TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/5 90/17/0031

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Veröffentlicht am 05.04.1991
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Index

L37016 Getränkeabgabe Speiseeissteuer Steiermark;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);

Norm

B-VG Art139 Abs6;
B-VG Art140 Abs7;
GetränkeabgabeG Stmk 1950 §2 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 90/17/0032 90/17/0033 90/17/0034

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Wetzel, Dr. Puck und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Mag. Kirchner, über die Beschwerden der X-Warenhandels-Aktiengesellschaft gegen die Steiermärkische Landesregierung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Getränkeabgabenangelegenheiten, gemäß § 42 Abs. 5 zweiter Satz VwGG, zu Recht erkannt:

Spruch

Den Vorstellungen der Beschwerdeführerin gegen die nachstehend genannten Bescheide wird gemäß § 94 Abs. 5 der Gemeindeordnung 1967, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 115, in der Fassung der Gemeindeordnungsnovelle 1975, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 14/1976, Folge gegeben:

1) Der Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Gleisdorf vom 28. Juni 1989, Zl. 89/1065-7, wird aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Stadtgemeinde Gleisdorf verwiesen;

2) der Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Liezen vom 7. Juni 1989, Zl. 5/920-4/88, wird aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Stadtgemeinde Liezen verwiesen;

3) der Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fürstenfeld vom 13. April 1989, Zl. 900-00/1-1989/He, wird aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Stadtgemeinde Fürstenfeld verwiesen;

4) der Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde Pinggau vom 16. Mai 1989, Zl. 920/1989, wird aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Marktgemeinde Pinggau verwiesen.

Das Bundesland Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 46.160,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. (zur hg. Zl. 90/17/0031):

Die Beschwerdeführerin begehrte mit Antrag vom 31. Dezember 1987 beim Bürgermeister der Stadtgemeinde Gleisdorf die Rückerstattung der Getränkesteuer, "die auf Gebinde bzw. Verpackungsanteile entfällt und die in den bisher abgegebenen Getränkesteuererklärungen enthalten war", für die Jahre 1982 bis 1986 im Betrag von S 182.246,--.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Gleisdorf vom 28. Juni 1989 wurde dieser Antrag als unbegründet abgewiesen. Dies im wesentlichen mit der Begründung, auf Grund der durch das Gesetz, LGBl. für die Steiermark Nr. 85/1988, geänderten Rechtslage sei nun der Wert der mitverkauften Verpackung im Gesetzeswortlaut ausdrücklich als Teil des steuerpflichtigen Entgeltes bestimmt.

2. (zur hg. Zl. 90/17/0032):

Die Beschwerdeführerin begehrte mit Antrag vom 31. Dezember 1987 beim Bürgermeister der Stadtgemeinde Liezen die Rückerstattung der Getränkesteuer, "die auf Gebinde bzw. Verpackungsanteile entfällt und die in den bisher abgegebenen Getränkesteuererklärungen enthalten war", für die Jahre 1982 bis 1986 im Betrag von S 134.355,--.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Liezen vom 7. Juni 1989 wurde dieser Antrag abgewiesen. Dies im wesentlichen mit der Begründung, der angefochtene Bescheid entspreche der geltenden Rechtslage.

3. (zur hg. Zl. 90/17/0033):

Die Beschwerdeführerin begehrte mit Antrag vom 31. Dezember 1987 beim Bürgermeister der Stadtgemeinde Fürstenfeld die Rückerstattung der Getränkesteuer, "die auf Gebinde bzw. Verpackungsanteile entfällt und die in den bisher abgegebenen Getränkesteuererklärungen enthalten war", für die Jahre 1982 bis 1986 im Betrag von S 60.032,--.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fürstenfeld vom 13. April 1989 wurde dieser Antrag abgewiesen. Dies im wesentlichen mit der Begründung, der angefochtene Bescheid entspreche der geltenden Rechtslage.

4. (zur hg. Zl. 90/17/0034):

Die Beschwerdeführerin begehrte mit Antrag vom 31. Dezember 1987 beim Bürgermeister der Marktgemeinde Pinggau die Rückerstattung der Getränkesteuer, "die auf Gebinde bzw. Verpackungsanteile entfällt und die in den bisher abgegebenen Getränkesteuererklärungen enthalten war", für die Jahre 1982 bis 1986 im Betrag von S 95.179,--.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde Pinggau vom 16. Mai 1989 wurde dieser Antrag abgewiesen. Dies im wesentlichen mit der Begründung, die Entscheidung entspreche der geltenden Rechtslage.

5. Mit den vorliegenden, auf Art. 132 B-VG gestützten Beschwerden wird die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Steiermärkische Landesregierung geltend gemacht, weil diese Behörde über die jeweils gegen den Bescheid des Gemeinderates erhobene Vorstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten entschieden habe.

6. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:

Gemäß § 27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

In den Beschwerdefällen steht unbestritten fest, daß die belangte Behörde über die Vorstellungen der Beschwerdeführerin nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden hat. Die Säumnisbeschwerden sind daher zulässig.

Weiters steht unbestritten fest, daß die belangte Behörde auch innerhalb der ihr vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 2 erster Satz VwGG zur Nachholung des versäumten Bescheides eingeräumten Frist nicht entschieden hat.

Gemäß § 94 Abs. 1 der Gemeindeordnung 1967, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 115, kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches im Bereiche der Landesvollziehung in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen nach Erlassung des Bescheides dagegen Vorstellung erheben.

Nach § 94 Abs. 5 der Gemeindeordnung 1967 in der Fassung der Gemeindeordnungsnovelle 1975, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 14/1976, hat die Aufsichtsbehörde den Bescheid, wenn Rechte des Einschreiters durch ihn verletzt werden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen.

Die Abgabenbehörden der Gemeinden haben in den Beschwerdefällen ihre Entscheidungen auf die Neufassung des § 2 Abs. 1 des Getränkeabgabegesetzes, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 23/1950 (in der Folge: GetrAbgG), durch das Gesetz LGBl. für die Steiermark Nr. 85/1988 (in der Folge: GetrAbgG-Novelle) sowie Art. II Abs. 1 der GetrAbgG-Novelle gestützt. Die Berufungen der Beschwerdeführerin wurden unter Hinweis auf diese derart geänderte Rechtslage - wonach diese Neufassung auch auf anhängige Verfahren anzuwenden ist - abgewiesen. Die Rückerstattungsbegehren bezogen sie hiebei jeweils auf einen vor dem Inkrafttreten der GetrAbgG-Novelle (mit 4. November 1988) gelegenen Zeitraum.

Mit Beschluß vom 23. Mai 1990, A 80/90, A 81/90, A 82/90, A 83/90 (90/17/0031-0034), stellte der Verwaltungsgerichtshof in den Säumnisbeschwerdefällen an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, Art. II Abs. 1 der GetrAbgG-Novelle als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit Erkenntnis vom 7. März 1991, G 76/90 und Folgezahlen, hat der Verfassungsgerichtshof u.a. über den oben bezeichneten Antrag zu Recht erkannt, daß Art. II Abs. 1 GetrAbgG-Novelle als verfassungswidrig aufgehoben wird und die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

Nach Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG ist auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht.

Da die Säumnisbeschwerdefälle neben anderen Anlaßfälle für das in Rede stehende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes waren, ist die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesstelle somit - jedenfalls - in den vorliegenden Fällen nicht mehr anzuwenden. Unter dem Begriff "Anlaßfall" im Art. 140 Abs. 7 B-VG ist dabei das gesamte Verwaltungsverfahren in der konkreten Rechtssache zu verstehen und bezieht sich die Anlaßfallwirkung nicht etwa nur auf das Verhältnis zwischen dem antragstellenden Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof (vgl. in diesem Sinne das hg. Erkenntnis vom 10. November 1989, Zl. 85/17/0109). Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der in den vorliegenden Säumnisbeschwerdefällen bekämpften Bescheide ist daher so vorzugehen, als ob bei deren Erlassung die aufgehobene Bestimmung nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Die Abgabenbehörden der Gemeinden sind somit rechtswidrig vorgegangen, als sie ihre die Abgabenschuldigkeit bejahenden - die Rückerstattungsanträge abweisenden - Entscheidungen insbesondere auf die durch das oben zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aufgehobene Norm stützten, mit der die Anwendung der Neuregelung des Art. I der GetrAbgG-Novelle, wonach auch der Preis für Verpackungen in Form von Einweggebinden zum steuerpflichtigen Entgelt zählt, auf alle anhängigen Verfahren verfügt wurde.

Eine Sicht, daß die Abgabenbehörden der Gemeinden auch dann zu keiner anderen Entscheidung hätten kommen können, wenn die Rechtslage bereits zum Zeitpunkt der Erlassung der mit Vorstellung bekämpften Bescheide bereinigt gewesen wäre, verbietet sich schon deshalb, weil die Regelung des § 2 Abs. 1 GetrAbgG in ihrer Fassung vor der GetrAbgG-Novelle keinen Anlaß bietet, die (grundsätzlich im § 1 GetrAbgG erfolgte) gesetzliche Umschreibung des Steuergegenstandes so zu verstehen, daß darunter nicht nur das Getränk selbst (aus Anlaß seiner Abgabe an den Letztverbraucher) zu verstehen wäre, sondern das Getränk mit der allenfalls vorhandenen "Warenumschließung" (Verpackung, Gebinde) den (einheitlichen) Steuergegenstand bildete (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. März 1987, Zlen. 83/17/0056, 83/17/0131, sowie vom 19. Jänner 1990, Zl. 89/17/0125).

Im übrigen läßt sich aus den Akten kein Hinweis darauf entnehmen, daß die Gemeinden im Hinblick auf den neuen landesgesetzlich begründeten Abgabentatbestand (für mitverkaufte Getränkeverpackungen) durch entsprechende Verordnungen von ihrer Ermächtigung zur Abgabenerhebung Gebrauch gemacht hätten (vgl. dazu insbesondere das hg. Erkenntnis vom 28. September 1990, Zl. 90/17/0162 und Folgezahlen). Insofern hat es auch dahingestellt zu bleiben, ob - gemessen an der bereinigten Rechtslage - eine derartige Verordnungsstelle ihre gesetzliche Deckung verloren hätte.

Da schon aus den oben dargelegten Gründen durch die mit Vorstellung bekämpften Bescheide Rechte der Beschwerdeführerin verletzt wurden, waren diese Bescheide gemäß § 94 Abs. 5 Gemeindeordnung 1967 aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auch deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990170031.X00

Im RIS seit

20.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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