Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Anton N gegen den Bescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 18. Oktober 1990, Zl. VerkR-13085/1-1990-II/Bi, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 18. Oktober 1990 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug schuldig erkannt, er habe es am 15. September 1988 um 10.30 Uhr in Linz, Rudigierstraße, Einfahrt zur Tiefgarage Hypobank, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kombikraftfahrzeuges unterlassen,
1) nach einem Verkehrsunfall, mit dem sein Verhalten am Unfallsort in ursächlichem Zusammenhang stand, sein Fahrzeug sofort anzuhalten, und 2) nach diesem Verkehrsunfall mit Sachschaden die nächste Sicherheitsdienststelle ohne unnötigen Aufschub zu verständigen, obwohl ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift mit dem Unfallbeteiligten unterblieben sei. Er habe hiedurch die Übertretungen nach § 4 Abs. 1 lit. a und nach § 4 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; es wurden Geld- und Ersatzarreststrafen verhängt.
Über die gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen "Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes in wesentlichen Punkten" erhobenen Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorliegen einer Gegenschrift der belangten Behörde erwogen:
Zur Frage, ob der Beschwerdeführer als Lenker eines Kraftfahrzeuges zur Tatzeit am Tatort eine Kollision mit dem Fahrzeug der Zeugin Z bemerkt hat oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte bemerken müssen, führte die belangte Behörde aus, daß wohl eine Kollision der beiden Fahrzeuge stattgefunden und hiebei das Fahrzeug der genannten Zeugin einen ca. 50 cm langen Kratzer samt leichter Deformierung an der linken, an der Seite des Fahrers befindlichen, Tür erlitten habe, doch habe der Beschwerdeführer - diesbezüglich lehnte die belangte Behörde ausdrücklich die Übernahme der Ergebnisse des Gutachtens des Amtssachverständigen ab - dies weder akustisch noch nach dem Gefühl wahrgenommen, er hätte es auch bei gehöriger Aufmerksamkeit nicht wahrnehmen müssen. Dem Beschwerdeführer könne die - fahrlässige - Unkenntnis von der Kollision nur aus dem von ihm wahrgenommenen Verhalten der erwähnten Zeugin zum Vorwurf gemacht werden. Aus dem Gestikulieren und dem Aussteigen dieser Zeugin hätte der Beschwerdeführer auf eine Kollision der Fahrzeuge schließen müssen. Vom sonstigen Verhalten der Zeugin sei einerseits das Betätigen der Hupe und andererseits ihr Nachrufen auf der Fahrt des Beschwerdeführers in Richtung Mozartkreuzung dem Beschwerdeführer nicht - im Sinne fahrlässiger Unkenntnis - vorwerfbar, weil er das Hupen als Hinweis auf die gefährlich knappe Entfernung der beiden Fahrzeuge auffassen konnte und weil er das Nachrufen nicht mehr bemerkt habe. Hingegen habe der Beschwerdeführer bemerken müssen, daß die Zeugin, nachdem sie mit ihrem Pkw etwa zwei Meter zurückgefahren sei, ausgestiegen - sie sei regelrecht aus dem Fahrzeug gesprungen - und dann entrüstet dagestanden sei. Dieser Umstand habe dem Beschwerdeführer bei Aufwendung der erforderlichen Sorgfalt und Aufmerksamkeit auffallen müssen.
Über dieses Verhalten der genannten Zeugin - Aussteigen und "entrüstetes Dastehen" - finden sich im erstinstanzlichen Straferkenntnis keine Feststellungen; der angefochtene Bescheid sagt hierüber (Seite 4), sie, die Zeugin, sei "dann" - nach der für sie geräuschvollen Kollision - ausgestiegen und habe angenommen, daß der Beschwerdeführer ebenfalls aussteigen werde. Dieser sei aber mit aufheulendem Motor angefahren und nach links ... Richtung Mozartkreuzung weggefahren. Der Beschwerdeführer habe auch gesehen, daß sie ausgestiegen sei, weil sie mit ihm Blickkontakt gehabt habe. Die Zeugin Z - so die Zeugin T - habe gestikuliert, sei aber nicht ausgestiegen (Seite 5). Die Zeugin Z sei sofort ausgestiegen, der Lenker habe sie angesehen, er sei aber weggefahren, worüber sie sehr entsetzt gewesen sei (Seite 6). In einer Würdigung des Wahrheitsgehaltes der Aussagen der Zeugin Z (Seite 8) wird ihr Verhalten nach der Kollision zusammenfassend mit "Aussteigen, Gestikulieren, Nachrufen sowie anschließende Anzeigeerstattung" gekennzeichnet.
Der Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, daß dieses festgestellte, vom Beschwerdeführer wahrnehmbare Verhalten der Zeugin Z - das Vernehmen des Nachrufens hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ausdrücklich nicht zum Vorwurf gemacht - sich demnach darin erschöpfte, daß sie aus ihrem Fahrzeug ausgestiegen ist und gestikuliert hat. Da nach den Feststellungen der belangten Behörde weder das Aussteigen noch das Gestikulieren - der allfällige nähere mögliche Bedeutungsinhalt des Gestikulierens wurde nicht festgestellt - einen spezifischen Hinweis auf eine stattgefundene Kollision der Fahrzeuge beinhaltete, bestand für den Beschwerdeführer kein Anlaß, eine solche Kollision mit eingetretenem Sachschaden allein aus diesen Umständen anzunehmen. Es entspricht nämlich der Lebenserfahrung, daß Fahrzeuglenker auch dann, wenn keinerlei Kollision der Fahrzeuge stattgefunden hat, einander wegen angeblich rechtswidriger Fahrweise mit Worten und Gesten heftige Vorwürfe zu machen pflegen. Da Worte im vorliegenden Fall (siehe oben) als vom Beschwerdeführer nicht wahrnehmbar auszuscheiden sind, bleibt es beim bloßen Gestikulieren der Zeugin Z. Daß ihre Gesten für den Beschwerdeführer als Hinweise für eine stattgefundene Kollision mit Sachschaden erkennbar waren oder erkennbar sein mußten, hat die Berufungsbehörde nicht aufgezeigt.
Sie hat durch ihre rechtliche Schlußfolgerung, das bloße Gestikulieren des anderen Fahrzeuglenkers sei ein hinreichendes - im Sinne vorsätzlicher Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis verstanden - Indiz für den Eintritt einer Kollision mit Sachschaden, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art.III Abs. 2.
Schlagworte
Meldepflicht freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990180268.X00Im RIS seit
12.06.2001