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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 17. Februar 1986, Zl. VerkR-409/6-1986-II/Bi, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, insoweit der Beschwerdeführer wegen des Vorfalls in Linz, Darrgutstraße nächst dem Hause Nr. 13, Tatzeit 13. April 1984 einige Minuten nach 2.30 Uhr, der Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 schuldig erkannt und deshalb bestraft wurde, einschließlich der diesbezüglichen Kostenentscheidungen erster und zweiter Instanz, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 17. Februar 1986 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug für schuldig erkannt, er habe am 13. April 1984 in Linz
1.) um 2.30 Uhr auf der Langothstraße nächst den Häusern 12 und 16 als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws nach einem Verkehrsunfall, mit dem er in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, nicht sofort angehalten,
2.) einige Minuten später auf der Darrgutstraße nächst dem Hause Nr. 13 nach einem Verkehrsunfall, mit dem er in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, nicht sofort angehalten,
3.) um 3.00 Uhr in den Diensträumen des Verkehrsunfallkommandos trotz begründeter Vermutung der Alkoholbeeinträchtigung und trotz Aufforderung durch ein geschultes und hiezu ermächtigtes Straßenaufsichtsorgan die Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt mittels Alkoteströhrchens verweigert.
Er habe hiedurch folgende Verwaltungsübertretungen nach der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen:
zu 1.) Nach § 4 Abs. 1 lit. a,
zu 2.) nach § 4 Abs. 1 lit. a,
zu 3.) nach § 99 Abs. 1 lit. b iVm § 5 Abs. 2.
Es wurden Geld- und Ersatzarreststrafen verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtwidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorliegen einer Gegenschrift der belangten Behörde erwogen hat:
Die Beschwerde bekämpft im wesentlichen die Richtigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. N.F. Nr. 8619/A) schließt die auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendende Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d.h., ob sie u.a. den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen, weshalb wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung zur Aufhebung des Bescheides führen. Ob aber der Akt einer Beweiswürdigung richtig in dem Sinne ist, daß z.B. eine den Beschwerdeführer belastende Darstellung und nicht dessen Verantwortung den Tatsachen entspricht, kann der Verwaltungsgerichtshof auf Grund seiner eingeschränkten Prüfungsbefugnis in einem Verfahren über eine Bescheidbeschwerde nicht überprüfen (Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).
Nach der weiteren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Verfahrensrüge im Sinne des Aufhebungstatbestandes des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG nur dann begründet, wenn es entweder vom Beschwerdeführer schlüssig aufgezeigt wird oder es bei amtswegiger Prüfung aus den Akten zu erkennen ist, daß bei Vermeidung des gerügten oder zu erkennenden Verfahrensmangels die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungserichtsbarkeit3, S. 590/5, 591/1, 616/1 genannte Rechtsprechung).
Im Lichte dieser Rechtsprechung erweisen sich die gegen die Schuldsprüche zu 1. und 3. erhobenen Rügen aus folgenden Gründen als nicht gerechtfertigt:
Über die Frage der vom Beschwerdeführer behaupteten und von der belangten Behörde im Ergebnis verneinten Unzurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers zu den Tatzeitpunkten wurde ein umfangreiches Ermittlungsverfahren durchgeführt und es wurde dem Beschwerdeführer zu jedem einzelnen Verfahrensschritt das Parteiengehör gewährt. Das Gutachten der Amtssachverständigen Dr. S zitierte insbesondere die Krankengeschichte des Unfallkrankenhauses Linz und kam auf Grund dieser im Zusammenhang mit den übrigen Ermittlungsergebnissen zum Schluß, daß die in der Krankengeschichte beschriebenen Verletzungen das Auftreten einer Bewußtseinsstörung mit Erinnerungslücken nicht verursacht haben können. Gegen die Schlüssigkeit dieses Gutachtens vermochte der Beschwerdeführer nichts vorzubringen. Das vom Beschwerdeführer beantragte Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Kraftfahrzeugtechnik stellte sich deshalb als (unzulässiger) Erkundungsbeweis dar, weil aus der - von der belangten Behörde nicht als erwiesen angenommenen - Zersplitterung des Innenspiegels ebenso nicht objektivierbare Schlüsse gezogen werden sollten als aus solchen Folgen eines "massiven Anstosses" im Inneren des Kraftfahrzeuges, von dessen medizinischen Folgen eben nur das erweislich war, was der Amtsarzt Dr. A und die Ärzte des Unfallkrankenhauses sahen.
Der Beschwerdeführer konnte nicht dartun, was die von ihm beantragte, von der belangten Behörde aber unterlassene Vernehmung des Dr. B und die ergänzende Vernehmung des Dr. C für den Verfahrensausgang hätten bringen sollen, hat doch die oben genannte Amtssachverständige den schriftlichen Befund Dris. B vollständig wiedergegeben und hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren nicht behauptet, daß von Dr. B andere Angaben als in der Krankengeschichte enthalten zu erwarten gewesen wären. Der Beschwerdeführer konnte auch nicht dartun, was der zweimal vernommene Dr. C als Zeuge bei einer dritten Vernehmung hätte aussagen können.
Es trifft zu, daß in der in einer Zeugenaussage enthaltenen bloßen inhaltlichen Verweisung auf einen schriftlichen Bericht ein Verfahrensmangel liegen kann (vgl. Erkenntnis vom 11. November 1981, Zl. 03/3869/3870/80). Der Beschwerdeführer hat aber jedes Vorbringen dahin unterlassen, welche - weiteren und womöglich neuen - Aussagen von den Zeugen D, E, F und Dr. A zu erwarten gewesen wären, hätte man sie in anderer Weise vernommen als es geschehen ist.
Auch in der Frage der - im Verwaltungsstrafakt nicht aufscheinenden - Fortsetzung des Befundes des Unfallkrankenhauses ist auf die oben zitierte Rechtsprechung zu verweisen; der Beschwerdeführer unterließ es, aufzuzeigen, was die Ausforschung und Einvernahme jener Person erbracht hätte, die diese Befundfortsetzung verfaßt hat. Insbesondere fehlt jede Behauptung dahin, diese Fortsetzung des Befundes sei mit der Wirklichkeit in Widerspruch gestanden und stelle eine unrichtige Befundaufnahme dar - welcher nichtaufgestellten Behauptung allerdings die Angaben des ursprünglichen Befundes widersprochen hätten.
Die Rechtsrüge behauptet, sowohl die Zeitangabe "einige Minuten später" als auch die Ortsangabe "nächst dem Hause Nr. 13" sei ungenügend. Dies ist im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unrichtig. Diese Rechtsprechung besagt nämlich:
Der Vorschrift des § 44a lit. a VStG ist dann entsprochen, wenn a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, daß er in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Nach diesen, aber auch nur nach diesen Gesichtspunkten ist in jedem konkreten Fall insbesondere auch zu beurteilen, ob die im Spruch eines Straferkenntnisses enthaltene Identifizierung der Tat nach Ort und Zeit dem § 44a lit. a VStG genügt oder nicht genügt, mithin, ob die erfolgte Tatort- und Tatzeitangabe im konkreten Fall das Straferkenntnis als rechtmäßig oder rechtswidrig erscheinen läßt. Das an Tatort- und Tatzeitumschreibung zu stellende Erfordernis wird daher nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den oben wiedergebenen Rechtsschutzüberlegungen zu messendes sein.
Der Beschwerdeführer vermochte nicht darzutun, welche seiner Verteidigungsrechte durch die Tatortumschreibung "nächst dem Hause Nr. 13" einer bestimmten Straße und durch die Tatzeitumschreibung "einige Minuten später" nach einem nach Minuten bestimmten Zeitpunkt verletzt worden sein sollen.
Ungeachtet dieser korrekten Spruchfassung hinsichtlich des zeitlich zweiten Deliktes nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO erweist sich der diesbezügliche Schuldspruch als mit folgendem Verfahrensmangel behaftet:
Die belangte Behörde sagte (Seite 6 des angefochtenen Bescheides), daß nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung auch die Anzeige eines Meldungslegers der Entscheidung zu Grunde gelegt werden kann. Die zutreffend zitierte Rechtsprechung stellt selbstverständlich darauf ab, was der Inhalt einer solchen Anzeige ist, d.h., welchen Teil zur Wahrheitsfindung die Anzeige ihrem Inhalte nach beitragen konnte. Nun heißt es hinsichtlich des oben zu 2. genannten Deliktes in der Anzeige (Seite 1 verso) wie folgt: "Während der Sachverhaltsfeststellung wurde über die Funkvermittlung bekanntgegeben, daß der Lenker des Peugeot O-nmp-qrp laut Angabe eines Zeugen in der Darrgutstraße Nr. 13 einen weiteren abgestellten Pkw angefahren und beschädigt habe". Darüber hinaus konnte der Meldungsleger D keine Angaben über den zeitlich zweiten Unfall machen. Der Beschwerdeführer hat von Anfang an bestritten, diesen zweiten Unfall mit seinem Kraftfahrzeug verursacht zu haben. Ein technischer Beweis dahin, die Schäden am Kraftfahrzeug des Beschwerdeführers entsprächen den in der Darrgutstraße bei Nr. 13 an anderen Fahrzeugen angerichteten Schäden, wurde nicht erbracht. Der "Zeuge" laut Anzeige wurde niemals vernommen, ja nicht einmal namentlich genannt.
Die belangte Behörde hat es somit unterlassen, einerseits die technische Möglichkeit der Schadensverursachung durch das Kraftfahrzeug des Beschwerdeführers zu klären und andererseits diesen unbekannten Zeugen - am ehesten durch den allenfalls auf Tonband aufgezeichneten Sprechverkehr der Funkvermittlung - auszuforschen und zu vernehmen. Beides stellen Verfahrensmängel dar, bei deren Vermeidung die belangte Behörde in diesem Bescheidpunkt zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.
Somit war der angefochtene Bescheid hinsichtlich der zu 2. genannten Übertretung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, im übrigen aber die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer Sachverständiger Beweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von Amtspersonen freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1986180114.X00Im RIS seit
12.06.2001