Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
KrankenanstaltenG §49; Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; Vorführung des hochgradig erregten, stark alkoholisierten Bf. zum Amtsarzt und seine Einweisung in eine Krankenanstalt für Geisteskranke gesetzmäßig - keine Verletzung der persönlichen Freiheit; keine Verletzung des Rechtes auf Freiheit und Sicherheit iS des Art5 MRKSpruch
Der Bf. ist dadurch, daß er am 30. September 1987 um 19 Uhr 15 durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien einem Amtsarzt dieser Behörde zwangsweise vorgeführt, bei dieser Behörde bis etwa 21 Uhr angehalten und im Anschluß daran zwangsweise in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien gebracht wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Bf. ist schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit S 20.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) K P beantragt mit seiner auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, er sei dadurch, daß ihn am 30. September 1987 in Wien Sicherheitswachebeamte der dortigen Bundespolizeidirektion zwangsweise einem Amtsarzt dieser Behörde vorführten, daß er bei der Behörde angehalten und sodann zwangsweise in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien gebracht worden sei, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche reiheit (Art8 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, im folgenden:
StGG) verletzt worden.
b) Der Bf. bringt zum Sachverhalt im wesentlichen vor, er habe bei seinem Besuch im Lokal "A" in Wien ..., nachdem er von Gästen provoziert worden sei und der Wirt des Lokals seinem Wunsch, die Lautstärke der Musik zu erhöhen, nicht entsprochen habe, die Verständigung der Polizei verlangt. Weder innerhalb noch außerhalb des Lokals habe er durch Beschimpfen, Zertrümmern von Gläsern oder in sonstiger Weise Grund für eine Festnahme und Anhaltung gegeben.
2. Die Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. erstattete - vertreten durch die Finanzprokuratur - unter Vorlage des Verwaltungsaktes eine Gegenschrift und begehrte darin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
3. Auf Grund des Beschwerdevorbringens, der Ausführungen in der Gegenschrift, des vorgelegten Verwaltungsaktes und der im Rechtshilfeweg durchgeführten Einvernahmen der Zeugen Rev.Insp. W S, Dr. I S und P M sowie des Bf. als Partei erachtet der VfGH folgenden für die Beurteilung der Beschwerde wesentlichen Sachverhalt als erwiesen:
Die (Sicherheitswache-)Inspektoren W S und D L trafen, nachdem sie mit ihrem Funkstreifenwagen am 30. September 1987 um 19 Uhr 10 nach Wien 14, Linzer Straße ..., beordert worden waren, weil in dem dort befindlichen Lokal "A" eine Person randaliere, um 19 Uhr 12 vor diesem Lokal den Bf. an, der dort lautstark herumschrie. Der Wirt des Lokals gab den Sicherheitswachebeamten gegenüber an, daß der Bf. kurz zuvor in dem Lokal ein Bier getrunken und schon nach kurzer Zeit herumgeschrien sowie die Gäste beschimpft und ihnen gegenüber eine drohende Haltung eingenommen habe. Vom Gastwirt aufgefordert, sich zu beruhigen, habe er eine Bierflasche zu Boden geworfen und das Lokal verlassen, sei aber vor diesem stehen geblieben und habe weiterhin herumgeschrien.
Der Bf., der stark alkoholisiert wirkte, setzte nach dem Eintreffen der Sicherheitswachebeamten sein lautstarkes Schreien fort, wobei er ua. schrie: "Ich bin ein unbescholtener Staatsbürger, ich war schon vierzigmal wegen meiner Trunksucht in psychiatrischer Behandlung, lasse mich jedoch nicht von den Gästen dieses Lokals bedrohen!" Er ließ sich von den Beamten nicht beruhigen, lehnte ihren Vorschlag, ihn nach Hause zu bringen, ab und begann in Richtung der Beamten zu spucken, diese zu beschimpfen und gegen sie tätlich vorzugehen, sodaß es notwendig war, ihn unter Anwendung von Körperkraft zurückzuhalten. In der Folge geriet er in einen erregten Zustand, begann zu taumeln und mußte von den Beamten durch Festhalten davor bewahrt werden, auf die Straße zu taumeln. Den Sicherheitswachebeamten erschien, daß der Bf. sich durch dieses Verhalten selbst gefährde, weshalb sie ihn um 19 Uhr 15 mit dem Funkstreifenwagen in das Bundespolizeikommissariat Penzing überstellten, um ihn dort vom Amtsarzt untersuchen zu lassen. Nach dem Eintreffen am Bundespolizeikommissariat um etwa 19 Uhr 30 wurde über Funk der den Nachtdienst versehende Amtsarzt herbeigerufen, der um 20 Uhr 30 am Bezirkspolizeikommissariat eintraf und den Bf. untersuchte. Nach Beendigung der Untersuchung um 20 Uhr 45 wurde der Bf. um 21 Uhr von dem inzwischen über Funk angeforderten Rettungsdienst in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien gebracht und von dort nach etwa einer Dreiviertelstunde entlassen.
Der VfGH folgt, was das Verhalten des Bf. betrifft, das zum polizeilichen Einschreiten gegen ihn führte, den Angaben des als Zeugen vernommenen Sicherheitswachebeamten sowie den Zeugenaussagen des Wirtes, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlaß besteht.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Gemäß Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten dieser B-VG-Nov. nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die zwangsweise Vorführung zum Amtsarzt und die zwangsweise Einweisung in eine Krankenanstalt für Geisteskrankheiten zutrifft (VfSlg. 4562/1963, 4878/1964, 4924/1965).
Die Beschwerde wendet sich mithin gegen einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art144 Abs1 B-VG. Da hier ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
III. 1. Der Bf. bekämpft, wie insbesondere seinem abschließend gestellten Antrag zu entnehmen ist, zwar ausdrücklich nur seine "Festnehmung", doch ist aus seinem Beschwerdevorbringen insgesamt zu erkennen, daß er sich gegen seine Vorführung zur Behörde zum Zweck der amtsärztlichen Untersuchung, gegen seine Anhaltung bei der Behörde bis zu seiner Einweisung in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien sowie gegen diese Einweisung wendet. Durch alle diese Maßnahmen ist der Bf. in seiner persönlichen Freiheit beschränkt worden.
2. Das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das durch Art8 StGG zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Eine gesetzliche Bestimmung im Sinne des §4 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit ist auch §49 des Krankenanstaltengesetzes (im folgenden: KAG), BGBl. 1/1957 (vgl. VfSlg. 10440/1985 und die dort zitierte Vorjudikatur), der die Aufnahme, Anhaltung und Entlassung von Geisteskranken in bzw. aus eine(r) Krankenanstalt regelt.
Nach §49 Abs1 KAG dürfen in eine Krankenanstalt für Geisteskranke zwangsweise nur solche Personen aufgenommen werden, für die eine Bescheinigung (Parere) beigebracht wird, wonach anzunehmen ist, daß die aufzunehmende Person infolge einer Geisteskrankheit ihre oder die Sicherheit anderer Personen gefährdet. Eine solche Bescheinigung muß vom Amtsarzt der für den Aufenthaltsort der aufzunehmenden Person zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde bzw. Bundespolizeibehörde ausgestellt sein und darf nicht älter als eine Woche sein (siehe hiezu etwa VfSlg. 10440/1985 und die dort zitierte Vorjudikatur).
Diese Vorschrift ermächtigt auch die Organe bzw. Hilfsorgane der Bezirksverwaltungsbehörde und der Bundespolizeibehörde, Personen, deren Gefährlichkeit im Sinne dieser Gesetzesstelle vom Amtsarzt bescheinigt wird, zwangsweise in eine Krankenanstalt für Geisteskranke zu bringen (so etwa VfSlg. 7200/1973, 8180/1977, 10364/1985). "Erfordern der Krankheitszustand und die besonderen Umstände eine sofortige zwangsweise Aufnahme, ohne daß eine Bescheinigung im Sinne des Abs1 erbracht werden kann, so darf" gemäß §49 Abs4 KAG "die Krankenanstalt die betreffende Person vorläufig aufnehmen". Aus dieser Regelung ergibt sich, daß eine Person durch Organe (Hilfsorgane) einer Bezirksverwaltungsbehörde und einer Bundespolizeibehörde zwangsweise, ohne mit dem Gesetz in Widerspruch zu geraten, auch zum Amtsarzt dieser Behörde gebracht werden darf, damit eine Untersuchung zum Zwecke der Ausstellung einer Bescheinigung gemäß §49 Abs1 KAG vorgenommen werden kann, wenn der Krankheitszustand und die besonderen Umstände eine sofortige Untersuchung erfordern (VfSlg. 4562/1963, 4924/1965, 7200/1973, 8180/1977). Nur dann also, wenn der aus der vermuteten Geisteskrankheit der Person erwachsenden Gefahr für ihre oder die Sicherheit anderer Personen im Hinblick auf den Krankheitszustand und die besonderen Umstände nicht anders als zunächst durch die sofortige zwangsweise Vorführung vor den Amtsarzt zum Zwecke der Vornahme der Untersuchung begegnet werden kann, darf diese Freiheitsbeschränkung vorgenommen werden; ansonsten ist sie gesetzwidrig.
3. Im vorliegenden Fall konnten die einschreitenden Sicherheitswachebeamten angesichts der zunehmenden und zeitweilig hochgradigen Erregung des Bf., die dazu führte, daß er zu taumeln begann, in Verbindung mit dem vom - stark alkoholisiert wirkenden - Bf. selbst stammenden Hinweis, daß er schon vierzigmal wegen seiner Trunksucht in psychiatrischer Behandlung gewesen sei, mit hinreichendem Grund annehmen, daß der Bf. an einer Geisteskrankheit leide. Im Zusammenhang damit rechtfertige der Umstand, daß der Bf. von den Sicherheitswachebeamten davor bewahrt werden mußte, auf die Straße zu taumeln, deren Annahme, daß eine konkrete Gefährdung seiner körperlichen Sicherheit vorliege, der zunächst nur durch seine Vorführung zur amtsärztlichen Untersuchung begegnet werden könne. Unter diesen Umständen entsprach die Vorführung des Bf. zum Amtsarzt dem Gesetz.
4. Der Amtarzt untersuchte den Bf. und stellte unter Verwendung eines amtlichen Vordruckes ein mit "Befund und Gutachten des Polizeiamtsarztes" überschriebenes Parere aus. Als "Grund der Untersuchung" ist darin "Verdacht der Trinkerpsychose" angegeben, der "Befund" enthält ua. folgende Feststellungen:
"Zeitlich und örtlich mangelhaft orientiert. . . . Zeitweilig läßt die akute Erregung etwas nach er steigert sich jedoch bald wieder in eine hochgradige Erregung. In diesem Zustand akute Selbstgefährdung. Einweisung erforderlich".
Das "Gutachten" wurde hinsichtlich der "Diagnose" durch Ausfüllen einer Rubrik (dabei wurde auf ein dem Parere nicht beiliegendes Schema Bezug genommen), im übrigen durch Ankreuzen vorgedruckter Formulierungen so erstellt, daß es lautet:
"Bei der untersuchten Person bestehen Anzeichen einer Geisteskrankheit, und es ist anzunehmen, daß die untersuchte Person infolge dieser Geisteskrankheit ihre und/oder die Sicherheit anderer Personen gefährdet. Es wird daher die Einweisung der untersuchten Person in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien beantragt."
Damit hat die Bescheinigung den im §49 Abs1 KAG vorgesehenen Inhalt. Somit waren die durch §49 Abs1 KAG geforderten Voraussetzungen für die zwangsweise Einweisung des Bf. in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien gegeben. Sie entsprach dem Gesetz.
5. Der Bf. ist somit durch seine zwangsweise Vorführung zum Amtsarzt, durch seine Anhaltung bei der Behörde und durch seine daran anschließende zwangsweise Einweisung in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden.
6. Er ist aber auch nicht im Recht auf Freiheit und Sicherheit im Sinne des Art5 MRK verletzt worden. Nach Art5 Abs1 zweiter Satz lite MRK darf nämlich einem Menschen die Freiheit auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden, wenn er sich in rechtmäßiger Haft befindet, weil er geisteskrank ist. Diese Ermächtigung zur Freiheitsbeschränkung bezieht sich auch auf alle jene Maßnahmen, die gesetzmäßigerweise dazu dienen, entscheiden zu können, ob eine Haft wegen Geisteskrankheit rechtmäßigerweise verhängt werden darf (VfSlg. 7200/1973).
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Krankenanstalten, Einweisung zwangsweiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B1119.1987Dokumentnummer
JFT_10119074_87B01119_00