TE Vwgh Erkenntnis 1991/3/19 86/05/0140

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Veröffentlicht am 19.03.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §68 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Würth, Dr. Degischer und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 19. August 1986, Zl. II/2-V-84109/2, betreffend Nichtigerklärung eines Bescheides (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde S), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 28. Jänner 1982 hatte der Beschwerdeführer die Erteilung der Baubewilligung für den Abbruch eines bestehenden und die Errichtung eines neuen Wohnhauses an dessen Stelle (im Grünland) beantragt. Diesen Antrag zog er am 19. Mai 1982 zurück. Mit Ansuchen vom 1. Juni 1982 beantragte er die baubehördliche Bewilligung zur Abänderung bzw. Sanierung des bestehenden Wohnhauses auf dem Grundstück Nr. nn, EZ nnn, KG X. Mit Bescheid vom 17. Juni 1982 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde dem Beschwerdeführer die Bewilligung für den Umbau bzw. die Sanierung des Wohnhauses, nach den Planunterlagen auch für einen Zubau. Mit Bescheid vom 21. Juli 1983 forderte der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde den Beschwerdeführer auf, das Bauvorhaben sofort einzustellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Beschwerdeführer sei am 17. Juni 1982 für die Althaussanierung des Wohnhauses eine Bewilligung erteilt worden. Jetzt habe er das Wohnhaus zur Gänze niedergerissen und wieder aufgebaut.

Gleichfalls am 21. Juli 1983 erließ der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde an den Beschwerdeführer eine Strafverfügung, weil er in der Zeit vom 1. Juni 1983 bis 21. Juli 1983 das Wohnhaus abgetragen und neu aufgebaut habe, jedoch ohne Baubewilligung für den Neubau.

Mit Schreiben vom 28. Juli 1983 erhob der Beschwerdeführer Einspruch gegen die Strafverfügung und Berufung gegen die Baueinstellung. Zur Begründung führte er aus, nach Abtragen des Dachstuhls, der Holztramdecke und des abzutragenden Mauerwerks sei die innere Zerstörung des Mauerwerks, das größtenteils aus luftgetrockneten Lehmziegeln bestanden habe und innen teilweise mit Schutt gefüllt gewesen sei, sowie die Aushöhlung der seichten Fundamente offenbar geworden. Als trotz Pölzung die gartenseitige Mauer in sich zusammengestürzt und die Mauern des Bestandes von den konsultierten Fachleuten als nicht sanierbar klassifiziert worden seien, hätten ihm diese Fachleute empfohlen, auf die Erhaltung des Bestandes zu verzichten. Die geschliffenen Mauern würden aber in plan- und bewilligungsgemäßem Ausmaß wiederhergestellt.

Mit Bescheid vom 1. August 1983 hob der Bürgermeister seinen Bescheid vom 21. Juli 1983 mit der Begründung auf, daß auf Grund eines am 1. August 1983 durchgeführten Lokalaugenscheines und der Überprüfung der Bauführung gegen die Wiederaufstellung der Mauerteile nichts einzuwenden sei, wenn die Ausführung dem Einreichplan entsprechend erfolge.

Mit Bescheid vom 1. Juni 1984 gab der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde der Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 21. Juli 1983 keine Folge. Der Gemeinderat begründete seine Entscheidung damit, daß der Beschwerdeführer mit Bescheid vom 17. Juni 1982 eine Bewilligung zur Sanierung des Hauses, das im Grünland stehe, erhalten habe, er habe dann das Haus abgetragen und ohne Baubewilligung neu errichtet und größer gebaut, mit Unterkellerung und Dachausbau. Im Grünland könne gemäß § 19 der Bauordnung für Niederösterreich richtig wohl: des NÖ Raumordnungsgesetzes) keine Baubewilligung erteilt werden.

Auf Grund der Vorstellung des Beschwerdeführers behob die belangte Behörde mit Bescheid vom 24. Mai 1985 den Bescheid des Gemeinderates vom 1. Juni 1984 und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde. Die Aufhebung wurde darauf gestützt, daß der Bürgermeister mit Bescheid vom 1. August 1983 seinen Bescheid vom 21. Juli 1983 aufgehoben habe. Daher hätte sich der Gemeinderat bei seiner Entscheidung über die Berufung gegen den Bescheid vom 21. Juli 1983 damit auseinandersetzen müssen, ob dieser Bescheid dem Rechtsbestand angehöre. Da sich der Gemeinderat bei seiner Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid vom 31. Juli 1983 weder mit dem Bescheid des Bürgermeisters vom 1. August 1983 auseinandergesetzt, noch ein Ermittlungsverfahren über die Abweichung des Wohnhauses gegenüber dem vorliegenden Plan durchgeführt habe, sei das Verfahren mangelhaft geblieben. Es sei somit das Recht des Beschwerdeführers auf ein gesetzmäßiges Verfahren verletzt worden.

Mit Datum vom 22. Mai 1985 erließ der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde einen Bescheid, der dem - damals bereits anwaltlich vertretenen - Beschwerdeführer persönlich zugestellt wurde. Der Bescheid hatte folgenden Wortlaut:

"Spruch

Der Gemeinderat der Marktgemeinde Sulz im Weinviertel hat in seiner Sitzung vom 24. Jänner 1985 entschieden:

Den Bescheid des Bürgermeister vom 1. August 1983 wegen

Nichtigkeit aufzuheben.

Laut § 68 der BO für n.ö."

Dieser Bescheid wurde vom Vizebürgermeister unterfertigt.

Auf Grund der dagegen eingebrachten Vorstellung behob die belangte Behörde mit Bescheid vom 22. Juli 1985 den Bescheid des Gemeinderates vom 22. Mai 1985. Die Aufhebung begründete die belangte Behörde damit, daß der Bescheid des Gemeinderates weder eine Begründung noch eine Rechtsmittelbelehrung gemäß der Bestimmung des § 58 AVG 1950 enthalte. Weiters sei die Nichtigerklärung des Bescheides des Bürgermeisters vom 1. August 1983 auf § 68 Abs. 4 lit. a AVG 1950 und nicht auf § 68 der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 zu stützen.

Mit 10. Juli 1986 erließ der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde einen Bescheid, mit welchem der Bescheid des Bürgermeisters vom 1. August 1983 wegen Unzuständigkeit des Bürgermeisters zur Erlassung dieses Bescheides für nichtig erklärt wurde. Als Rechtsgrundlage wurde "§ 68 Abs. 4 lit. a AVG 1950" angeführt. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach der oben zitierten Bestimmung könnten Bescheide von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde dann, wenn sie von einer unzuständigen Behörde erlassen worden seien, für nichtig erklärt werden. Gemäß § 116 Abs. 1 der Bauordnung für Niederösterreich stehe die Zuständigkeit zur Aufhebung der Baueinstellung nicht der ersten Instanz zu, weshalb diese Entscheidung von einem unzuständigen Organ erlassen worden sei. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Vorstellung, die mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19. August 1986 als unbegründet abgewiesen wurde.

Gegen diesen aufsichtsbehördlichen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer bringt vor, weder der Erlassung des nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheides, noch auch der des Bescheides des Gemeinderates vom 10. Juli 1986 sei ein Ermittlungsverfahren vorangegangen. Damit sei das Verfahren mangelhaft geblieben. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde sei der Bürgermeister sehr wohl zur Erlassung des Bescheides vom 1. August 1983 zuständig gewesen. Mit Bescheid vom 21. Juli 1983 habe der Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz die Einstellung des Bauvorhabens verfügt. Das sei eine Sofortmaßnahme gewesen. Der Bürgermeister habe dann am 1. August 1983 einen Lokalaugenschein durchgeführt und die Bauführung überprüft. Dabei habe er sich davon überzeugen können, daß Mauerteile eingestürzt seien, die nur wieder aufgestellt werden mußten. Er habe daher mit Bescheid vom 1. August 1983 seine Sofortmaßnahme wieder aufgehoben und sogar eine Bewilligung zur Wiederaufstellung der eingestürzten bzw. nicht sanierbaren Mauerteile erteilt. Es liege hier also nicht nur die Zurücknahme einer Sofortmaßnahme, sondern darüber hinaus auch eine ausdrückliche Baubewilligung (Wiederherstellung) vor. Wenn der Beschwerdeführer gegen den Einstellungsbescheid vom 21. Juli 1983 Berufung ergriffen habe, so habe er das Ziel seiner Berufung bereits mit dem Bescheid des Bürgermeisters vom 1. August 1983 erreicht, sodaß der Gemeinderat die Behandlung der Berufung des Beschwerdeführers mangels Rechtsschutzinteresses hätte ablehnen müssen. Doch selbst dann, wenn man sich nicht dem Gedanken anschließen sollte, der Bürgermeister habe eine getroffene Sofortmaßnahme mit dem Bescheid vom 1. August 1983 wieder zurückgenommen, so sei die von Amts wegen erfolgte Aufhebung des Bescheides vom 21. Juli 1983 betreffend die Baueinstellung Rechtens. Gemäß § 68 Abs. 2 AVG 1950 können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, von der Behörde, die den Bescheid erlassen habe, aufgehoben oder abgeändert werden. Der Bescheid vom 21. Juli 1983 sei ein Bescheid, aus dem niemandem ein Recht erwachsen sei, denn für den Beschwerdeführer habe er nur Pflichten mit sich gebracht. Somit konnte der Bürgermeister gemäß § 68 Abs. 2 AVG 1950 seinen Bescheid vom 21. Juni 1983 von Amts wegen wieder aufheben, wie er es auch mit dem Bescheid vom 1. August getan hat. Daß ein solcher Bescheid rechtskräftig geworden sein müsse, sei unrichtig. Die diesbezüglich vertretene andere Rechtsmeinung sei dem Beschwerdeführer bekannt. Er schließe sich ihr jedoch nicht an, da gerade das AVG vom Prinzip der Raschheit und Sachadäquatheit durchdrungen sei.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 68 Abs. 2 AVG 1950 können von Amts wegen Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden. Nach § 68 Abs. 4 lit. a AVG 1950 können Bescheide von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn der Bescheid von einer unzuständigen Behörde oder von einer nicht richtig zusammengesetzten Kollegialbehörde erlassen wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinen Erkenntnissen vom 30. März 1949, Slg. N.F. Nr. 766/A, vom 15. November 1951, Slg. N.F. Nr. 2321/A, vom 6. Juli 1981, Zl. 06/2112/79, und vielen anderen, ausgeführt, daß eine amtswegige Maßnahme im Rahmen des § 68 AVG nur außerhalb des Berufungsverfahrens getroffen werden kann, weil sie die Rechtskraft des ihren Gegenstand bildenden Bescheides voraussetzt. Im gegenständlichen Fall hat der Bürgermeister auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid vom 21. Juli 1983 diesen mit Bescheid vom 1. August 1983 aufgehoben. Da die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid vom 21. Juli 1983 zu diesem Zeitpunkt auch nicht zurückgezogen war, war dieser Bescheid nicht in Rechtskraft erwachsen, das Berufungsverfahren war anhängig, der Bürgermeister war daher zu Abänderung seines Bescheides vom 21. Juli 1983 nicht zuständig. Alle Ausführungen in der Beschwerde zur Raschheit und Einfachheit des Verfahrens gehen an der im August 1983 bestandenen Rechtslage vorbei, ein Abänderungsrecht der Behörde erster Instanz wurde erst mit der Regelung des § 64a AVG (Fassung BGBl. Nr. 357/1990) mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 1991 vorgesehen. Baubehörde zweiter Instanz und somit zur Erledigung von Berufungen in Bausachen zuständig ist aber gemäß § 116 Abs. 1 der Niederösterreichischen Bauordnung der Gemeinderat.

Der Einwand des Beschwerdeführers, der Bescheid vom 21. Juli 1983, mit dem der Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz die Einstellung des Bauvorhabens verfügt habe, sei eine Sofortmaßnahme gewesen, vermag der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil hier keine Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt (faktische Amtshandlung) vorlag, sondern ein Bescheid erlassen wurde. Selbst dann, wenn der Bescheid des Bürgermeisters vom 21. Juli 1983 auf § 114 Abs. 1 der Niederösterreichischen Bauordnung gestützt worden wäre, war zur Erledigung der Berufung gegen einen solchen Bescheid nicht der Bürgermeister, sondern der Gemeinderat zuständig.

Aus dem Spruch des Bescheides des Bürgermeisters vom 1. August 1983 geht eindeutig hervor, daß damit die am 21. Juli 1983 verfügte Baueinstellung aufgehoben wurde. Wenn der Bürgermeister in der BEGRÜNDUNG seines Bescheides vom 1. August 1983 angeführt hat, daß gegen die Wiederaufstellung der Mauerteile dann nichts einzuwenden sei, wenn die Ausführung dem Einreichplan entspricht, so wurde damit, entgegen der Meinung des Beschwerdeführers, jedenfalls nach dem hiefür maßgebenden Bescheidspruch auch keine neue Baubewilligung erteilt, sondern eine - wenn auch im Widerspruch mit der objektiven Rechtslage stehende - Rechtsansicht der Baubehörde erster Instanz im Hinblick auf die bestehende Baubewilligung vertreten.

Der Bürgermeister war somit zur Erlassung des Bescheides vom 1. August 1983 nicht zuständig. Zu Recht hat daher der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde mit Bescheid vom 10. Juli 1986 diesen Bescheid gemäß § 68 Abs. 4 (lit. a) AVG 1950 aufgehoben und die belangte Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid die Vorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen.

Das Beschwerdevorbringen, es sei kein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden, ist unzutreffend. Bereits in einer Verhandlung, die die belangte Behörde am 12. Dezember 1984 in Anwesenheit des Beschwerdeführers und dessen Rechtsvertreters durchgeführt hat, wurde die Unzuständigkeit des Bürgermeisters erörtert, wobei auch der Vertreter des Beschwerdeführers seine Rechtsansicht dargelegt hat. Im übrigen ist die Frage, ob der Bürgermeister während der Anhängigkeit einer Berufung zur Aufhebung seines Bescheides zuständig war, eine Rechtsfrage, zu deren Lösung es keiner weitergehenden Ermittlungen bedarf.

Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Zulässigkeit und Voraussetzungen der Handhabung des AVG §68 Bindung an diese Voraussetzungen Umfang der Befugnisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1986050140.X00

Im RIS seit

19.03.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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