach, wobei keine Auffälligkeiten bei der Handhabung des Fahrzeugs durch ihn wahrgenommen wurden. Da der Beschwerdeführer weiterhin Anzeichen von Erregung aufwies, wurde ihm von den Gendarmeriebeamten erklärt, sein Führerschein werde nicht wieder ausgefolgt, sondern gemäß § 76 Abs. 1 KFG wegen eines außergewöhnlichen Erregungszustands vorläufig abgenommen. Die Abnahme des Führerscheins erfolgte um ca. 07.25 Uhr.

Bei diesen Feststellungen stützt sich der Verwaltungsgerichtshof im wesentlichen auf die Anzeige und die Aussagen der (im Rechtshilfeweg durch ersuchte Gerichte) als Zeugen vernommenen zwei Gendarmeriebeamten; der Beschwerdeführer ist ihrer Darstellung des Geschehens nicht entgegengetreten. Was die Annahme eines beim Beschwerdeführer bestandenen Zustandes heftiger Erregung betrifft, folgt der Gerichtshof der glaubhaften Schilderung der von den Gendarmeriebeamten bei ihm wahrgenommenen Anzeichen für einen derartigen Zustand, zumal der Beschwerdeführer selbst nie behauptet hat, während des Vorfalles nicht erregt gewesen zu sein. Er hat lediglich bestritten, sich in einem seine "Verkehrszuverlässigkeit" (Beschwerde) bzw. "Verkehrstüchtigkeit" (im Zuge des Parteiengehörs erstattete Äußerung vom 4. Jänner 1991) beeinträchtigenden Erregungszustand befunden zu haben.

Der Verwaltungsgerichtshof geht sohin davon aus, daß sich der Beschwerdeführer zwar auch noch bei der vorläufigen Abnahme seines Führerscheins in einem erregten Zustand befunden hat. Der Gerichtshof hält aber die Annahme nicht für berechtigt, der Beschwerdeführer wäre infolge seines Erregungszustands nicht mehr imstande gewesen, das Kraftfahrzeug zu beherrschen. Der Beschwerdeführer wurde nämlich, wie Inspektor Josef F. als Zeuge angab, von diesem noch während der Auseinandersetzung aufgefordert, den Lkw-Zug anderswo zu parken. Der Zeuge führte dazu weiter aus, er habe gehofft, der Beschwerdeführer werde danach etwas ruhiger sein, es sei aber keine Änderung in seinem Verhalten festzustellen gewesen. Daraus folgt zunächst, daß der Grad der Erregung des Beschwerdeführers nach der Entfernung des Fahrzeugs von der Kreuzung jedenfalls nicht höher war als vorher. Die besagte Aufforderung läßt weiters erkennen, daß der Beschwerdeführer ungeachtet seiner Erregung für fähig erachtet wurde, den Lkw-Zug im Sinne der Aufforderung ohne Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer zu lenken. Es kann den Gendarmeriebeamten nicht unterstellt werden, daß sie eine derartige Aufforderung an einen dazu augenscheinlich nicht befähigten Lenker gerichtet und damit unabsehbare Gefahren für die übrigen Verkehrsteilnehmer herbeigeführt hätten. Jedenfalls aber mußten die Gendarmeriebeamten den Beschwerdeführer während des Fahrmanövers genau beobachten. In den Aussagen der beiden Gendarmeriebeamten findet sich nun nicht der geringste Hinweis darauf, daß ihnen am Verhalten des Beschwerdeführers bei der Inbetriebnahme, beim Lenken und beim Einparken des Lkw-Zuges etwas aufgefallen wäre, was Rückschlüsse auf seine mangelnde Fähigkeit zum weiteren Lenken des Kraftfahrzeugs zuließe. Der Gerichtshof zieht daraus den Schluß, daß der Beschwerdeführer trotz seines Erregungszustands das Kraftfahrzeug einwandfrei zu beherrschen imstande war (vgl. dazu das einen ähnlich gelagerten Fall betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März 1988, Zl. 87/11/0011). Es ist nun kein Grund ersichtlich, weshalb er dazu später, also in der Phase der abklingenden Erregung, nicht mehr fähig gewesen sein sollte.

Die vorläufige Abnahme des Führerscheins beruht demnach auf einer unzutreffenden Einschätzung der Auswirkungen des Erregungszustands des Beschwerdeführers auf seine Fähigkeit zum Beherrschen des Kraftfahrzeugs. Die vorläufige Abnahme seines Führerscheins entsprach daher nicht dem Gesetz.

Aus diesem Grund war die angefochtene Maßnahme gemäß § 42 Abs. 4 VwGG (in der gemäß Art. III Abs. 3 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 330/1990 anzuwendenden Fassung vor dieser Novelle) für rechtswidrig zu erklären.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990110114.X00

Im RIS seit

19.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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