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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des AX und der BX auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 1990, Zl. 90/10/0185-5, mit welchem das Verfahren über die Beschwerde der Antragsteller gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 13. Juni 1990, Zl. 18.323/04-IC 8/90, betreffend Waldfeststellung und Wiederbewaldung eingestellt wurde, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag wird nicht stattgegeben.
Begründung
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 1990, Zl. 90/10/0185-5, wurde das Verfahren über die Beschwerde der Antragsteller gegen den oben näher bezeichneten Bescheid gemäß § 34 Abs. 2 und § 33 Abs. 1 VwGG eingestellt, weil die Beschwerdeführer (Antragsteller) dem ihnen erteilten Mängelbehebungsauftrag nicht nachgekommen waren.
Nach Zustellung dieses Beschlusses stellten die Antragsteller einen Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 46 VwGG. Dieser Antrag wird im wesentlichen damit begründet, daß im Parallelverfahren Zlen. 90/10/0186, 0187 ebenfalls eine Verfügung mit einem Verbesserungsauftrag dem ausgewiesenen Rechtsvertreter zugestellt worden sei. In diesem Akt (Erteilung eines Entfernungsauftrages) sei der Verbesserungsauftrag auch fristgerecht und ordnungsgemäß erstattet und durchgeführt worden. Bei dem ausgewiesenen Rechtsvertreter liege jedoch weder in dem Akt Erteilung eines Entfernungsauftrages noch in dem Unterakt Waldfeststellung und Wiederbewaldungsauftrag die Verfügung vom 5. November 1990 auf und sei auch im Terminbuch des ausgewiesenen Rechtsvertreters von der Sekretärin nur eine Frist für die vom Verwaltungsgerichtshof gesetzte Frist zur Mängelbehebung vorgemerkt worden. Nachdem auch bei der Fristenkontrolle durch den ausgewiesenen Rechtsanwalt die Verfügung vom 5. November 1990, Zl. 90/10/0185, von der Sekretärin Frau P., welche damals mit dem Posteingang beschäftigt und beauftragt gewesen sei, nicht vorgelegt worden sei, sei es auch zu keiner Eintragung im Terminbuch und zur Terminvormerkung gekommen. Durch eine Vorsprache beim Verwaltungsgerichtshof sei am 24. Jänner 1991 lediglich geklärt worden, daß der Rückschein formal ausgewiesen sei. Es bestehe sohin lediglich die Möglichkeit, daß entweder ein Leerkuvert zur Versendung gebracht worden sei oder aber, daß nach Öffnen der Kuverts und Entnahme des Inhaltes, welchen die Sekretärin als langjährige geübte Kraft alleine vornehme, eigenmächtig und wider ausdrücklichen Auftrag vor Terminvormerkung diese Verfügung mit einem vermutlich unwesentlichen Poststück in einen anderen Akt, wo es sich allenfalls durch Büroklammern hinten angehängt habe, eingelegt worden sei. Grundsätzlich sollte gemäß Auftrag die gesamte Post dem ausgewiesenen Rechtsvertreter zur Fristenkontrolle und Überprüfung der Posteingangsstücke vorgelegt werden. Tatsächlich sei die gegenständliche Verfügung weder in dem gegenständlichen Akt noch in den Parallelakt abgelegt und habe auch in den anderen zahlreichen Akten der ausgewiesenen Rechtsanwaltskanzlei nicht aufgefunden werden können. Eine Rücksprache mit der die Eingangspost behandelnden Sekretärin Frau P. habe lediglich ergeben, daß diese sich nur an die eine Fristeintragung der einen Verfügung habe erinnern können. Bei dieser Sekretärin handle es sich um eine langjährige tüchtige Fachkraft und sei dieser ein Fehler bisher nicht unterlaufen; dem ausgewiesenen Rechtsanwalt sei durch dieses Fehlverhalten jegliche Kontrollmöglichkeit genommen gewesen. Die Kontrollpflicht könne wohl nicht soweit gehen, bei der Sekretärin bereits bei der Öffnung der Kuverts und bei der ersten Fristeintragung durch dieselbe anwesend zu sein. Beide Umstände - sowohl der Umstand der Zustellung eines Leerkuverts bzw. auch der obige geschilderte Sachverhalt - stellten für die Beschwerdeführer ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar.
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann kein Erfolg beschieden sein.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG, in der Fassung des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 1985, BGBl. Nr. 564, ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung sowohl zu § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 als auch zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. An dieser Aufsichts- und Kontrollpflicht eines Rechtsanwaltes hat sich auch durch die Neufassung des § 46 Abs. 1 VwGG auf Grund des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 564/1985 nichts geändert. Es ist daher in derartigen Fällen weiterhin ausschlaggebend, ob der Rechtsanwalt der genannten Verpflichtung entsprochen hat, wobei der Unterschied zur früheren Rechtslage lediglich darin besteht, daß dann, wenn diesbezüglich ein Verschulden des Rechtsanwaltes hervorkommt, nunmehr noch zusätzlich zu klären ist, ob es sich hiebei nicht um einen minderen Grad des Versehens handelte. Der - aus der Zivilprozeßordnung in der Fassung der Zivilverfahrensnovelle 1983 übernommene - Begriff des minderen Grades des Versehens wird im Bereich der Zivilprozeßordnung, z.B. von Fasching im Lehrbuch des österreichischen Zivilprozesses, Rz. 580, als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter dürfe also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten seien diesen zuzurechnen und ermöglichten jedenfalls dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwalts bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen und eine durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bedingte entschuldbare Fehlleistung gewesen seien (vgl. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 1986,
Zlen. 86/11/0132, 0133, und die dort angeführte Judikatur). Das Versehen eines solchen Kanzleibediensteten stellt dann ein Ereignis gemäß § 46 Abs. 1 VwGG dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber nachgekommen ist. Ein Verschulden trifft den Rechtsanwalt jedenfalls dann nicht, wenn sich zeigt, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht hat, ohne daß ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzugetreten wäre (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl., S. 657 f. angeführte Rechtsprechung).
Von einem bloß minderen Grad des Versehens kann aber im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, weil vom Postbevollmächtigten für RSb-Briefe des Vertreters der Antragsteller die beiden Briefumschläge des Verwaltungsgerichtshofes, die die entsprechenden Mängelbehebungsaufträge enthielten, übernommen wurden, offenbar aber nur der im Verfahren 90/10/0186, 0187 erteilte Auftrag ordnungsgemäß behandelt wurde. Sollte jedoch - wofür sich nach der Aktenlage kein Anhaltspunkt findet - im Verfahren 90/10/0185 nur ein "Leerkuvert" zugestellt worden sein, wäre es Sache des Vertreters der Antragsteller gewesen, unverzüglich mit dem Gerichtshof Kontakt aufzunehmen, um den Sachverhalt aufzuklären und allenfalls die neuerliche Zustellung der Verfügung des Gerichtshofes, mit dem der Mängelbehebungsauftrag erteilt wurde, zu bewirken. Der Vertreter der Antragsteller hat es offenbar unterlassen, seinen Kanzleibetrieb dergestalt einzurichten, daß ihm auch tatsächlich sämtliche Poststücke zukommen. Das bedeutet im konkreten Zusammenhang zum einen, daß ihm auch das allenfalls ohne Inhalt versendete Kuvert des Verwaltungsgerichtshofes vorgelegt hätte werden müssen. Zum anderen ist bei der Organisation der Kanzlei vorzukehren, daß Einlaufstücke nicht so bearbeitet werden, daß die Möglichkeit ihrer Verlegung in anderen Akten besteht, bevor sie der Rechtsanwalt überhaupt zu Gesicht bekommen hat. Daß den Vertreter der Antragsteller eine entsprechende Überwachungspflicht trifft, liegt auf der Hand. Dazu ist zu bemerken, daß sich im Wiedereinsetzungsantrag auch kein einziger Hinweis darauf findet, daß der Vertreter der Antragsteller allgemein oder im besonderen Fall der ihn treffenden Überwachungspflicht nachgekommen wäre, bzw. das Bestehen einer solchen Pflicht überhaupt erkannt hätte. Daß aber die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht hätte, haben die Antragsteller nicht behauptet.
Demnach ist schon aus dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag zu erkennen, daß der Vertreter der Antragsteller nicht ohne sein Verschulden - bei dem es sich im vorliegenden Fall - wie dargelegt - nicht um einen minderen Grad des Versehens handelt - verhindert war, dem Verbesserungsauftrag fristgerecht zu entsprechen.
Aus diesem Grunde war daher dem Antrag nicht stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991100018.X00Im RIS seit
22.03.1991Zuletzt aktualisiert am
15.07.2015