TE Vwgh Erkenntnis 1991/3/22 90/18/0266

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Veröffentlicht am 22.03.1991
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

B-VG Art140 Abs1;
MRK Art5;
MRK Art6;
StVO 1960 §4 Abs1 litc impl;
StVO 1960 §4 Abs2;
StVO 1960 §4 Abs5 impl;
StVO 1960 §4 Abs5;
VStG §3 Abs1;
VStG §3 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Dr. Alois N gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 10. Oktober 1990, Zl. I/7-St-P-9070, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 10. Oktober 1990 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug schuldig erkannt, er habe am 1. Juni 1989 gegen 20.45 Uhr im Gemeindegebiet Langenrohr auf der Kreuzung der Bundesstraße 19 mit der Landeshauptstraße 112 bei Straßenkilometer 23,1 als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges bei einem Verkehrsunfall mit einer verletzten Person die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle nicht sofort verständigt, obwohl sein Verhalten am Unfallsort mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; es wurde eine Geld- und eine Ersatzarreststrafe verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorliegen einer Gegenschrift der belangten Behörde erwogen hat:

§ 4 Abs. 2 StVO enthält zwei voneinander unabhängige Verpflichtungen aller Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, und zwar für den Fall, daß bei diesem Verkehrsunfall Personen verletzt wurden:

Nach dem ersten Satz des genannten Absatzes haben sie Hilfe zu leisten; sind sie dazu nicht fähig, so haben sie unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen.

Nach dem zweiten Satz dieses Absatzes haben sie ferner die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen.

Es handelt sich um einen Verstoß gegen diese beiden Sätze um zwei voneinander verschiedene Delikte (Erkenntnis vom 12. September 1984, Zl. 83/03/0365).

Dem Beschwerdeführer wurde ausschließlich der Verstoß gegen den zweiten Satz des Absatzes 2 des § 4 StVO zum Vorwurf gemacht.

Der Rechtsrüge der Beschwerde ist zu erwidern:

Nach den Feststellungen der belangten Behörde (Seite 4 und 5 des angefochtenen Bescheides) hat Paul Z noch an der Unfallstelle den Beschwerdeführer auf seine, Zs, Verletzung aufmerksam gemacht. Zu Unrecht geht die Rechtsrüge daher von der Annahme aus, die Verletzung des Z sei dem Beschwerdeführer erst in der Wohnung des ersteren zur Kenntnis gekommen. Daher gehen auch alle von einer späten Kenntnis der Verletzung ausgehenden Schlußfolgerungen des Beschwerdeführers ins Leere.

Die Verständigungspflicht des § 4 Abs. 2, zweiter Satz StVO - wie übrigens auch jene des § 4 Abs. 5 StVO - besteht unabhängig davon, ob an der Unfallsstelle Spuren des Unfalls vorhanden sind oder nicht; schließlich dient die Verständigungspflicht auch dem Zweck, daß die Sicherheitsbehörden sich vom körperlichen Zustand der unfallsbeteiligten Lenker überzeugen können (allfällige Alkoholisierung?).

Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht der Ansicht, daß die Verständigungspflichten des § 4 Abs. 2 und des § 4 Abs. 5 StVO verfassungswidrig seien; im übrigen ist der Beschwerdeführer - welcher sich diesbezüglich auf Art. 5 EMRK, richtigerweise wohl auf Art. 6 Abs. 1 EMRK beruft - darauf hinzuweisen, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 8. Mai 1987, Slg. N.F. Nr. 12466/A) der von der Republik Österreich zu Art. 5 EMRK samt Zusatzprotokoll erklärte Vorbehalt im Verfassungsrang steht und für die unter dieses Gesetz fallenden Verfahren auch die Anwendung des Art. 6 EMRK ausschließt.

Davon, daß der Beschwerdeführer durch Fahrt mit dem verletzten Z in dessen Wohnung gehindert gewesen sein soll, die nächste Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen, war im Verwaltungsstrafverfahren nie die Rede; die diesbezügliche Behauptung in der Beschwerde, die Hilfeleistungsverpflichtung gehe der Verständigungspflicht vor, bleibt mangels Feststellung eines dieser These entsprechenden Sachverhaltes für die Entscheidung im vorliegenden Fall ohne Belang.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 27. April 1984, Zl. 83/02/0392, Erkenntnis vom 20. April 1988, Zl. 87/02/0118) kommt es auf den Grad der Verletzung nicht an, auch nicht nennenswerte Verletzungen lösen die Verständigungspflicht nach § 4 Abs. 2 StVO aus. Dazu kommt noch, daß die Verletzung des Lenkers Z im vorliegenden Fall nicht sofort an der Unfallsstelle zu sehen war, so daß die wörtliche Behauptung des Z an der Unfallstelle, verletzt worden zu sein, vom Beschwerdeführer gar nicht auf ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit überprüft werden konnte. Damit allein war zu diesem Zeitpunkt die Verständigungspflicht für den Beschwerdeführer gegeben, zumal keineswegs offenbar war, daß Z hinsichtlich seiner Verletzung die Unwahrheit sagte. Die Rechtsansicht des Beschwerdeführers, nur eine an der Unfallsstelle sichtbare Verletzung des anderen Lenkers hätte die Verständigungspflicht begründet, ist unrichtig; der - nicht offenbar unbegründete - Verdacht, daß eine andere Person verletzt worden sein könnte, genügt zum Entstehen der Verständigungspflicht.

Hinsichtlich des erst über acht Monate nach dem Unfall erstmals behaupteten Unfallschocks sei ebenfalls auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen:

Ein sogenannter "Unfallschock" kann nur in besonders gelagerten Fällen und bei gravierenden psychischen Ausnahmesituationen das Unterlassen eines pflichtgemäßen Verhaltens entschuldigen. Einem dispositionsfähig gebliebenen Unfallbeteiligten ist trotz eines sogenannten "Unfallschrecks" in Verbindung mit einer begreiflichen affektiven Erschütterung pflichtgemäßes Verhalten zumutbar, weil von einem Kraftfahrer, welcher die Risken einer Teilnahme am Straßenverkehr auf sich nimmt, ein solches Maß an Charakter- und Willensstärke zu verlangen ist, daß er den Schreck über den Unfall und die etwa drohenden Folgen zu überwinden vermag (Erkenntnis vom 11. Dezember 1978, Slg. N.F. Nr. 9719/A). Dafür, daß der geistige Zustand des Beschwerdeführers zur Tatzeit über den üblichen "Unfallsschreck" hinausging, fanden sich im gesamten Verwaltungsstrafverfahren keine Anhaltspunkte.

Da es somit der Beschwerde nicht gelungen ist, die von ihr behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12Mitwirkung und Feststellung des SachverhaltesDefinition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 UnfallschockMeldepflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990180266.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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