Index
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
AVG §7 Abs1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des P gegen den Bescheid des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 5. Juli 1990, Zl. GA 10-504/4/89, betreffend die Ablehnung des Vorsitzenden des Spruchsenates, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Finanzstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer schrieb der Vorsitzende des Spruchsenates (in der Folge nur noch als "Vorsitzender" bezeichnet) die Verhandlung für den 5. Juli 1989 aus. Der Verteidiger des Beschwerdeführers, dem die Ladung ebenso wie dem Beschwerdeführer erst am 28. Juni 1989 zugestellt wurde, versuchte sogleich den Vorsitzenden zu erreichen, um die Verschiebung der Verhandlung zu erwirken, doch gelang ihm dies erst am 4. Juli 1989. Bei der telefonischen Unterredung am 4. Juli 1989 kam es zu Meinungsverschiedenheiten, aus denen der Verteidiger des Beschwerdeführers auf einen Befangenheitsgrund schloß und den Vorsitzenden ablehnte.
Der Präsident der Finanzlandesdirektion wies den Ablehnungsantrag mit Bescheid vom 5. Juli 1989, Zl. GA 10-504/89, als verspätet zurück. Mit Erkenntnis vom 13. Dezember 1989, Zl. 89/13/0164 (Vorerkenntnis), hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf.
Im fortgesetzten Verwaltungsverfahren holte die belangte Behörde zum Ablehnungsantrag des Beschwerdeführers eine Stellungnahme des Vorsitzenden ein, zu der der Beschwerdeführer (sein Verteidiger) eine Gegenäußerung abgab.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Präsident der Finanzlandesdirektion den Ablehnungsantrag als unbegründet ab. Zur Begründung der abweisenden Entscheidung legte die belangte Behörde dar, die Verfassungsbestimmung des § 66 Abs. 1 FinStrG besage, daß die Mitglieder der Spruch- und Berufungssenate in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden seien. Abs. 2 dieser Gesetzesstelle bestimme, daß den Vorsitz ein Richter des Dienststandes führe. Das Verfahren vor dem Spruchsenat werde vom Vorsitzenden geleitet, der ein unabhängiges, an keine Weisungen oder Empfehlungen der Finanz-(Straf-)Behörde gebundenes Organ der zuständigen Finanzstrafbehörde sei. Wenn nun der Vorsitzende in einer grundsätzlich zu spät erfolgten Zustellung, die die Vorbereitungszeit für eine mündliche Verhandlung auf sechs Tage reduziere, da der Gesetzgeber nur davon ausgegangen sei, daß "in der Regel" vierzehn Tage Frist einzuräumen seien, keinen Grund für eine Vertagung der Verhandlung erblicke, habe die Finanzstrafbehörde keine Möglichkeit, in diese Entscheidung einzugreifen.
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Verweigerung der Vertagung bereits eine Befangenheit des Vorsitzenden zum Ausdruck bringe, müsse doch der Stellungnahme des Vorsitzenden gefolgt werden, daß er aus Zweckmäßigkeitserwägungen eine Vertagung nicht vornehmen wollte (konnte); das Angebot der Verteidigung, die Verständigung der geladenen Personen vorzunehmen, hätte den Vorsitzenden nicht seiner Pflicht enthoben, alle verfahrensleitenden Maßnahmen selbst zu treffen bzw. durch die Behörde treffen zu lassen.
Die Ablehnung des Vorsitzenden habe der Beschwerdeführer ausschließlich damit begründet, daß es zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger zu einem heftigen Wortgefecht gekommen sei. An dieser Auseinandersetzung wären nur der Vorsitzende und der Verteidiger beteiligt gewesen. Eine Befangenheit des Vorsitzenden gegenüber dem Beschuldigten hätte dadurch schwerlich entstehen können und werde auch nicht behauptet. Da der Spruchsenat über die gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe zu entscheiden habe, könne nur eine Befangenheit gegenüber dem Beschuldigten wesentlich sein. Es wäre freilich denkbar, daß eine bedeutende Animosität zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger Rückwirkungen auf den Beschuldigten habe; dafür fänden sich aber im Beschwerdefall keine Anhaltspunkte. Der Vorsitzende habe das Verfahren nicht schon in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 1989 abgeschlossen. Der Beschuldigte habe also Gelegenheit gehabt, seine Parteienrechte in der Verhandlung am 11. Oktober 1989 zu wahren. Die Tatsache, daß der Verteidiger anläßlich der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 1989 gemäß § 74 Abs. 1 FinStrG keinen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden eingebracht habe, spreche dafür, daß die telefonische Auseinandersetzung am 4. Juli 1989 aus zeitlicher Distanz nicht als so gravierend angesehen worden wäre, um darin eine Befangenheit des Vorsitzenden zu erblicken.
Die vorliegende Beschwerde macht sowohl inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides als auch dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 73 FinStrG steht dem Beschuldigten in jeder Lage des Verfahrens das Recht zu, am Verfahren beteiligte Organe der Finanzstrafbehörde mit der Begründung abzulehnen, daß Umstände der im § 72 bezeichneten Art vorliegen.
Gemäß § 72 Abs. 1 lit. e leg. cit. haben sich die Organe der Finanzstrafbehörden der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.
Es mag im Sinne des angefochtenen Bescheides zutreffen, daß die "Finanzstrafbehörde" keine Möglichkeit hat, in die Entscheidung des Vorsitzenden einzugreifen, eine anberaumte mündliche Verhandlung zu vertagen oder nicht zu vertagen. Dieses Argument der belangten Behörde trägt aber nichts zur Lösung des Beschwerdefalles bei, weil hier nicht die Befugnisse des Vorsitzenden und die Eingriffsmöglichkeiten der belangten Behörde (Finanzstrafbehörde) in diese in Streit stehen, sondern die Frage, ob der Vorsitzende seine Befugnisse unbefangen ausübte.
Die Ausführungen der belangten Behörde, daß die Befangenheit des Vorsitzenden gegenüber dem Beschuldigten bestehen müsse, da der Senat über die gegen diesen erhobenen Vorwürfe zu entscheiden habe, teilt der Verwaltungsgerichtshof. Die belangte Behörde erkennt aber auch richtig, daß eine bedeutende Animosität zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger Rückwirkungen auf den Beschuldigten haben kann. Der Vorwurf einer solchen rückwirkenden Animosität liegt nun dem vorliegenden Ablehnungsantrag schlüssig zugrunde.
Aus dem Umstand, daß der Verteidiger anläßlich der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 1989 keinen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden (mehr) einbrachte, ist nicht abzuleiten, daß der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger dem bereits gestellten Ablehnungsantrag später kein Gewicht mehr beimaßen. Auf Grund des Ablehnungsantrages vom 4. Juli 1989 hat der Beschwerdeführer die Befangenheit des Vorsitzenden in - wie das Vorerkenntnis zeigt - zulässiger Weise eingewendet. Er war nicht mehr verhalten, diesen Einwand zu wiederholen. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 5. Juli 1989 erhobene und zur Zeit der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 1989 noch anhängige Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde läßt die Annahme, der Beschwerdeführer wäre in irgendeiner Weise von der Befangenheitseinrede abgerückt, nicht zu. Es ist vielmehr nach wie vor der Ablehnungsantrag vom 4. Juli 1989 aufrecht und Grundlage für die Entscheidung, ob die Befangenheit des Vorsitzenden zu Recht geltend gemacht wurde.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes wurde die Befangenheit nicht zu Recht geltend gemacht. Ergeben sich doch die als wichtige Gründe im Sinne des § 72 Abs. 1 lit. e FinStrG ins Treffen geführten Vorwürfe mangelnder Kooperation des Vorsitzenden mit dem Verteidiger und der Verteidigerfeindlichkeit letztlich aus der Tatsache, daß der Vorsitzende rechtlich vertretbar - Gegenteiliges vermag auch der Beschwerdeführer bzw. sein Verteidiger nicht aufzuzeigen - der Vertagungsbitte nicht entsprach. Der Umstand, daß eine für den Beschwerdeführer bzw. seinen Verteidiger positive Erledigung der Vertagungsbitte ebenfalls durchaus vertretbar gewesen wäre, vermag noch keine Befangenheit des Vorsitzenden zu begründen.
Bezüglich der "Atmosphäre" des Telefonates zwischen dem Verteidiger und dem Vorsitzenden am 4. Juli 1989 steht Aussage gegen Aussage. Der Verteidiger hält die Gesprächsführung durch den Vorsitzenden für unsachlich ("verteidigerfeindlich"), der Vorsitzende gibt in seiner Stellungnahme zum Ablehnungsantrag hingegen an, er habe das Begehren des Verteidigers um Verlegung der für den 5. Juli 1989 anberaumten mündlichen Verhandlung in sachlicher Form abgelehnt; er stehe dem Beschuldigten und auch dessen Verteidiger völlig unbefangen gegenüber. Der Umstand, daß der Vorsitzende die Ausschreibung der mündlichen Verhandlung mit den erforderlichen Ladungen ohnedies schon Anfang Mai 1989 verfügte, wie dies auch der Ablehnungsantrag nicht in Frage stellt, spricht gegen eine "feindselige" Haltung des Vorsitzenden gegenüber dem Beschwerdeführer bzw. seinen Verteidiger; daß der Vorsitzende in irgendeiner Weise daran beteiligt gewesen wäre, daß die bereits Anfang Mai verfügten Ladungen von dem hiefür zuständigen Behördenorgan erst Ende Juni 1989 ausgefertigt wurden, wirft der Beschwerdeführer dem Vorsitzenden nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof vermag daher im Standpunkt der belangten Behörde keine Rechtswidrigkeit zu erblicken, es müsse bei der Beurteilung der Frage, ob eine Verweigerung der Vertagung bereits eine Befangenheit des Vorsitzenden zum Ausdruck bringe, der Stellungnahme des Vorsitzenden gefolgt werden, daß er aus Zweckmäßigkeitserwägungen, wie sie im angefochtenen Bescheid erwähnt sind, keine Vertagung vornahm, zumal die Anberaumung einer weiteren mündlichen Verhandlung für den 11. Oktober 1989 dem Beschwerdeführer ohnehin die Möglichkeit bot, seine Rechte als Beschuldigter wahrzunehmen.
Hinsichtlich der noch nicht im Ablehnungsantrag vom 4. Juli 1989, sondern erst in der Gegenäußerung vom 2. Mai 1990 namhaft gemachten Zeugin T., die einen Großteil des Gespräches mit dem Vorsitzenden mitgehört haben soll, ist in Rechnung zu stellen, daß nach dem Vorbringen des Verteidigers in seinem Zusammenhang unter diesem Gespräch nur das Telefongespräch am 4. Juli 1989 verstanden werden kann, die Zeugin also nur dieses Telefongespräch beim Verteidiger mitgehört haben kann. Der Beschwerdeführer hat weder im Verwaltungsverfahren, noch in der Beschwerde aufgezeigt, wie die Zeugin bei dieser Sachlage die feindselige Haltung des Vorsitzenden feststellen konnte. Bezüglich des ebenfalls erst in der Gegenäußerung vom 2. Mai 1990 angeführten Zeugen Dr. gab der Beschwerdeführer (Verteidiger) überhaupt nicht - weder in der Gegenäußerung noch in der Beschwerde - an, worüber er Zeugnis hätte ablegen sollen. Es liegt daher darin, daß die belangte Behörde die Zeugen nicht einvernahm, kein wesentlicher Verfahrensmangel. Eine Einvernahme des Verteidigers war entbehrlich, weil er seinen Standpunkt im Verwaltungsverfahren ohnedies in seinen Schriftsätzen schon mehrfach dargelegt hatte. Auf Grund dieser Schriftsätze und der Stellungnahme des Vorsitzenden durfte die belangte Behörde abwägen, ob dessen behauptete Befangenheit vorlag. Dadurch, daß sie sich dem Standpunkt des Vorsitzenden anschloß, fehlt der Annahme des Beschwerdeführers, die belangte Behörde zweifle offensichtlich gar nicht an der Darstellung des Beschwerdeführers und lege dem angefochtenen Bescheid einschränkungslos den vom Beschwerdeführer (seinem Verteidiger) in seinen Schriftsätzen vorgetragenen Sachverhalt zugrunde, die Berechtigung.
Zum Vorbringen des Beschwerdeführers in der Gegenäußerung vom 2. Mai 1990, der Vorsitzende habe die mündliche Verhandlung am 11. Oktober 1989 mit beträchtlicher Verspätung begonnen, sei noch am Rande bemerkt, daß von dieser Verspätung selbst nach den Ausführungen des Verteidigers nicht nur dieser und der Beschuldigte, sondern auch der Vertreter des Nebenbeteiligten, Zeugen und der Amtsbeauftragte betroffen waren. Die Verspätung und ein daraus allenfalls abzuleitendes unsachliches Verhalten des Vorsitzenden hätte sich also nicht nur gegen den Beschuldigten und seinen Verteidiger gerichtet und eine Befangenheit des Vorsitzenden speziell gegen den Beschwerdeführer bzw. seinen Verteidiger nicht dargetan. Im übrigen hat der Beschwerdeführer das Verhalten des Vorsitzenden am 11. Oktober 1989 nicht zum Gegenstand eines Ablehnungsantrages gemacht.
Zusammenfassend konnte der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzeigen. Seine Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Befangenheit der Mitglieder von Kollegialbehörden Verhältnis zu anderen Materien und NormenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990130211.X00Im RIS seit
24.01.2001