TE Vwgh Erkenntnis 1991/3/8 90/11/0123

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Veröffentlicht am 08.03.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1 Z2;
KDV 1967 §30 Abs1;
KDV 1967 §34 Abs1 litd;
KDV 1967 §34 Abs3;
KFG 1967 §67 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. Mai 1990, Zl. MA 70-8/166/90, betreffend Versagung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. Mai 1990 wurde das Ansuchen des Beschwerdeführers um Erteilung der Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B gemäß § 64 Abs. 2 KFG 1967 abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Dem angefochtenen Bescheid liegt zugrunde, daß der Beschwerdeführer in den Gutachten ärztlicher Amtssachverständiger vom 12.Dezember 1989 und vom 21. Februar 1990 als zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B nicht geeignet beurteilt wurde. Als Begründung findet sich im ersteren Gutachten die Bemerkung "Chron. Alk. (motor. Unruhe, Tremor) S. Kuratorium" und im letzteren Gutachten der Vermerk "vorzeitiger Altersabbau". Beide Gutachten stützen sich erkennbar auf den Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 21. November 1989, der auf einer am 7. November 1989 durchgeführten Untersuchung des Beschwerdeführers beruht. Bei der Beschreibung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen finden sich folgende Ausführungen: In der Rubrik Visuelle Auffassung: "Völlig unzureichende Mengenleistung, der qualitative Aspekt ist daher nicht vollinhaltlich interpretierbar, es zeigen sich weiters auffällige Leistungsschwankungen."; in der Rubrik Überblicksgewinnung:

"Erheblich herabgesetzte Detailgenauigkeit bei wiederum sehr schwankendem Leistungsverlauf."; in der Rubrik Reaktionszeit:

"Massiv verlängert, über die Leistungsqualität kann daher keine stichhaltige Aussage getroffen werden."; in der Rubrik Belastbarkeit: "Bereits unter geringen Anforderungen aufgrund deutlich erhöhter Reaktionsausfälle und vermehrter verzögerter Reaktionen nur unterdurchschnittliches Leistungsniveau. Ähnliches Verhaltensmuster auch unter hohen Anforderungen, erst gegen Ende zu (unter mittleren Anforderungen) ist ein leichter Leistungsanstieg erhebbar. Besonders auffällig ist der äußerst schwankende Leistungsverlauf."; in der Rubrik Konzentrationsfähigkeit: "Wiederum erhebliche Aufmerksamkeitsschwankungen, insgesamt jedoch qualitativ und quantitativ ausreichend."; bei der Koordination der Muskelbewegungen "Anfänglich deutliche Einstellungsschwierigkeiten, nach Überwindung dieser durchaus routinierte Bewegungsführung, in den Vordergrund treten jedoch die erheblich motorische Unruhe und der massive Fingertremor des Probanden."; in der Rubrik Intelligenz und Erinnerungsvermögen: "Im Sinne der Fragestellung ausreichend".

Die "Zusammenfassung der Befunde/Gutachten" lautet:

"Im Bereich der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen treten durchwegs erhebliche Leistungsschwankungen in den Vordergrund, in einigen Bereichen ist auch eine gravierende altersuntypische Verlangsamung erkennbar. So kommt es vor allem im Bereich der visuellen Auffassung, der Überblicksgewinnung und des Reaktionsverhaltens in Einfachwahlsituationen zu erheblichen Beeinträchtigungen im Sinne der KDV, deutlich herabgesetzt auch die reaktive Dauerbelastbarkeit. Ausreichend ausgeprägt wären nur die Konzentrationsfähigkeit und - nach einer längeren Eingewöhnungsphase - auch die Sensomotorik. Bei der Koordination und Automation neuartiger kraftfahrtypischer Bewegungsabläufe fällt jedoch eine motorische Unruhe und ein deutlicher Fingertremor des Probanden auf. Von seiten der Intelligenz wären die Voraussetzungen gegeben.

Eignungsausschließend stellt sich jedoch die Befundlage im Persönlichkeitsbereich dar. Hier zeigen sich sowohl testmäßig als auch in Verhaltensbeobachtung und Exploration erhebliche Risikofaktoren in Form der mangelnden Fähigkeit zu Selbstkritik, der hohen Dissimulationstendenz, des unzureichenden Normenbewußtseins und der geringen Gewissenhaftigkeit bei ebenfalls herabgesetzter Selbstkontrolle und der deutlich vermehrten alkoholaffinen Einstellungen. Im Gespräch wirkt der Proband sehr unmotiviert und nur begrenzt auskunftsbereit, die Vorfälle werden äußerst verharmlosend geschildert, er neigt ausschließlich zu externaler Schuldzuweisung. Da derzeit kein ausreichendes Problembewußtsein sowie Änderungsbereitschaft besteht und angesichts der derzeitigen Gesamtbefundlage (altersuntypischer Leistungsabbau, motorische Unruhe, Tremor, auffällige ATV-Ergebnisse) zusätzlich Hinweise auf eine erhöhte Alkoholgefährdung gegeben sind, muß Herr N vom Standpunkt verkehrspsychologischer Begutachtung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B als

derzeit nicht geeignet

bezeichnet werden."

Die belangte Behörde führte in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, Umstände, die die Richtigkeit und Schlüssigkeit der ärztlichen Gutachten in Frage stellen könnten, seien nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer sei diesen Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Er besitze daher derzeit nicht die erforderliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B, weshalb sein Antrag auf Erteilung der Lenkerberechtigung abzuweisen gewesen sei.

Der angefochtene Bescheid beruht auf der Annahme, dem Beschwerdeführer fehle die gemäß § 64 Abs. 2 KFG 1967 erforderliche geistige und körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Dies verkennt der Beschwerdeführer offensichtlich bei seinen Ausführungen, wonach bei ihm künftighin die "absolute Verkehrszuverlässigkeit" gewährleistet sei.

Gemäß § 30 Abs. 1 KDV 1967 gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

1. ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen ist,

2. die nötige

a)

Körpergröße,

b)

Körperkraft und

c)

Gesundheit besitzt und

3.

ausreichend frei von Gebrechen ist.

Darüber hinaus müssen die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gegeben sein.

Tatsachen im Sinne des § 30 Abs. 1 erster Satz Z. 2 und 3 KDV 1967, welche die körperliche Eignung des Beschwerdeführers ausschließen würden, wurden zwar von der belangten Behörde nicht ausdrücklich festgestellt. Sie hat aber in der Begründung des angefochtenen Bescheides unter anderem das Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen vom 12. Dezember 1989, in dem von chronischem Alkoholismus die Rede ist, als eine für ihre Entscheidung maßgebliche Grundlage bezeichnet. Bei chronischem Alkoholismus handelt es sich um einen krankhaften Zustand im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967 (vgl. zu diesem Begriff das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Mai 1987, Zl. 86/11/0026). Wird bei einer Person ein derartiger Zustand festgestellt, ist gemäß § 34 Abs. 3 KDV 1967 die Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt anzuordnen. Da nach der Aktenlage eine solche Untersuchung im vorliegenden Fall nicht vorgenommen worden ist, kann schon deshalb keine Rede davon sein, daß der insoweit maßgebende Sachverhalt ausreichend ermittelt worden wäre. Daher vermag das Gutachten vom 12. Dezember 1989 keine taugliche Grundlage für den angefochtenen Bescheid zu bilden.

Die im ärztlichen Gutachten vom 21. Februar 1990 enthaltene Beurteilung "vorzeitiger Altersabbau" steht offensichtlich im Zusammenhang mit jenen Ausführungen in der "Zusammenfassung" des Befundes der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle vom 21. November 1989, in denen von "altersuntypischer Verlangsamung" bzw. "altersuntypischem Leistungsabbau" die Rede ist. Diese Ausführungen betreffen jene Mängel, die bei der Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen des Beschwerdeführers festgestellt wurden, und damit die im § 30 Abs. 1 letzter Satz KDV 1967 genannte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit.

Nach der dargestellten Rechtslage wäre der angefochtene Bescheid dann nicht rechtswidrig, wenn die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen beim Beschwerdeführer derart herabgesetzt wären, daß deshalb seine Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B auszuschließen wäre. Dem Gutachten des ärztlichen Sachverständigen vom 21. Februar 1990 ist aber diesbezüglich nichts Näheres zu entnehmen. Der ihm zugrundeliegende Befund der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle spricht von "erheblichen Leistungsschwankungen", "gravierender altersuntypischer Verlangsamung" und "erheblichen Beeinträchtigungen im Sinne der KDV", ohne auszuführen, wie gravierend diese Mängel sind und ob sie dem Beschwerdeführer das sichere Beherrschen von Kraftfahrzeugen der Gruppe B und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften unmöglich machen. Die folgenden Ausführungen im Befund der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle, die sich mit der Persönlichkeit des Beschwerdeführers befassen, zeigen, daß der Befund von einer Verknüpfung der festgestellten Leistungsmängel mit der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers ausgeht, und zwar dergestalt, daß (erst) ihretwegen die vorgefundenen Leistungsmängel als eignungsausschließend anzusehen sind. Mit den Mängeln im Persönlichkeitsbereich des Beschwerdeführers hat sich aber das ärztliche Gutachten vom 21. Februar 1990 in keiner Weise befaßt, obwohl sie nach dem Kuratoriumsbefund bei der Beurteilung der Eignung offensichtlich ausschlaggebend waren. Diesem Gutachten fehlt daher die Schlüssigkeit.

Da die Frage der geistigen und köperlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B mangels ausreichender Ermittlungsergebnisse derzeit nicht abschließend beurteilt werden kann, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990110123.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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