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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art140 Abs7 zweiter SatzLeitsatz
Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt des Beginnes der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung) bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985) Die mündliche Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 29. September 1987, 10.30 Uhr. Der Verfahrenshilfeantrag des Beschwerdeführers war damals bereits beim VfGH eingelangt. Die in der Folge (durch einen Rechtsanwalt) eingebrachte Beschwerde galt den §§73 Abs2 und 464 Abs3 ZPO iVm. §35 Abs1 VerfGG zufolge als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages, somit als noch vor der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren erhoben und damit beim VfGH anhängig Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten Rechtsverletzung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes nach Aufhebung des §3 FrPG idF der Novelle 1986 als verfassungswidrig mit E v 29.09.87, G138-141/87 - offenkundig nachteilige Gesetzesanwendung.Spruch
Die bf. Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der bf. Partei zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Die Bundespolizeidirektion (BPD) Wien verhängte mit rk. Bescheid vom 27. März 1986 über den Bf. - einen griechischen Staatsangehörigen - gemäß §3 Abs1 und §3 Abs2 litb iVm §4 des Fremdenpolizeigesetzes (FrPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.
Mit Eingabe vom 27. November 1986 beantragte er, das Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu, ihm einen Vollstreckungsaufschub zu gewähren. Diesem Antrag gab die BPD Wien mit Bescheid vom 17. August 1987 gemäß §8 bzw. §6 Abs2 FrPG keine Folge.
2. Mit einer am 28. September 1987 zur Post gegebenen, beim VfGH am 29. September 1987, 09,53 Uhr eingelangten Eingabe beantragte er, ihm zur Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen den erwähnten Bescheid der BPD Wien Verfahrenshilfe zu gewähren. Diesem Ersuchen wurde stattgegeben und in der Folge am 14. Dezember 1987 (innerhalb der vom VfGH gesetzten Frist) vom Verfahrenshelfer die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde eingebracht.
Darin wird die Verletzung näher bezeichneter, verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.
3. Die BPD Wien als bel. Beh. - vertreten durch die Finanzprokuratur - erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt wird.
II. 1. Der angefochtene Bescheid wird zwar explizit nur auf
§8 FrPG (über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes) und auf
§6 Abs2 FrPG (über den Aufschub der Vollstreckung eines
Aufenthaltsverbotes) gestützt. Beide Gesetzesbestimmungen sind aber nur vor dem Hintergrund des §3 FrPG (über das Aufenthaltsverbot) zu verstehen (vgl. zB VfGH 7.3.1988 B567/87 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur). Die Behörde hatte also bei Erlassung des angefochtenen Bescheides auch §3 FrPG anzuwenden, und zwar idF der Nov. BGBl. 555/1986. Sie wendete ihn - wie sich aus der Bescheidbegründung ergibt - auch tatsächlich an.
2. Der VfGH leitete aus Anlaß anderer Beschwerden gemäß Art140 Abs1 B-VG Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §3 FrPG idF der Nov. 1986 ein. Die Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 29. September 1987 um 10,30 Uhr. Mit Erkenntnis vom selben Tag, G138/87 u.a. Zlen., hob der VfGH die geprüfte Vorschrift als verfassungswidrig auf.
III. 1. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt des Beginnes der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung) bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985).
Die mündliche Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 29. September 1987, 10,30 Uhr. Der Verfahrenshilfeantrag des Bf. war damals bereits beim Verfassungsgerichtshof eingelangt. Die in der Folge (durch einen Rechtsanwalt) eingebrachte Beschwerde galt den §§73 Abs2 und 464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG zufolge als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages, somit als noch vor der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren erhoben und damit beim VfGH anhängig.
Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.
Die bel. Beh. wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig befundene Vorschrift an. Nach der Lage des Falles ist es offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Bf. nachteilig war.
Es ist daher auszusprechen, daß der Bf. durch den angefochtenen Bescheid wegen der Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt wurde sowie, daß der Bescheid aufgehoben wird (vgl. etwa VfSlg. 10736/1985).
2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 1.000 S enthalten.
Schlagworte
VfGH / Verfahrenshilfe, VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B1003.1987Dokumentnummer
JFT_10119379_87B01003_00